Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Gegen einen US-amerikanischen Tunnelblick im Stadtteilkampf
Linkliste zum Thema Stadtteilkämpfe der 1960er und 70er Jahre in der BRD

eingeleitet und zusammengestellt von Karl-Heinz Schubert

07-2014

trend
onlinezeitung

In seinem Taschenbuch "Community Organizing"(*), der erweiterten Fassung seines kleinen Aufsatzes in "Reclaim Berlin"(**),  erwähnt Robert Maruschke die Geschichte der Stadtteilkämpfe in der BRD und trifft folgende Feststellung:

"Community Organizing hat in der BRD eine relativ kurze und selten kritische Geschichte. Es wird oftmals unter der Bezeichnung Gemeinwesenarbeit (GWA) diskutiert, einem Begriff aus der Sozialen Arbeit, der eine dritte Methode neben Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit beschreibt. Wie auch in den USA wird Community Organizing bzw. GWA in der BRD schwerpunktmäßig aus sozialpädagogischer Perspektive behandelt.
Bis in die 1960er Jahre wurde GWA als karitative Sozialtherapie verstanden. Ende der 1960er Jahre begannen Sozialarbeiter_innen und Wissenschaftler_innen sie als eine Praxis zu kritisieren, die gesellschaftliche Verwerfungen legitimiere und aufrechterhalte (Mohrlok u.a. 1993: 45). Im Zeichen erneuter Wirtschaftskrisen und diverser Protestbewegungen positionierten sich einige Vertreterinnen für eine politische, parteiische, konfliktorientierte und Selbstorganisation fordernde Form der GWA. Diese sollte bei entgegengesetzten Interessen die auftretenden Konflikte nicht schlichten, sondern sie kämpferisch austragen (ebd.). Die Forderung nahm unter anderem Bezug auf Anfang der 1930er Jahre von der KPD unternommene Versuche, in armen Stadtteilen - ähnlich der Arbeitslosenräte in den USA - Basisorganisationen aufzubauen.
Diese kämpferische Perspektive auf GWA konnte sich in den folgenden Jahrzehnten - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht durchsetzen. Die kritische Debatte innerhalb der Sozialen Arbeit ist inzwischen fest verstummt. Neben der Sozialen Arbeit setzen sich seit einigen Jahren Gewerkschaften und Parteien mit (Community) Organizing auseinander, um es für ihre Anliegen nutzbar zu machen. Weil es den Rahmen dieses Buches sprengen würde, werde ich aber weder auf die sozialarbeiterische noch auf die gewerkschaftliche Debatte näher eingehen.
Zu Community Organizing im Sinne einer ausdrücklich politischen, emanzipatorischen Intervention in die und aus der Nachbarschaft gibt es fast keine kritische deutschsprachige Literatur.(15)" (S. 73 - Unterstreichungen von mir)

Und in der dazugehörigen Fußnote 15 heißt es:

"Die Ausnahmen sind - wie in der Einleitung erwähnt - Kaindl/Rilling (2011); Mohrlock u.a. (1993); Rothschuh (2013)." (ebd.)

*) Robert Maruschke: Community Organizing
Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung
Eine kritische Einführung

1. Auflage 2014 ISBN 978-3-942885-58-4
© edition assemblage Postfach 27 46 D-48014 Münster
info@edition-assemblage.de | www.edition-assemblage.de

**) Robert Maruschke: Community Organizing
Zwischen  Bürgerplattform und revolutionärer Perspektive
(2012) in:
Handrej Holm (Hg.) Reclaim Berlin, Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt, Assoziation A, , Hamburg 2014

US-amerikanischer Tunnelblick

Solch ein ignoranter Umgang mit der Geschichte der hießigen sozialen Kämpfe ist mehr als peinlich. Schriften zu Stadtteilarbeit/-kämpfen der 1960er und 70er Jahre könnten meterlang Regale füllen - unvergessen die Reihe Erziehung und Klassenkampf, plus einschlägiger Veröffentlichungen in ProKla, Kursbuch, SoPo usw. usf. Auch die zahllosen Veröffentlichungen aus der K-Gruppen-Bewegung gehören dazu. Das komplette KBW-Archiv wäre für den in Berlin lebenden "Politikwissenschaftler und Aktivisten" Maruschke ein Leichtes gewesen in der FU Berlin einzusehen. In solche Bemühungen wollte sich Maruschke offensichtlich nicht stürzen.

Der Tunnelblick des Autors auf den US-amerikanischen Kontext sozialer Auseinandersetzungen unter gezielter Ausblendung der Geschichte der hießigen Kämpfe werden leider schon seit längerem im linken Spektrum für das strategische Non plus ultra einer zeitnössischen linken Stadtteilpolitik gehalten.  Das drückt sich nicht nur darin aus, dass dieser Text überhaupt einen linken Verlag finden konnte, sondern exemplarisch auch in einem Veranstaltungsbericht mit Maruschke zu seinem Buch.

Die nachfolgende Linkliste, eine Auswahl der bei "Infopartisan" veröffentlichten Texte, soll einen ersten Überblick über Inhalte, Organisationsformen und transformative Ansprüche der linken bundesrepublikanischen und westberliner Stadtteilbewegung der 1960er/70er Jahre geben, die eben nicht das Produkt - wie von Maruschke behauptet wird - von linker Gemeinwesenarbeit engagierter Sozialarbeiter war, sondern Ausdruck des selbstorganisierten Kampfes der Betroffenen. Sie versteht sich auch als ein Beitrag, der die Kämpfe der proletarischen Klasse in den Mittelpunkt stellt und zum entsprechenden Weiterrecherchieren im Netz (und anderswo) animiert.

Texte bei Infopartisan.net

Stadteilkämpfe der 1960er und 70er Jahre in der BRD

.... und anderswo

Außerdem sehr materialreich und daher empfehlenswert