Kommentare zum Zeitgeschehen
Zu den aktuellen Problemen der radikalen Linken

ein Kommentar von Jan Schiffer

07/2015

trend
onlinezeitung

Wer einen Blick auf den aktuellen Stand der deutschen Linken wirft, sieht ein gegensätzliches Bild:

Einerseits diagnostiziert ausgerechnet der extremismustheorethische “Forschungsverbund SED-Staat”, dass “linksextreme” (ergo: antikapitalistische) Einstellungen “in Deutschland weit verbreitet” seien, dass ein Sechstel der Bevölkerung eine linksradikale Grundeinstellung hat und das “knapp 60 Prozent der Ostdeutschen und 37 Prozent der Westdeutschen [...] den Sozialismus/Kommunismus für eine gute Idee” halten,(1) andererseits setzen erstaunlich viele Linke ihre ganzen Hoffnungen immer noch auf eine mögliche Koalition der Linkspartei und der Bündnisgrünen als Juniorpartner der SPD, deren Vorsitzender in der Griechenlandkrise versuchte, die Union rechts zu überholen(2) und immer für einen Dialog mit den ultrachauvinistischen “besorgten Bürgern” von Pegida bereitssteht.(3)

Ein weiteres zentrales Problem ist aus meiner Sicht:

Die radikale Linke ist stark fragmentiert; insbesondere orthodox-leninistische Gruppierungen sind hauptsächlich damit beschäftigt, innerparteiliche Gegner oder vermeintliche “pseudolinke” Gruppierungen anzugreifen, während es leider vielen Menschen, die sich (wie ich) dem undogmatischen Spektrum zuordnen, nach wie vor äußerst schwer fällt, mit solchen Gruppierungen zusammenzuarbeiten. So kommt es, dass das Bild ganzer Demonstrationen von diesem Konflikt geprägt werden, so geschehen bei der “No IMK”-Demo Ende letzten Jahres, wo eine stalinistische Kleinpartei derart stark - auch mit ihrem Logo - vertreten war, dass einige undogmatische Menschen das Gefühl hatten, dass sie die Demo vereinnahmen wollte - was das beherrschende Thema in Gesprächen nach der Demo war. Ähnliches war auch bei der “Kampf ums Klima”-Konferenz zu beobachten.

Dazu kommen noch weiter spaltende Themen; ich brauche nur den Nahostkonflikt zu erwähnen, durch den bis heute beispielsweise die linksjugend [‘solid] tief gespalten ist. Gerade bei diesem Thema wird es oft persönlich. Es wird einem von bevormundenden Thesen im Stile von “Als Linker kann man nicht mit Israel solidarisch sein” bis zu makaberen Gewaltphantasien Diversestes um den Kopf geschmissen, wenn man andeutet, dass die Hamas auch keine unterstützenswerte Organisation ist.

Andersherum ist es das gleiche, auch Menschen, die sich auf die Seite der Palästinenser schlagen, werden teilweise hart angegriffen.

Auch die Gewaltfrage ist ein Spaltungsfaktor: Als einige Menschen in einem Online-Forum(4) nach friedliche Wege zum Kommunismus suchten, wurden sie sofort als “Schwätzer” und “Antikommunisten” abgetan.

Über all diese Differenzen werden oft die Gemeinsamkeiten vergessen. Wie es die “radikale linke | berlin” auf den Punkt bringt:

“Wir haben uns entschlossen zusammen zu arbeiten, weil wir mit der Welt, wie sie ist, nicht einverstanden sind.”(5)

Wir müssen aufhören, uns ausschließlich mit uns selbst zu beschäftigen und die Differenzen zwischen den verschiedenen Utopien zu betonen. Das können wir immer noch, wenn wir davor stehen, diese zu erreichen. Dafür ist es auch nötig, Vorurteile abzubauen.

Angesichts der um sich greifenden Austeritätspolitik, der sich zuspitzenden Klimakrise, angesichts des immer inhumaneren Umgangs mit Flüchtlingen, des Wiedererstarkens chauvinistischer bis offen faschistischer Kräfte und angesichts steigender sozialer Ungerechtigkeit brauchen wir eine solidarische und selbstbewusste Linke, die in bestehende Kämpfe interveniert, aber auch klar die kommunistische Perspektive im Auge behält.

Fußnoten

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor per Email.

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