Für Lust in der sozialen Wüste
Kritik des kommerziell-feministischen Ansatzes im Buchprogramm des Orlanda-Verlags

von Luise

07-2014

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In der Sprache des heute verbreiteten Feminismus in auflagenstarken Zeitschriften und Verlagen hat das Geschlecht seine zeitgemäße Prägung, wobei das kommerzielle Medium die Botschaft bestimmt und den Inhalt parodiert. Mit dem verbreiteten Feminismus, zu dessen Sprecherinnen ich auch den Orlanda-Verlag zähle, meine ich die Strömung, die sich im demokratischen (Mit-)Sprechen verortet und die keine Klassen kennt und im kapitalistischen Alltagsgeschehen nicht mal "ihren Faden ins Gewebe einschlagen will",um eine Formulierung von Hannah Arendt vom politischen Handeln anzubringen, sondern nurmehr ihren Kommentar in die Allgemeinsprache hineinzumischen.

Bedarf für Kritik wäre doch wohl eine Menge da, aber mit Blick auf die Buchprogramme mancher Verlage verwundert die Zahmheit, in der deutschen Literaturlandschaft betätigen sich viele Autorinnen des bürgerlichen Feminismus abseits vom klassenkritischen Wirken einer Judith Butler oder Saskia Sassen, suchen keine Präzisierung auf sozialer Ebene (mehr) und sind viel weniger emanzipativ als medienstark. Es geht bei ihnen darum, im kommerziellen Kulturbetrieb mitzumischen und "Selbstbestimmung" in den Medientalk hineinzuwerfen, wenn andere Sprecher im bundesdeutschen Talk ihre Kommentare ausspucken, wie letztes Jahr der Politiker Rainer Brüderle mit seinem Dirndl-Ausschnitt-Kommentar. Das ist bedauerlich, weil auf diese Weise das Schweigen auch funktionieren kann - indem geredet wird, indem nämlich im vulgären Diskurs auf der kommerziellen Schiene weitergeredet wird.

Am Beispiel des Orlanda-Verlags ist die Verflachung des feministischen Wirkens beklagenswert, nachdem sich der Verlag vor zwei Jahrzehnten emanzipativ betätigte besonders mit dem Werk "Farbe bekennen" afrodeutscher Autorinnen, herausgegeben von Katharina Oguntoye und Mai Opitz, später Mai Ayim. In "Farbe bekennen" verdeutlichten die gesammelten Interviews und Essays der Frauen die Sprache und Strukturen der rassistischen deutschen Gesellschaft. Im autobiographischen Sprechen der Persönlichkeiten und mit dem analytischen Blick auf Sprache und deutsche Historie bis zur zeitgenössischen Gesellschaft wurde der Ausgrenzungsdiskurs markiert, und hier wurde präzisiert: In Bezug auf den erfahrenen Lebensraum, in Bezug auf soziale Missstände (Ayim schrieb hierüber besonders sensibel) und die bundesdeutsche Politik bei der Wiedervereinigung, sowie in Bezug auf koloniale Werte und Sprachprägungen in den Institutionen.

Ob es ihnen damals eingefallen wäre, einen offenen Brief an den Präsidenten Richard Weizsäcker zu verfassen, um ihn darum zu bitten, die rassistische und/oder sexistische Sprache in Regierung und staatlicher Kultur zu beeinflussen? So bezähmt, sprachlich reduziert, zeigten sie sich nicht. Denn von jenen afrodeutschen Autorinnen wurde Selbstbestimmtheit gelebt, nicht proklamiert. Auch die Mediensprache wurde von der Dichterin und Historikerin Ayim, trotzdem sie an einigen Fernsehsendungen teilnahm, wiederholt kritisiert. Dass Kritik und Abgrenzung notwendig war, um einander in der Community zu finden und die Inhalte zu formulieren, die die rassistische Realität entlarven, war die selbstbewusste Erkenntnis der Schriftstellerinnen von "Farbe bekennen".

Allerdings ist der Rassismus ein speziell drängendes gesellschaftliches Thema damals und heute erneut. Dass der Alltagssexsismus aber so verwässert abgehandelt wird wie mit dem Buch "Ich bin kein Sexist, aber..Sexismus erlebt, erklärt und wie wir ihn beenden." in demselben Verlag 2013, gibt Aufschluss von einer sozialen Oberflächensicht des Verlags heute.

"Unter dem Stichwort #aufschrei veröffentlichten in den vergangenen Monaten tausende Frauen ihre Erfahrungen mit Sexismus auf Twitter. Und unter anderem auf der Website alltagssexismus schreiben täglich viele Frauen ihre Erlebnisse auf. Die Autorinnen Yasmina Banaszczuk, Nicole v. Horst, Dr. Mithu M. Sanyal und Jasna Strick gehören zu jenen, die den #aufschrei initiierten, ihn begleitet haben und in den klassischen Medien darüber sprachen. "

Dass das Sprechen im Netz ein bedeutender Anteil am Alltagssprechen sei, wird von den Autorinnen des Buchs "Ich bin kein Sexist, aber.." im Orlanda-Verlag 2013 vorausgesetzt. Denn die Autorinnen als Medienarbeitende übernehmen nun mal das virtuelle Medium als einen maßgeblichen Anteil am öffentlichen Sprechen und berufen sich beim gesellschaftlichen Ansatz auf die Hoffnung, dass mit einem geänderten politischen Klima zukünftig mehr Sprecherinnen aus ihrer Netz-Anonymität heraustreten könnten. So haben sie maßgeblich die Blog-Auswertung zum sprachlichen Stoff genommen, und bei der Befassung mit Sexismus beziehen sie sich hauptsächlich auf die Userinnensprache, wozu desweiteren die Sprache von kommerziellen Medien, von Politikerjargon ( wie die genannte sexistische Bemerkung Brüderles von 2013) und Literatur hinzugerechnet wird. Das Riskante, wenn frau das Buch als exemplarisch ernstnimmt, liegt auf der Hand: bei der Übernahme der Mediensprache als gesellschaftlich relevantes Sprechen wird keine Differenz zum Talk gezogen, der sich als kommerzielles Produkt verselbständigt und den beeinflussen zu wollen, müssiges Hoffen heißt – ebenso frommes wie bürgerliches Wünschen. Die Vulgärsprache der großen Medien wird hier als sozial bestimmend vorausgesetzt, Diskursanalyse ist verabschiedet. Das ist wohl kein Wunder, denn die Autorinnen arbeiten für Auftraggeber von WDR bis Emma-Magazin, von Tagesspiegel bis Bundeszentrale für politische Bildung, sie wollen ökonomisch bestehen und müssen die vorgefundene Sprache ernstnehmen, da spielt der Wunsch mit, diese Sprachwelt erträglicher zu gestalten.

Mit „Ich bin kein Sexist, aber...“ wird demokratisch gehofft, die Gesellschaft durch das Mittel der Mediensprache lenken und regieren zu können. Die soziale Gruppe, auf die Bezug genommen wird, ist die virtuelle Community, die sich eines Tages zur reellen Community wandeln könne, wenn das politische Klima frauenfreundlicher würde.

Bequemliche Konsequenz - hier geht es um die Wählerinnengemeinschaft und bundesdeutsche Stimmung. Die Mediensprache als demokratisches Forum, als erweiterter Parlamentssaal läßt nur klägliche Wege des Agierens offen. Entsprechend hat v. Horst, Kulturjournalistin und Tagesspiegel-Mitautorin, auf ihrer Website alltagssexismus.de einen offenen Brief an Bundespräsident Gauck publiziert, in dem der herrschende Sexismus angeprangert wird, und ebenso eine Petition an die staatlichen Fernsehsender ARD und ZDF, sich für „gesellschaftliche Aufklärung“ über Sexismus einzusetzen. So wird gehofft, die bürgerliche Gesellschaft auf dem Weg der Medienbeeinflussung zu kurieren.Um Räume muss nicht (mehr) gestritten werden, wird die ganze Gesellschaft als ein einziger Plenarsaal erachtet.

Kläglich, wie es der Net-Sprache manchmal eignet, nehmen sich auch die Kommentare aus, als Talk, wenn wir beim Blog alltagssexismus.de hineinlesen, wo Betroffene von Sexismus reden. Im Kommentar-Teil zeigt sich die Misere des "sozialen Netzes" von Web-Userinnen, das auf keine reellen Begegnungen aufbaut, sondern nur die vorangeschrittene soziale Vereinzelung kennt. „Sexismus“ wird hier sprachlich und sozial nicht klar definiert, und das Fehlen von vorausgegangener Verständigung über den Begriff zeigt sich, wenn überwiegend Episoden von ungutem Sex-oder Beischlaf-Erlebnis wiedergegeben werden, Sexismus als soziales Erleben wird kaum gekannt, kaum reflektiert. Unbenommen, dass sich unter den Episoden reelle Opfererfahrungen befinden, trägt die Kommentarfunktion in alltagssexismus.de doch zu einer Verwirrung über den Begriff Sexismus bei und hat den Beigeschmack von ziellosem Gequatsche, der nunmal daherrührt, dass bei Twitter und Userforen keine Positionen bezogen werden: Wo keine Person, da keine Position und wo kein Text, da keine Positionierung. Denn die Ichs sind nun mal unverifiziert und die Beiträge nun mal Chats und keine Texte.

Wenn die vier Autorinnen hier gemeinsam einen dünnen Band (96 S.) aus dem medienkulturellen Sexismus-Thema gemacht haben, läßt sich das als kleines Protokoll vom Internet-Sprachgebrauch zum Thema noch an. Nur zur Kritik schaffen sie es im Grunde nicht, und weil es eben der einzige Orlanda-Beitrag zum Thema des deutschen Alltagssexismus ist, klafft die soziale Thematik fühlbar auf, für die hier anscheinend schon lange kein Interesse mehr besteht.

Das läßt das Thema vor sich hin kümmern. Schön, dass wir mal drüber geredet haben, aber – bei der selektiven Sicht des Verlages- keinen Blick mehr auf soziale Strukturen und Klassen hierzulande: Ließen sich doch mehrere Bände zum Alltagssexismus im zeitgenössischen kapitalistischen Marktwahnsinn verfassen, wenn denn noch soziales Interesse bestünde. Denn sexistische Sprecher, wissen wir aus der Herrschaftstheorie, üben nicht nur einen Wortgebrauch oder Jargon aus, sondern auch eine soziale Position, ein autoritäres Inszenieren oder Dominanzgebaren, das den Sexismus mitführt. Aktuelle Ausführungen müßten den erschreckenden Stand der Zeit erweisen. Von der Ausgrenzung der Flüchtlingsfrauen in deutschen Lagern am Rand der Gesellschaft und einer völligen Ausgeliefertheit an das Willkürbeamtentum erzählen andere Werke, wie Tobias Piepers „Die Gegenwart der Lager- zur Mikrophysik der Herrschaft in der deutschen Flüchtlingspolitik“ (Westfälisches Dampfboot 2008), und zu diesem Thema müßte auch heute wieder eine aktuelle Bestandsaufnahme drängend sein. Auch von Sexismus gegen Rrom und Sinti in ihrer besonders erschwerten Situation als Mütter in rassistisch gebrandmarkten Gruppen müßte ein Thema gehen; Alltagssexismus wäre auch zu besprechen in Bezug auf den Bildungsbetrieb verkommerzialisierter Hochschulen, wenn an Universitäten Werbeträger ihre sexistische Wuntertütenwerbung (geschlechtergetrennt) verteilen dürfen, wie das queerfeministische Info-Magazin des Asta an der Freien Universität Berlin 2012/2013 berichtete, klar, es ging um die die Ökonomisierung des Uni-Standortes, das wurde miterwähnt.

Alle die Ansatzpunkte für aktuelle Kritik interessieren aber nicht in der bürgerlichen Gangart des langjährigen feministischen Verlages, die vielleicht von der Hoffnung herrührt, in den bestehenden Strukturen ökonomisch erfolgreich zu sein und sich zugleich im Frausein akzeptiert zu fühlen. Wenn aber mit solcher Oberflächlichkeit über „Sexismus“ und einen „Aufschrei“ publiziert wird, zeichnet sich ab, dass die sexistische Realität des kapitalistischen gesellschaftlichen Marktwahnsinns noch verschönert und legitimiert wird- durch den ethischen Sprachjargon.

Ein beinahe hübsches Gegenbild zu "Ich bin kein Sexist, aber..." bietet der Bildband "Frauenkörper neu gesehen" im Orlanda-Verlag, der ebenfalls zu den Neuerscheinungen zählt. Mensch könnte sagen: Beide Bücher kreisen um die Leerstelle der gesellschaftlichen Frau, und hängen sich an verschiedene Extremformen. Ist die Frau im obigen Beispiel verallgemeinert als bundesdeutsche Wählerin, so ist sie hier verallgemeinert als körperhafte Idealität und Typus in ästhetischer oder medizinischer Abbildung. Sind die Web-Userinnen von #aufschrei bzw. von "Ich bin kein Sexist, aber..." keine sozial handelnden Personen, weil die Stimmen der Republik, so ist frau in den Abbildungen von "Frauenkörper" ebenfalls dem Sozialen entrückt, weil interessant als Schönheitstypus oder medizinischer Typus im Bild. Beide Bände können hoffen, mit der Absenz von Kritik am kapitalistischen frauenverachtenden Diskurs zu punkten, und als feministische Beiträge die bürgerliche Gesellschaft zu bereichern.

In "Frauenkörper neu gesehen" mit über 200 Abbildungen des weiblichen Körpers soll Sexualanatomie und Gesundheit der Frau thematisiert werden, sowie die sehr breitgefächerte Thematik von Körpern, Identitäten, Sprache und Sexualität besprochen werden. Die Herausgeberin Laura Méritt, Kommunikationswissenschaftlerin und Pädagogin, hat den Anspruch, "ihre Inhalte anschaulich und frei von Berührungsängsten" zu vermitteln.

Damit wird die Kursrichtung klar. Sex sells, und wie viel besser noch die Kombination Sex-und-Bild. Die Anschaulichkeit ist unbezweifelbar, aber auch abgedroschen. Für manche Frauen, die selbst von sexualisierter Gewalt betroffen waren, dürfte sie schon die erste Barriere bedeuten. Das Titelbild zeigt eine junge Frauenschönheit von gewohnter Norm, die die Jeans herunterstreifend sich nackt bis zum Oberschenkel präsentiert. Längst zählen Anschaulichkeit, Schauen und Show zum Usus bei der weiblichen Verkommerzialisierung seit Jahrzehnten, und das Buch signalisiert einfach sein Einverständnis mit der Sexualisierung des weiblichen Körpers. Wie erhellend, dass hier bei den Textbeiträgen "Selbstbestimmung" draufsteht, wo viel Schaulust-Kompromiss drin ist. Wieviel Emma-Jargon auch immer mitgeliefert wird in den Texten, die Bildersprache ist ja selbst eine Sprache und vereint alle Beiträge in dem sonderbaren thematischen Sammelsurium, ob ästhetisch oder medizinisch: In der Bildersprache ist das Zitat aus der Schokoladenwerbung oder dem Sex-Pop-up im Internetfenster mitgeliefert. Bei den Inhalten über Sexualanatomie und Gesundheit, die die zahlreichen Autorinnen sogar vom Frauengesundheitszentrum Berlin FFGZ, von den gesundheitspolitischen, kulturwissenschaftlichen und sexpsychologischen Autorinnen, liefern, wurde eine Entscheidung gefällt. Auch das FFGZ sollte sich dessen bewußt sein: Opfer von sexualisierter Gewalt dürften das Buch schwerlich kaufen, weil die gewohnte pornographische Abbildung der Frau jene Opfer sehr wahrscheinlich abstößt; die Girl-Titelvorlage des Buches ist konventionell und erinnert an die Nacktbilder eines Helmut Newton. Es muss Verlogenheit dazugehören, hier gar kein Zitat der gewöhnten kommerziellen Bilderindustrie gebracht haben zu wollen.

Und diese Verlogenheit bringt Orlanda auf ebenso wie die Autorinnen. Im Gegenteil müsste zur Frage stehen, ob wichtige psychologische Inhalte, wie bei der Clio-Zeitschrift, nicht gerade einen Verzicht auf das erotische Bildsstimulans nahelegen würden.In der konventionellen Auffassung der Autorinnen und der Herausgeberin Méritt, die mit dem Forum "Sexclusivitäten" in Berlin Seminare gibt, bedarf die Gesellschaft (noch) mehr sexueller Aufklärung und weiblicher Ausstellung. So wird , weit entfernt, die intime Auslieferung des Einzelnen ans Öffentliche mit Michel Foucault in "Der Wille zum Wissen" zu kritisieren, noch einmal ein beträchtlicher Anteil an sozialer Realität geleugnet, der gesellschaftliche vermarktungstechnische Gang, der die Frau in der Bilderindustrie entwürdigt. Und der Blick auf den Buchumfang stimmt nachdenklich: Die bürgerliche Blickrichtung geht bemerkenswerterweise auf das Panorama des Körpers und das Buch kennt weitläufiges Schweigen in Bezug auf gesellschaftliche Mechanismen zu gesundheitlichen und psychologischen Themen: Tiefenpsychologisches könnte uns zeigen, dass die kommerzielle Prägung uns in infantilen oder pubertären Stadien festhält, Besitz- und Machtstrukturen könnten erörtert werden, die sozial regeln, wer mehr sichtbar auftreten kann und wer weniger sichtbar sein kann, Erwerbszwänge würden verdeutlichen, dass den Menschen Zeit genommen ist, einander und sich selbst wahrzunehmen, Männlichkeitskult könnte dargelegt werden bis hin zu "Imponiergehabe", das sich noch in den Rängen von Managern auslebt (siehe dazu auch Pierre Bourdieus "Die männliche Herrschaft").

Der Band "Frauenkörper" bezieht sich auf Natur und verschweigt alltägliche Unnatur in der rigoros organisierten Gewinngesellschaft, so partizipiert man/frau (schon wieder) an idealisierter Erotik, der Alltag muss draußenbleiben. Sehr problematisch ist die Untermauerung der Sexualisierung der Frau als vermeinte „Selbstbestimmung“, hier wird es begriffsverwirrend, wenn das Objekt im Bild andauernd als Subjekt angeführt wird. Und mit dem Buch "Frauenkörper-neu gesehen" sieht mensch den Frauenkörper nicht neu, sondern konventionell mal anders, objektiviert wie immer. Es ist ein weitererer Beitrag zur Verdinglichung des menschlichen und zuallererst des weiblichen Körpers. Seit Madonna ist keine Neuheit mehr, dass sich "selbstbewusste Schönheit" in Zurschaustellung formulieren will...hier wird die Kurve nicht gekriegt, es geht hier nicht unwesentlich um Vermarktung der weiblichen Nacktfotografie reloaded.

Die Autorinnen, die sich für "Lust und Entdeckungsfreude" aussprechen ( doch wie viel Entdeckungsfreude verbleibt noch, wenn Schauen und Blicken längst überbewertet wurden), befinden sich weiter entfernt von gesellschaftlichem Gespür als der Kulturtheoretiker Byung – Chul Han, der die "Agonie des Eros" vermutet. Und es scheint, dass Han uns zum Stand der Gesellschaft und der Erotik mehr zu sagen hat. "Während Intimität und sexualisierte Bildwelten zunehmend den öffentlichen Raum prägen, befinden wir uns auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der die privaten Umgangsformen sich in umfassender, aber kaum merklicher Weise nach den Imperativen des Konsums richten. Als Ergebnis steht eine Gesellschaft ohne Erotik, denn Erotik bleibt immer bestimmt vom Reiz des Anderen und nicht von seiner Verfügbarkeit." (Texteinführung des Bildungswerks der Heinrich-Böll-Stiftung) Der Autor Han hält derzeit Vorträge in Deutschland, auch beim Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.

Die Lust, achja, das ist auch ein vielzitiertes verdinglichtes Fühlen, von dem zu fragen ist, ob es schon wieder befreit und herausgelockt werden muss gleichfalls wie von hunderten Girlie-oder-Frauenmagazinen, die von nichts anderem reden. Wird immer nochmal über Sex geredet und wird in der Werbeindustrie auch noch die Zahnbürste sexualisiert, so muss zugleich nicht nachgedacht werden über die psychotische Prägung der Besitzgesellschaft, über den Antrieb zu bulimischem Konsumieren und Bildungskonsumieren, über den Sinnverlust unter Wachstumswahnsinn oder über die Herabwürdigung des Menschen, der ohne Status oder ohne Paß aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird.

So zeigt sich beim Orlanda-Verlag, wie auch mit früheren Romanveröffentlichungen im Verlag etwa mit dem Titel "Jungfernhaut", eine Ausrichtung auf die breite Bahn des Geläufigen entlang der sexuellen Sensation, fort von der schwierigeren Bahn der Emanzipation der Ausgegrenzten oder der Gewaltbetroffenen, die an der sexualisierten Abbildung der Frau kein Vergnügen finden können.

Der Orlanda-Verlag publiziert heute für die Sichtbaren und für das Sichtbare, für die Sexualisierung aber nicht gegen den Sexismus. Das Bestehende zu bekräftigen, ist eine bürgerliche Betätigung und heißt, Kamellen als Befreiung der Frau zu verkaufen, während von brennenden Themen geschwiegen wird.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text von der Autorin zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.