Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Sanierung im Interesse der Kapitalisten
Wie ist überhaupt Wohnungsplanung im Kapitalismus entstanden?

von W. Schluchter

07/2015

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onlinezeitung

In der ersten Phase der Industrialisierung war es für die besitzende Klasse kein Problem, den durch die Fabriken entstandenen Umweltschäden, der schlech­ten Wohnsituation der Arbeiterklasse, dem Anblick von Unterernährung und Krankheit dadurch zu entgehen, daß sie sich weitab von den Industrie- und Stadtzentren in Villenvierteln niederließ. Mit Hilfe dieser "Raumordnung" lösten die Privüegierten das Umwelt- und Wohnungsproblem für sich. Den Folgen einer gefährdeten Umwelt weitaus weniger ausgesetzt als die Werktäti­gen, waren die Herren über Fabriken und Wohnungen aus diesem Grund nicht an profitschmälemden Sozialinvestitionen interessiert. Heute ist die Situation jedoch dadurch gekennzeichnet, daß immer dann, wenn die Lebensbedingun­gen der Werktätigen unter ein gerade noch erträgliches Maß sinken, qualifi­zierte Arbeitskräfte in Bereiche mit besseren Lebensbedingungen abwandern, sofern sie es sich leisten können. Unter den Zurückbleibenden macht sich jedoch Unruhe breit, verbunden mit der Frage nach den tatsächlichen Ursa­chen dieser Verschlechterungen. Dieser Unruhe versuchen die Kapitalisten zuvorzukommen:

Immer mehr Geld wird für Stadtplanung und Raumplanung ausgegeben, wie auch allgemein für die Erhaltung gerade noch erträglicher Umweltbedingun-gert. Dabei handelt es sich aber in erster Linie um Gelder, die aus Steuerfel­dern kommen und in Form von Subventionen in solche Maßnahmen gesteckt werden, d.h. um eine Uberwälzung der Kosten auf die Masse der Steuerzahler. Damit zahlen die Betroffenen für die Behebung von Schäden, die von der profitorientierten kapitalistischen Wirtschaftsordnung ausgehen. Letzten En­des kommt dies den Kapitalisten zugute; allerdings solchen, die unmittelbar Profit aus der Herstellung einigermaßen erträglicher Lebensbedingungen her­ausschlagen, z.B. beim Bau von Verkehrsmitteln, neuen Wohnungen u.a. Diese an der Planung unmittelbar interessierten Kapitalisten treten jedoch häufig nicht an die Öffentlichkeit. So ist es kein Zufall, daß gerade bei der Stadtpla­nung der Staat oder die Kommune als Träger der vorgesehenen Projekte auf­tritt.

Hier möchte ich ganz kurz auf die Funktion des Staats bzw. der Stadt eingehen. Von jeder verdienten Mark holt sich derzeit der Staat 54 Pfennig über direkte oder indirekte Steuern in sein Säckel. Im wesentlichen werden diese Steuer­gelder wieder umverteilt. Es lohnt sich aber die Frage, an wen diese umverteilt werden. Der Staat wie auch die Stadt erscheinen als neutrale Instanz, die unabhängig von bestimmten mächtigen Interessen die gesellschaftlichen Mittel wieder im Sinne des Gemeinwohls umverteilt. In Wirklichkeit fließen aber mehr als 30 % der Steuergelder unmittelbar in die Taschen der Kapitalisten, z.B. der Rüstungsindustrie. Ein weiterer großer Teil wird zur Erhaltung und zum Ausbau des Staatsapparats ausgegeben. Nur der geringste Teil, etwa 15 %, kommt den Werktätigen zugute, aber auch nur dann, wenn in irgend­einem Bereich aufgetretene soziale Ungerechtigkeiten zugekleistert werden sollen, um Widerstands- oder Kampfmaßnahmen der betroffenen Bevölkerung zu verhindern.

In den Kommunen werden neben den Steuern noch Kredite ausgegeben, die bei Banken aufgenommen worden sind. Damit wird die kommunale Bilanz zusätzlich belastet durch die gemachten Schulden und Zinszahlungen. Dies ist der Grund der sogenannten "öffentlichen Fiffanznot". Betrachtet man die politischen Verhältnisse in einer Stadt, wird man leicht feststellen, daß im wesentlichen Kapitalisten, Kaufhausbesitzer, Besitzer großer Wohnkomplexe und Honoratioren Einfluß auf die politischen Ent­scheidungen nehmen und somit auch über die Verwendung der öffentlichen Haushaltsmittel bestimmen. Es ist keine Frage, daß sie damit auch unmittelbar Einfluß auf vorgesehene Planungsprozesse nehmen. Sie müssen das im kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem auch tun, wenn sie ge­genüber anderen Kapitalisten oder anderen Städten konkurrenzfähig bleiben wollen. Das wird in der Frage der kommunalen Verkehrs- und Wohnungspoli­tik sehr deutlich:

Trotz der schwerpunktmäßigen Investitionen im Verkehrsbereich stehen heu­te nicht nur die Großstädte vor Verkehrsproblemen, zu deren Bewältigung noch kein Mittel absehbar ist. Die Bevorzugung des Individualverkehrs in der Vergangenheit und auch heute noch führt dazu, daß ungeheure Summen in den Ausbau der Masseftverkehrsmittel investiert werden müssen, um das schon bestehende Verkehrschaos nicht noch größer werden zu lassen. Verbunden mit den Verkehrsproblemen sind die Planungen für die Stadterneuerung, die in den kommenden Jahren die Verhältnisse in den Städten noch radikaler verändern werden: Die Ortskeme mit ihrer gewachsenen alten Bausubstanz müssen rationelleren Verkehrslösungen und profitableren Nutzungen weichen. Die Innenstädte veröden zu Verwaltungszentren oder werden von der Kon­sumindustrie in Beschtag genommen. Die verhängnisvolle Kette, die von der Kapitalverwertung diktiert wird, die dort stattfinden soll, wo am meisten Profit herausspringt, ist von den Kommunen kaum zu durchbrechen, auch wenn in Verwaltungen Leute sitzen sollten, die eine solche Stadtentwicklung nicht für gut halten. Es ist so: Um attraktiv für das Kapital zu sein - angeb­lich wegen des Steuerautkommens unbedingt notwendig, denn die Stadt hat ja Schulden - müssen die Innenstädte nutzbar gemacht werden für Konsum­zentren. Damit die Käufer diese auch erreichen können, müssen die Verkehrs­möglichkeiten ausgebaut werden, denn die Mieten in den Innenstädten sind nur noch für wenige erschwinglich, so daß die Käufer erst einmal herange­schafft werden müssen.

Stadtsanierung wird dieser Prozeß der Zerstörung gewachsener Strukturen genannt, wobei sich in erster Linie Haus- und Grundbesitzer sanieren. Nach dem Städtebaugesetz ist dies gesetzlich geregelt. Vordergründig sollte dieses Gesetz einige minimale Verbesserungen für den Spielraum kommunaler Pla­nung bringen. Da jedoch die Profite der Grund- und Boden-Spekulanten prak­tisch nicht abgeschöpft werden können, ist dann auch kein Geld vorhanden, um irgendwelche minimalen Verbesserungen durchführen zu können. Die Misere der Städteplanung bleibt also in unserem System bestehen; die Ursache ist die Abhängigkeit von privaten Profitinteressen. Für Staat und Kommune wird es zunehmend schwieriger, reibungslos Sanie-rungs- und Städtebauprqjekte durchzusetzen. Die herrschende Klasse macht deshalb große Anstrengungen vor allem im sozialwissenschaftlichen Bereich, bessere Durchsetzungsmöglichkeiten für die Planung zu entwickeln. Dabei ist die Methode der Spaltung und Aufsplitterung des Widerstandseine der wich­tigsten Grundlagen. Die Erfahrungen, die Vertreter des bürgerlichen Staats mit dem Widerstand der Bevölkerung gemacht haben und machen, lassen dies auch notwendig erscheinen. So steht etwa beim Bau von Kernkraftwerken nicht mehr eine immer verbessertere Technologie im Vordergrund der Unter­suchungen, sondern wesentlich werden jetzt Forschungen finanziert, wie Bau­genehmigungen schneller gegen den Widerstand der betroffenen Bevölkerung durchzusetzen sind.

Um die Betroffenen hinters Licht zu fuhren, wird eine demokratische Beteili­gung der Bürger vorgegaukelt, indem man Beiräte gründet, Pläne ausstellt, um Vorschläge bittet und Veranstaltungen macht. Die Demagogie dieser Maßnah­men liegt darin, daß aufgrund der fehlenden Hintetgrundkenntnisse die nor­malen Werktätigen durch den Wust an Karten, Informationen und Statistiken gar nicht durchkommen können, da sie nebenbei auch noch einer Lohnarbeit nachgehen müssen.

Zusätzlich hat an dem ganzen Mitbestimmungsschwindel kaum jemand Inter­esse, weil man einen Ratsbeschluß ohnehin nicht verhindern kann und weä man auf diese Weise schon zu oft hinters Licht geführt wurde. Wenn der Widerstand dennoch anhält, wenn BeteiUgur^smodelle, Manipula­tion und Versuch der Spaltung scheitern, dann setzt der Staat seinen Gewalt­apparat ein - wie wir das in Wyhl gesehen haben.

Doch wo es Unterdrückung gibt, da gibt es Widerstand. Und dieser Widerstand beginnt sich zu organisieren. Dies wird auch die sogenannte Bürgerbeteiligung nicht verllindem können.

Das Kapital versucht in allen Bereichen seine Profitinteressen gegen die Bevöl­kerung durchzusetzen. Nur der einheitliche und geschlossene Widerstand kann dies verhindern.

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus der 1975 veröffentlichten Agitationsbroschüre des kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), S. 15-18

Quelle: http://www.mao-projekt.de