Seit über einem
Jahrhundert kämpfen die arbeitenden Klassen -das
Proletariat und seine Verbündeten - gegen die
ausbeutenden Klassen, die Bourgeoisie und andere
Reaktionäre, um sich von dem Joch der Ausbeutung zu
befreien und die Ausbeutung überhaupt abzuschaffen.
Die Große Proletarische Kulturrevolution ist die
jüngste Etappe in diesem Kampf, den das chinesische
Volk bereits seit Jahrzehnten führt. Aber warum
Kampf? Haben die chinesischen Revolutionäre 1949
nicht die Volksrepublik gegründet, haben sie nicht
die Landwirtschaft kollektiviert, die Industrie
verstaatlicht und die vormals anarchische Wirtschaft
planmäßig organisiert und nach
den Bedürfnissen der breiten Volksmassen
ausgerichtet? Alle diese Siege sind errungen worden;
es gibt kein Privateigentum an Produktionsmitteln
mehr (außer den Privatparzellen auf dem Lande, deren
Fläche weniger als fünf Prozent der Gesamtanbaufläche
beträgt), und die ausbeutenden Klassen sind im
wesentlichen gestürzt worden. Warum gibt es also noch
Klassen und Klassenkampf, wenn die Diktatur des
Proletariats errichtet ist?
Mit der Verstaatlichung
der Industrie hat die Arbeiterklasse fürs erste die
Machtfrage in diesem Bereich für sich entschieden:
durch den staatlichen Plan ist es möglich,
Spekulation, Hortung von Rohstoffen und
profitorientierten Vertrieb der Produkte zu
unterbinden; mit der Überwachung der alten Direktoren
und Spezialisten durch den Betriebsparteiausschuß
sind der Willkür der
Betriebsleitung Grenzen gesetzt; mit der Kontrolle
von unten durch die Gewerkschaften in den fünfziger
Jahren können die Arbeiter ihre Interessen mehr und
mehr durchsetzen. Doch es genügt nicht, auf die alten
Posten nach und nach neue Leute zu setzen, selbst
wenn sie das volle Vertrauen der Arbeiter genießen:
was ändert sich für einen Dreher, wenn der Mann mit
der Stoppuhr hinter seinem Rücken ein rotes Halstuch
trägt? Die Kontroll-Mechanismen, die
Betriebs-Hierarchie, die
Kompetenzabgrenzung in der Produktion usw., die Form
des »Betriebs« selbst als Produktionseinheit sind im
Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital ausgebildet
worden, unter der Herrschaft der Kapitalistenklasse.
Die technischen Neuerungen und Erfindungen, die in
der Produktion zur Anwendung kommen, tragen den
Stempel der Profitmaximierung: der Arbeiter ist
Lückenbüßer der Maschine. (Man zeichne die Geschichte
der industriellen Neuerungen nach: besonders in
Zeiten zugespitzter Klassenkämpfe setzt die
Bourgeoisie neue Techniken und Methoden ein, um die
Arbeiterklasse niederzuhalten, sie einzuschüchtern,
die Reservearmee zu vergrößern.) Diese Formen der
Produktivkraft der Arbeit (der Verbindung von
Arbeiter, Produktionsmittel und bearbeitetem Stoff)
sind typischerweise kapitalistisch und
arbeiterfeindlich. Die Trennung der unmittelbaren
Produzenten von den Produktionsmitteln ist das
grundlegende Merkmal der kapitalistischen
Produktionsweise. Die verschiedenen Tätigkeiten im
Betrieb möglichst zu vereinzeln, zu parzellieren und
mit Taylor-, Refa-, MTM- und anderen Systemen
kontrollierbar zu machen, verschärft die Ausbeutung:
eine differenzierte »Arbeitsplatz«-Bewertung auf
dieser Grundlage spaltet die Arbeiterschaft,
erweitert die Manipulationsmöglichkeit des
Unternehmers und sichert seine Macht. Unmittelbar
nach Errichtung der Diktatur des Proletariats werden
zwar die krassesten Erscheinungsformen des
kapitalistischen Betriebs ausgemerzt: die Macht der
Betriebsleitung, die Arbeiter rauszuschmeißen,
Hungerlohn zu zahlen, menschenunwürdige
Arbeitsbedingungen aufzuwingen. Doch die neuen Kader
(oder Funktionäre: gemeint sind alle Personen mit
irgendwelchen Leitungsfunktionen), die an die Stelle
der alten Betriebsleitung rücken,
sehen sich nun vor einer doppelten Aufgabe:
einmal stehen sie dafür gerade, daß die Produktion
läuft, daß die Gesellschaft die benötigten Güter auch
bekommt. Und zweitens müssen sie ihre
Leitungsaufgaben so wahrnehmen, daß die Arbeiter
diese Funktionen Schritt für Schritt selbst
übernehmen können. Wenn die sozialistische
Betriebsleitung dagegen die Notwendigkeit »zu
produzieren, produzieren und nochmals produzieren«
einseitig betont, so verhält sie sich nicht viel
anders als ein kapitalistischer Unternehmer.
All das gilt auch
für die Kader in überbetrieblichen Organen (Kreis,
administrative Region, Provinz, Zentrale). Diese
Kader haben ebenfalls zwei Aufgaben-, einmal
die Planarbeit gut zu verrichten, damit sich nicht
unter der Hand Schwarzmarkt Verhältnisse
einschleichen; und zweitens ihre Arbeit in der Weise
zu verrichten, daß sich die Koordination der
Produktionseinheiten zu einer Koordination von
Belegschaften, zu einem Austausch von Arbeiten, zur
assoziierten Arbeit entwickelt.
Erfüllen diese
überbetrieblichen Planorgane nur die erste Aufgabe,
so handeln sie nach bewährter bürokratischer und
letzten Endes kapitalistischer Manier: von der
Werkstatt einer Produktionsbrigade, der
Reparaturstätte einer Volkskommune, der Motoren- und
Traktorenstation eines Kreises, der Traktorenfabrik
einer Provinz bis zum zentral geleiteten Kombinat für
schwere Landmaschinen wird so alles - der Ȇbersicht
und Effizienz« halber - in einem Trust
zusammengefaßt, nachdem man sich die
Management-Methoden aus dem imperialistischen
Amerika geholt hat. Daneben gibt es einen anderen
Trust, der ebenfalls von der Basis bis zur Zentrale
die Ersatzteilproduktion für Landmaschinen verwaltet
(so der Versuch des Industrieministers Bo Yi-bo im
Jahre 1964).
In dieser Weise wird
die Produktion in Branchen zerstückelt, sektorial
aufgeteilt und straff zentralisiert. Die Produktion
nach den Bedürfnissen der Massen tritt zunehmend in
den Hintergrund. Man betrachte den Instanzenweg, den
eine Volkskommune beschreiten mußte, um kurz vor der
Ernte ein notwendiges Ersatzteil zu beschaffen, oder
die gleiche Umständlichkeit, wenn die Textilfabrik
eines Kreises neue Webstühle brauchte. Bei dieser
Form der sektoral-zentralisierten Produktion tritt
als bestimmendes Kontrollmittel der monetäre Kalkül
in den Vordergrund. Die Einzelbetriebe richten ihre
Wirtschaftsführung nach dem Gewinn aus, und die
gesellschaftliche Bedarfsproduktion wird tendenziell
nur in profitablen Bereichen aufrechterhalten. So
beginnt der kapitalistische Weg im überbetrieblichen
Bereich.
Die Kader, die den
kapitalistischen Weg gehen, treiben die Arbeiter nur
zur Produktion an, vernebeln die Hirne der Massen mit
den Schlagworten »Effizienz«, »Rationalität« und
»Sachzwang«, mit Begriffen, die scheinbar an keine
Klasse gebunden sind, im Grunde aber in der
bürgerlichen Ideologie wurzeln. Sie vergeben
»materielle Anreize« als Trostpflaster für politisch
ohnmächtige Produzenten. Sie sagen »der Kommunismus
ist eine Sache des Uberflusses, man muß erst die
Produktivkräfte entwickeln«. Diese Parole reduziert
die Emanzipation der Arbeiterklasse auf eine
»gerechte Verteilung der gesellschaftlichen
Produktion« (wie ehedem Dühring), ohne daß der
Charakter der Arbeit radikal verändert und sie zu
einem Lebensbedürfnis der Menschen würde. Diese
Kader, die sich von den Massen gelöst haben,
informieren sich tendenziell zu einer neuen
Staatsbourgeoisie.
Der Kampf der
revolutionären Kräfte gegen diese Reaktion ist ein
Klassenkampf unter der Diktatur des Proletariats; ein
Kampf um die Macht in jenen Bereichen, die von der
Bourgeoisie noch gehalten werden. Dieser Kampf brach
in der Kulturrevolution offen aus, wurde aber schon
lange vorher geführt. Welcher Weg ist einzuschlagen?
Sollte man den »Sachzwängen« nachlaufen, oder die
Politik an die erste Stelle setzen, sollte man sich
auf eine Handvoll »gebildeter Spezialisten« verlassen
oder die Initiative der Massen voll entwickeln?
Einen ersten Angriff
auf solche Bastionen der Bourgeoisie führten die
arbeitenden Massen im Großen Sprung; in einer
Dreijahresfrist sollten einige wesentliche
materielle und institutionelle Voraussetzungen
(ländliche Industrialisierung, Volkskommunen)
geschaffen werden, um den weiteren Aufbau des
Sozialismus auf dieser Grundlage zu festigen. Die
Entfaltung der Masseninitiative in diesen Jahren
1958/59 war das Hauptmerkmal der neuformulierten
Generallinie. Einige rechte Elemente der chinesischen
KP mißtrauten zutiefst den Massen und widersetzten
sich dieser Politik; nach den unbestreitbaren
Erfolgen (Wasserregulierungsbauten, Infrastruktur,
industrielle Kleinbetriebe auf dem Lande, eine Unzahl
von technischen Erfindungen, gigantische
Aufforstung, Ansteigen der Produktivität in allen
Bereichen ...) schwenkten dieselben Elemente um und
verfolgten eine »ultra-linke« Taktik: mit der Devise
»Spontaneität ist alles, Organisation ist nichts«
verwirrten sie einen Teil der Massen. Die Position
der rechten Elemente erfuhr eine unerwartete
Hilfestellung durch langanhaltende, schwere
Naturkatastrophen, denn dadurch wurden die
arbeitenden Massen bei ihrer Produktionsschlacht in
die Defensive gedrängt. Der Abzug der sowjetischen
Techniker (mit allen Blaupausen) und die Einstellung
der sowjetischen Lieferungen an Ausrüstungsgütern
trug ebenfalls dazu bei, daß die Konservativen mehr
und mehr Oberwasser bekamen. Sie meinten, ihre
ursprüngliche Kritik sei bestätigt worden.
Von nun an
verschärfte sich der Kampf zwischen der
revolutionären und der revisionistischen Linie, und
die Fronten wurden immer klarer; doch zunächst
behielten die rechten Elemente die Oberhand in der
Innenpolitik: auf dem Land wurden das
Kollektiv-Eigentum untergraben und die
Privat-Parzellen erweitert; die Familie wurde als
Bewertungseinheit festgelegt und nicht mehr die
Produktionsgruppe; die private Anstellung von
Arbeitskräften wurde erlaubt; mit
Privatkrediten konnte wieder Wucher betrieben
werden. Die Gesamtverantwortlichkeit der
Volkskommuneorgane wurde aufgebrochen. Die Bereiche
der Erziehung, des Handels, der medizinischen
Versorgung und der kleinindustriellen Produktion
kamen unter die Alleinverantwortlichkeit der
jeweiligen Kreis-Ämter. Die kleinen
Industriebetriebe wurden entweder geschlossen (nur
die profitablen konnten weiterarbeiten) oder den
jeweiligen höheren Industrie-Büros unterstellt.
In der Industrie
wurde das kollektive Leitungssystem zu Gunsten des
»Ein-Mann«-Prinzips abgeschafft. Bei Konflikten mit
dem Parteiausschuß behielt der Betriebsdirektor die
Oberhand. Die Arbeitsorganisation wurde genauestens
nach der Betriebsordnung von Magnitogorsk
vorgeschrieben. Die 170 Abschnitte mußten von den
Arbeitern auswendig gelernt werden. Ein
ausgeklügeltes Prämiensystem (über 70 Arten)
spaltete die Arbeiterklasse. Die Gewerkschaften
waren Befehlsempfänger der Betriebsleitungen und
sollten die Arbeiter zur Produktion antreiben. Die
Produktion wurde am Profit orientiert. Staatlichen
Aufträgen mit geringer Stückzahl, großem
Arbeitsaufwand und geringem Profit wichen einige
Betriebsleitungen aus. Das aus den Erfahrungen des
Großen Sprunges gewonnene »gestufte System
koordinierter Pläne« (jede Ebene - vom Kreis bis zur
Provinz - stellte einen Gesamtplan auf, stimmte die
verschiedenen Produktionssparten in ihrem Bereich
untereinander ab und reichte diese koordinierten
Pläne der nächsthöheren Instanz weiter) wurde von
den Tendenzen zur Trustbildung untergraben. Im
technischen Bereich mißachteten die rechten Elemente
die Initiative und die Ideen der Massen und
übernahmen ungeprüft die »moderne« Maschinerie aus
dem Ausland. Im Erziehungsbereich wurden die Schulen
geschlossen, die im Großen Sprung gegründet worden
waren und die politisch aktive und fachlich
qualifizierte Schüler (»rot und fachkundig«) aus den
Reihen der Arbeiter und Bauern heranbildeten. In den
alten Schulen wurden die Aufnahmebedingungen
verschärft, so daß Kinder aus »gebildeten« Kreisen
mehr und mehr die Arbeiterkinder verdrängten. Der
Lehrstoff war scholastisch und hatte wenig Bezug zu
den Problemen in den Fabriken und Volkskommunen. Er
wurde zudem in autoritärer Manier eingepaukt.
Rigorose Prüfungsbestimmungen sollten die
Arbeiterkinder aussieben. (Z. B. waren in den
Oberschulen von Peking und Shanghai 60 Prozent der
Schüler Bürgerkinder.) Ähnliche Bestrebungen wurden
von der Bourgeoisie auch in anderen Bereichen
verfolgt (Medizin, Handel usw.). Es waren allerdings
nur Bestrebungen, die auf erbitterten
Widerstand der revolutionären Kräfte unter Führung
Mao Tsetungs stießen.
Der offene Kampf
brach in einem Bereich aus, in dem die Gegensätze am
heftigsten aufeinanderprallten: im Erziehungswesen.
Warum? Im Ausbildungswesen hatten nach der Befreiung
unverhältnismäßig viele bürgerliche Intellektuelle
Unterschlupf gefunden. Angesichts der Notsituation
war dies nicht verwunderlich; es herrschte Mangel an
Fachkräften, und das Analphabetentum war noch weit
verbreitet. In diesem Bereich war auch die
ideologische Verwandtschaft und die politische
Verschwägerung der alten Bourgeoisie mit den neuen
revisionistischen Elementen am augenfälligsten. In
Fabriken und Volkskommunen hätten sie mit den
erfahrenen, revolutionären Arbeitern und Bauern nicht
in der Weise umspringen können wie mit unerfahrenen
Jugendlichen. Doch die extreme Unterdrückung
provozierte nur den offenen Kampf, und ihre Stärke
veranlaßte die Arbeiter- und Bauernschüler nur zum
organisierten Widerstand. Ideologisch hatten sich
die reaktionären »Autoritäten« bereits zu sehr
entlarvt, um in offenen Auseinandersetzungen ihre
Politik rechtfertigen zu können.
Es waren
insbesondere die Jugendlichen aus den Reihen der
Arbeiter und Bauern, die sich zu den
»Rote-Garden«-Organisatio-nen zuammenschlossen. In
den Fabriken bildeten jene Jungarbeiter die Vorhut,
die durch das bürgerlich-elitäre Prüfungssystem von
den Schulen gejagt worden waren. Unmittelbar nach dem
Ausbruch des offenen Kampfes in Form von
Wandzeitungen und Debatten (bewaffnete
Auseinandersetzungen waren strikt untersagt) stellte
sich Mao hinter die jungen Revolutionäre:
Rebellion gegen die Machthaber, die den
kapitalistischen Weg gehen, ist gerechtfertigt.
Die jungen Rotgardisten schöpften ihr
Selbstvertrauen und ihren Mut aus dem Studium der
revolutionären Erfahrungen der Kommunistischen
Partei Chinas, die Mao in seinen Werken
zusammengefaßt hat. Sie verglichen diese Erfahrungen
mit den Praktiken der bürgerlich-revisionistischen
Elemente und kritisierten schonungslos die
arbeiterfeindliche Politik in allen Bereichen.
Der Gegenschlag
der Reaktionäre ließ nicht auf sich warten: die
rechte Führungsclique entsandte »Arbeitsgruppen« an
die Basis, um die große politisch-ideologische Kritik
in kleinen akademischen Zirkeldiskussionen zu
entschärfen und so der Bloßstellung zu entgehen. Zu
diesem Zeitpunkt, im August 1966, faßte das
Zentralkomitee der KPCh die Erfahrungen der Kämpfe
der letzten Jahre zusammen und gab der revolutionären
Bewegung ihre Richtung: unmittelbares Ziel der
proletarischen Revolutionäre sei es, die Macht
besonders auf zentraler und Provinzebene zu erobern.
Damit würden die bürgerlichen Elemente auf der
unteren Ebene ihren organisatorischen Rückhalt
verlieren, sie würden isoliert und könnten einzeln
leichter angegriffen werden.
Die bürgerlichen
Elemente waren nun gezwungen, Rückzugsgefechte zu
führen. »Sie schwenkten rote Fahnen, um der Roten
Fahne Widerstand zu leisten«. Sie stellten z. B.
konterrevolutionäre »Rote-Garde«-Organisationen auf
die Beine, um die politische Kritik in
Studentenstreitereien umzumünzen. Sie versuchten
durch eine ökonomistische Politik, die Arbeiter gegen
die revolutionären Schüler und Studenten
aufzuwiegeln: mit weiteren Prämien sollten die
Arbeiter davon abgehalten werden, die Frage nach der
Macht im Betrieb und nach der Macht ihrer Klasse im
Staat zu stellen.
Die Entscheidung
fiel in Shanghai, als nach erbitterten
Auseinandersetzungen die revolutionäre Linie siegte.
Denn wer zahlte den Arbeitern die Stillhalteprämie?
Es war jene Handvoll Kader, die die Arbeiter bislang
von der Führung des Betriebes ausgeschlossen hatte.
Mit welcher Rechtfertigung herrschten diese Kader
willkürlich im Betrieb? Sie sagten, die Massen seien
ungebildet, nur sie selber besäßen den Überblick,
die Erfahrung, das Wissen. Und woher bezogen sie das
Wissen? Aus jenen Schulen und Universitäten, die von
den bürgerlichen Elementen beherrscht wurden. Und
waren es dagegen nicht jene revolutionären Schüler
und Studenten, die Schluß machen wollten mit der
bürgerlich-elitären Erziehung? War dieser Kampf der
Schüler und Studenten nicht der gleiche Kampf wie der
der Arbeiterschaft? Die Folge war das Bündnis der
Rotgardisten mit den revolutionären Arbeitern,
das sich immer mehr festigte und erweiterte. Die
Taktik der Rechten scheiterte, und ihre
konterrevolutionären Praktiken isolierten sie von
den Massen. Damit war die rechte Führungsgruppe im
wesentlichen ausgeschaltet. Vor den revolutionären
Kräften stand nun die Aufgabe, auf Provinz- und
unterer Ebene die Macht zu übernehmen. Um von der
Kritik, die sich auf sie konzentriert hatte,
abzulenken, besann sich die Rechte auf die Parole
»alle Kader sind im Grunde schlecht«. Damit wollten
sie in der Menge guter Kader untertauchen und in der
dadurch erzeugten pseudorevolutionären Brandung alle
Koordinations- und Leitungssysteme zerschlagen. Im
folgenden Chaos - so dachten sie - würden sich die
»Experten« schon wieder durchsetzen. Diese Taktik
war den revolutionären Kräften allerdings aus dem
Großen Sprung 1958 und aus der Erziehungsbewegung
1964/65 schon bekannt. Die Einigung der
revolutionären Massen verzögerte sich daher nur. Die
Bildung proletarischer Machtorgane, der
Revolutionsausschüsse, war nicht mehr aufzuhalten.
Diese Revolutionsausschüsse setzen sich aus
Vertretern der revolutionären Massenorganisationen,
aus revolutionären Kadern und Vertretern der
Volksbefreiungsarmee zusammen (die Armee hatte schon
vor der Kulturrevolution eine tiefgehende
Revolutionierungskampagne durchgeführt,
in der sie sich noch enger mit den Bauern- und
Arbeitermassen in produktiver Arbeit verbunden und
ihre innere Organisation demokratisiert hatte).
Nach der breiten
ideologischen Kritik und der politischen
Machtübernahme der revolutionären Kräfte trat die
Kulturrevolution in eine neue Etappe ein: auf der
Tagesordnung stand nun, jene Strukturen
umzugestalten, die aus der alten Gesellschaft
übernommen worden waren. Es galt die Basiseinheiten
(wie Schulen/Universitäten, Industrie-Betriebe,
Handelsorganisationen etc.) zu revolutionieren. Auf
dem Lande bestand die Aufgabe darin, die Volkskommune
als sozial-ökonomische Einheit wieder voll zur
Geltung zu bringen.
Was heißt
Revolutionierung? Eine Grundeinheit revolutionieren
heißt, daß die große Masse der bisher von der Macht
ausgeschlossenen Schüler, Bauern und Arbeiter die
Macht der bürgerlichen Minderheit im Leitungspersonal
übernimmt, daß die große Mehrheit die Arbeit in den
Einheiten nach ihrem proletarischen Klasseninteresse
gestaltet, daß die Strukturen der Trennung (von
Betrieb zu Betrieb und von Bereichen untereinander
wie Produktion, Erziehung, Handel, medizinische
Versorgung) aufgebrochen werden, daß die
verschiedenen gesellschaftlichen Tätigkeiten sich
zur assoziierten Arbeit entwickeln. Richtungsweisend
in dieser Revolutionierung ist die Erfahrung der
revolutionären Massen, von Mao zusammengefaßt in der
Weisung vom 7. Mai 1966 (abgedruckt in diesem Band,
S. 97).
Die Revolutionierung
in den Schulen stieß auf große Schwierigkeiten. Die
revolutionären Schüler, Lehrer und Angestellten
konnten wohl das Lehrprogramm verkürzen und die
Unterrichtsmethoden demokratisieren. Aber das
Hauptproblem bestand darin, die Erziehung mit der
Produktion, die Schüler mit den Arbeitern eng zu
verbinden. So zogen Arbeitergruppen in die Schulen
und Universitäten und leiteten die inhaltliche und
organisatorische Umgestaltung an. Die Verwaltung
wurde vereinfacht, die Schulen wurden Fabriken
zugeordnet und gründeten selbst Kleinbetriebe, um
praktisch zu lernen und zu produzieren. Die
einzelnen technischen und naturwissenschaftlichen
Fächer wurden zusammengefaßt und die physikalischen,
mechanischen, chemischen Gesetze an einem
geschlossenen Produktionsobjekt (Bau von Radios in
Schulbetrieben, Produktion von Kunstdünger in
petrochemischen Werken usw.) studiert und gleich in
der Produktion angewandt. Laboratorien in
technischen Universitäten errichteten
Produktionsstätten und stellten Prototypen her. Durch
die Führung der Arbeiter eröffnete sich diese breite
Perspektive in der Revolutionierung des ehemals
bürgerlichen Schultyps.
Die
Revolutionierung der Industriebetriebe
orientierte sich be-140 sonders an dem Beispiel der
Erdölarbeiter von Daqing, die seit 1961 aus eigener
Kraft ein Erdölfeld aufbauten, und an den
Erfahrungen der Metaller von Anshan aus dem Großen
Sprung, zusammengefaßt in der von Mao formulierten
»Betriebsordnung von Anshan« vom 22. März i960
(abgedruckt in diesem Band S. 70). Das Schaubild
zeigt die neue Betriebsstruktur. Der
Parteiausschuß hat die politische Leitung über
den Revolutionsausschuß. Der Revolutionsausschuß
erledigt die Leitungsaufgaben, nachdem der
gesamte Verwaltungsapparat auf das notwendigste
Personal verkürzt wurde. Jeweils ein Drittel des
Revolutionsausschusses hat im engeren Sinne die
Verwaltungsarbeit zu leisten, das zweite Drittel
arbeitet in der Produktion, und das dritte unternimmt
Untersuchungen in allen Bereichen. Diese drei Teile
des Revolutionsausschusses wechseln sich beständig
ab in den drei Tätigkeiten. Die
Arbeiterverwaltungsgruppen haben die ehemals
ökonomistische Gewerkschaftsorganisation abgelöst
und bilden politische Kontroll- und
Verbindungsorgane, die von der Arbeiterschaft unter
Ausschluß von Kadern und Technikern gewählt werden.
Diese Arbeiterverwaltungsgruppen haben sich
teilweise schon auf regionaler Ebene vereinigt und
sind dabei, eine politische Gewerkschaft neuen Typs
zu bilden. Die Dreierverbindungen im
technischen Bereich sind ständige Organe, wechseln
aber ihre Zusammensetzung je nach Aufgabenstellung.
Die Hauptkraft in den Dreierverbindungen bilden
jedoch immer die Arbeiter.
Alle Organe
werden von der Basis gewählt, Vertreter können
auf der Stelle abgewählt werden, aber man zieht die
Methode vor, »die Krankheit zu heilen, um den
Patienten zu retten«, d. h., die Fehler des
betreffenden Vertreters in Massendiskussionen
aufzuzeigen, damit er sie berichtigen, später
vermeiden und damit seinen Arbeitsstil verbessern
kann. Die Kader arbeiten regelmäßig in der
Produktion. So wird die enge Verbindung der
Vertretungsorgane mit der Belegschaft gewährleistet
und die Diktatur des Proletariats im industriellen
Bereich verstärkt. Die Revolutionierung der
Produktionseinheiten verändert nicht nur die innere
Organisation, sondern hebt tendenziell die Trennung
der Produktionsbetriebe untereinander und zu anderen
Bereichen auf (Handel, Landwirtschaft, Erziehung).
Arbeiter in Textilfabriken stellen Webstühle her, die
ihren besonderen Anforderungen gerecht werden; denn
wer weiß besser, wie ein Webstuhl funktionieren muß,
als jene, die täglich daran arbeiten? Wenn die
Arbeiter beginnen, ihre Produktionsmittel selbst
herzustellen, vereinigen sie sich in einer mehrere
Betriebe umfassenden Dreierverbindung und
organisieren die planmäßige »sozialistische
Kooperation« mit den Kollegen aus einer
Webstuhl-fabrik, Kadern der Planungsinstanzen und
Arbeitern aus den materialliefernden
Betrieben. Überschüssige Lagervorräte geben sie an
Brudereinheiten ab, die sie brauchen. Rohstoffe
werden nur für eine Produktionswoche gelagert. Diese
Maßnahme intensiviert die Verbindungen zu
anderen Betrieben.
Die Arbeiter
verwerten alle festen, flüssigen und gasförmigen
Abfallstoffe: aus Zuckerrohr werden außer dem
Hauptprodukt Zucker noch über 20 andere Produkte
gewonnen, wie Papier, Alkohol, medizinische
Fabrikate u. a.. Petrochemische Werke reinigen ihre
Abfälle zu flüssigem Kunstdünger, der auf die Felder
der umliegenden Volkskommunen geleitet wird.
Eisenhütten verarbeiten die Kohleschlacken zu Ziegeln
für die landwirtschaftliche Kanalisation. Diese
vielfach verzweigte Verarbeitung, »die integrale
Nutzung«, wird in den meisten Fällen von Klein-
und Kleinstbetrieben geleitet, die mit den
»Abfällen« aus verschiedenen Großbetrieben eine neue
Produktion entwickeln. So werden die Barrieren
zwischen den verschiedenen Branchen und Sektoren der
industriellen Produktion niedergerissen, die
verschiedenen Betriebe »organisch« mit einander
verbunden und direkt auf die landwirtschaftliche
Produktion bezogen.
Die sozialistische
Kooperation, der Austausch von Arbeiten, wirkt
wiederum direkt zurück auf die innere Struktur eines
Betriebes und treibt die Revolutionierung voran.
Gemüseverkäuferinnen von Verkaufsgenossenschaften
gehen in Konservenfabriken arbeiten und diskutieren
mit den Arbeitern ihre Vorschläge zu
Qualitätsverbesserungen. Und die Arbeiter gehen an
die Verkaufsstände, um mit den Kunden über ihre
Produkte zu diskutieren, und greifen Anregungen auf.
Dadurch werden das bürokratische System der
Qualitätskontrolle, die Kontrolleure, die den
Arbeitern im Nacken saßen, abgeschafft. Und das
Ziel, Qualitätsprodukte herzustellen, wird in der
assoziierten Arbeit von den Werktätigen selbst
erreicht.
Die Revolutionierung
der Betriebe und die sozialistische Kooperation
verschiedener Betriebe und Bereiche miteinander haben
notgedrungen das Plansystem der sektoralen
Zentralisierung gesprengt. Die Basiseinheiten
(Betrieb, Schule, Verkaufsgenossenschaften,
Krankenhäuser) eines Kreises oder einer Stadt werden
vom Revolutionsausschuß dieser Ebene untereinander
koordiniert und in einem Plan zusammengefaßt. Dabei
sollen die Probleme möglichst aus eigener Kraft
gelöst werden. Ungleichgewichte in der
Wirtschaftsstruktur werden dann von der
nächsthöheren Ebene - der administrativen Region -
im regionalen Maßstab ausgewogen. Die gleiche
Koordination und Gesamtplanung wird auf den
nächsthöheren Stufen der Provinz und der Zentrale
geleistet. So bleibt dieses gestufte System
koordinierter Pläne für die unmittelbaren Produzenten
überschaubar. Dieses System war in seinen
Grundzügen von den Arbeitern und Bauern schon im
Großen Sprung erkämpft worden. Während der
Kulturrevolution haben sie dieses Plansystem wieder
gefestigt und weiter ausgebaut.
Quelle: Walter Aschmoneit, Politökonomische
Aspekte der Großen Proletarischen Kulturrevolution in
China, in: Bettelheim u.a. China 1972, Westberlin
1972, S. 133-143 |