Keine Allianz fürs Leben
Die Fraktionsbildung der Rechtsextremen im Europaparlament ist gescheitert

von Bernard Schmid

07-2014

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Natürlich ist das eine Enttäuschung, weil wir viel gekämpft haben.“ So reagierte Marine Le Pen, Chefin des französischen Front National (FN), am Dienstag, den 24. Juni um die Mittagszeit – in den Spalten der konservativen Tageszeitung Le Figaro - auf eine Nachricht vom späten Montag Abend. Kurz vor Ablauf des Stichdatums um Mitternacht war bekannt geworden, dass es keine rechtsextreme Fraktion im Europaparlament rund um Le Pen und um Geert Wilders von der niederländischen „Partei für die Freiheit“ (¨PVV) geben wird. Bis zu diesem Zeitpunkt wäre die Bildung einer Fraktion für die konstituierende Sitzung des Europaparlaments möglich gewesen.

Wäre ihnen diese gelungen, hätten sie im Laufe der fünfjährigen Legislaturperiode des erstmals am 1. Juli zusammentretenden Europaparlaments zwischen zwanzig und dreißig Millionen Euro Mittelzuwendungen einstreichen können. Allerdings ist eine Fraktionsbildung auch noch zu einem späteren Zeitpunkt möglich, nur werden dann die Vorsitzposten in den fachlichen Ausschüssen des Europaparlaments – welche die Fraktionen unter sich aufteilen, ohne die fraktionslosen Abgeordneten – bereits vergeben sein. Unterdessen erklärt Marine Le Pen, „in einer Woche oder einem Monat oder zwei“ werde ihre Fraktion schon noch entstehen. Dies mag allerdings auch nur eine optimistisch klingende Pflichtübung darstellen.

Gescheitert ist die Fraktionsbildung letztlich an der Anzahl der vertretenen Länder, nicht an jener der erforderlichen Mandate. An Sitzen hätte es mindestens 25 gebraucht, und allein der französische FN hielt ihrer ursprünglich 24. Nach dem Abgang der in Westfrankreich gewählten Europaparlamentarierin Joëlle Bergeron, die laut Auffassung ihrer Partei zu moderate Standpunkte vertrat – sie wollte das kommunale Wahlrecht für Ausländer nicht ausschließen - und vom FN vergeblich zur Rückgabe ihres Mandats aufgefordert wurde, blieben ihrer 23 übrig. Doch nach den Statuten des Europäischen Parlaments muss eine Fraktion ferner aus Abgeordneten aus mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten, also sieben Ländern, bestehen.

Zwei Länder zu wenig

Dabei bekamen der französische FN und die niederländische PVV bekamen zusammen mit ihren Verbündeten – der österreichischen FPÖ, der italienischen Lega Nord und dem belgischen Vlaams Belang – nur die Vertreter von fünf Staaten beisammen. Ursprünglich hatten sie sieben Parteien aus verschiedenen Ländern beisammen. Aber die „Slowakische Nationalpartei“ (SNS) von Ivan Gasparovic schaffte am 25. Mai dieses Jahres den Wiedereinzug ins Europaparlament nicht, mit einem Stimmenanteil von 3,6 P Prozent gegenüber 5,6 Prozent bei der letzten Wahl im Jahr 2009. Damals hatte sie einen Sitz erringen können.

Ferner zogen die „Schwedendemokraten“ (SD), die der Allianz von Marine Le Pen und Geert Wilders bis dahin angehörten, sich nach der Europaparlamentswahl doch aus ihr zurück. Die bei ihrer Gründung 1988 ursprünglich klar neonazistisch ausgerichtete Partei versucht sich heute „gemäßigt“ zu geben. Und am 14. September dieses Jahres möchte sie bei den Parlamentswahlen in Schweden gerne ihren Stimmenanteil ausbauen. Deswegen wollten die SD es sich bei den Wählerinnen und Wählern nicht verscherzen, indem sie sich mit Neofaschisten anderer Länder verbündeten.

Als Reaktion auf den Verlust zweier Bündnispartner versuchte Marine Le Pen, neue potenzielle Fraktionsmitglieder an Land zu ziehen. Dazu zählte die litauische Partei „Ordnung und Gerechtigkeit“ (TT), doch diese verbündete sich letztlich lieber mit dem rechtsbürgerlichen britischen Nationalisten Nigel Farage von der „Unabhängigkeitspartei des Vereinigten Königreichs“ (UKIP). Bei einem anderen eventuellen Alliierten legte der Holländer Geert Wilders sein Veto ein: Der Chef des polnischen „Kongresses der Neuen Rechten“ (KPN), der 72jährige Janus Korwin-Mikke, erschien ihm zu offen antisemitisch. Korwin-Mikke hatte unter anderem erklärt, würde Adolf Hitler heute ein Prozess gemacht, „müsste man ihn freisprechen“.

Dem britischen Nationalisten Nigel Farag gelang es unterdessen am Donnerstag der vergangenen Woche, den 19. Juni 14, eine eigene Fraktion im künftigen Europaparlament zu präsentieren. Diese konnte mit Abgeordneten aus den erforderlichen sieben Mitgliedsländern der EU gebildet werden, unter ihnen die bei FN und FÖP abtrünnig gewordenen „Schwedendemokraten“ sowie die vom FN verstoßene Abgeordnete Joëlle Bergeron. Hinzu kommt unter anderem die „Fünf-Sterne-Bewegung“ des italienischen Politclowns Beppe Grillo.

Jean-Marie Le Pens antisemitische Ausfälle: Rückfall oder kalkulierte Absicht?

Erschwert worden waren die Gespräche in Brüssel und Strasbourg für Marine Le Pen wohl auch durch jüngste Ausfälle ihres Vaters, des historischen Gründers des Front National, Jean-Marie Le Pen. Der seit dem vergangenen Freitag, den 20. Juni nunmehr 86jährige war bislang in seiner Partei für die rassistischen oder antisemitischen Ausfälle zuständig, seine Tochter und Nachfolgerin im Parteivorsitz – Marine Le Pen – hingegen für die „respektable“ Außenfassade. Seit ihrem Antritt als Vorsitzende im Januar 2011 distanzierte die Partei sich offiziell von jeglichem offenen Antisemitismus. Unter ihrem Vater als Parteichef war hingegen Antisemitismus im Subtext sichtlich präsent. Jean-Marie Le Pen vertritt bis heute die These, würde „der FN zu nett“, werde er langweilige und „interessiere niemanden“, deswegen müsse man ab und zu eine zünftige Polemik unterhalten. Eine Zeit lang konnten beide Linien sozusagen arbeitsteilig nebeneinander her existieren, aber jetzt scheint diese Doppelstrategie an ihre Grenzen zu stoßen.

Am 06 Juni publizierte Jean-Marie Le Pen eine seiner berüchtigten Videobotschaften im Internet. Dieses Mal schlug er übermäßig über die Stränge. Über den FN-kritischen Sänger Patrick Bruel – er hatte kürzlich erklärt, nicht in rechtsextrem regierten Kommunen auftreten zu wollen - und andere Opponenten seiner Partei äußerte er : „Beim nächsten Mal machen wir ,une fournée’ mit denen.“ Dies bedeutet wörtlich so viel wie „eine Ofenladung, eine Ofenfüllung“, auch wenn dem Ausdruck ebenfalls eine übertragene Bedeutung zukommt, im Sinne von „mehrere auf einen Streich erledigen“, oder aber auch im Sinne von „mehrere Leute in einem Aufwasch abhandeln“. Obwohl der Ausdruck also unterschiedlich ausgelegt werden kann, muss zumindest zwingend angenommen werden, dass Jean-Marie Le Pen bewusst und in voller Absicht mit dieser Doppeldeutigkeit spielte.Die jüdische Herkunft Bruels ist allgemein bekannt, und vor diesem Hintergrund war die Anspielung auf die Verbrennungsöfen in den NS-Vernichtungslagern nur allzu offenkundig. Le Pen senior hatte bereits am 02. September 1988 sein berüchtigtes Wortspiel „durafour-crématoire“ gestartet: Michel Durafour war der Name eines jüdischstämmigen liberalen Ministers, und four-crématoire bedeutet „Verbrennungsofen“.

Dieses Mal wurde es auch einigen Parteioberen zu viel, und die Polemik unter Parteifunktionären dazu hielt nahezu das gesamte Pfingstwochenende über an, während das fragliche Video schon am Pfingstsamstag eilig wieder aus dem Netz genommen wurde. Die amtierende Chefin Marine Le Pen sprach von einer „politischen Verfehlung“ – allerdings nicht aufgrund von Antisemitismus, sondern weil ihr Vater die angeblich böswillige Interpretation des Ausspruchs durch seine Gegner „nicht vorausgesehen hat“. Die Kritik gilt also mindestens ebenso sehr den Gegner/inne/n der extremen Rechten, und ihr Vater – ein uralter Hase in der Politik, bereits 1956 war er Abgeordneter, und mit allen Wassern gewaschen – wird von ihr als vermeintlich überlistetes Opfer dargestellt.

Ihr Vizevorsitzender und Lebensgefährte Louis Aliot sprach von einer „Dummheit“ und bezeichnete Jean-Marie Le Pens Ausspruch als „konsternierend“. Seinerseits riet der parteilose aber für den FN gewählte Parlamentsabgeordnete Gilbert Collard dem Alten, nun endlich „in Rente zu gehen“.

Jean-Marie Le Pen giftete zurück, die böswillige Auslegung seines Ausspruchs aus den eigenen Reihen sei „ein bisschen Verrat“, und seine Kritiker seien dämlich. Gilbert Collard riet er, „zwei Konsonanten an seinem Familiennamen zu ändern“, also indirekt, sich fortan Connard‘ (Idiot, Depp, Dummkopf) zu nennen.

Unterdessen ergab eine Umfrage, dass inzwischen 91 % der Französinnen und Franzosen eine negative Meinung von Jean-Marie Le Pen haben, und 81 % sowie 74 % der Anhänger/innen des Front National ihn heute als „Klotz am Bein“ seiner eigenen Partei betrachten. Demnach wären 45 Prozent (!) der befragten Französinnen grundsätzlich bereit, für den Front National zu stimmen. Aber 43 % erklären demnach, sich der Tochter Marine Le Pen nahe zu fühlen, nur 02 % ihrem Vater Jean-Marie Le Pen.

Ungewöhnliches von rechtsextremer Seite zum Bahnstreik

Unterdessen beschreitet der Front National einmal mehr ungewöhnliche, von der rechtsextremen Partei jedenfalls nicht erwartete Wege. Beim jüngsten Eisenbahnerstreik in Frankreich (vom 10. Juni bis 22. Juni 14) ging die Partei strategisch klug vor: Der Front National konnte zwar unmöglich die Gewerkschaften CGT und SUD und ihren Streik unterstützen und erklärte auch, den – durch die Medien eifrig geschürten - Unmut vieler Leute über den Transportstreik zu verstehen. Dabei wendet er den Zorn aber nicht gegen die Beschäftigten, sondern gegen die Europäische Union, die an allem schuld sei und die Bahnreform erzwinge. Im gleichen Atemzug versucht die extreme Rechte, die Gewerkschaften zu umgehen, indem sie sich formal radikaler gibt als jene – innerhalb der Bahngesellschaft SNCF seien die Gewerkschaften „Komplizen“ der Direktion -, um zur Bildung von „Komitees zur Verteidigung des öffentlichen Diensts“ aufzurufen. Dies wäre natürlich ausgesprochen zweischneidig, denn solcherlei Komitees würden sich bei Bedarf gegen Regierungspläne und gegen eine Zerschlagung der Bahn mobilisieren lassen, aber ebenfalls bei Bedarf gegen Streiks als „Bedrohung für die Dienstleistung“.

Die Gewerkschaften haben auf dieser Flanke einen neuen Feind gefunden, der im Gegensatz zu den anderen jedoch nicht ihre angeblich „Unnachgiebigkeit“ anprangert, sondern sie verbal zu übertrumpfen sucht. Am vergangenen Mittwoch bekundete FN-Vizepräsident Florian Philippot unterdessen im Radio „Unterstützung“ und „Verständnis“ für die streikenden Eisenbahner/innen, auch wenn er sich von einigen „berufsgruppenegoistischen Forderungen, die es sicherlich gibt“ abgrenzen möge. Er wandte sich sogar gegen Angriffe auf Streikrecht - auch wenn das Programm seiner Partei ausdrücklich das Streikrecht auf eine Ultima ratio-Logik einschränken und eingrenzen möchte -, welches „ein durch die Verfassung garantiertes Recht“ darstelle, und dagegen, „von vornherein eine soziale Bewegung zu kriminalisieren“. Auch die extreme Rechte hat Geschmeidigkeit erlernt.

Aktueller Nachtrag:

Infolge des Scheiterns der Fraktionsbildung hat Geert Wilders von der niederländischen PVV am Dienstag auf die Ausübung seines Mandats im Europaparlament verzichtet. Am Donnerstag wurde bekannt, dass der ungarische Jobbik-Chef Gabor Vona - mit dessen Partei sich weder Marine Le Pen noch Wilders hatten verbünden wollen - in einem Interview mit einer ungarischen Zeitung erklärte: « Jobbik verbündet sich nicht aus rein finanziellen Gründen mit zionistischen Parteien wie dem Front National und der FPÖ. »

Editorische Hinweise
Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.