Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
François Hollande auf neokolonialer Afrika-Tournee

07-2014

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Als Geschenk für den hohen Gast gab es – eine Reihe von Festnahmen. Am Freitag, den 18. Juli d.J. hielt sich Frankreichs Präsident François Hollande für einen 24stündigen Staatsbesuch in dem mittelafrikanischen Staat Niger auf, der zweiten Station seiner drei Tage dauernden Reise auf dem afrikanischen Kontinent. Am Vortag (Donnerstag, den 17.07.14) wurden prominente Kritiker der neokolonialen Politik Frankreichs in der Region präventiv festgenommen.

Als bekanntester von ihnen wurde Ali Idrissa in polizeilichen Gewahrsam genommen; vgl. bspw. http://canempechepasnicolas.over-blog.com und . Er ist unter anderem, neben anderen Funktionen, Koordinator der Kampagne Publish what you pay – die für einen gerechteren Erlös ihrer Rohstoffausfuhren für stark exportabhängige und „unterentwickelte“ Länder eintritt – in Niger und des Kollektivs Sauvons le Niger („Retten wir Niger“). Letzterem gehören rund 50 NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen an. Wenige Stunden vor seiner Festnahme hatte Idrissa sich erdreistet, auf einer Pressekonferenz zu erklären, für die Interessen seines Volkes erwarte er „nichts von dem Besuch“ François Hollandes. Und er hatte die Menschen seines Landes dazu aufgefordert, auf die Straße zu gehen.

Vormacht AREVA

Gegenstand des Zorns ausgesprochen vieler Menschen in Niger ist die Politik des französischen Atomkonzerns AREVA (vgl. http://canempechepasnicolas.over-blog.com und http://www.aa.com.tr oder http://www.malijet.com/ ), dessen Interessen vom Staat – die Pariser Regierung ist mit 87 Prozent Hauptaktionär – vollständig gedeckt werden. Frankreich hat 58 Atomreaktoren im Betrieb, ein an der Bevölkerungszahl gemessen trauriger Weltrekord. Über ein Drittel des darin verbrannten Urans kommt aus Niger, und das Land ist der zweitgrößte Lieferant des Atomgiganten AREVA sowie viertgrößter Uranexporteur weltweit. Gleichzeit ist das Land, laut Human development indice, eines der drei ärmsten des Planeten. Cherchez l’erreur! („Suchen Sie den Fehler“), wie das französische Sprichwort besagt.

Seit 1968 verbinden wahre Knebelverträge Niger, das formal 1960 von Frankreich unabhängig wurde jedoch unter enger neokolonialer Kontrolle verblieb, mit AREVA bzw. ihren Rechtsvorläufern. Erstmals kam es in den letzten Monaten jedoch zu einem Tauziehen zwischen beiden „Partnern“: Anfang Oktober 2013 hatte die Regierung in Niamey angekündigt, sie fordere eine komplette Neuverhandlung der Verträge und einen höheren Staatsanteil an den Erlösen. Bislang trägt der Export dieses wichtigsten Rohstoffs nur zu 5,5 % zum Staatshaushalt bei, die Regierung wollte ihn auf zwölf Prozent hochsetzen. AREVA reagierte mit Aussperrungen von Lohnabhängigen und der Androhung einer Verlagerung ihrer Aktivitäten.

Am 26. Mai 2014 wurde nun das neue bilaterale Abkommen geschlossen. Es ist das „für AREVA vorteilhafteste, das je abgeschlossen wurde“, urteilte die Webseite Financial Afrik am 14. Juli dieses Jahres, sozusagen pünktlich zum französischen Nationalfeiertag. (Vgl. http://www.financialafrik.com/) Das Ungleichgewicht hat sich also noch verschlimmert. AREVA will, als Zugeständnis an die nigerische Seite, lediglich 180 Millionen Dollar für die Reparatur einer Straße springen lassen. Viele Menschen folgten am Freitag, den 18. Juli deswegen dem Aufruf der Koalition von NGOs und Initiativen, gegen diese Politik zu demonstrieren. Alle, die ein gelbes Tuch – Erkennungszeichen der Protestierenden – oder ein T-Shirt der aufrufenden Organisationen trugen, wurden festgenommen und in der Nationalen Polizeischule inhaftiert.

François Hollande folgte unterdessen nicht der Aufforderung von Ali Idrissa, die an den Folgen von Radioaktivität Erkrankten in den Kliniken zu besuchen, oder die Bevölkerung von Arlit im Norden von Niger. Infolge von vierzig Jahren Uranabbau sind dort über fünfzig Millionen Tonnen strahlender Abfälle rund um die Stadt unter freiem Himmel gelagert, und oft nicht einmal notdürftig abgeschirmt.

Hollande unterhielt sich stattdessen mit seinem, formal ebenfalls sozialdemokratischen, Amtskollegen Mahamadou Issoufou. Und er besuchte ein Wasserwerk, das dem französischen Konzern Veolia gehört, sowie die französische Militärbasis, auf denen die Aufklärungsdrohnen und Kampfflugzeuge der Opération Serval stationiert sind. Unter diesem militärischen Codenamen stand die französische Intervention in Mali seit Anfang 2013, von der bis jetzt noch gut 1.000 Mann in diesem westlichen Nachbarland Nigers stationiert blieben.

Die französische „Beobachtungsstelle für Atompolitik“ (l’Observatoire du nucléaire), eine unabhängige Initiative unter dem Grünenpolitiker Stéphane Lhomme, kritisierte unterdessen in Paris eine „veritable Razzia, die gegen die Zivilgesellschaft in Niger gerichtet war“, in Gestalt der jüngsten Festnahmewelle; vgl. http://observ.nucleaire.free.fr - Das ,Observatoire‘ war jüngst selbst in Frankreich mit der Macht des AREVA-Konzerns konfrontiert worden: Im Februar 2014 in Paris wurde die Initiative in erster Instanz gerichtlich verurteilt, weil sie zuvor die Einflussnahme des Atomgiganten auf und in Niger kritisiert hatte (vgl. Kleine Geschenke sichern die Ausbeutung TREND 2/2014).

Am 19. November 2014 wird dazu nun vor dem Pariser Appellationsgerichtshof – der zweiten Instanz - die Berufungsverhandlung stattfinden.

,Serval‘ ist tot, es lebe (?) ,Barkhane‘

Das wird sich nun ändern, denn Serval wird nun durch eine neue Operation unter dem Namen Barkhane abgelöst; vgl. http://www.liberation.fr  Ihre Leitung ist aber nicht länger in Mali angesiedelt, sondern in der Hauptstadt des Tschad – in N’Djamena, wo Hollande an diesem Samstag seine dreitägige Afrikareise abschloss. Also unter den Fittichen des tschadischen Staatschefs Idriss Déby Itno, der im Dezember 1990 durch einen Putsch an die Macht kam und als notorischer Schlächter gilt. Die Truppenzahl Frankreichs in der Region wird erhöht: Bislang betrug sie in Mali (zuletzt) maximal 1.600, im Tschad 950, wird jedoch nun auf insgesamt 3.000 hochgefahren; vgl. http://www.lemonde.fr/ und http://www.lemonde.fr/afrique/ oder http://www.lefigaro.fr

Dies wird mit terroristischen Bedrohungen in der Sahelregion gerechtfertigt, in Gestalt der Jihadisten, die durch die französische Intervention im vergangenen Jahr lediglich über die Region verteilt worden waren, ohne dass das Problem gelöst worden wäre. In Nordmali sind sie längst wieder aktiv geworden, so bombardierten sie zu Anfang der dritten Juliwoche 2014 die Stadt Timbuktu mit Artilleriegeschossen; vgl. http://maliactu.net/tombouctou-roquettes-sur-la-ville/

Am Mittwoch, den 16. Juli 14 wurden unterdessen in Algeriens Hauptstadt Algier Verhandlungen zwischen der malischen Regierung in Bamako und einigen der im Norden ihres Landes aktiven bewaffneten Gruppen zur Beilegung des Konflikts aufgenommen. Algerien versucht sich als Vermittler ins Spiel zu bringen, und damit das als „Schachfigur Frankreichs“ wahrgenommene Regime Burkina Fasos aus seiner seit Juni 2013 übernommenen Mittlerrolle herauszudrängen. Dadurch versucht die Regierung in Algier, eigene machtpolitische Ambitionen in der Region anzumelden, auch unabhängig von Frankreich. Durch die Verhandlungsrunde werden allerdings vorwiegend die auf ethno-separatischer Basis agierenden Rebellen der Tuareg-Bewegung MNLA eingebunden, jedoch nicht die nach wie vor aktiven Jihadisten, die mal mit dem MNLA verbündet und dann wieder mit ihm verfeindet agieren.

Neues Stationierungsabkommen für französische Truppen

Gleichzeitig unterzeichneten der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian und Malis Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta - „IBK“ - am vorigen Mittwoch ein Bamako ein neues Militärabkommen zwischen Frankreich und dem westafrikanischen Land. (Und hier dessen vollständiger Text:  http://www.malijet.com) Es gewährt der französischen Armee erstmals wieder Stationierungsrechte, die ihm in Mali 1961 durch den antikolonial orientierten und in der Blockfreienbewegung aktiven Staatspräsidenten Modibo Keïta – ein Jahr nach der Unabhängigkeit – entzogen worden waren.

Es sieht also alles danach aus, als verstärke sich der neokoloniale Zugriff auf die Region. Was wiederum jihadistische und andere Bewegungen, die ihren – ideologischen oder auch am Beutemachen ausgerichteten - Kampf durch die Konfrontation mit den Neokolonisatoren zu legitimieren versuchen, erst recht anstacheln dürfte.

Editorische Hinweise

Den Text bekamen wir vom Autor für diese Ausgabe.