TAZ + DEGEWO gegen Wedding

von WeddingAtze

07-2012

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onlinezeitung

Die BewohnerInnen eines ehemals unattraktiven West-Berliner Viertels an der Mauer sollen
verdrängt und durch finanzstarke Bildungsbürger ersetzt werden. Die Wohnungsbaugesellschaft
DEGEWO und der Investor VIVICO unternehmen multiple Anstrengungen für das Gebiet zwischen Mauerpark und Brunnenstraße in Wedding.

Das sogenannte Brunnenviertel besteht aus wenigen Altbauten und den typischen Wohnanlagen der70er Jahre. Diese werden zum größten Teil von der DEGEWO betrieben und waren bis zum Mauerfall für MigrantInnen und arme Schlucker gedacht, die man in diesem Teil Wedding unterbringen konnte ohne das sie ein Investitionshindernis darstellten. Nicht erst seit 1983, als das AEG Werk in der Straße schloss, griff die Politik ein. Der Westberliner Senat befürchtete wohl die Entstehung eines Ghettos, in dem nur noch die Verelendung wohnt und wo das Gespenst des alten, armen Wedding wieder erscheint. So entschloss er sich, das ganze eingeschlossene Karree, also sämtliche Blöcke zwischen derBernauer Straße und der S-Bahn, zum Sanierungsgebiet zu erklären, gerade hier, wo auch viele Häuser noch durch den Krieg beschädigt oder zerstört waren. Auch sollte »die Gefahr einer einseitigen, negativen sozialen Bevölkerungsauslese und damitverbunden eine Slumbildung« verhindert werden. Vom Frühsommer 1963 bis 1966 überlegten, planten und diskutierten dann Wissenschaftler von elf deutschen Technischen Hochschulen undUniversitäten, wie speziell der Wedding zu sanieren sei.

1966 wurde das heutige Erscheinungsbild nördlich der Bernauer Straße festgeschrieben. Und das bedeutete: Abriss von 90-95% der Gebäude, Neubau nach den Prinzipien Auflockerung, Entkernung, Freiflächen und Begrünung. Allerdings hieß das auch, dass die Bevölkerungsdichte sinken musste – viele Bewohner mussten ihre vertraute Gegend verlassen.

Schon früh schrieb der »Telegraf«: »Man muss mit dem Widerstand vieler Bürger rechnen, die ihre Wohnungen in dem abzureißenden Haus nicht aufgeben wollen, weil die neue und schönere Wohnung im Neubau mehr Miete kostet.« Und so verlief die geplante Sanierung auch nicht ungestört und zog sich bis 1980 hin. Wie zu erwarten, wehrten sich Viele dagegen, aus ihrem Kiez rauszuziehen. Um diese Menschen zu beruhigen, sprach der damalige Regierende Bürgermeister Willy Brandt von der »behutsamen Stadterneuerung«, die mehr Rücksicht auf die Wünsche der Mieter nehmen sollte. Menschliche und räumliche Bindungen sollten nicht angetastet werden. Doch sowohl dieses Versprechen, als auch das, keinen Kahlschlag vorzunehmen, erwiesen sich als Seifenblasen. Allein bis 1965 waren schon 8.500 Wohnungen abgerissen.

Anfang der 70er-Jahre, als im Norden Reinickendorfs das »Märkische Viertel« fertiggestellt wurde, gab es das Angebot an die Mieter aus dem Brunnenstraßen-Kiez, sich das Neubaughetto anzusehen. Mit Reisebussen wurden die Menschen ins MV gefahren und ihnen die schöne, neue Wohnwelt in Musterwohnungen vorgeführt. Da die Sanierung im Wedding ja auch den Wegfall von50% der Wohnungen vorsah, mussten die Mieter irgendwo anders angesiedelt werden – und dafürwar das Märkische Viertel vorgesehen. Aufgrund des Drucks und der Versprechungen unterschrieben dann Tausende die Erklärung, dass sie eine Wohnung im hohen Norden akzeptieren. Der Zuschuss zu den Umzugskosten konnte allerdings die Sorgen wegen der um einiges höheren Mieten nicht lindern. Und dass das MV für viele dann eben nicht das versprochene Paradies wurde, ist daran zu ersehen, dass es bald auch dort Mieterproteste bis hin zu Mietstreiks gab.

Die Brunnenstraße wurde, bis auf einige wenige Gebäude, planiert und neu bebaut. Ebenso dieWohngebiete östlich und westlich davon. Richtung Westen entstand rund um die Ackerstraße ein eigenes, mehr oder weniger abgeschlossenes Wohngebiet, das sogar einen leicht dörflichen Charakter entwickelte. Richtung Osten wurde als Zentrum die Swinemünder Straße bestimmt, die zwischen Bernauer und Rügener Straße als Fußgängerzone gestaltet wurde.

Im Jahr 2007 stellt das Jugendamt entsetzt einen Ausländeranteil von 31% fest, der auch für die angeblich gestiegene Kriminalität verantwortlich gemacht wird. SIehe dazu: http://www.berlin.de/

Ein Jahr später nutzt DEGEWO Chef Frank Bielka die BZ als Sprachrohr um seine Vorstellungen vom Brunnenviertel zu propagieren: http://www.bz-berlin.de/archiv/ein-mann-fuer-harte-viertel-article97293.html

Aus dem Artikel: „Die Mieter-Mischung in der Brunnenstraße dagegen ist schon vor Jahrzehnten aus den Fugen geraten, weil sich durch die "damalige Belegungspolitik hier viele Mieter mit sozialen Problemen konzentrierten".

Eine der besten DEGEWO-Ideen ist es dabei, Graffiti "immer sofort zu entfernen". Es gibt einen eigenen Reinigungsservice für die begrünten Innenhöfe und der private Sicherheitsdienst verfügt sogar über einen "Drogenspürhund, der auch schon "gute Dienste" geleistet hat. Der Vorführeffekt gelingt: Bielka geleitet mich in einen großen Hof: Alles sauber, kein Graffitti, keine Dealer, keine Penner. "Solche Entwicklungen", murmelt der Manager, "wie wir sie hier betreiben, könnte ein privater Investor nicht leisten.“

Mit Elan wird auch seit einigen Jahren Werbung für das Quartiersmanagment im Viertel betrieben, in dessen Büro Jugendliche Migranten für den Polizeidienst rekrutiert werden: http://www.tagesspiegel.de

Auf der östlichen Seite des Mauerparks sorgen inzwischen die Pläne von VIVICO für Empörung.AnwohnerInnen in Prenzlauer Berg, die selbst als Gentrifizierer hier her gezogen sind, fürchten durch die geplante Bebauung des Mauerparks mit Luxuslofts eine Wertminderung der eigenen Wohnungen. Auch andere Nutzer des Parks protestieren gegen die Baupläne. http://www.mauerpark-fertigstellen.de/

Nun macht sich besonders die TAZ Sorgen um die zukünftigen BewohnerInnen der geplanten Häuser. Denn diese könnten sich vor der Nachbarschaft im armen Wedding fürchten und die übliche Versorgung mit gehobenen Geschäften und Gastronomie vermissen. An dieser Stelle entsteht die Allianz mit der DEGEWO, die ihre MieterInnen austauschen will.

Also wird zunächst ein Modefestival installiert und mit entsprechender Infrastruktur beworben: http://taz.de/WEDDING/!96863/

Unterirdisch primitiv wird TAZ Autorin Susanne Messmer wenn sie den letzten Trumpf zieht umInvestoren und reiche Konsumenten anzulocken. Eine Masche, mit der vor Jahren schon Leute in den Mauerpark, zur Admiralbrücke oder zur Schlesischen Straße gelockt wurden:

Das Versprechen auf schöne Frauen zu treffen. So banal das eigentlich ist, von Zitty, Tip und Morgenpost wurde dieses Argument häufig als Standortfaktor verwendet und jetzt schreibtdie TAZ über den Brunnenkiez:

„Eine schöne Frau mit Kopftuch in türkis schiebt einen Kinderwagen vor sich her.(…) Der Lockenkopf bestellt sein zweites Bier. Und während er sich wieder seiner schönen Freundin mit dem dicken Lidstrich zuwendet, da flaniert am Volta eine Frau in Leggins mit Leopardenmuster und mit einer großen und einer kleinen Tochter vorbei.“

Auf der einen Seite soll also mit Berichten wie dieser Auftragsarbeit der TAZ reiches Klientel angelockt werden, auf der anderen Seite drangsaliert die DEGEWO ihre MieterInnen mit Wachschutz, Überwachungskameras in den Hausfluren, Verbotsschildern in den Höfen und Mieterhöhungen.

Erst als sozialer Brennpunkt diffamiert um demnächst als neues Szeneviertel gehypt, stehen dem Brunnenkiez schwere Zeiten bevor.

Wenn hier nicht in wenigen Jahren ein langweiliges Viertel wie der Friedrichshainer Südkiezentstehen soll, gilt es frühzeitig Hand anzulegen.

Editorische Hinweise

Den Text  spiegelten wir von Indymedia, wo er am 17.7.2012 erschien.