"Der Baron und die Wahnmichtel"
Kleiner Bericht zum Doppel-Vertrag in Köln
(Bürgerhaus Stollwerck, 2.7.2014)

von
Jutta Ditfurth

07-2014

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Zur Lesung meines Buches "Der Baron, die Juden und die Nazis" (über den Antisemitismus des des von der Romantik bis heute) kamen etwa 120 Leute, wir hatten mit der Hälfte gerechnet. Die Freund_innen von der Ökologischen Linken hat alles prima vorbereitet. Der Vortrag und die Bilder stießen auf viel Interesse und es gab eine lebhafte Diskussion über mein Buch. Man merkte, was mich freute, dass sich da sehr verschiedene Menschen für dieses gar nicht "nur" historische Thema interessierten. Nach 3 Stunden hab ich dann eine "Pause" ausgerufen, der Büchertisch wurde in Betrieb genommen und ich habe signiert. Ich hatte allerdings, weil einige nach meiner Kritik an den Montagsquerfronten gefragt hatten, angeboten, zu diesem Thema nach der "Pause" weiter zu diskutieren. Zur zweiten Veranstaltung, die gegen 23 Uhr begann, blieben noch 50 Leute, darunter, wie sich dann herausstellte, etwa 20 Wahnmichtel und etwa 30, meist junge, Antifas. Das dauert bis 0:30 Uhr.

Alle Anwesenden bekamen viel Zeit für Fragen und Kritik. Dann habe ich meine Kritik an der Montagsquerfront wieder einmal begründet; hab erklärt, was Kapitalismus ist und wie die kapitalistische Produktionsweise funktioniert, und worum es in politischen Auseinandersetzungen, die Aufklärung und Emanzipation verpflichtet sind, überhaupt geht; hab' zerlegt, was verkürzte und strukturell antisemitische Kapitalismuskritik bedeutet (künstliche Trennung von "raffendem" und "schaffenden" Kapital); habe eine der Wurzeln antisemitischer "Kapitalismus"kritik gezeigt und dargestellt, woher die Kritik nur am Zins kommt (Gesell, "Zinsknechtschaft", Gottfried Feder) und warum die Wahnmichtel, objektiv (auch wenn sich manche so selbst nicht sehen) Teil einer neuen völkischen, antisemitischen, deutschnationalen Formation sind. Und warum es mit ihnen keinen "konstruktiven" Dialog geben kann, sondern nur klare Abgrenzung gegen sie. Für ein paar unsichere Neuvölkische war das aufschlussreich und irritierend und innerhalb der Wahnmichtel gab es gleich Turbulenzen. Manche rannten wütend raus, andere reagierten hochaggressiv. Wir kündigten an, dass wir sie raussetzen. Sie versuchten, sich gegenseitig zu beruhigen...

Es gab sehr kluge Beiträge der Antifas! Einer beobachtete anfangs nur, sagte er "genieße" meine Auseinandersetzung mit den Wahnmichteln, stieg dann aber auch in die Diskussion ein, was mich freute.

Bei den Beiträgen der Wahnmichtel fühlte ich mich wie in einer Diskussion mit Sektenanhängern. Bei den Hardlinern passiert im Kopf bei einer Diskusion gar nichts. Es ist, als gebe es keine Andockstation im Hirn wenigstens zur Prüfung von Argumenten Andersdenkender. Diese Leute beziehen sich nie konkret auf kritische Argumente sondern sie weichen auf "Persönliches" aus oder spielen, auch nach einem Abend voller historischer Fakten und Argumenten, nur immer die gleiche Platte ab.

Es ist irrwitzig, wie in dieser neuen Montagsquerfront einiges zusammen auf die öffentliche Bühne kommt, was einige Linke wie ich schon in den 1980en und 1990ern bekämpft haben: Esoterik verschiedener Spielarten, Tierrechtelei, die mit Abwertung des Menschen verbunden ist, und massenhaft Gesellianer, Deutschnationale usw.* Aber jetzt haben diese neuen Völkischen, auch dank der deutschen Occupy-Camps, die sich letztlich mehrheitlich (!) und in ihrer gesellschaftlichen Wirkung als Durchlauferhitzer für neurechte Positionen erwiesen haben, leider einen neuen Grad erreicht. Ich möchte, wie auch in meinem Buch "Worum es geht", wo ich meine Kritik an Occupy ausführlich begründe, auch heute Occupy Oakland ausnehmen, das war ein wirklich interessantes, linkes Projekt.

Nach rund 5 Stunden war diese Doppelvortragsabend vorbei. Ich war k.o. und fand es hochinteressant.

Zusammenfassend ist zu sagen: 

Am Anfang mag es bei den neurechten Montagsdemos auch noch naive Menschen gegeben haben, denen es wirklich um Frieden und Angst vor Krise ging, und die ein besseres Leben für alle wollten und nicht wussten, welchen neurechten Gurus sie da auf den Leim gingen. Man hat diese Verwirrten nur durch eine scharfe öffentliche Auseinandersetzung erreichen können. Nach drei Monaten der Auseinandersetzung und einer Fülle von empirischen Belegen über diese Montagsquerfront (herzlichen Dank für die tolle Zusammenarbeit bei Facebook mit den Seiten "Aluhut für Ken", "Friedensdemowatch", "Die Kentrail Verschwörung" und "Gen FM" und vielen einzelnen Usern!) ist diese Phase vorbei. Es sind aber nur noch die bei den Wahnmachen geblieben, die vielleicht manchmal noch so daherreden, denen es aber keineswegs um soziale Gleichheit und Freiheit für ALLE Menschen geht. Viele Wahnmahnwachen-Mitläufer_innen suchen die falsche Sicherheit in autoritären, wenn auch "alternativ" maskierten Strukturen – auf Kosten vieler anderer Menschen.

Geschichte und politische Ökonomie interessieren sie nicht. Wie in sonstigen esoterischen Kreisen üblich wird "Wissen" durch eine Art virtuelle Anbetung (2-3 youtube-Filme reichen oft) rechter Gurus "erworben", niemals durch eigene intellektuelle Anstrengung, kritische Auseinandersetzung und Kopfarbeit. Die eigentliche Ideologie und politische Strategie, das Macht- und das Geschäftsinteresse kleistern Gurus und Organisatoren gern mit Sülze ("Ihr Lieben", "meine Zielgruppe ist der Mensch", Friedefreudeeierkuchen, einer Menge Kitsch) zu, aber immer blitzt dahinter doch nur der mörderische, sie alle verbindende Antisemitismus auf, das Deutschnationale, das Völkische und sehr oft Homophobie und Antifeminismus.

*  Siehe meine Bücher: "Feuer in die Herzen" [1992/1996] und "Entspannt in die Barbarei" [unverändert seit 1996], beide konkret literatur Verlag oder in meinem bookstore auf: www.jutta-ditfurth.de 

Die Debatte läuft auf meinen Facebookseiten.

Mehr Infos auch auf: www.jutta-ditfurth.de

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von der Autorin für diese Ausgabe.