Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Szenen aus der westberliner BesetzerInnenbewegung
Leseauzug aus: Von Haus zu Haus - Berliner Bewegungsstudien

von Benny Härlin

07-2013

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24. März 1981

»Aufstehen, das Fraenkelufer wird geräumt!« Es ist 7 Uhr morgens, die ganze Besetzerbande des Hauses Potsdamer Straße 130 ist in Aufruhr. Um halb 8 sind wir am Fraenkelufer in Kreuzberg. Ungefrühstückt, mit verklebten Augen sehen wir uns den Polizeiketten gegenüber, die die Gegend rund um die drei besetzten Häuser weiträumig abgesperrt haben. Ohnmächtig, wütend, hilflos umschleichen fröstelnd 500 über Telefonkette Alarmierte den Ort des Geschehens, versuchen, wenigstens einen Blick zu erhäschen auf das, was sich direkt vor den Häusern abspielt. Wir stehen in kleinen Gruppen, reden gedämpft über die »Scheiße, die da abgeht« und »die Bullenschweine - diesmal sogar mit Hunden«, begrüßen Bekannte. Es ist aussichtslos, sich im Moment auch nur auf ein Scharmützel mit ihnen einzulassen.

Am nächsten Morgen steht in den Zeitungen, was passierte: 850 Polizisten, Räumtrupps, Panzerwagen, Wasserwerfer, Sondereinsatz-Kommandos (SEK) waren vor den drei besetzten Häusern am Fraenkelufer 46-50 aufgefahren. 26 Besetzer wurden widerstandslos aus den Häusern geschleift, nachdem eine auf einen Caterpillar montierte Ramme die Türen eingedrückt hatte. Das ganze war als staatsanwaltliche Durchsuchung deklariert. Die Besetzer hätten Steine auf vorbeifahrende Polizeifahrzeuge geworfen, Baumaterial gestohlen und eine kriminelle Vereinigung (§ 129) gebildet. Als dann »zufällig« Beauftragte und Bauarbeiter der Hauseigentümerin (GSW, städtischer Sanierungsträger) auftauchten, übergab der Staatsanwalt ihnen die Schlüssel. Die Habseligkeiten der Besetzer transportierte die Polizei »zu ihrem Schütze« ab. Als der Großteil der Besetzer nach erkennungsdienstlicher Behandlung von der Polizei wieder entlassen worden war, hatten die Bautrupps bereits die Fenster ausgehängt, die Räume vollends unbewohnbar gemacht, Eingänge und Fenster vermauert. Ein Besetzer blieb in Haft. Die Ermittlungsverfahren gegen alle 26 laufen noch. Vielen Besetzern wurde an diesem Tag deutlich vor Augen geführt: »Wir können jedes Haus räumen, wenn wir wollen.«

»Um fünf am Görlitzer Bahnhof« heißt die Parole am Kotti, dem Kottbusser Tor, wo wir uns langsam sammeln, um dann in die U-Bahn zu steigen und die Kunde nach Hause zu tragen. Beim Frühstück diskutieren wir über die Räumung und Aktionen am Abend. Ein paar kommen vom Schöneberger Besetzerrat. Sie wollen das Kreisbüro der Zehlendorfer SPD besetzen. Ich fahre mit, als Lokalreporter der Tageszeitung.

Die beiden Mittvierziger im SPD-Büro sind überfordert. Eine ältere Dame von der Arbeiterwohlfahrt hatte sich gleich in ihrem Büro eingesperrt, als die »Chaoten« kamen. Die hatten in der Eile das Transparent verwechselt: »Solidarität mit den Hungerstreikenden« steht nun auf dem Laken, das sie zum Fenster raushängen. »Ist ja auch nicht falsch«, meint einer, den ich noch aus Soziologie-Seminaren kenne. Der Bürovorsteher telefoniert hektisch mit der Zentrale. Was die Besetzer denn überhaupt wollten, will man dort wissen. Die 30 sind sich nicht so sicher. »Protestieren gegen die Räumung« natürlich, aber jetzt konkret? Nach kurzer Diskussion einigen sie sich darauf, mit einem »verantwortlichen Politiker« sprechen und eine Pressekonferenz abhalten zu wollen. Eine kurze Erklärung wird an dpa durchtelefoniert. Im Sitzungsraum wird die Ahnengalerie sozialdemokratischer Bürgermeister blau und rot besprüht. Auch Heinrich Albertz bleibt nicht verschont. Man raucht HB, die der Bürovorsteher als Zeichen seiner Dialogbereitschaft verteilt, und liest nochmals die eigene Erklärung durch, die er freundlicherweise kopiert hat.

»Die Bullen kommen!« Vor der Tür steht der wenige Wochen zuvor wegen des Garski-Skandals geschaßte Ex-Senator Riebschläger mit etwa 200 Polizisten im Kampfanzug. Nach seinem Rücktritt ist er in den Vorstand der landeseigenen Wohnungsbaukreditanstalt zurückgekehrt, wo er jetzt noch mehr verdient als im Rathaus. Wütend zerknüllt er das Transparent. Wenn die Besetzer nicht in zehn Minuten verschwunden seien, werde geräumt und festgenommen. »Ohne deine Zigarre glauben wir dir gar nix!« rufen die Besetzer aus dem Fenster. Doch die Stimmung ist nicht nach Heldentod. Tücher und Plastiktüten werden vor's Gesicht gebunden, und singend zieht der Trupp von dannen. »Geht doch zurück nach Westdeutschland, wo ihr herkommt!« ruft ihnen ein aufgebrachter Sozialdemokrat hinterher.

Im Rathaus Kreuzberg das gleiche Bild. Zwanzig Freaks und Punks im großen Sitzungssaal. Sie fordern: »Hier und jetzt eine ganze Abendschausendung der Besetzer für die Bevölkerung.« Etwa 300 Polizisten haben das Haus umstellt. Der Bürgermeister Schulz ist nervös und zu keinerlei Diskussion bereit: »Drei Minuten, meine Herren, sonst lasse ich räumen!« Der Abschnittleiter Schulze, der den Polizeieinsatz leitet, nimmt den Fall gelassener: »Seid doch vernünftig, Jungs. Euren Spaß habt ihr gehabt, nun geht mal wieder nach Hause!« Er kennt viele der Besetzer bereits von anderen Zusammentreffen. Vor dem Rathaus werden die Abziehenden von der Presse empfangen. Sie stellen sich vor der Kamera in Pose und verlesen eine Protesterklärung. »Das gibts doch nicht, das gibts doch gar nicht«, zischt einer der Polizisten, der unfreiwillig als Kulisse für den Auftritt dient, und schlägt wütend den Knüppel in die Hand.

Auch in Tiergarten und Neukölln werden die Rathäuser von »alternativen Durchsuchungen« heimgesucht.

Gegen 17 Uhr sammeln sich zwei- bis dreitausend am Görlitzer Bahnhof. Ein bunter Haufe: manche ganz in schwarz, mit Helm und Lederjacke, Tuch vor dem Gesicht, daneben eine Frau mit einem Baby auf dem Arm, bunt geschminkte Gesichter. Transparente sind keine zu sehen. Wir haken uns unter, laufen dicht gedrängt, links und rechts von Polizeiketten eingezwängt. »Eins, zwei, drei, laßt die Leute frei!« und »Bullen verpißt euch, keiner vermißt euch!« Neue phantasievolle Parolen kommen heute nicht auf. Die Stimmung ist aggressiv. Eine Musik-Kombo spielt: »Ge-ge-ge gegen Spekulanten, ge-ge-ge gegen die Banken. . .« Auch bei den Polizisten löst die Musik ein wenig die Spannung; sie lächeln halb spöttisch, halb erleichtert. Zwischendurch rennt der Demonstrationszug immer wieder ein Stück: »Hopp, hopp, hopp!« rufen wir den Polizisten zu, die mitrennen müssen. Aus den besetzten Häusern am Rande der Strecke dröhnt laute Musik von Ton Steine Scherben. Aber nicht nur aus besetzten Häusern winken uns Leute zu. In der Gneisenaustraße, nach einer guten Stunde Marsch, gibt es die ersten Rempeleien, die Blicke werden entschlossener. Es ist dunkel geworden.

Plötzlich bricht ein Polizist zusammen, er blutet. Wie es dazu kam, wurde nie geklärt. Die Polizeiversion lautet, ein Demonstrant habe unvermittelt mit einem Besenstiel auf den Behelmten eingeschlagen. Die wahrscheinlichere Version ist, daß der Polizist beim Rennen schlicht einen Baum übersehen hatte, an dem er dann niedersank. Wie auch immer, es war der Funke im Pulverfaß. Die Polizei geht zum Angriff über, prügelt wild mit ihren langen Holzknüppeln auf die dicht gedrängten Demonstranten ein. Panik bricht aus. Steine fliegen. Verletzte liegen am Boden, oft umringt von einer Gruppe Polizisten, die auf die am Boden Liegenden einschlagen. Die Leute flüchten in Hauseingänge und Hinterhöfe, Tränengasschwaden wehen die Straße herunter. Eine von Gästen und Flüchtenden völlig überfüllte Kneipe wird gestürmt, einzelne werden weggeschleppt. In Hofeinfahrten werden Verletzte, meist mit blutenden Köpfen, notdürftig verarztet und getröstet. Sirenen und Blaulicht verbreiten eine nervöse Hektik, durch ein Megafon heißt es immer wieder: »Bitte räumen Sie die Straße!« Aber keiner weiß wohin, überall knüppelnde Polizeihorden. In kleinen Gruppen schlagen sie auf einzelne ein. Wenn sie auf die Demonstranten zustürmen, trommeln sie mit ihren Knüppeln auf die Plexiglas-Schilde.

Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Die Kontrahenten lecken ihre Wunden. Derartige Angriffe auf geschlossene Demonstrantengruppen sind selten. Beide Seiten fürchten sie wegen der hohen Verluste.

In der Nacht haben die Besetzer die Auseinandersetzung in der Hand. Kleine Gruppen an verschiedenen Kreuzungen der Gneisenaustraße blockieren immer wieder den Verkehr, indem sie sich einfach auf die Straße stellen. Es bilden sich lange, hupende Autoschlangen, bis zehn Polizeiwannen auf der Kreuzung auftauchen. Wenn die Polizisten aus den Fahrzeugen springen, rennen die Demonstranten davon. Die nachstürmenden Polizisten müssen immer wieder vor Pflastersteinen in Deckung gehen. Kaum haben sie die Kreuzung freigemacht und sich wieder zurückgezogen, beginnt das Spielchen von neuem. Vielleicht zwanzigmal an diesem lauen Abend.

Die Stimmung auf der Straße ist bestens. Fast wie eine Stehparty, ich treffe Krethi und Plethi: die Leute aus meinem Haus, Kollegen von anderen Zeitungen und vom SFB. Letzterem wirft später ein Bulle mit voller Wucht einen Stein in die Eier. Eine /o-Jährige beschimpft die vorbeihastenden Polizisten: »Geht nach Hause, ihr Senatskosaken!« Die Besucher einer Pizzeria an der Ecke registrieren aufmerksam die Treffer auf beiden Seiten. Ihre Favoriten sind an diesem Abend die Besetzer. Mittendurch fährt ein bärtiger Mittdreißiger mit einem Schild auf dem Autodach: »Wer Gewalt lehrt, wird Gewalt ernten - die Grünen: gewaltfrei, sozial, ökologisch.« Alle lachen über den »Spinner«. Ein Sympathisant aus dem Süden versteht die Welt nicht mehr: man hatte ihn in seinem Lodenmantel für einen »Zivi« gehalten. Drei 14-Jährige sitzen auf dem Mittelstreifen, vielleicht zehn Meter von den soeben aufgefahrenen Einsatzwagen entfernt, zünden sich einen Joint an, ihre Augen glänzen: »Geile action heut abend, wa«, ich darf auch mal ziehen. Dann klopfen die Bullen wieder auf ihre Schilde, die drei flitzen davon. Ein Polizist schliddert bäuchlings auf mich zu. Er hat den Randstein übersehen und schaut mich verzweifelt an. Er ist vielleicht neunzehn, er tut mir leid.

Ein junges Mädchen hat mittlerweile schon wieder die Autos gestoppt, Türkenkinder springen lachend um einen Besoffenen herum, der auf die Autos zutorkelt. Ein Punk mit Irokesenschnitt geht nach Hause: »Langsam wird's langweilig«, erklärt er mir in reinstem Sächsisch. Gegen halb eins lohnt es sich nicht mehr: kaum noch Autos. Die Szene verlagert sich langsam in die anliegenden Kneipen. Wir trinken noch ein Bier in der »Osteria«. Die Spontikneipe ist brechend voll. Jeder erzählt einen Schwank vom Abend. Johann hat eins auf den Kopf bekommen, den Presseausweis haben ihm die Polizisten einfach aus der Hand geschlagen. Als sich sein Begleiter, den sie ebenfalls in die Mangel nahmen, als Pressereferent der Polizei ausweist, steht die Kohorte stramm. Wir lachen, nehmen abwechselnd Benedict in den Arm, den es heute gleich zweimal erwischt hat. Das TMZ-Interview mit Innensenator Dahrendorf am nächsten Morgen werden wir absagen - zur »Strafe« für das, was er sich heute geleistet hat.

»Jetzt reichts«, meint ein schmächtiges Mädchen neben mir, »jetzt gibts einfach nur noch Putz!«

Günter von den »Drei Tornados« hat einen neuen Spruch erfunden: »After action - satisfaction!«

Bei den Auseinandersetzungen an diesem Tag wurden etwa 150 Demonstranten und Passanten verletzt. Am häufigsten waren Kopfplatzwunden, Gehirnerschütterungen, Schürfungen und Prellungen, aber auch Arm- und Kieferbrüche. Auch die Polizei meldete 56 Verletzte, von denen jedoch nur drei ambulant behandelt werden mußten. Von den 19 Festgenommenen in dieser Nacht blieben fünf in Haft.

In sämtlichen Stadtteilen gingen in der Nacht Scheiben von Banken, Kaufhäusern und anderen Geschäften zu Bruch.

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Im Besetzerrat

Früher fand der Besetzerrat immer in dem zuletzt besetzten Haus statt. Aber irgendwann, als praktisch täglich ein neues Haus besetzt wurde, ging der Überblick verloren. Seither tagt man jeden Sonntag um 5 im »Kukuck«, dem »Kunst und Kultur Centrum Kreuzberg«. Das riesige Haus aus der Gründerzeit steht zwischen Neubauten und den Ruinen des Anhalter Bahnhofs, als hätten Krieg und Sanierung nur vergessen, es abzuholen. Gegenüber, wo heute das »Autodrom« für 20 Mark die Stunde Fahren ohne Führerschein anbietet, war einst das Hauptquartier der Gestapo. 300 Meter weiter ist der Checkpoint Charlie, und wieder 300 Meter weiter prangt Springers trotziges Hochhaus an der Mauer, um den Brüdern und Schwestern im Osten von unserer Freiheit zu künden.

Auf der Straße vor dem Eingang zum »Kukuck« steht: »Sag nein zum Salat!« und »Freizeit für alle!« Die 30 Meter hohe Brandmauer des Gebäudes ist neuerdings bunt bemalt: Drei Anarcho-Männchen mit schwarzen Kapuzen wärmen sich, teuflisch lachend, an einem Feuer, in dem sie die zu ihnen passenden runden Bomben schmieden und aus dem Blasen mit Anti-AKW-Zeichen, dem unvermeidlichen A im Kreis und anderen Symbolen des Widerstands aufsteigen. Über ihnen ragt ein Baum, der nach oben als Besetzerblitz im Kreis noch über das Dach des Hauses hinausschießt. Die Farbe für diese Anarcho-Idylle hat übrigens das »Netzwerk« bezahlt, und das Gerüst für das Werk lieferte der »Kommunistische Bund Westdeutschlands«. Jetzt lachen die drei Anarchisten jedenfalls über den Platz, der einstmals zu den nobelsten in ganz Europa gehörte. Und wenn sie wieder übermalt werden sollten, wird das mehr auffallen, als daß man die Bewohner des Hauses rausgetragen hat.

Im vierten Stock des dritten Quergebäudes haben sich knapp 200 Freaks und Punks auf dem Linoleumboden eines völlig kahlen Raumes niedergelassen, um Rat zu halten. Das oberste Organ einer Bewegung, die seit über einem halben Jahr die Stadt in Atem hält, stellt man sich möglicherweise etwas anders vor.

Babygeschrei übertönt das Stimmengewirr, Hunde bellen, die Luft ist trüb vom Zigarettenqualm. Eine Tagesordnung gibt es nicht. Irgendwann fängt einer mit irgendwas an. »Halt doch mal das Maul da hinten!« - »Lauter, man versteht hier nix!« - »Dann seid doch mal leiser, ey!« Bis das Baby das nächste Mal brüllt, kann ein Mädchen in schwarzer Ledermontur ihr Anliegen vortragen. Es geht um einen offenen Brief an den Senat. Forderungen zur Sanierungspolitik und zur Legalisierung der besetzten Häuser sollen darin stehen. »Wir müssen der Öffentlichkeit klar machen, was wir wollen.« - »Scheiß Öffentlichkeit!« nölt ein Skin-Head am Fenster. »Du hast ja 'n Kopfschuß! Ohne die Öffentlichkeit sind wir aufgeschmissen, da räumen die uns doch locker ab.« - »In meinen Augen sind das Verhandlungen. Wenn wir den Senats-Typen einen Brief schreiben, dann heißt das doch, daß wir sie anerkennen!« Ein Typ in Lederjacke unterdrückt mühsam seinen studentischen Code: »Was soll'n det, schließlich sind die 20 ooo Bullen da, ob du sie anerkennst oder nicht. Es geht doch darum, die Senats-Wichser unter Druck zu setzen, indem wir ganz klar sagen, so und so. Damit die uns nicht einfach in die Chaoten-Schublade stecken können, verstehste.« - »Kein Dialog mit der Macht!« - »Genau, ey, da steht nur was von Sanierung und Legalisierung. Aber die Leute sitzen immer noch im Knast.« Mit Handheben kommt man hier nicht zu Wort. Es kommt darauf an, den richtigen Moment abzupassen und dann laut genug zu brüllen. Trotzdem kommen viele zu Wort, einige öfter, aber wer zu oft oder zu lange redet, kriegt Zunder. Theoretiker haben keine Chance hier, es kommt vor allem auf die Power an, mit der die Argumente vorgetragen werden.

»Ich wollt nochmal was sagen zu dem, was die Verhandlungs-Votze da grad abgelassen hat. Wir ham gesagt, bevor die Leute nicht raus sind, gibt's keine Verhandlungen und basta. Du mußt endlich mal checken, daß das einzige, wovor die Schweine echt Schiß haben, Putz ist. Wenn die erst mal was zu quatschen haben mit uns, dann ziehn sie uns doch immer über'n Tisch.« »Das ist doch Scheiße, das so gegeneinander auszuspielen, Mann. Putz und Porno allein bringt's auch nicht. Weil, militärisch kriegen die uns schließlich doch klein. Aber wenn die Senats-Ärsche merken, daß da viele det jut finden, was wir machen, und auch hinter unseren Forderungen stehn, dann kriegen sie Schiß um ihre Posten. Und das bringt im Endeffekt auch den Gefangenen mehr, als immer nur >1, 2, 3 laßt die Leute frei< und weiter mischt.« Irgendwann wird man sich einig. Der Brief soll nicht an den Senat, sondern an die Bevölkerung gerichtet werden. Außerdem soll es nicht »Forderungen« heißen, sondern »Zielvorstellungen«. Ein paar Leute, die die meisten kennen, werden das nochmal so formulieren. Einig ist man sich, wenn die, die dagegen sind, nichts mehr sagen und irgendwie alle das Gefühl haben, daß der Vorschlag von der Mehrheit getragen wird. Abstimmungen gibt es nicht, hat es noch nie gegeben. »Wir diskutieren so lange, bis wir uns einig sind«, heißt die Devise, und wenn man sich nicht einig wird, läßt man's halt. »Hey, wartet doch mal, ich komm auch mit!« Es herrscht Aufbruchstim-mung. »Leute, bevor alle abhauen, hab ich noch was Wichtiges anzusagen!« Termine, Aktionen, Infos werden an den Mann gebracht. »Wir ham übrigens gestern 'n Haus besetzt in Zehlendorf. Heut abend ist Fete!« - »Wo is die Fete?« - »In 'n Südstaaten irgendwo, mußte mal die Frau mit dem Poncho fragen.« - »Morgen abend ist Öffentlichkeits-Ausschuß im Besetza-Eck!« -»Fährt hier einer nach Schöneberg?«

Im Cafe und im Hof wird Manöverkritik gehalten. Es gibt Quark und Kuchen, Kaffee und 'nen Joint. »Ätzend, ey, diese Anwichserei immer.« Macht nix, nächsten Sonntag geht es weiter.

Anmerkung: Die hier angeführten Zitate stammen aus meiner persönlichen Erinnerung an Sitzungen des Besetzerrates im Februar und März 81. Sie sind tendenziös ausgewählt und zusammengezogen, um eine bestimmte Form der Auseinandersetzung deutlich zu machen, insofern im strengen Sinne nicht authentisch.

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Utopien ?

»Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat keine Kraft zum Kämpfen.« Ich weiß nicht, ob diese Weisheit aus der Ökologie-Szene stimmt. Mut und Kraft zu Straßenkämpfen haben meiner Erfahrung nach jedenfalls vor allem jene, die mit Träumen von einer besseren Welt nicht sehr viel anfangen können. »Zum Schluß wollte ich noch wissen, wie du denkst, daß es weitergeht, worauf du hoffst«, erläuterte ich kürzlich einem Interviewpartner mein Anliegen. Er wollte meine Fragen im voraus wissen und schrieb sie auf einen Zettel. »Ja, ja, versteh schon«, brummte er und notierte: »7. No futu-re«.

Wer unter den Besetzern auf die Suche nach einem neuen Gesellschaftsentwurf geht, nach Vorstellungen von oder Synonymen für Sozialismus oder Kommunismus, wird bestenfalls verstaubte Bruchstücke aus vorangegangenen Bewegungen finden, kaum Originäres. Auch die Anarchie, von der zuweilen die Rede ist, stellt sich bei genauerem Nachfragen als negative Definition heraus: die Abwesenheit von Herrschaft, aber nicht eine Form gesellschaftlicher Organisation.

Im Grunde genommen lohnt es sich ja auch gar nicht, solchen Hirngespinsten nachzujagen. Denn »daß das nicht die Revolution ist, was wir hier machen, und daß die hier in Deutschland auch so schnell nicht kommt, ist ja arschklar«. Arschklar ist auch, daß keine gemeinsame Ideologie, kein gemeinsamer Kampf für hehre zukünftige Ziele die Bewegung vorantreiben -oder behindern. Dementsprechend gibt es auch keine exegetischen Diskussionen über die Korrektheit dieser oder jener Aktion und Verhaltensweise. Durchaus widersprüchliche Grundeinstellungen können so nebeneinander und miteinander vereinbar sein, und zwar nicht nur auf der Basis eines »Minimalkonsenses«, auf dem man sich zur »Aktionseinheit zusammengeschlossen« hätte.

In Westberlin gibt es Häuser, die von Feministinnen besetzt sind, Anti-AKW-Gruppen sind zusammengezogen, eine Gruppe von Jungdemokraten hat ebenso ein Haus besetzt wie eine Gruppe von »Antifa's«, die sich dem antiimperialistischen Kampf an der Seite der RAF verschrieben haben. Es gibt ein »Tuntenhaus« von offensiven Schwulen, AL-Gruppen haben ebenso Häuser zusammen besetzt wie eine Gruppe von Mitgliedern und Sympathisanten der SEW. Andere Besetzergruppen haben sich in kirchlichen Jugendgruppen zusammengefunden, und auch die Rockergruppe »Phoenix« hat ihren Sitz neuerdings in einem besetzten Haus (»aber nix mit Kommune und so!«).

Die wenigsten Besetzergruppen lassen sich derart präzise politisch einordnen; die meisten sind bunt gemischt, genauso wie ihre Hoffnungen und Träume, ihre Perspektiven und Utopien.

Natürlich gibt es auch gemeinsame Utopien: konkrete. Allein die Tatsache, daß im Sommer 1981 mehr als 160 Häuser besetzt sein würden, wäre ein Jahr zuvor als utopisch abgetan worden.

In Häusern, die schon länger besetzt sind, werden auch weitergehende Utopien sichtbar: die vielbeschworene autonome Selbstverwaltung nimmt Konturen an. Auch wenn dieser Begriff für viele in der Szene bereits eine Art Schimpfwort, synonym für »spießig«, geworden ist, lassen sich diese konkreten Utopien am besten als »alternativ« beschreiben. Das beginnt mit den neuen Formen, zusammen zu wohnen und teilweise auch zu arbeiten, die über die konventionelle Klein-WG weit hinausgehen. Da entstehen Werkstätten, teils für den Eigenbedarf, teils auch, um ein kleines Gewerbe zu betreiben. Spielplätze und Grünflächen werden in Hinterhöfen angelegt, Kindertagesstätten und Gemeinschaftsküchen eingerichtet. Food-coops kaufen - im Idealfall von der befreundeten Landkommune - billigere und gesündere Lebensmittel. Wer seinen Wehwehchen mit Tee und Massage nicht mehr beikommt, geht vielleicht zu den Kreuzberger Barfußärzten im »Heilehaus«. All dies entwickelt sich freilich nicht erst, seit Häuser besetzt werden. Durch die Hausbesetzungen haben sich nur diesbezügliche Möglichkeiten und Erfordernisse rapide erweitert, sind Freiräume entstanden, in denen sich auch solche Versuche realisieren lassen, die unter »normalen« Bedingungen beispielsweise vom Zwang, die Miete aufzubringen oder überhaupt einen Ort zu finden, von vornherein erstickt worden wären. Wer in den allenthalben aufblühenden Idyllen die ersten Ansätze einer dezentralisierten, nach-industriellen ökosozialistischen Zukunft sieht, mag dies tun. Von ihren Betreibern wird er, bislang zumindest, nur als einer ihrer vielen Interpreten hingenommen werden.

Und wie siehst du die Zukunft? Die Auskunft eines Besetzers, er sei es eigentlich nicht gewohnt, sehr viel weiter als eine Woche im voraus zu planen, ist nicht untypisch. Dann gibt es natürlich auch die Zukunft, die sich als die Alternative zwischen Atomkrieg und Computer-Staat darstellt. Diese Zukunft heißt Widerstand. »Die Besetzungen sind nur eine Kampfform. Es hat vor den Hausbesetzungen Widerstand gegeben, und es wird danach Widerstand geben, sollten die Häuser abgeräumt werden«, schreibt ein Mitglied des Kreuzberger Besetzerrats. Diese Zukunft heißt vielleicht auch Knast.

Wenn ich mir die Zukunft unseres Hauses vorstelle, ganz realistisch und pragmatisch, wird mir schlecht. Ich will hier leben, mit den Leuten zusammen. Es ist machbar. Die Vertragsentwürfe liegen sozusagen in der Schublade. Eine Abtretung des Hauses wäre finanzierbar und politisch durchsetzbar: auf dem Verhandlungswege. Aber um welchen Preis? Was geschieht mit unseren Nachbarn? Vielleicht kommen sie in ein Heim, vielleicht in den Knast. Bestenfalls setzt man ihnen einen Sozialarbeiter vor die Nase.

Manchmal stelle ich mir vor, wie in drei Jahren für das durch Besetzung erworbene Wohnrecht in einem selbstverwalteten Haus Abstandszahlungen gefordert werden. Unser Haus sieht aus wie »Schöner Wohnen«, untereinander verfeindete Wohngruppen versuchen, sich gegenseitig rauszuekeln, das Plenum wird zur Eigentümer-Versammlung und findet alle halbe Jahr beim Notar statt. Irgendwo steckt diese ganze Besitzermentalität ja vielleicht doch noch in uns drin. Man wird älter, nicht wahr? Vielleicht diskutiert man besorgt im Vorgarten über die Jugendbanden, die neuerdings das Viertel unsicher machen. »Ich habe gehört, der Sowieso, mit dem wir 81 da und da mal ein Haus besetzt haben, ist auch dabei.« - »Wirklich? Na, der war ja schon damals immer so chaotisch drauf!« Ein Albtraum, gegen den wir nicht versichert sind.

Editorische Hinweise

Der auszugsweise Text wurde entnommen aus: Kursbuch 65, Hrg von Karl Markus Michel und Tilman Spengler, Westberlin Oktober 1981 / OCR-scan red. trend