„Natürlich
ist das eine Enttäuschung, weil wir viel gekämpft haben.“
So reagierte Marine Le Pen, Chefin des französischen Front
National (FN), am Dienstag, den 24. Juni um die Mittagszeit – in
den Spalten der konservativen Tageszeitung Le Figaro
- auf eine Nachricht vom späten Montag Abend. Kurz vor Ablauf
des Stichdatums um Mitternacht war bekannt geworden, dass es
keine rechtsextreme Fraktion im Europaparlament rund um Le Pen
und um Geert Wilders von der niederländischen „Partei für die
Freiheit“ (¨PVV) geben wird. Bis zu diesem Zeitpunkt wäre die
Bildung einer Fraktion für die konstituierende Sitzung des
Europaparlaments möglich gewesen.
Wäre ihnen diese gelungen, hätten sie im
Laufe der fünfjährigen Legislaturperiode des erstmals am 1. Juli
zusammentretenden Europaparlaments zwischen zwanzig und dreißig
Millionen Euro Mittelzuwendungen einstreichen können. Allerdings
ist eine Fraktionsbildung auch noch zu einem späteren Zeitpunkt
möglich, nur werden dann die Vorsitzposten in den fachlichen
Ausschüssen des Europaparlaments – welche die Fraktionen unter
sich aufteilen, ohne die fraktionslosen Abgeordneten – bereits
vergeben sein. Unterdessen erklärt Marine Le Pen,
„in einer Woche oder
einem Monat oder zwei“
werde ihre Fraktion schon noch entstehen.
Dies mag allerdings auch nur eine optimistisch klingende
Pflichtübung darstellen.
Gescheitert ist die
Fraktionsbildung letztlich an der Anzahl der vertretenen Länder,
nicht an jener der erforderlichen Mandate. An Sitzen hätte es
mindestens 25 gebraucht, und allein der französische FN hielt
ihrer ursprünglich 24. Nach dem Abgang der in Westfrankreich
gewählten Europaparlamentarierin Joëlle Bergeron, die laut
Auffassung ihrer Partei zu moderate Standpunkte vertrat – sie
wollte das kommunale Wahlrecht für Ausländer nicht ausschließen
- und vom FN vergeblich zur Rückgabe ihres Mandats aufgefordert
wurde, blieben ihrer 23 übrig. Doch nach den Statuten des
Europäischen Parlaments muss eine Fraktion ferner aus
Abgeordneten aus mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten,
also sieben Ländern, bestehen.
Zwei Länder zu
wenig
Dabei bekamen der
französische FN und die niederländische PVV bekamen zusammen mit
ihren Verbündeten – der österreichischen FPÖ, der italienischen
Lega Nord und dem belgischen Vlaams Belang – nur die Vertreter
von fünf Staaten beisammen. Ursprünglich hatten sie sieben
Parteien aus verschiedenen Ländern beisammen. Aber die
„Slowakische Nationalpartei“ (SNS) von Ivan Gasparovic schaffte
am 25. Mai dieses Jahres den Wiedereinzug ins Europaparlament
nicht, mit einem Stimmenanteil von 3,6 P Prozent gegenüber 5,6
Prozent bei der letzten Wahl im Jahr 2009. Damals hatte sie
einen Sitz erringen können.
Ferner zogen die „Schwedendemokraten“ (SD),
die der Allianz von Marine Le Pen und Geert Wilders bis dahin
angehörten, sich nach der Europaparlamentswahl doch aus ihr
zurück. Die bei ihrer Gründung 1988 ursprünglich klar
neonazistisch ausgerichtete Partei versucht sich heute „gemäßigt“
zu geben. Und am 14. September dieses Jahres möchte sie bei den
Parlamentswahlen in Schweden gerne ihren Stimmenanteil ausbauen.
Deswegen wollten die SD es sich bei den Wählerinnen und Wählern
nicht verscherzen, indem sie sich mit Neofaschisten anderer
Länder verbündeten.
Als Reaktion auf den
Verlust zweier Bündnispartner versuchte Marine Le Pen, neue
potenzielle Fraktionsmitglieder an Land zu ziehen. Dazu zählte
die litauische Partei „Ordnung und Gerechtigkeit“ (TT), doch
diese verbündete sich letztlich lieber mit dem
rechtsbürgerlichen britischen Nationalisten Nigel Farage von der
„Unabhängigkeitspartei des Vereinigten Königreichs“ (UKIP). Bei
einem anderen eventuellen Alliierten legte der Holländer Geert
Wilders sein Veto ein: Der Chef des polnischen „Kongresses der
Neuen Rechten“ (KPN), der 72jährige Janus Korwin-Mikke, erschien
ihm zu offen antisemitisch. Korwin-Mikke hatte unter anderem
erklärt, würde Adolf Hitler heute ein Prozess gemacht, „müsste
man ihn freisprechen“.
Dem britischen Nationalisten Nigel Farag
gelang es unterdessen am Donnerstag der vergangenen Woche, den
19. Juni 14, eine eigene Fraktion im künftigen Europaparlament
zu präsentieren. Diese konnte mit Abgeordneten aus den
erforderlichen sieben Mitgliedsländern der EU gebildet werden,
unter ihnen die bei FN und FÖP abtrünnig gewordenen
„Schwedendemokraten“ sowie die vom FN verstoßene Abgeordnete
Joëlle Bergeron. Hinzu kommt unter anderem die
„Fünf-Sterne-Bewegung“ des italienischen Politclowns Beppe
Grillo.
Jean-Marie Le Pens antisemitische
Ausfälle: Rückfall oder kalkulierte Absicht?
Erschwert worden waren die Gespräche in
Brüssel und Strasbourg für Marine Le Pen wohl auch durch jüngste
Ausfälle ihres Vaters, des historischen Gründers des Front
National, Jean-Marie Le Pen. Der seit dem vergangenen Freitag,
den 20. Juni nunmehr 86jährige war bislang in seiner Partei für
die rassistischen oder antisemitischen Ausfälle zuständig, seine
Tochter und Nachfolgerin im Parteivorsitz – Marine Le Pen –
hingegen für die „respektable“ Außenfassade. Seit ihrem Antritt
als Vorsitzende im Januar 2011 distanzierte die Partei sich
offiziell von jeglichem offenen Antisemitismus. Unter ihrem
Vater als Parteichef war hingegen Antisemitismus im Subtext
sichtlich präsent. Jean-Marie Le Pen vertritt bis heute die
These, würde „der FN zu nett“, werde er langweilige und
„interessiere niemanden“, deswegen müsse man ab und zu
eine zünftige Polemik unterhalten. Eine Zeit lang konnten beide
Linien sozusagen arbeitsteilig nebeneinander her existieren,
aber jetzt scheint diese Doppelstrategie an ihre Grenzen zu stoßen.
Am 06 Juni publizierte Jean-Marie Le Pen eine
seiner berüchtigten Videobotschaften im Internet. Dieses Mal
schlug er übermäßig über die Stränge. Über den FN-kritischen
Sänger Patrick Bruel – er hatte kürzlich erklärt, nicht in
rechtsextrem regierten Kommunen auftreten zu wollen - und andere
Opponenten seiner Partei äußerte er : „Beim nächsten Mal
machen wir ,une fournée’ mit denen.“ Dies bedeutet wörtlich
so viel wie „eine Ofenladung, eine Ofenfüllung“, auch
wenn dem Ausdruck ebenfalls eine übertragene Bedeutung zukommt,
im Sinne von „mehrere auf einen Streich erledigen“, oder
aber auch im Sinne von „mehrere Leute in einem Aufwasch
abhandeln“. Obwohl der Ausdruck also unterschiedlich
ausgelegt werden kann, muss zumindest zwingend angenommen
werden, dass Jean-Marie Le Pen bewusst und in voller Absicht mit
dieser Doppeldeutigkeit spielte.Die jüdische Herkunft Bruels ist
allgemein bekannt, und vor diesem Hintergrund war die Anspielung
auf die Verbrennungsöfen in den NS-Vernichtungslagern nur allzu
offenkundig. Le Pen senior hatte bereits am 02. September 1988
sein berüchtigtes Wortspiel „durafour-crématoire“
gestartet: Michel Durafour war der Name eines jüdischstämmigen
liberalen Ministers, und four-crématoire
bedeutet „Verbrennungsofen“.
Dieses Mal wurde es auch einigen Parteioberen
zu viel, und die Polemik unter Parteifunktionären dazu hielt
nahezu das gesamte Pfingstwochenende über an, während das
fragliche Video schon am Pfingstsamstag eilig wieder aus dem
Netz genommen wurde. Die amtierende Chefin Marine Le Pen sprach
von einer „politischen Verfehlung“ – allerdings nicht
aufgrund von Antisemitismus, sondern weil ihr Vater die
angeblich böswillige Interpretation des Ausspruchs durch seine
Gegner „nicht vorausgesehen hat“.
Die Kritik gilt also mindestens ebenso sehr den Gegner/inne/n
der extremen Rechten, und ihr Vater – ein uralter Hase in der
Politik, bereits 1956 war er Abgeordneter, und mit allen Wassern
gewaschen – wird von ihr als vermeintlich überlistetes Opfer
dargestellt.
Ihr Vizevorsitzender und Lebensgefährte Louis
Aliot sprach von einer „Dummheit“ und bezeichnete
Jean-Marie Le Pens Ausspruch als „konsternierend“.
Seinerseits riet der parteilose aber für den FN gewählte
Parlamentsabgeordnete Gilbert Collard dem Alten, nun endlich
„in Rente zu gehen“.
Jean-Marie Le Pen giftete zurück, die
böswillige Auslegung seines Ausspruchs aus den eigenen Reihen
sei „ein bisschen Verrat“, und seine Kritiker seien
dämlich. Gilbert Collard riet er, „zwei Konsonanten an seinem
Familiennamen zu ändern“, also indirekt, sich fortan
Connard‘ (Idiot, Depp, Dummkopf)
zu nennen.
Unterdessen ergab eine
Umfrage, dass inzwischen 91 % der Französinnen und Franzosen
eine negative Meinung von Jean-Marie Le Pen haben, und 81 %
sowie 74 % der Anhänger/innen des Front National ihn heute als
„Klotz am Bein“ seiner eigenen Partei betrachten. Demnach wären
45 Prozent (!) der befragten Französinnen grundsätzlich bereit,
für den Front National zu stimmen. Aber 43 % erklären demnach,
sich der Tochter Marine Le Pen nahe zu fühlen, nur 02 % ihrem
Vater Jean-Marie Le Pen.
Ungewöhnliches
von rechtsextremer Seite zum Bahnstreik
Unterdessen beschreitet der Front National
einmal mehr ungewöhnliche, von der rechtsextremen Partei
jedenfalls nicht erwartete Wege. Beim jüngsten Eisenbahnerstreik
in Frankreich (vom 10. Juni bis 22. Juni 14) ging die Partei
strategisch klug vor: Der Front National konnte zwar unmöglich
die Gewerkschaften CGT und SUD und ihren Streik unterstützen und
erklärte auch, den – durch die Medien eifrig geschürten - Unmut
vieler Leute über den Transportstreik zu verstehen. Dabei wendet
er den Zorn aber nicht gegen die Beschäftigten, sondern gegen
die Europäische Union, die an allem schuld sei und die
Bahnreform erzwinge. Im gleichen Atemzug versucht die extreme
Rechte, die Gewerkschaften zu umgehen, indem sie sich formal
radikaler gibt als jene – innerhalb der Bahngesellschaft SNCF
seien die Gewerkschaften „Komplizen“ der Direktion -, um
zur Bildung von „Komitees zur Verteidigung des öffentlichen
Diensts“ aufzurufen. Dies wäre
natürlich ausgesprochen zweischneidig, denn solcherlei Komitees
würden sich bei Bedarf gegen Regierungspläne und gegen eine
Zerschlagung der Bahn mobilisieren lassen, aber ebenfalls bei
Bedarf gegen Streiks als „Bedrohung für die Dienstleistung“.
Die Gewerkschaften haben auf dieser Flanke
einen neuen Feind gefunden, der im Gegensatz zu den anderen
jedoch nicht ihre angeblich „Unnachgiebigkeit“ anprangert,
sondern sie verbal zu übertrumpfen sucht. Am vergangenen
Mittwoch bekundete FN-Vizepräsident Florian Philippot
unterdessen im Radio „Unterstützung“ und „Verständnis“
für die streikenden Eisenbahner/innen, auch wenn er sich von
einigen „berufsgruppenegoistischen Forderungen, die es
sicherlich gibt“ abgrenzen möge. Er wandte sich sogar gegen
Angriffe auf Streikrecht - auch wenn das Programm seiner Partei
ausdrücklich das Streikrecht auf eine Ultima ratio-Logik
einschränken und eingrenzen möchte -, welches „ein durch die
Verfassung garantiertes Recht“ darstelle, und dagegen,
„von vornherein eine soziale Bewegung zu kriminalisieren“.
Auch die extreme Rechte hat Geschmeidigkeit erlernt.
Aktueller Nachtrag:
Infolge des
Scheiterns der Fraktionsbildung hat Geert Wilders von der
niederländischen PVV am Dienstag auf die Ausübung seines Mandats
im Europaparlament verzichtet. Am Donnerstag wurde bekannt, dass
der ungarische Jobbik-Chef Gabor Vona - mit dessen Partei sich
weder Marine Le Pen noch Wilders hatten verbünden wollen - in
einem Interview mit einer ungarischen Zeitung erklärte: « Jobbik
verbündet sich nicht aus rein finanziellen Gründen mit
zionistischen Parteien wie dem Front National und der FPÖ. »
Editorische Hinweise
Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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