Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Bezahlbarer Wohnraum statt Leben auf der Straße!

AG Recht auf Wohnen für Psychiatriebetroffene und „Behinderte“ vom Berliner Ratschlag.

07-2014

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Immer mehr Menschen, besonders auch Psychiatriebetroffene und „Behinderte“, sind von Wohnungslosigkeit bedroht. Nach Schätzungen des Mieterbundes wurden im Jahr 2012 bundesweit ca. 70.000 Zwangsräumungen vollstreckt. Offizielle Statistiken gibt es dazu nicht, die Tendenz ist aber steigend. So betrug in Berlin die Zahl der von Obdachlosigkeit bedrohten Zwangsgeräumten im Jahr 2009 noch knapp über 5.000. 2011 waren es schon fast 7.000. Das Bezirksamt Neukölln spricht auch von einer steigenden Tendenz zur Unterbringung obdachloser Menschen. Durch diese Zwangsräumungen werden auch kranke Menschen obdachlos gemacht. Das hat schon zu Todesfällen geführt, wie im Fall von Rosemarie Fließ. Die gehbehinderte 67-jährige Frau verstarb nach ihrer Zwangsräumung. Die Proteste gegen Zwangsräumungen begannen wiederum mit Nuriye Cengiz, einer 63-jährigen Frau im Rollstuhl, der die Räumung drohte. Im Mai 2014 wurden Mohamed S. und seine Familie zwangsgeräumt. Er wohnte seit 36 Jahren in einer Wohnung in Charlottenburg und ist seit einem Schlaganfall schwerbehindert.

Weitere Infos:
http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/presse/

Insbesondere auch Psychiatriebetroffene sind – wenn sie nicht funktionieren – von dieser Räumungspraxis betroffen. Ein Berater des Vereins zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt macht folgende Gründe für die Obdachlosigkeit von Psychiatriebetroffenen aus: Ein Hauptgrund für etwaigen Wohnungsverlust ist die „Messie-Problematik“. Der Verlust der Wohnung, und damit die Obdachlosigkeit, kann sehr schnell erfolgen, wenn bekannt wird, jemand könnte ein so genannter Messie sein. Als zweiter Grund werden persönliche Krisen genannt, die zu Eigengefährdungs-prognosen durch den Sozialpsychiatrischen Dienst führen können und in der Folge zu einer Zwangseinweisung in die Psychiatrie. Dort wird oftmals eine gesetzliche Betreuung eingesetzt. Eine regelrechte „Maßnahme-Industrie“ (gesetzliche Betreuung, betreutes Einzelwohnen usw.) hängt an diesem rechtlichen, behördlichen, medizinischen und psychiatrischen Prozedere.

Die Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung und die folgende Entlassung kann zugleich mit Wohnungslosigkeit verbunden sein. Denn es kommt oft vor, dass der Träger der sozialen Grundsicherung (z.B. Jobcenter) Mietzahlungen zwischenzeitlich einstellt, ohne dass die in geschlossene Abteilungen Eingewiesenen davon informiert werden und rechtzeitig darauf reagieren können. Oftmals kommen die Betroffenen erst in die Beratung, wenn sie schon obdachlos sind.

 
Ca. 11.000 wohnungslose Menschen leben laut Senatsverwaltung für Soziales (vgl. taz vom 4.1.2014, Keine Frage des Geschlechts ) in Berlin in Notunterkünften, die überwiegend von privaten Unternehmen betrieben werden. Dort herrschen teils unzumutbare Bedingungen, zum Beispiel katastrophale hygienische Zustände (Feuchtigkeit, Schimmel, Wanzen etc.). In vielen Bezirken finden aufgrund von Personalmangel keine Prüfungen statt (vgl. taz vom 19.5.2014, Abkassieren leicht gemacht)
 
Das Betreiben von Obdachlosenunterkünften ist ein lukratives Geschäft: Laut Berliner Mietergemeinschaft kostet ein Platz pro Tag zwischen 20 und 30 Euro im Einzel- oder 12 bis 15 Euro im Mehrbettzimmer. Laut taz lagen die Kosten bei sechs bis 68 Euro pro Nacht. Wir wissen: Zwischen fünf bis 90 Euro gibt es alles, weil der Markt dereguliert ist. Durchschnittlich 30 Euro pro Nacht für jede/n der 11.000 Wohnungslosen ergeben 330.000 Euro, pro Monat werden ca. 9,9 Millionen eingenommen, pro Jahr 118,8 Millionen....

Während es früher feste Sätze und Budgets im Sozialbereich gab, erfolgte nach 2005 eine fortschreitende Privatisierung der Dienstleistungen. Rund 60 Prozent der 130 Einrichtungen in Berlin gehören privaten Trägern, der Rest wird von freien Trägern wie der Diakonie oder der AWO betrieben. Die Auslastung liegt bei fast 100 Prozent.
 

Offizielle Zahlen zur Wohnungslosigkeit werden in Berlin nicht erhoben. Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales schrieb im März 2013, bereits seit 2009 sei „eine stetige Steigerung des Bedarfs an Unterbringungsplätzen für wohnungslose Menschen zu verzeichnen“. Dies hänge mit dem fehlenden Angebot an preiswertem Wohnraum zusammen, ebenso wie mit der längeren Verweildauer derer, die einmal in einem solchen Heim gelandet sind. Die jetzige Politik führt dazu, dass die Betroffenen wieder verstärkt in Heimen landen und in eine Ghettoisierung getrieben werden. Oder sie landen gleich auf der Straße.
 
Psychiatriebetroffene und Behinderte haben aber nicht nur auf dem Wohnungsmarkt wenig Chancen, auch vom Arbeitsmarkt sind sie häufig ausgeschlossen. So übt nur ein kleiner Teil der „schizophren Diagnostizierten“ eine Erwerbstätigkeit im ersten Arbeitsmarkt aus, laut einer Langzeitstudie 30 Prozent. Ein nicht unerheblicher Teil der Betroffenen ist dagegen erwerbsunfähig und auf staatliche Unterstützung angewiesen. Ein weiterer Teil ist dem Druck der Jobcenter ausgesetzt. Die existenzielle Situation ist häufig von Armut und Perspektivlosigkeit geprägt.
 
Hinzu kommt noch die Stigmatisierung durch das gesellschaftliche Umfeld und die Medien, was nicht selten zum Rückzug und zur Vereinsamung führt. Viele Psychiatriebetroffene werden in der Leistungsgesellschaft als Kostenfaktoren bewertet. „Nicht funktionieren“ wird in der Leistungsgesellschaft hart bestraft, was bis zur Existenzvernichtung, d.h. zum Beispiel zu einem erzwungenen Leben auf der Straße führen kann. Von der Straße ist es nicht weit in die Psychiatrie oder den Knast.
 
Bezeichnend ist auch, wie die Polizei mit den Betroffenen umgeht. Die Polizei erfasst Hinweise zu Krankheiten in Datenbanken. „GKR“ steht für geisteskrank, „ANST“ für ansteckende Krankheiten. Von den 38 Menschen, die bundesweit zwischen 2009 und 2013 durch Polizisten getötet wurden, wurden etwa zwei Drittel als „geistig verwirrt“ bezeichnet. In Berlin wurden zwei Fälle bekannt, Andrea H. aus Reinickendorf und der „nackte Mann am Neptunbrunnen“. Verurteilt wurden die Polizisten wegen der Todesschüsse nicht, sie sind weiter im Einsatz...

Wir fordern:

  • die sofortige Rücknahme der letzten Mietrechtsverschärfung, die zu vermehrten Zwangsräumungen führt! Keine Abschaffung des §5 Wirtschaftsrecht, der gegen Mietwucher und Ausnutzung von Notlagen schützen soll!
  • das Unterlassen von Zwangsräumungen!
  • eine Kontrolle von allen Obdachlosenunterkünften!
  • einen bezahlbaren sozialen Wohnungsbau, statt das Geschäft mit Obdachlosigkeit zu finanzieren!
  • die Einrichtung eines Nothilfefonds für von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen, die durch Behördenhandeln ihre Wohnung zu verlieren drohen!
AG Recht auf Wohnen für Psychiatriebetroffene und „Behinderte“ vom Berliner Ratschlag
 
Es kann und muss anders werden! Die Betroffenen sollten sich zusammensetzen und sich zu Wort melden und auch die sozialen Träger wieder in Bewegung bringen! Wir laden Euch herzlich zu unserem nächsten Treffen ein.
 

Dienstag, 22.7.2014 um 19 Uhr im Mehringhof,
Gneisenaustr.2a (U-Bhf. Mehringdamm),
Initiativenbüro (eine Etage über dem Mehringhoftheater rechts)


ViSdP: Pippilotta Eigensinn, 12059 Berlin/ 8. Juli 2014

Editorische Hinweise

Wir wurden seitens unserer LeserInnenschaft um Veröffentlichung dieses "Ratschlags" gebeten.