Texte  zur antikapitalistischen Organisations- und Programmdebatte

07-2012

trend
onlinezeitung

 

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011/12 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Red. Vorbemerkung: Wir spiegelten den Artikel vom NaO-Block, wo er am 17. Juni 2012 veröffentlicht wurde.

Zwei kritische Anmerkungen zum Selbstdarstellungsflyer „Neue antikapitalistische Organisation. Muss das wirklich sein?!“
von
Manuel Kellner

Zitat: „ … das Wort ,Partei‘ wurde bewusst vermieden. Denn Wahlkampagnen statt Bewegungskampagnen wären der Weg vom Regen in die Jauche.“

Das bedeutet vor allem, sich selbst etwas vorzumachen! Eine Initiative für eine „neue antikapitalistische Partei“  wäre nur dann sinnvoll, wenn diese neue Partei auch vorhätte, auch auf Wahlebene gegen die Partei DIE LINKE anzutreten. Derzeit wäre ein solches Vorhaben ziemlich lächerlich und alleine schon angesichts der Kräfteverhältnisse zum Scheitern verurteilt. Solange keine räteähnlichen Selbstorganisationsstrukturen vorhanden sind, die die demokratische Legitimität der parlamentarischen Strukturen praktisch herausfordern und in Frage stellen, bedeutet der Verzicht darauf, bei parlamentarischen Wahlen anzutreten, nichts anderes als den Verzicht, auf politischer Ebene zu agieren. Außerparlamentarische Aktion und Verankerung ist wesentlich und entscheidend, es ist aber falsch und letztlich unpolitisch, dies heute der Selbstbehauptung auf der Ebene von Parlamentswahlen abstrakt entgegenzustellen. Dem heutigen Stand der Dinge entspricht allerdings nicht der Aufbau einer parteipolitischen Alternative zur Partei DIE LINKE, sondern die Zusammenführung  und Organisierung der antikapitalistischen Kräfte innerhalb wie außerhalb der Partei DIE LINKE.

Zitat: „Gründung einer neuen – mindestens antikapitalistischen, klassenkämpferischen – Organisation der subjektiven RevolutionärInnen“

Der Begriff „subjektive RevolutionärInnen“ ist abstrus. Sein Sinn besteht wahrscheinlich darin, dass sich die einen Grüppchen von den anderen Grüppchen auch weiterhin abgrenzen „dürfen“ in dem Sinne, dass ja eigentlich nur das eigene Grüppchen „revolutionär“ ist – man anerkennt ja nur den subjektive formulierten Anspruch der anderen, „revolutionär“ zu sein. Andererseits drückt die Verwendung des Begriffs ein Spannungsverhältnis aus zwischen den schon im Namen bekundeten Vorhaben, antikapitalistische Kräfte zusammenzuführen und zu organisieren und dem Vorhaben, erst mal eine Organisation derjenigen zu schaffen, die für die sozialistische Revolution sind.

Wichtig ist für diese Unterscheidung die Kategorie des „revolutionären Bruchs“. Nicht gradueller Übergang von der heutigen kapitalistischen Klassengesellschaft zur sozialistischen Demokratie, sondern eine radikale Umwälzung, die zum Bruch mit dem Kapitalismus führt. In diesem Verständnis ist die französische NPA natürlich revolutionär, und in diesem Verständnis sind auch Teile der Partei DIE LINKE revolutionär (Große Mehrheit der Antikapitalistischen Linken, Teile der Sozialistischen Linken, Teile der Kommunistischen Plattform, Marx 21, SAV, isl…).

Wenn das so gemeint ist, dann ist unausgesprochen die Frage der revolutionären Strategie nicht geklärt und bleibt im Rahmen der neuen Organisation anhand der Verarbeitung alter und neuer Erfahrungen zu klären. Bei der Abgrenzung einer revolutionären Strategie vom Linksreformismus ist die Staatsfrage die Gretchenfrage. Da wäre also nicht einfach der revolutionäre Bruch mit dem Kapitalismus, sondern der Aufbau von zum bürgerlichen Staatsapparat alternativen (räteartigen)Herrschaftsorganen von unten, die an die Stelle dieses Staatsapparats treten, der delegitimiert und zerschlagen wird. Das ist die revolutionär-marxistische Position.

Und eben weil es heute falsch wäre, diese Position – auch wenn wir an ihr festhalten – zum Maßstab und zum Mitgliedschaftskriterium für den Aufbau neuer breiter antikapitalistischer Organisationen und Parteien zu machen, ist es heute richtig, antikapitalistische Positionen und den angestrebten Bruch mit dem Kapitalismus zum Kriterium zu machen und gleichzeitig zu sagen, dass die strategischen Fragen nach dem „Wie?“ eines solchen Umwälzungsprozesse damit noch nicht geklärt sind, sondern im Rahmen der breiten antikapitalistischen Organisation oder Partei auch anhand der Verarbeitung neuer (und nicht nur historischer) Erfahrungen geklärt werden sollen.

Im Text heißt es: „Auch die SIB beansprucht nicht, ein ,Konzept‘ des revolutionären Bruchs in der Tasche zu haben.“  Eine gute Einstellung! Das gilt objektiv für alle am naO-Prozess beteiligten oder interessierten Gruppen. Wer von sich das Gegenteil glaubt, macht sich selber etwas vor. Diese Gruppen haben sicher alle etwas beizutragen zur Entwicklung eines solchen Konzepts, aber eben nicht ein Konzept „in der Tasche“, dass sich aus der Verarbeitung zeitgenössischer Erfahrungen mit revolutionären Prozessen ableitet.

Wenn unsere Position als isl gelegentlich karikaturhaft so dargestellt wird, als seien wir für die Beteiligung von „ReformistInnen“ am naO-Prozess, dann ist das völlig missverständlich. Wir sind dafür, die Beteiligung aller anzustreben, die eine radikale Umwälzung der Gesellschaft und den Bruch mit dem Kapitalismus durch massive Selbsttätigkeit und Selbstorganisation von unten wollen – und damit und in diesem Sinne auch die Beteiligung linker ReformistInnen, für die nämlich damit nicht – wie für uns – klar ist, dass dazu auch der Bruch mit dem bürgerlichen Staat und seinen politischen Institutionen erforderlich ist.