Edgar Bauer
Ein deutscher Spitzel gegen die internationale ArbeiterInnenbewegung

Leseauszug aus  "Edgar Bauer. Junghegelianer, Publizist und Polizeiagent"

07-2013

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Vorbemerkung: Edgar Bauer (* 7. Oktober 1820 in Charlottenburg; † 18. August 1886 in Hannover), der elf Jahre jüngere Bruder des neben Ludwig Feuerbach bedeutendsten Junghegelianers Bruno Bauer, studierte zunächst Theologie, dann Rechtswissenschaft an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Er brach sein Studium 1842 ab und entfaltete als Freier Schriftsteller eine umfangreiche publizistische Tätigkeit, so u.a. als Mitarbeiter der Rheinischen Zeitung. Wegen seines Buches "Der Streit der Kritik mit Kirche und Staat" wurde er 1843 zu vier Jahren Festungshaft in Magdeburg verurteilt. Nach seiner Entlassung beteiligte er sich in Berlin an den Kämpfen der Märzrevolution 1848.
(Quelle: http://de.wikipedia.org ) / red. trend

Am 27. August 1848  erschienen zwei Polizeibeamte in Edgar Bauers Wohnung, um ihn zu verhaften(54). Er war nicht zu Hause, aber während der Hausdurchsuchung kam ein Eisenbahnarbeiter hinzu. Als sie diesen nach seinem Namen fragten, durchschaute er sogleich die Absicht und gab an, E. Bauer zu sein. Man brachte ihn daraufhin ins Gefängnis, wo man ihn dem Vorsitzenden des Demokratischen Clubs, Schramm, gegenüberstellte. Dieser konstatierte, daß es sich nicht um Edgar Bauer handele. Trotzdem beharrte der Eisenbahnarbeiter auf seiner Behauptung, der richtige Edgar Bauer zu sein.

Edgar Bauer, der kaum ein halbes Jahr zuvor aus der Zitadelle zu Magdeburg entlassen worden war, hatte wenig Lust, wieder "im Loch" zu sitzen. Er ging also in den Untergrund und entzog sich einer polizeilichen Verhaftung in Berlin. Dies bedeutete jedoch nicht, daß er sich passiv verhielt. Er begab sich zunächst nach Wien, wo er vermutlich nahe Kontakte zu denjenigen Revolutionären hatte, die zu dieser Zeit die österreichische Hauptstadt beherrschten.....

.....Bauer blieb in Wien bis zum Oktober, dann tauchten plötzlich Berichte auf, daß er nach Berlin zurückgekehrt sei (56). Ehe es der Polizei gelang, ihn zu ergreifen, war er jedoch wieder verschwunden; angeblich war er nach Breslau gereist......

...Im Februar 1849 hatte E. Bauer offenbar aufgeben müssen, und es existieren Angaben darüber, daß er zu dieser Zeit Berlin endgültig verließ. Er begab sich nach Hamburg, das als freie Reichsstadt nicht unter preußischer Verwaltung stand, wenn auch der Stadtstaat, als Mitglied des Deutschen Bundes, und sein Senat mit der deutschen Polizei zusammenarbeiteten. In Hamburg soll Bauer eine Zeitlang in der Vorstadt St. Georg gewohnt und an der radikalen Zeitung Die Reform, die in Altona herausgegeben wurde, mitgearbeitet haben (58). Er nahm auch mit dem Hamburger Verlag Hoffmann und Campe Kontakt auf und erreichte, daß dort die Zeitschrift Die Parteien. Politische Revue verlegt wurde. Diese sollte "in zwanglosen Heften" mit einem Heft jede vierte Woche herauskommen....

Bauer wohnte jedoch nur kurze Zeit in Hamburg. Schon im Frühjahr 1849 nahm er Kontakt mit der Norddeutschen Freien Presse auf, die in Altona herausgegeben wurde und die größte Zeitung in Holstein war. Diese Zeitung, gegründet von dem schleswig-holsteinischen Politiker Theodor Olshausen, war das Organ der "Fortschrittspartei", die zur Freiheitsbewegung in Schleswig-Holstein gehörte. Sie hatte ein gutes Ansehen als radikaldernokratisches Blatt. Bauer bewarb sich dort um eine Anstellung als Journalist, mußte aber zunächst als Korrekturleser anfangen, ehe im Sommer 1849 ein Platz in der Redaktion frei wurde (60). Er gibt selbst an, daß er danach als Chefredakteur der Zeitung fungierte(61). Dies muß dann 1850/51 gewesen sein, als die Blütezeit der Zeitung vorbei und den Schleswig-Holsteinern der Freiheitskrieg aus den Händen geglitten war. Olshausen, der in Kiel wohnte und nur ein paar Tage in der Woche an der Zeitung arbeitete, bereitete zu dieser Zeit seine Emigration in die USA vor, und der eigentliche Chefredakteur, Otto Fock, verließ die Zeitung. Die Auflage sank katastrophal, seit die militärischen Kräfte der Freiheitsbewegung einer unvermeidlichen Niederlage entgegengingen und Preußen sich zurückgezogen hatte. Am 1. Juli 1851 verließ auch Bauer das Blatt und nahm eine Anstellung als Redakteur der neugestarteten Altonaer Zeitung an, die mit Hilfsgeldern der dänischen Regierung die Sache Dänemarks in den Herzogtümern vertreten sollte.

Anfang 1851 erfuhr die Berliner Polizei, daß Bauer in Hamburg gesehen worden war, und daß Dr. Eduard Meyen für die Norddeutsche Freie Presse in Altona arbeitete. Die Hamburger Polizei ließ über eine Abteilung in Altona diskrete Untersuchungen anstellen und fand, daß ein "Literat Eduard Lange aus Danzig", der nicht im Register für bewilligte Aufenthaltsgenehmigungen verzeichnet war, bei der Altonaer Zeitung mitarbeitete. In der Annahme, es könne sich hierbei um E. Meyen oder E. Bauer handeln, ließ man den angeblichen Lange in seiner Wohnung im Dorfe Ottensen bei Altona verhaften. Bei dem folgenden Verhör konnte "Lange" keine Ausweispapiere vorzeigen und bekannte schließlich, E. Bauer zu sein (62).

Der Wachtmeister in Altona ließ nun in Bauers Wohnung in Ottensen, wo er zusammen mit seiner Verlobten und einer kleinen Tochter wohnte, eine Durchsuchung vornehmen. Zwei Polizeibeamte wurden zusammen mit Bauer dorthin geschickt. Während der eine Polizist die Wohnung durchsuchte, sollte der andere Bauer bewachen. Da in der Wohnung nichts Verdächtiges gefunden wurde, ging der Hausdurchsucher auf den Boden des Hauses hinauf. Der Wächter beging den Fehler, ihm zu folgen und Bauer allein in der Wohnung zu lassen. Bauer zögerte nicht, die Gelegenheit zur Flucht zu nutzen. Obwohl man Nachforschungen anstellte, gelang es nicht, ihn festzunehmen. Es zeigte sich später, daß er nach Flensburg geflohen war, weshalb Preußen bei der Regierung in Schleswig seine Auslieferung beantragte. Zu diesem Zeitpunkt war Bauer jedoch bereits nach Kopenhagen weitergereist. Dort hatte er mit Professor Peder Hjort Kontakt, der im Auftrage der dänischen Regierung die dänische Auslandspropaganda und damit auch die Altonaer Zeitung leitete. Er traf mit Sicherheit auch Kopenhagens Polizeidirektor Cosmus Brsaestrup. E. Bauer war im Juni/Juli 1851 bei der Notabeinversammlung in Flensburg anwesend und schrieb Artikel über die Verhandlungen an die Altonaer Zeitung (63). Er kam dort auch mit dem Delegierten Hans A. Krüger zusammen, mit dem er später viel zu tun haben sollte.

P. Hjort verhalf Bauer zu einem Schiffsplatz nach England (64), und als die deutsche Regierung Bauers Auslieferung verlangte, wurde die Angelegenheit so lange verzögert, bis er sich nach London in Sicherheit gebracht hatte.

Am 13. Oktober 1851 wurde im englischen Einwanderungsregister verzeichnet, daß ein E. Bauer, der Hamburg als Geburtsort angab, in London angekommen war (65). Es besteht kaum ein Zweifel darüber, daß hiermit Edgar Bauer gemeint ist. Der preußische Polizeispion Greif berichtete am 8. Juni 1852 aus London, daß Bauer samt Familie durch Vermittlung der Hamburger Firma Hermann Hirschmann & Co von Hamburg nach Hull befördert worden war, und daß er "unter seinem gewöhnlichen falschen Namen 'Glasermeister Lange' " reise (66). Schon am 13. Oktober 1851 schrieb Marx an Engels in Manchester, er habe gehört, daß E. Bauer nach London gekommen sei, er habe ihn aber selber noch nicht gesehen(67).

Es ist denkbar, daß Bauer nach seiner Ankunft versuchte, mit Mitgliedern der großen deutschen Kolonie in London in Kontakt zu treten, und daß er sicher auch Empfehlungsbriefe von den dänischen Behörden mit sich führte. Er war mit einer Reihe von Revolutionären bekannt - z.B. Eduard Meyen -, die nach den gescheiterten Revolutionen in Deutschland ihre Zuflucht in England gesucht hatten. Außerdem hatte er bei deutschen Revolutionären einen bekannten Namen.

Der Bund der Kommunisten, der unter den Deutschen in London vor 1848 die führende politische Organisation war, befand sich 1851 nach den Richtungskämpfen zwischen Karl Marx und August Willich im Auflösungszustand. Spektakuläre politische Aktionen gingen von einer Organisation aus, die sich "Deutsche Revolutionspartei" nannte, und zu deren Leitung der Bonner Professor Gottfried Kinkel, der nach seiner berühmten Flucht aus dem Spandauer Gefängnis 1850 in London angekommen war, sowie A. Willich gehörten. Die Organisation wollte eine Art Dachverband für die revolutionären deutschen Flüchtlinge in Europa und Amerika sein und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, einen Revolutionsfonds von zwei Millionen Dollar zu sammeln, womit man eine neue Revolution in Deutschland zustande bringen wollte. Die Idee hatte man von Giuseppe Mazzinis italienischem Revolutionsfonds übernommen, und 1851 reiste Kinkel in die USA, um unter den dorthin emigrierten deutschen Revolutionären Geld zu sammeln. Den Spendern sollten 5 % Zinsen auf ihren Beitrag gewährt werden, und die Verwendung des Fonds unterlag der Kontrolle eines Ausschusses(68).

Die Kinkelsche Revolutionsanleihe stieß unter den Flüchtlingen teils auf Begeisterung, teils auf Widerstand. Marx und Engels bekämpften sie durch ihre Anhänger in England und den USA; auch andere Radikale, z.B. Karl Heinzen, waren Gegner des Vorschlags. Der erwartete Erfolg der Sammlung blieb daher aus, und als Kinkel im März 1852 aus den USA zurückkehrte, hatte er nicht mehr als 5.000 der erwarteten 20.000 Dollar erhalten. Im August 1852 wurde in London eine Versammlung mit den englischen Garanten einberufen, um einen Verwaltungsausschuß zu wählen und die Verwendung der Gelder zu diskutieren. Marx hielt sich natürlich auf dem laufenden, berichtete Engels, daß auch Bauer an der Versammlung teilnahm und sich in der Diskussion zu Wort meldete(69). Man kann also annehmen, daß Bauer sich der "Deutschen Revolutionspartei" angeschlossen hatte.

Eine eigentlich politische Aktivität Bauers wurde aus seiner Zeit in England jedoch nicht bekannt. Erst 1858 trug Wilhelm Liebknecht ihn als Mitglied des Arbeiterbildungsvereins ein(70). Gleichzeitig war er auch Mitglied der International Association, einer Nachfolgerin der "Fraternal Democrats" der 1840er Jahre, in der verschiedene Flüchtlingsgruppen repräsentiert waren. Als Sekretär dieser Vereinigung arbeitete er die Statuten aus, zog sich dann aber bald wieder zurück. Er war auch Mitglied der Gruppe "Deutsche Männer", aber dieser Verein scheint nicht politisch aktiv gewesen zu sein.

Im Unterschied zu den meisten anderen Flüchtlingen, die nach England kamen, war E. Bauers Unterhalt in gewissem Maße gesichert. Er war nämlich vor seiner Abreise aus Dänemark als Londoner Korrespondent der Altonaer Zeitung angestellt worden. Er schrieb jeden Tag aus London einen Korrespondenzartikel und außerdem einen Leitartikel pro Woche(71). Nach 1856 erschien die Altonaer Zeitung unter dem Titel Nordischer Courier und Altonaer Nachrichten. Die Londoner Artikel des Organs waren umfassender als diejenigen aus anderen Hauptstädten, in der Regel ungefähr zwei Spalten pro Nummer. Ende des Jahres 1858 nahmen jedoch die Beiträge aus London ab, und Bauer klagt in einem Brief an P. Hjort in Kopenhagen darüber, daß die Zeitung seine Artikel nicht mehr annehme(72).

Eine Serie Briefe von E. Bauer an P. Hjort im Rigsarkivet in Kopenhagen zeigt, daß Bauer zumindest von 1857 an in dessen Auftrag gearbeitet hat(73). Er schrieb in der deutschen Presse Artikel über die schleswig-holsteinische Frage oder verfaßte einige Broschüren auf englisch, um in England Sympathien für die sogenannte Ganzstaatlösung zu wecken. An Zeitungen, in denen E. Bauer in dänischem Auftrag publizierte, können genannt werden: Presse de Londres (London), Berliner Revue, Neue Preußische Zeitung und Preußisches Volksblatt (Berlin), Vaterland (Wien) und Magdeburger Correspondent, Er arbeitete auch an Herrmann Wageners Staats- und Gesellschaftslexikon mit, dessen Redakteur sein Bruder Bruno war. Unter anderem schrieb er einen großen Aufsatz über Dänemark, der in Kopenhagen so sehr geschätzt wurde, daß man eine dänische Übersetzung davon drucken ließ(74). Auf englisch veröffentlichte er die Broschüren Reflections on the Integrity ofthe Danish Monarchy (1857) und Schleswig (1861). 1857 gab er außerdem bei Wigand in Leipzig das Buch Englische Freiheit heraus, eine Sammlung von Aufsätzen, die teilweise bereits vorher in der Presse publiziert worden waren.

Nachdem Bauer dem Arbeiterbildungsverein beigetreten war, wurde er 1858 Redakteur der deutschsprachigen Emigrantenzeitung Die neue Zeit, aber die Zeitung verkaufte sich schlecht und mußte nach weniger als einem Jahr aufgegeben werden. Ihr folgte dann Kinkels Wochenzeitung Hermann, an der Bauer auch mitarbeitete.

Wenn Bauer sich nicht unmittelbar an der aktuellen Flüchtlingspolitik beteiligte, bedeutet das jedoch nicht, daß er die Aktivisten und Revolutionäre mied. Ganz im Gegenteil! Karl Marx erzählt 1854, daß E. Bauer häufig in der Marxschen Familie verkehrte, er war dort sogar jede Woche zu Gast(75). Zuweilen versah er Marx - der sich für einige Zeit vom politischen Leben zurückgezogen hatte - mit Auskünften über die aktuellen Ereignisse(76).

Wilhelm Liebknecht erzählte eine Geschichte über eine Zechtour, die er, Marx und E Bauer einmal in London unternommen hatten. Sie hatten sich ausgedacht, auf dem Weg von Hampstead nach London hinein jede Kneipe zu besuchen und jedesmal ein Glas zu trinken. Schließlich gerieten sie in einem Lokal mit einigen Engländern in Streit, wurden hinausgeworfen und gingen, offenbar erheblich betrunken, weiter, zerschlugen einige Straßenlaternen, bis sie von der Polizei entdeckt wurden und nur durch eine wilde Flucht die Verfolger abschütteln konnten(77).

Diese Geschichte läßt den Schluß zu, daß zwischen Bauer und Marx von der Heiligen Familie her keine Feindschaft mehr bestand. Im Dezember 1855 tauchte E. Bauer zusammen mit seinem Bruder Bruno bei Marx auf (78). Bruno war angereist, weil er mit dem Gedanken der Emigration spielte und sich in London durch Sprachunterricht einen Lebensunterhalt verschaffen wollte. Bald entdeckte er jedoch, daß der Privatlehrerberuf in England schlecht angesehen war, und kehrte wieder nach Berlin zurück(79).

Wenn Marx mit E. Bauer auch ziemlich enge Kontakte hatte, so nahm er ihm gegenüber doch gleichzeitig eine reservierte Haltung ein. Er sprach sich zuweilen verächtlich über Bauers wirtschaftliche Verhältnisse aus und war ihm gegenüber in politischen Kreisen mißtrauisch. Als Bauer Mitglied des Arbeiterbildungsvereines geworden war, machte Marx Andeutungen, daß er dort nur den Kommunisten spiele, und bezeichnet ihn ansonsten gar nicht so selten als den "Clown"(80). Es ist ihm jedoch anscheinend nie eingefallen, in E. Bauer einen Polizeiagenten zu vermuten....

....Im Laufe des Jahres 1849 waren sämtliche revolutionären Bewegungen in Deutschland zerschlagen worden. Tausende, die sich durch die Teilnahme an Aufruhrbewegungen, Aufläufen und Krawallen oder dadurch, daß sie demokratische Clubs und Arbeitervereine leiteten, in den Augen der Behörden kompromittiert hatten, flohen aus dem Lande, vor allem in die Schweiz, nach England oder in die USA. In der Schweiz wurde die Zahl der Flüchtlinge auf über 10.000 geschätzt, was bei den Schweizer Behörden Besorgnis erregte, da eine Zersplitterung des Bundesstaates drohte. Sowohl in den deutschen Staaten als auch in Frankreich befürchtete man, daß in der Schweiz neue Revolutionen vorbereitet würden, und 1850 konnte man den Schweizer Bundesstaat dazu bringen, die Flüchtlinge des Landes zu verweisen....

.....Als Mitglied des Deutschen Bundes wurde auch Dänemark in diese Polizeitätigkeit einbezogen. Polizeipräsident Cosmus Braestrup in Kopenhagen, der seit langem die politische Opposition in Schleswig-Holstein überwacht hatte, stand Anfang der 1850er Jahre in regelmäßigem Kontakt mit Polizeipräsident Wermuth in Hannover und tauschte Auskünfte aus (84). Beschlagnahmte Papiere der Arbeiterverbrüderung belegten, daß in Schleswig-Holstein ungefähr 50 Arbeitervereine organisiert waren. Etliche deutsche Revolutionäre stammten aus den Herzogtümern. Die Furcht der dänischen Regierung vor neuen Revolutionsversuchen in Schleswig-Holstein war daher groß, und Mitte des Jahres 1852 wurde eine noch festere Zusammenarbeit zwischen der dänischen Polizei auf der einen und der sächsischen und Hannoverschen auf der anderen Seite beschlossen. Unter anderem erhielt die dänische Polizei regelmäßig die sächsischen Vertraulichen Polizeimittheilungen. Sowohl auf dänischer als auch auf deutscher Seite war man davon überzeugt, daß die revolutionäre Bewegung von London aus geleitet wurde.

Im Herbst 1852 besuchte Cosmus Brasstrup London. Er nahm bei dieser Gelegenheit Kontakt mit Edgar Bauer auf, den er vermutlich seit dessen Kopenhagener Aufenthalt im Vorjahr kannte. Außerdem konnte er Bauer, den Korrespondenten der Altonaer Zeitung, als eine Person betrachten, die mit Dänemark sympathisierte. Braestrup vereinbarte mit Bauer eine Berichterstattung über die politische Emigration in England. Am 7. November 1852 lieferte Bauer ein Manuskript von 160 Seiten ab. Am 14. Dezember folgten Ergänzungen von 16 Seiten, mit Angaben über Marx, Engels und Schapper. Weitere umfangreiche Mitteilungen von 50 bzw. 100 Seiten wurden am 5. April und 14. Juni 1853 geliefert. Braestrup unterhielt die Verbindung mit Bauer nicht über die dänische Botschaft, sondern über den dänischen Generalkonsul Regnar Westenholz. Die Berichte selbst sind nicht von Bauer unterzeichnet, die Verfasserschaft wird aber durch die Briefe belegt, die Bauer gleichzeitig mit den Berichten an Braestrup und Peder Hjort schickte(85).....

.....Während der nächsten drei Jahre brach die Verbindung zwischen Bauer und der dänischen Polizei ab. Anfang 1856 nahm Braestrup jedoch erneut Kontakt auf, und von da an geht ein Strom von Bauer-Rapporten nach Kopenhagen; im Frühjahr 1861 hatte Bauer 135 Berichte von alles in allem mehr als 2000 Seiten abgeliefert. Hinzu kamen ungefähr 50 Briefe, die auch noch polizeiwichtige Auskünfte enthielten (87).

Aus Bauers Berichten und Briefen geht hervor, daß er fleißig in allen Gruppen revolutionärer Flüchtlinge verkehrte. Seine Angaben betrafen nicht nur deutsche Flüchtlinge und deren Organisationen, sondern alle Arten revolutionärer Bewegungen, z.B. französische, italienische, russische, polnische, ungarische, griechische und amerikanische(88). Ein Teil der Rapporte wurde von der dänischen Polizei in Abschrift an die Polizeibehörden in Dresden, Hannover und Wien weitergeleitet und dort bei den Fahndungen ausgewertet. Die österreichische Polizei war natürlich besonders an dem interessiert, was Bauer über Mazzinis und Kossuths Aktivitäten in England zu ermitteln wußte. Aber auch in Dresden, das eine Zentrale für Auskünfte über die "Umsturzpartei" war, schätzte man Bauers Berichte: "Besonders die aus der neueren Zeit datirenden Berichte enthalten so Manches, das mich sehr interessirt hat, und sämtliche Berichte sind mit viel Geist und Sachkenntniß geschrieben", berichtet Regierungsrat Koerner am 20. Juli 1859 an Braestrup(89). Daßman schließlich auch in Dänemark mit Bauers Rapporten zufrieden war, geht aus Äußerungen des dänischen Außenministeriums gegenüber George Quaade hervor. Quaade war ab 1861 dänischer Botschafter in Berlin und beschäftigte Bauer weiter, nachdem dieser im Frühjahr 1861 nach erlassener Amnestie von London nach Berlin zurückgekehrt war(90).

Die Agentenberichte aus London sind außerordentlich detailliert und umfassend, was sicher auch mit Bauers Absicht zusammenhing, den größtmöglichen pekuniären Gewinn zu erzielen. Insgesamt hat er von der dänischen Polizei mindesten 400 £ als Vergütung entgegengenommen, wahrscheinlich mehr(91).

Als Vermittler zwischen Bauer und Braestrup fungierte — wie bereits oben erwähnt — das dänische Generalkonsulat in London. Generalkonsul war 1852 der dänische Großkaufmann Regnar Westenholz, der 1853 von seinem Bruder Anders Peter Westenholz abgelöst wurde. Diesen händigte Bauer seine Manuskripte aus, und von ihnen erhielt er auch die Vergütungen ausgezahlt. Die Briefe von Braestrup an Bauer — wahrscheinlich auch in entgegengesetzter Richtung — wurden ebenfalls von Westenholz vermittelt.

Trotz der Ausführlichkeit seiner Berichte verschwieg Bauer im allgemeinen, woher er seine Auskünfte bekommen hatte. Man muß sich jedoch erinnern, daß er, schon ehe er nach England kam, gut über die Geschichte der oppositionellen Bewegungen in Deutschland und Frankreich informiert war und eine Reihe bedeutender politischer Gestalten in Deutschland persönlich kannte. Durch regen Kontakt mit Flüchtlingen in London hat er es verstanden, sich interne Informationen zu besorgen. Als geschickter Schriftsteller konnte er das, was er erfahren hatte, mit Material ergänzen, das er der reichhaltigen aktuellen politischen Literatur entnommen hatte. Wie kaum ein anderer Zeitgenosse zeichnete er ein Ganzheitsbild der revolutionären Emigration in England, und damit ergänzt er auf eine wertvolle Art die Darstellungen, die Marx und Engels in ihren Schriften und in ihrem Briefwechsel gegeben haben. Dadurch, daß Bauers Rapporte sich nicht auf die deutschen Emigranten beschränken, sondern auch Revolutionäre anderer Länder ausführlich behandeln, liefern sie einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der europäischen Opposition in der Mitte des 19. Jahrhunderts(92). Zu Bauers Interessengebiet gehörte auch der englische Chartismus, mit dessen Führern er in persönlicher Verbindung stand.....

....Am 12. Januar 1861 wurde im Zusammenhang mit dem Thronwechsel in Preußen eine Amnestie für politische Verbrechen erlassen. Dies veränderte auf einen Schlag die Zukunft vieler exilierter preußischer Politiker. Die deutschsprachige Londoner Zeitung Hermann publizierte am 9. Februar 1861 eine von der Redaktion erstellte Liste politischer Flüchtlinge; sie umfaßte 94 Namen, darunter den Edgar Bauers.

Es war vorauszusehen, daß der größere Teil der Flüchtlinge nach der Amnestie in die Heimat zurückkehren wollte. Das Interesse der dänischen Regierung, unter diesen Verhältnissen einen Agenten in London zu unterhalten, mußte also sinken. Damit versiegte auch Bauers wichtigste Einnahmequelle. Bereits Anfang 1861 versuchte Bauer, der selbst an einer Rückkehr interessiert war, als dänischer Agent in Berlin beschäftigt zu werden; aus einem Brief von P. Hjort an den dänischen Botschafter in Berlin, G.J. Quaade, geht hervor, daß Hjort Bauers Ersuchen mit Polizeidirektor Braestrup in Kopenhagen diskutiert hatte(93).

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Nachbemerkung: Bauer kehrte mithilfe der dänischen Regierung 1861 nach Berlin zurück und bezog eine Wohnung in der Potsdamer Straße 42 A. Infolgedessen verfasste Bauer etliche umfassende "Rapporte" für die dänische Regierung. Seine Spionage- und Diversantentätigkeit richtete sich aber - fortan den neuen Interessen Dänemarks folgend - gegen die Preußische Regierung. /red. trend

Anmerkungen

54) Die Reform. Organ der demokratischen Partei, 29. u. 30. 8. 1848. E. Bauers Adresse wird in Wilhelm Weitlings Adreßbuch 1849 als: 8 Friedrichsgracht [Friedrichsstraße] angegeben. E. Barnikol, Klassifikation des Universums von Wilhelm Weitling, Kiel 1931, S. 51.

56) StA Potsdam Rep. 30. Tit.94. Lit.Z., S.28, 18.12.1848

58) StA Potsdam. Rep. 30 C. Tit. 94. Lit. W. Nr. 288.

60) Otto Fock, Schleswig-Holsteinische Erinnerungen, besonders aus den Jahren 1848-1851, Leipzig 1863, S. 173 f.

61) E. Bauer, Artikel V, 1873, S. 86.

62) StA Potsdam. Rep. 30 C. Tit. 94. Lit. W. Nr. 288.

63) National-Tidende, Kopenhagen, 26. 9. 1881.

64) P. Hjort an G. Quaade, 22. 3. 1861. RA Kopenhagen. Privatarkiv Nr. 6171 [George Quaade].

65) Public Record Office, Kew Garden: HO3:63, Aliens List 1851.

65) Public Record Office, Kew Garden: HO3:63, Aliens List 1851.

66) StA Potsdam. Rep. 30 C. Tit. 94. Lit. P. Nr. 235.

67) MEW, Bd. 27, S. 357.

68) Ein ausführlicher Bericht über die deutsche Revolutionsanleihe erschien als Beilage zum Stück 3436-3440 der Mittheilungen des Königl. Polizei-Präsidii zur Beförderung der Sicherheitspflege Berlin, Ende 1852. StA Potsdam. Rep. 30. Tit. 94. Lit. A. Sign. 8357.

69) Marx an Engels, 6. 8. 1852. MEW, Bd. 28, S. 103.

70) Marx an Engels, 17. 12. 1858. MEW, Bd. 29, S. 377.

71) E. Bauer an Cosmus Braestrup, 7. 9. 1858. RA Kopenhagen. Privatarkiv Nr. 5232.

72) E. Bauer an P. Hjort, 4. 12. 1858. RA Kopenhagen. Privatarkiv Nr. 5633.

73) Ebenda.-36 Briefe aus der Zeit vom 21. 9. 1857 bis 21. 4. 1865.

74) [E. Bauer], Den danske Statshistorie, 1861.

75) Marx an Moritz Eisner, 20. 12. 1854. MEW, Bd. 28, S. 610.

76) Marx an Engels, 6. 5. 1854. MEW, Bd. 28, S. 357. Marx an Adolf Cluß, 17. 4. 1853. Ebenda, S. 585.

77) Wilhelm Liebknecht, Erinnerungen eines Soldaten der Revolution, Berlin [-DDR] 1976, S. 258-263.

78) Marx an Engels, 14. 12. 1855. MEW, Bd. 28, S. 466.

79) Bruno Bauer an Egbert Bauer, London, 9.2.1856 (Abschrift von E. Barnikol). IISG Amsterdam. Manuskripte zu E. Barnikol, Bruno Bauer, Quellen 1:17.

80) MEW, Bd. 29, S. 385, 411, 455, 618, 644.

84) Briefe von Wermuth an Brsestrup. RA Kopenhagen. Privatarkiv Nr. 5232.

87) RA Kopenhagen. Privatarkiv Nr. 6498 und Nr. 5232. -Troels Dahlerup, „Der Clown. London-agentens inberetninger om den tydske emigration 1852-1862". Festskrift tiljohan Hvidtfeldt, Kopenhagen 1978. Dahlerup hatte keinen Zugang zu den Originalberichten, sondern gründet seine Darstellung auf ein Verzeichnis der Berichte sowie auf eine kleinere Anzahl von Abschriften.

88) E. Bauer faßt Braestrups Instruktionen folgendermaßen zusammen: „Ich habe Ihnen über Personen, Zustände, Parteien, Pläne und Gegenpläne zu berichten". Bericht Nr. VIII, 11.11. 1856.

89) RA Kopenhagen. Privatarkiv Nr. 5232.

90) P. Vedel an G. Quaade. RA Kopenhagen. Privatarkiv Nr. 6171.

91) Allein im Jahre 1858 erhielt Bauer 116£ 10 s. Bauer anBraestrup, 10. 12. 1858. RA Kopenhagen. Privatarkiv Nr. 5232.

92) Wie bereits im Vorwort erwähnt, bereitet das Karl-Marx-Haus in Trier eine Ausgabe von Bauers Agentenberichten vor.

93) P. Hjort an G. Quaade, 22. 3. 1861. RA Kopenhagen. Privatarkiv Nr. 6171.

Editorische Hinweise

Der Leseauszug stammt aus: Erik Gamby, Edgar Bauer. Junghegelianer, Publizist und Polizeiagent, Trier, 1985, von den Seiten 27 bis 37.