Kommentare zum Zeitgeschehen
Selbstkritik wäre eine Alternative gewesen
Ein Kommentar zum Text vom 11.7.2015 der L5I (‚GAM-Internationale‘) zu Griechenland

von Detlef Georgia Schulze

07/2015

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onlinezeitung

Die Liga für die 5. Internationale (L5I), der in Deutschland die Gruppe Arbeitermacht (GAM) angehört, hat gestern einen neuen Text zu Griechenland Greece: Syriza surrenders – without a fight!" veröffentlicht. Ich selbst fragte gestern:

„Da müßte sich jetzt aber die Frage anschließen, wie eine solche ‚Kapitulation‘ zustandekommt: Liegt es an der Schlechtigkeit der handelnden Subjekte? Oder ist diese ‚Kapitulation‘ vielleicht sogar das Optimum dessen, was auf dem (parlamentarisch-kapitalistischen) Weg, von dem Anfang an klar war, daß ihn SYRIZA geht, rauskommen konnte?“

Die Antwort der L5I lautet: Es liegt an die Schlechtigkeit der Subjekte. Die SYRIZA-Führung bestehe aus „Betrügern“:

„Alexis Tsipras and the leadership of Syriza have betrayed the mandate given to them twice by the Greek people.“

so heißt es in dem Text, und das Substantiv „betrayal“ kommt vier weitere Male in dem – nicht allzu langen – Text vor. Dessen Überschrift lautet: „Syriza surrenders – without a fight!“ Aber es wird nicht ansatzweise untersucht, warum SYRIZA nicht „kämpft“ und als die SYRIZA, die sie tatsächlich ist, auch nicht viel bzw. stark kämpfen kann.

Es ist keine sechs Monate her, da war der SYRIZA-Wahlsieg im Vormonat anscheinend auch noch ein GAM-Wahlsieg („Ein Wahlsieg mit Wermutstropfen“), und es wurde behauptet:

„Damit ist dieser Wahlausgang auch ein Zeichen gegen die Kürzungen, gegen die Massenverarmung in Griechenland.“

Ein „Zeichen“ vielleicht schon, aber eben ein Kampf nicht! – Den Unterschied zwischen einem „Zeichen“ und einem „Kampf“ kannte die GAM anscheinend schon damals nicht.

Der KKE wurde vorgeworfen: „Für die KKE stellt jede Syriza-Regierung (auch eine Minderheitsregierung) die ‚Fortsetzung der Unterwerfung unter den Euro und den EU-Imperialismus‘ dar.“ – Was auch immer an der KKE zu kritisieren sein mag (und auch tatsächlich zu kritisieren ist): mal abgesehen von dem etwas schwammigen Ausdruck „Unterwerfung unter eine [… Währung]“ – hatte denn SYRIZA jemals die Möglichkeit und auch nur den Willen, mit „der Unterwerfung unter den Euro und den EU-Imperialismus“ zu brechen? Nein. SYRIZA wünschte und wünscht sich, Teil des Euro-Raums und Teil des imperialistischen EU-Projekt zu bleiben, also auch die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise bestehen zu lassen – und es in diesem Rahmen für ‚Griechenland‘ und vielleicht insbesondere die dortigen Massen etwas netter zu haben. – Nicht, daß das nichts wäre, wenn es denn klappen würde (könnte) – aber mehr hatte SYRIZA nie versprochen.

In dem 40 Punkte-Programm von SYRIZA (dt. / engl.) kommen – außer an einer Stelle das Wort „Kapitalflucht“ – Wörter mit „kapital*“ und „imperial*“ nicht vor, statt dessen wurde sich gewünscht: „Aufforderung an die EU, die Rolle der EZB so zu ändern, dass sie Staaten und öffentliche Investitionsprogramme finanziert.“

An SYRIZA (selbst) hatten die „revolutionäre KommunistInnen“ von der GAM im Februar trotzdem nichts zu kritisieren(1) – nur an der Entscheidung, mit ANEL zu koalieren, wurde herumgemäkelt:

„Während wir Syriza gegen die bürgerlichen und reaktionären Angriffe verteidigen, genauso klar müssen wir den bürgerlichen Koalitionspartner ablehnen.“

Das war Politik nach dem Motto „Wasch mich, aber mach mich nicht naß“. Wer SYRIZA an der Regierung sehen wollte (ich wollte das nicht!), mußte auch die Koalition mit ANEL wollen. Denn die KKE stand für eine Zusammenarbeit mit SYRIZA – zum Guten oder Schlechten – nicht bereit. Eine Alternative wäre also, wenn jedenfalls PASOK, ND und Goldene Morgenröte nicht in Betracht kamen – allenfalls Potami (Der Fluß) gewesen, über den es in der deutschsprachigen Wikipedia aber heißt: „Das Parteiprogramm enthält nach Aussage von Theodorakis [Parteivorsitzender, TaP] sowohl linke als auch neoliberale Ideen. Die Partei vertritt eine proeuropäische Linie und erklärte sich im Vorfeld der Parlamentswahl vom Januar 2015 prinzipiell bereit mit beiden möglichen Wahlsiegern zu koalieren, sowohl mit der konservative Nea Dimokratia, als auch mit dem Linksbündnis Syriza. Voraussetzung einer Koalitionsregierung mit Syriza sei, laut Theodorakis, dass der proeuropäische Kurs Griechenlands von Syriza nicht durch überzogene Forderungen in Frage gestellt werde. […]. Ferner sollten Infrastrukturprojekte über Public Private Partnership-Modelle finanziert werden.“

Und eine bewaffnete Machtübernahme stand (außer in den Träumen der L5I) innerhalb von SYRIZA ohnehin nicht zur Debatte stand – und deshalb hat die GAM in ihrer ‚Real‘politik (d.h. außerhalb ihrer kühnen Träume) folgende ungewisse Wackelkiste für eine – wie sie selbst schreibt – „entscheidende Klassenkampfsituation in Griechenland und der EU“ vorgeschlagen:

„Syriza hatte drei Tage Zeit für Sondierungs- und Koalitionsgespräche. So hätte Syriza Zeit gehabt, verschiedenen Parteien und Abgeordneten Angebote zu machen. Da ja nur zwei Sitze zur absoluten Mehrheit fehlen (149 von 151), wäre es durchaus möglich gewesen, einzelne ‚Überläufer‘ für die eigene Fraktion zu gewinnen. Im letzten Parlament gab es immerhin mehr als 20 Abgeordnete, die ihre Fraktion verließen.“

Auf einer solchen brüchigen Grundlage möchte die GAM also einen „Kampf“ führen… -

Aber kommen wir zurück zu dem neuen (gestrigen) Text der L5I. Die L5I stellt dort fest: „True, 17 Syriza deputies did not vote for the plan; but only two of them had the courage to vote no. Eight abstained and seven were completely absent at the critical moment.“ und schließt daran die Wertung an:

„What a confession of political bankruptcy and moral cowardice by the majority of Syriza’s ‚left‘ parliamentarians.They did not even have the standard opportunist excuse that the government might fall; the parties that imposed four years of Euro-torture on Greece were all certain to vote for it.“

Über „political bankruptcy and moral cowardice“ schimpfen, aber die eigenen Illusionen – noch aus dem April - kein Wort verlieren… Die GAM imaginierte damals:

„All das zeigt, dass in Syriza die Kräfte der Opposition stärker werden, dass die permanenten Zugeständnisse an den Imperialismus zur Stärkung des linken Flügels führen.“

Vielmehr zeigt die griechische Parlamentsabstimmung von Samstagmorgen, daß sich auch der linke SYRIZA-Flügel dem Druck des Imperialismus nicht erwehren kann. Und die L5I hat zwar eine große Klappe, aber nicht einmal eine nationale Sektion in Griechenland:

Die L5I hat nicht einmal eine eigene Sektion in Griechenland, aber einen Kritikpunkt, hatte die GAM schon im April an der SYRIZA – daß sie nicht sieht, daß in Griechenland jetzt eine „sozialistische Revolution“ ansteht:

„Zu solchen Verrenkungen kommt Lapavitsas, weil er – und hier steht er für die Mehrheit der Linken Plattform – davon ausgeht, dass eine sozialistische Revolution, die Bildung eine Arbeiterregierung, also eine grundsätzliche Infragestellung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse heute in Griechenland nicht anstehe. Dazu wäre die Zeit nicht reif. […]. Er steht hier für ein grundsätzliches Dilemma der linken ReformistInnen in Syriza. Sie gehen davon aus, dass die Zeit noch nicht gekommen wäre, die Perspektive der Arbeitermacht und der sozialistischen Umwälzung zu stellen.“

Was in der Tat ein „Dilemma“ in der Wirklichkeit ist, wird von der GAM als Mangel des Willens dargestellt…

Zu diesem Mangel an Analyse der Wirklichkeit gehört auch, daß das, was auch der Stand des Bewußtseins der Massen in Griechenland ist, allein Tspiras in die Schuhe geschoben wird:

„Tsipras defended his proposal by arguing that Syriza had no mandate to exit the Eurozone. This is true, but it did not have a mandate to stay in the Eurozone at the expense of giving in to another round of savage austerity. Rejecting austerity was its prime pledge, the one it received growing mandates for from 2012 onwards.“

Zum einen stimmt die Behauptung, daß das Ende der Austerität das vorrangige Wahlversprechen gewesen sei, nicht einmal im Sinne der Reihenfolge der Punkte des SYRIZA-40-Punkte-Programms. Am Anfang stehen zwei Punkte, die klar innerhalb der EU und auf eine Einigung mit der EU-Mehrheit und den anderen GläubigerInnen hin formuliert sind:

„1. Überprüfung der Staatsschulden und Neuverhandlung der Zinsforderungen unter Einstellung der Zahlungen, bis die Wirtschaft sich erholt hat und Wachstum und Arbeitsplätze wiederhergestellt sind.
2. Aufforderung an die EU, die Rolle der EZB so zu ändern, dass sie Staaten und öffentliche Investitionsprogramme finanziert.“

Dann kommt eine Reihe von Maßnahmen zur Erhöhung der Einnahmen des griechischen Staates und erst ab Punkt 11. heißt es dann bspw.:

„Erhöhung des Mindestlohnes auf das Vorkrisenniveau, 750 Euro monatlich.“

Das heißt: Das Ende der Austerität stand schon im Wahlprogramm unter dem Vorbehalt des Erfolgs jener „Aufforderung“ und jener „Verhandlungen“. Und es liegt ja auch nicht an Legasthenie, daß SYRIZA im Jan. von relativ vielen und die KKE von viel weniger und ANTARSYA von noch weniger gewählt wurden und eine Sektion der L5I in Griechenland gar nicht erst existiert.

Die Lösung für der L5I für dieses „grundsätzliche Dilemma“ ist der Modus des „es muß“:

  • „In the rest of Europe, the workers‘ movement must not stop campaigning against their own governments and must demand an end to austerity in Greece.“

Nicht nur, daß ein „muß“ kein Argument ist, warum das, was vermeintlich passieren „muß“, passieren soll; nicht nur, daß das Wort „muß“ kein Mechanismus ist, der dafür sogt, daß das, was vermeintlich passieren „muß“, tatsächlich passiert -

mehr noch: Die Kampagne, die nach Ansicht der L5I nicht gestoppt werden sollte, gibt es überhaupt gar nicht. Sie findet nicht in der Wirklichkeit, sondern allein in der Einbildung der L5I statt. Was es statt dessen gibt, sind Soli-Aktionen von – je nach Land – unterschiedlich kleinen linken Gruppen (höchst unterschiedlicher Radikalität). Aber in vielen europäischen Ländern ist schon fraglich, ob es dort auch nur eine „workers‘ movement“ – geschweige denn eine, die eine Kampagne „against their own governments“ und mit der Forderung eines „end t[he] austerity in Greece“ macht, gibt.

  • „To stop the government presiding over Greece’s transformation into a debt colony of the EU, the Greek working class must make the country ungovernable.“

Wo sind die griechischen ArbeiterInnen, die ein (auch nur vorerst) unregierbares Land einem Land, das eine „Schuldenkolonie der EU“ ist, vorziehen? Haben sie, soweit sie SYRIZA gewählt haben, nicht vielmehr SYRIZA deshalb gewählt, weil sie besser (und nicht nicht) regiert werden wollen und weil sie keinen grundsätzlichen Konflikt mit der EU wollen?

  • „Occupy the workplaces, docks, airports, and utilities threatened with privatisation and demand their nationalisation under workers’ control.“

Dann kann ja die nicht-existierende L5I-Sektion in Griechenland damit schon anfangen… (Oder die „NAO Berlin“ schickt eine Internationale Brigade auf den Athener Flughafen, um ihn zu besetzen.)

  • The last few months saw the growth of a revolutionary situation in Greece, in which the popular masses in general, and the working class vanguard in particular, entered into open confrontation and class war with the ruling class.

Wo fand dieser Klassenkrieg statt? Könnt Ihr mal bitte ein paar Beispiele nennen? Meint Ihr die Beteiligung an friedlichen und nicht allzu großen Demonstrationen und die friedliche Beteiligung an einer friedlichen Volksabstimmung?

  • „The months since the election show that the model of a ‚broad party‘, with a reformist leadership tolerating a revolutionary minority, is not a model for anything except preparing yet another social-democratic betrayal.“

Diese halbe Einsicht („halb“ wegen des Wortes „Betrug“) kommt ja spät… Vor rund 2 Jahren hatte sich die GAM dagegen in Deutschland den Verfechtern einer „breiten“ NAO an die Brust geworfen:

„Als RevolutionärInnen kämpfen wir dafür, solche Neuformierungen, d.h. letztlich auch eine zukünftige NAO, für ein revolutionäres Programm zu gewinnen. Aber wir machen die Annahme eines solchen Programms, die Annahme unserer Vorschläge nicht zur Vorbedingung dafür.“

und sich rund ein halbes Jahr später an der Verabschiedung eines Manifestes, in dem der Begriff „revolutionärer Bruch“ vermieden wurde, und – auf dessen Grundlage – an der Gründung einer Neuen Antikapitalistischen (nicht: Neue Revolutionären oder Revolutionär-Antikapitalistischen) Organisation, die für „anti-kapitalistische und revolutionäre“ – nicht etwa „revolutionär-antikapitalistische (!) – Kräfte“ offen sein soll, beteiligt (meine Hv.):

„Die NAO soll […] attraktiv sein für die vielen bislang vereinzelten und verstreuten AntikapitalistInnen“ – nicht: RevolutionärInnen(2)! – „in Deutschland.“

Gen. systemcrash und ich hatten diesem Konzept damals – mangels besserer Machtmittel ;) – ein Zitate der RSO entgegengehalten:

„Wir haben kein Interesse daran, linksreformistische Strukturen zu initiieren, wie es heute manche Organisationen aus der Tradition des Trotzkismus vorschlagen (etwa mit Losungen ‚für eine neue ArbeiterInnenpartei’). Wir denken, dass es möglich ist, in solchen Organisationen zu arbeiten, wenn sie bestehen, doch sehen wir keinen Sinn darin, selbst erst reformistische Organisationen zu initiieren, um dann in den von uns aufgebauten Organisationen für eine wiederum revolutionäre Politik argumentieren zu müssen – und Gefahr zu laufen, dass wir selbst, wenn wir uns nicht durchsetzen, eine neue Organisation gegründet haben, die sich dann den ‚Sachzwängen’ des Kapitalismus unterwerfen wird. Unser Focus sollte die Propagierung revolutionärer Positionen und der Aufbau revolutionärer Strukturen sein, denn nur diese sind ein Vehikel einer grundlegenden Veränderung.“
(http://www.nao-prozess.de/blog/panta-rhei-alles-fliesst-ueber-flussfischerei/8/)

Abgesehen davon, daß innerhalb von SYRIZA ohnehin nicht groß für revolutionäre Positionen, sondern nur für etwas linkere linkssozialdemokratische Positionen argumentiert wurde, ist dies genau das, was wir heute im Fall von SYRIZA erleben: Unterwerfung unter die kapitalistischen Sachzwänge.

Ende 2012 hatte die GAM noch für die Mitarbeit in SYRIZA, also Mitarbeit in einer – wie die GAM schon damals sagte – nicht „revolutionäre[n], sondern eine links-reformistische[n] Partei“ argumentiert:

„Der Entrismus in SYRIZA ist ein Mittel, eine Taktik. Mit welchen Slogans sollten Revolutionäre also innerhalb SYRIZA´s auftreten, welche Aktionen sollten sie in Angriff nehmen? Wie bereits gesagt wäre das offene Auftreten als eigene Plattform, als revolutionäre Strömung innerhalb der Partei unabdingbar.“

Und ein halbes Jahr vorher richtete die L5I eine entsprechende Aufforderung an ANTARYSA:

„Jene Linken, die außerhalb Syrizas in Antarsya standen und deren Stimmanteil von Mai bis Juni um zwei Drittel einbrach, sollten jetzt Syriza beitreten und dort für eine revolutionäres Programm kämpfen. So könnte Syriza noch stärker zu einer Führung im Kampf für die Macht der Arbeiterklasse werden.“

Statt über den „Betrug“ der SYRIZA-Führung zu schimpfen und über eine revolutionäre Situation in Griechenland zu phantasieren, sollte die L5I lieber ihre eigenen Illusionen und Irrtümer aufarbeiten.

Anmerkungen

1) Auch wenn es an einer anderen Stelle des Textes überraschend heißt: „Entscheidend dabei muss die Frage des Aufbaus einer revolutionären Partei in Griechenland sein, die sowohl mit dem Keynesianismus/Reformismus von Syriza, aber ebenso mit dem Sektierertum der nationalreformistischen KKE und des zentristischen Bündnisses Antarsya bricht.“

2) Mit „RevolutionärInnen“ wäre es ja allerdings auch noch alberner, als ohnehin schon mit „AntikapitalistInnen“ von „vielen … in Deustchland“ zu sprechen…

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor zur Zweitveröffentlichung. Erstveröffentlicht wurde er bei: http://theoriealspraxis.blogsport.de

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