Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Aktuelles vom Front National
Selbst geschaffene „Unsicherheit“ -  Prozess gegen parteieigene Provokateure - Abschaffung der bislang von durch Jean-Marie Le Pen bekleideten „Ehrenpräsidentschaft“

07/2015

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onlinezeitung

Stand: Ende Juni 2015

Hilf Dir selbst, dann ist Dir am besten geholfen. Dies sagten sich offensichtlich sechs junge Aktivisten des französischen Front National (FN) im Alter zwischen 19 und 26 Jahren. Um die allgegenwärtige „Unsicherheit“ zu belegen, zündeten sie in zwei Départements im Pariser Umland, den Bezirken Seine-et-Marne und Val-d’Oise, mindestens zwanzig Autos einfach gleich selbst an. Kurz darauf twitterte einer von ihnen, der 25jährige Adrien Desport, am 11. April dieses Jahres drauf los, das „Unsicherheitsgefühl“ in der Nachbarschaft werde angesichts „ständig steigender Kriminalität“ nun unerträglich.

Ihre aktive Selbsthilfe ging nun sogar der Parteiführung zu weit. Denn wie verlautbarte, war es ein Mitglied der Leitung, das auf Anraten von Parteichefin Marine Le Pen, das die Sache zur Anzeige brachte – wohl, um einem Auffliegen des Skandals zuvorzukommen. Diese Strafanzeige führte zur Eröffnung eines Verfahrens, am Dienstag und Mittwoch, den 09. und 10. Juni d.J. wurden die Beteiligten in Polizeigewahrsam genommen und verhört. Am 15. Juli 15 wird ein Prozess gegen sie stattfinden.

Adrien Desport, ehemals stellvertretender Bezirksvorsitzender der rechtsextremen Partei, muss die Zeit bis dahin in Untersuchungshaft verbringen. Desport hatte bereits im vergangenen Jahr als damaliger Kommunalwahl-Spitzenkandidat für Schlagzeilen gesorgt. Da die Leitmedien ein kurzes Gedächtnis haben, erinnerte keine überregionale Zeitung daran, doch die Wahlbewerbung von Desport in Mitry-Mory – in der Nähe des Pariser Großflughafens von Roissy – zur Rathauswahl im März 2014 war skandalumwittert. Desport hatte den früheren Chef der konservativen Partei UMP – seit kurzem in Les Républicains umbenannt -, den in der Nähe wohnenden Jean-François Copé, offen wegen seiner jüdischen Herkunft angegriffen. Sein Großvater hape „Kopelewitsch“ geheißen, verbreitete Desport damals über die sozialen Medien, und „in dem Haus dieser Familie isst man kein Schweinefleisch“.

Marine Le Pen kann solche Affären nicht sonderlich gut gebrauchen, denn sie will zu Höherem hinaus. Wer nach der Staatsmacht greift oder an ihr teilhaben möchte, muss auch auf internationalem Parkett ein Minimum an „staatsmännischen“ oder „-fraulichen“ Kompetenzen an den Tag legen. Denn ohne eine Strategie auch für die zwischenstaatlichen Beziehungen kann der politische Machtanspruch nicht „glaubwürdig“ vorgetragen werden. Gerade auf internationaler Ebene konnte der FN in den letzten Tagen und Wochen einige Fortschritte verzeichnen; vgl. dazu nebenstehenden Artikel zur Bildung einer neuen Fraktion im Europaparlament.

Ausländische Kontakte hält jedoch auch der in Ungnade gefallene Altfaschist und –patriarch der Partei, Jean-Marie Le Pen. Jedenfalls zu ausländischen Bankiers, ganz offenkundig (während seine Ehefrau Jany Le Pen, zusammen mit dem rechtsextrem-katholischen ,Institut Civitas’, am Samstag, den 20.06.15 „für den Schutz der orientalischen Christen“ in Syrien und im Iraq demonstrierte(1). Am Montag, den 08. Juni d.J. wurde gegen ihn ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung eröffnet. Gegenstand sind die im Frühjahr 2013 bekannt gewordenen Geheimkonten in der Schweiz, auf denen er 2,2 Millionen Euro eingelagert haben soll, darunter 1,7 Millionen in Goldbarren iund –münzen. Le Pen senior hat die Existenz dieser Konten eingeräumt, bestreitet aber jegliche Straftat in diesem Zusammenhang.

Nicht deswegen, sondern aufgrund der innerparteilichen Konflikte seit April dieses Jahres (wir berichteten mehrfach in AN) waren ihm am 04. Mai 15 die Mitgliedsrechte entzogen worden. Dagegen hat Jean-Marie Le Pen nun gerichtlich geklagt. Die Verhandlung fand am Freitag, den 12. Juni d.J. in Nanterre statt, wo es bei Eintreffen des Altfaschisten zu kurzzeitigen gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem Gerichtsflur kam. Jean-Marie Le Pen spielte bei seinen Stellungnahmen zu dem Verfahren einmal mehr unverhohlen auf die Homosexualität einiger seiner innerparteilichen Widersacher, namentlich Florian Philippots, ab. Das Urteil dazu fällt am 02. Juli dieses Jahres.

Unterdessen hat die Parteiführung am Abend desselben Tages (Freitag, den 12. Juni) bereits neue Fakten geschaffen. Das Amt des „Ehrenvorsitzenden“, das Jean-Marie Le Pen seit seinem Abgang von der Parteispitze 2011 bekleidete – und ihm aus eigener Sicht auf Lebenszeit zustand -, wird laut diesem Beschluss kurzerhand abgeschafft und aus den Statuten gestrichen. So sieht es eine Satzungsänderung vor, über die theoretisch bei einem Parteitag abgestimmt werden müsste (weil Jean-Marie Le Pen sein bisheriges Amt einem Parteikongress verdankte, verlangte er, dass für seine Abschaffung ebenfalls ein Parteitag extra einberufen werden müsse). Diesen wird es nun allerdings als lediglich „virtuellen Parteitag“ geben, in Form einer Abstimmung auf postalischem oder elektronischem Wege. Letztere hat am 19. Juni d.J. begonnen und soll noch bis zum 10. Juli 15 ablaufen, die Ergebnisse werden dann zwischen dem 13. und 15. Jul erwartet. Dazu sind rund 42.000 Mitglieder ohne Beitragsrückstand, die vor einem Stichdatum eingetreten waren, stimmberechtigt.

Um das Vorhaben nicht derart nackt hervortreten zu lassen, den Entzug des „Ehrenvorsitzes“ des alten Patriarchen abzusegnen, wurde es einen Wust von satzungsändernden Beschlüssen verpackt: Über die Hälfte der Artikel der Parteistatuten, 33 an der Zahl, sollen abgeändert werden. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich allerdings um Formänderungen, die die hauptsächlichen Ziele verdecken sollen.

Normalerweise hätte man nun erwarten können, dass die einzelnen Veränderungen und ihre juristischen oder politischen Auswirkungen erklärt werden; so dass über die einzelnen Änderungsanträge abgestimmt wird, um dann in einer Schlussphase eventuell über das Gesamtpaket ,en bloc’ noch ein letztes Mal (dafür oder dagegen) zu entscheiden. Dies wäre in anderen Parteien das übliche Verfahren. Nicht jedoch beim FN. Bei ihm läuft dies: Das Votum, ins Sommerloch und – mutmaßlich weitestgehend – ins Internet verlagert, betrifft alle Satzungsänderungen auf einmal, als geschlossenes Paket. Man kann nur zustimmen oder pauschal ablehnen. „Lebendige innerparteiliche Demokratie“ hörten Sie dabei heraus, liebe Leserinnen und Leser? Nun ja...(2)

Die Zeit von Jean-Marie Le Pen, der am vorigen Samstag (den 20. Juni 2015) nunmehr 87 Jahre alt wurde, scheint jedenfalls in seiner Partei unwiderruflich ihrem Ende entgegen zu gehen.

Fußnoten

1 Dazu kamen rund 250 Personen in Paris zusammen, die Kundgebung war der Nachrichtenagentur AFP jedoch eine eigene Meldung wert (vgl. u.a. http://actu.orange.fr) Kritikwürdig ist dabei mitnichten das Anliegen – ja, die christlichen Minderheiten im Mittleren Osten benötigen Schutz vor den Jihadisten des so genannten ,Islamischen Staats( (IS) – sondern die politische Vision, für welche die rechtsextremen Kreuzzügler und katholischen Fundamentalisten diese an und für sich richtige Sache instrumentalisieren möchten.

2 Jean-Marie Le Pen ruft in einer, antisemitisch grundierten, politischen Erklärung zum Boykott diéser Urabstimmung auf. Die Erklärung wurde am 25. Juni 15 unter dem Titel ,Soll der FN zum Schutzschild der jüdischen Gemeinschaft in Frankreich werden?’ auf der rechtsextremen Webseite Medias-presse.info publiziert. Auch sein Getreuer Bruno Gollnisch hat angekündigt, er werde nicht an dem Mitgliedervotum teilnehmen.

Editorische Hinweise

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