Eine Reihe von Protesten hat sich im
letzten Jahr ereignet. In Spanien und Frankreich haben sich „die
Empörten“ aufgestellt, in New York, Frankfurt und anderswo
Anhänger der Occupy-Bewegung Finanzplätze besetzt.
Occupy-Mitstreiter*innen betonen, dass Occupy eine für alle
offene Bewegung sei, die sich auf kein bestimmtes Programm
festlegen lasse, weshalb Einzelne aus ihr auch nicht für die
Gesamtbewegung sprechen könnten. Deshalb meinen manche, dass man
nicht über „die“ Occupy-Bewegung reden könne. Andererseits gibt
es gemeinsame Manifeste oder Leute, die sich als Anhänger
öffentlich äußern und Demoplakate mit konkreten Inhalten. In der
vorgetragenen Kritik sind uns Gemeinsamkeiten aufgefallen, die
wir thematisieren wollen.1 Dass es auch andere gibt, ist
sicherlich der Fall und stört uns auch gar nicht weiter,
schließlich wollen wir nur die Standpunkte kritisieren, an denen
uns Mängel aufgefallen sind und die verbreitet sind, nicht
einfach „alle“. Ferner gehen wir im Text auf verschiedene
Krisenproteste ein – also auch auf andere als Occupy-Bewegte –
weil uns bei den verschiedenen Protesten Ähnlichkeiten in der
Kritik, die sie formulieren, aufgefallen sind.
Weiter unten wird im Text noch
einmal auf die generelle Idee einer offenen Bewegung, die für
kein bestimmtes Interesse streiten will, eingegangen werden.
Zum M31 haben antikapitalistische
Gruppen mobilisiert. Teile dieser Gruppen haben auch zum
Blockupy-Wochenende in Frankfurt mobilisiert. Die folgenden
Kritiken sind nicht auf diese Gruppen bezogen. Andere Gruppen,
die ebenfalls beim Blockupy-Wochenende mitgemacht haben, trifft
die Kritik bestimmt.
Das Leben im krisengeschüttelten Kapitalismus bietet genügend
Gründe für Unzufriedenheit, weshalb es auch nötig und
verständlich ist nach Gründen dafür zu suchen. Die in den
Krisenprotesten vorgeschlagene Analyse, halten wir für
fehlerhaft und bezweifeln, dass hier die wirklichen Gründe für
Armut, Job- und Wohnungsverlust entdeckt werden, so dass der
Unzufriedenheit ein Ende gemacht werden kann.
In den Augen der Protestierenden ist
die Gesellschaft gespalten in die große Mehrheit, die „hart
arbeitet“ und ihren Beitrag zur Gemeinschaft leistet, während
einige Wenige auf Kosten von ihr leben. Ihnen wird nachgesagt
den „Profit über den Menschen zu stellen“ und dabei alle anderen
zu schädigen. Die ganze Gesellschaft scheint einen falschen Weg
eingeschlagen zu haben: „Ziel und Absicht des derzeitigen
Systems sind die Anhäufung von Geld, ohne dabei auf den
Wohlstand der Gesellschaft zu achten.“ (Manifest M15)
Dagegen wird sich stark gemacht: „Wir sind die 99%“! „Als ein
Volk vereint“ prangern die Protestierenden verschiedene Zustände
an2: von der illegalen Zwangsräumung über rassistische oder
sexistische Diskriminierung am Arbeitsplatz bis zu durch
Fahrlässigkeit verseuchte Lebensmittel. Allein an dem, woran
sich gestört wird, ist etwas auffällig: Das illegal an der
Zwangsräumung stört, der legale Rauswurf aus der Bleibe wegen
Geldmangel geht also anscheinend in Ordnung! Unerlaubte
Diskriminierung – eben nach „Rasse“ oder Geschlecht – wird am
Arbeitsplatz nicht gut geheißen, der ständige Leistungsvergleich
aber, bei dem diejenigen, welche die von Unternehmen geforderte
Leistung nicht bringen können, ihre Existenzgrundlage verlieren,
gilt nicht als Diskriminierung – diese ist ja auch erlaubt! An
vermeintlicher Fahrlässigkeit bei der Lebensmittelproduktion
wird sich gestört, also schon einmal fraglos unterstellt, dass
der Zweck der Lebensmittelherstellung in Versorgungsleistungen
bestünde, so dass Ungenießbares nur leichtsinnigen Fehlern
zuzuschreiben sein könne. In der Anprangerung drückt sich also
ein grundlegendes Einverständnis mit dieser Gesellschaft und
ihren Einrichtungen aus. Sofern ihre Praxen dem Recht
entsprechen, ist an ihnen nichts zu kritisieren. Die Abweichung
vom Recht oder dem was sich als eigentlich geboten vorgestellt
wird, ist so das eigentlich Beklagenswerte. Eine derartige
Kritik fordert nichts anderes als das alles „mit rechten Dingen“
zu gehen soll und kann sich die Ursache von Schädigungen
entweder nur als Rechtsbrüche denken oder empfindet sie eben als
gerechtfertigt.
Der Kapitalismus als eine Gemeinschaft
Wenn ein großes Wir ausgemacht wird,
auf das „die Kosten“ der Krise abgewälzt würde, wird sich die
bestehende Gesellschaft als ein Gemeinschaftswerk vorgestellt.
Die Marktwirtschaft ist aber kein Gemeinschaftswerk, sondern
eine Gesellschaft von lauter Konkurrenten.
Schüler konkurrieren um bessere
Noten und damit den Zugang zu weiterführender Bildung. Als
spätere Arbeitnehmer konkurrieren sie um Jobs, also darum dass
sich ihre Beschäftigung für Unternehmen lohnt. Die Firmen
konkurrieren dann gegenseitig mit dem Ertrag aus der Arbeit der
Lohnabhängigen um Absatz und Gewinn.
Alle müssen in dieser Gesellschaft
ihre Interessen also gegeneinander verfolgen, weil ihre
Interessen grundlegend vom Verfügen über Geld abhängig gemacht
sind. Was heißt das?
Kein Wohn- oder Nahrungsbedürfnis
wird befriedigt, wenn es nicht zahlungsfähig ist. Es müssen
schon die Interessen der Eigentümer an diesen Dingen bedient
werden. Diese verkaufen ihre Produkte nur, wenn dadurch ihr
Vermögen wächst. Dafür brauchen die Leute Geld, das sie sich
dann erstmal irgendwo verdienen müssen, weil sie keines haben.
Der Großteil der Leute sieht sich damit in der Lage, von dem
ganzen nützlichen Reichtum, der hergestellt wird ausgeschlossen
zu sein, weil der anderen als Eigentum gehört. Dafür, dass
dieser Ausschluss auch akzeptiert wird, sorgt der Staat mit
seinem Recht, welches das Eigentum schützt. Um den Ausschluss zu
überwinden, kommt die eigentumslose Mehrheit nicht herum, sich
um einen Arbeitsplatz zu bemühen, der ihnen nicht wegen ihrer
Angewiesenheit auf den Lohn zu Verfügung gestellt wird, sondern
dann, wenn sich ihre „Beschäftigung“ für die Unternehmen lohnt.
Sofern ihre Arbeit das Eigentum der Unternehmen vermehrt, lohnt
sich die Anstellung. Dafür erhalten sie einen Lohn, der dafür
sorgt, dass sie für die Arbeit überleben, aber sich niemals ein
gutes Leben leisten können. Damit die Eigentumsvermehrung gut
klappt, gibt es hier ein Ausbildungswesen, wird der Mittelstand
auch mal gefördert, sorgen die Gerichte dafür, dass Verträge
einzuhalten sind. Wie gut das mit der kapitalistischen
Reichtumsvermehrung insgesamt klappt, lässt sich dann daran
ablesen, ob in den Zeitungen steht, „die Wirtschaft“ wächst oder
kriselt. Bei dem „Wohlstand der Gesellschaft“ geht es dann nicht
um den Reichtum im Portmonee der Leute, sondern um den der
Nation und ihrer Wirtschaft insgesamt. Und um den zu steigern,
ist eine Sparrunde bei denen, die eh nur fremden Reichtum
mehren, immer gut, weil sie so für „ihre Unternehmen“ billiger
werden.
Die Gemeinschaft der Anständigen
An die Unterscheidung von
Eigentumslosen und Leuten, die Eigentümer von Arbeitsplätzen,
also den Mitteln sind, mit denen sich was Verkaufbares
produzieren lässt, ist nicht gedacht, wenn von einem „wir“ Rede
ist.
Dieses „wir“ ergibt sich so auch
nicht aus der Verfolgung gemeinsamer Anliegen, sondern aus dem
Bewusstsein, zu den Anständigen in dieser Gesellschaft zu
gehören. Dieses Bewusstsein drückt sich beispielsweise im
Manifest der „Empörten“ folgendermaßen aus:
„Wir sind normale Menschen. Wir
sind wie du: Menschen, die jeden Morgen aufstehen, um studieren
zu gehen, zur Arbeit zu gehen oder einen Job zu finden, Menschen
mit Familien und Freunden. Menschen, die jeden Tag hart
arbeiten, um denjenigen die uns umgeben eine bessere Zukunft zu
bieten.“ (Manifest M15)
Sie werben mit ihrem Beitrag zu der
Konkurrenzgesellschaft, die sie sich ideell ja als Gemeinschaft
vorstellen. Für die soll jeder seinen Beitrag – an seinem Platz
in der Gesellschaft – leisten, und dafür auch seinen gerechten
Lohn erwarten können. Wenn jeder also beim Geldverdienen bereit
ist für das Ganze etwas zurückzustecken, soll die Gemeinschaft
etwas für alle sein. Die Protestierenden wuchern hier mit ihrer
Dienstbereitschaft und meinen ausgerechnet diese müsste sich
doch irgendwie für sie lohnen. Die gegenteilige Behandlung durch
Staat und Kapital empfinden sie deshalb als unverdient, weshalb
sie sich auch empören. (Die Empörung speist sich so aus dem
Idealismus des lohnenden Verzichts für das Gemeinwesen, in dem
sie sich gerne zu Hause fühlen wollen.) Sie halten es nicht für
einen Widerspruch, dass sich ausgerechnet Opfer für sie
auszahlen sollen. Sie fühlen sich moralisch im Recht gegenüber
den „schäbigen“ und „korrupten“ Oberen. Denn umgekehrt weiß man
mit dem Standpunkt des eingesehenen Verzichts für das
Gemeinwesen, das sich so auch für einen selbst auszahlen soll,
woran es liegt wenn es nicht so für einen läuft: An einigen
Wenigen, die dann nur an sich denken. Diese stellen ihr privates
Bereicherungsinteresse über die Gemeinschaft und schädigen damit
alle. Sie bekommen dann den Vorwurf, „den Profit über den
Menschen zu stellen“, weil sie von „Profit-Gier“ getrieben
seien.
People over Profit!
Profit ist so keine ökonomische
Kategorie der Differenz von verdientem Geld über das
investierte, gibt also nicht mehr das Verhältnis des
Überschusses über einen Vorschuss an, sondern eine moralische
Entgleisung, eine falsche Stellung zum Profit und die ist dann
das Schlimme und nicht der Profit selbst. Profit steht nämlich
einfach für ein Übermaß an „Eigennutz statt Gerechtigkeit“
(Manifest Occupy Wallstreet).
Der Gier-Vorwurf entdeckt bei
einigen wenigen, dem 1% oder zur Zeit besonders häufig bei den
Managern des Bankwesens, dieses Übermaß an persönlichem
Bereicherungswillen, der auf Kosten anderer geht, weil er den
ganzen Laden ins Kriseln bringt.
Dagegen ist zu fragen: Wo soll denn
die „richtige Grenze“ zwischen maßvollem Geschäft und
„übermäßigen“ Bereicherungsinteresse beim Profit liegen? Er hat
doch gar keine. Bei wie viel Milliarden verdienter Euro ist es
denn zu viel? Wo soll denn die allgemeinverträgliche Grenze des
Gewinns liegen – bei 2 oder 20 % Rendite? Diese Fragen sind nie
im Vorhinein objektiv zu beantworten. Im Krisenfall, wenn die
Kredite sich nicht in sprudelnde Gewinne umgesetzt haben oder
wenn die Staatsverschuldung zu keinem Wachstum geführt hat, will
aber jeder auf einmal wissen, dass „zu viel“ gewollt wurde und
zu „leichtsinnig“ spekuliert wurde. Das „zu viel“ merkt man aber
immer nur hinterher: Wenn das Geschäft nicht aufgegangen ist,
sich Schulden nicht als Kapital erwiesen haben. Insofern ist der
Vorwurf der Gier eine sehr affirmative Kritik, die einer
bestimmten Branche oder ihren Managern Erfolglosigkeit vorwirft.
Für kritikabel wird hierbei also befunden, dass der Laden gerade
nicht funktioniert!
Zweitens verlegt der Vorwurf der
Gier das Ziel Geldvermehrung, also den Zweck dieses Systems, den
sowohl das Bankwesen als auch die „Realwirtschaft“ in echt
verfolgt, in die moralische Verkommenheit bestimmter Personen
(„Bankster“) oder Konzerne. Der Vorwurf nimmt so eine Deutung
der Krise vor, indem Schuldige für sie ausgemacht werden. Damit
steht im vornherein fest, dass die Krise nur an Einzelnen liegen
kann, die sich an eigentlich gute Regeln nicht gehalten haben
und durch ihr Fehlverhalten die Krise verursacht haben. So
erklärt man sich kritisch einverstanden mit dem System: Einzelne
verhindern vor lauter „Eigennutz“ seine tollen Wirkungen.
Affimative Kritk: Jeder soll seinen Job richtig machen. Mit dem
Herausfinden von Gründen hat das nichts zu tun, dafür mit der
Gewissheit, dass die Krise nicht notwendig sein müsste, wenn
alle nur ihrer Pflicht nachkommen würden. Diese moralische
Kritik verlangt dann folgerichtig auch nicht für Geschädigte ein
besseres Leben, sondern die Bestrafung der moralischen
Abweichler: „Bankster!“ - „Hang them!“ (Demo-Plakat)
Die Protestierenden der Occupy-Aktionen klagen an, dass die
Krise auf dem Rücken der Prekären, Beschäftigten, Rentner – eben
der lohnabhängigen Bevölkerung – abgeladen wird. So nach dem
Motto: die Banken oder die Reichen übernehmen die Kosten, die
sie verursacht haben nicht. Stattdessen würde auch noch den
Armen qua Steuergeld und Sparprogramm Geld genommen, dass dann
die Reichen kriegen würden.
Abgesehen davon, dass die
Bankenrettung faktisch schon ganz anders läuft, nämlich über
Staatsverschuldung, liegt dem eine falsche Vorstellung über das
Wesen des Reichtums im Kapitalismus zugrunde. Hier wird so getan
als läge das Problem lediglich in einer falschen Verteilung des
Reichtums, wenn der Reichtum bei Banken (oder Konzernen) statt
bei den Leuten landet, die darauf existentiell mehr angewiesen
sind. So steht beispielsweise im Aufruf zu den Blockupy-Aktionen
folgendes: „Von den Milliardenbeträgen der 'Eurorettung'
bekommen die Menschen in den betroffenen Ländern keinen Cent,
der Hauptteil fließt direkt an die Banken zurück. “
(Blockupy-Aufruf)
Hierbei wird verpasst, worin der Zweck des hiesigen Reichtums
allgemein und desjenigen, der zur Abwendung des Finanz- und
Staatsverschuldungscrashs aufgenommen wird: Geld wird hier
ausgegeben, um vermehrt zu seinen Eigentümern zurückzukehren.
Genau das ist auch das Business vom Bankwesen, das über das Geld
der Gesellschaft verfügt, es Firmen nach seinem Ermessen
zuteilt, die mit dem geliehenem Geld ihre Geschäfte anstoßen und
das sich eigene Wachstumsquellen durch sein Wertpapiergeschäft
verschafft. Weil das Bankwesen für das Funktionieren des Systems
der Geldvermehrung derart zentral ist, haben die Staaten es
gerettet, und zwar darüber dass sie sich massiv verschuldet
haben. Weil die Staaten ein Interesse am Funktionieren des
Bankwesens haben, haben sie ihren Nationalkredit belastet, und
zwar nicht um neue Wachstumsbedingungen auf ihrem Standort
herzustellen, sondern um einen „Crash“ ihres Kapitalismus
abzuwenden.
Wenn Geld wirklich dazu da wäre,
dass eine „gerechte Verteilung“ von Reichtum am Ende
herauskommen soll, wäre es doch zumindest fragwürdig, warum man
für das Entstehen dieses Reichtums erst derartig große
Unterschiede von arm und reich zulässt. Um am Ende dann die
Reichen zu schröpfen und alles umzuverteilen? Dann hätte man
sich die Unterschiede doch von Anfang sparen können! Dass
Umverteilungswünsche in der Realität nicht vorkommen, sollte man
ihr nicht zur Last legen, sondern ihr entnehmen, wofür diese Art
von Reichtum da ist: Dafür, dass der von Privateigentümern (ob
das nun Banken oder Unternehmen sind) vermehrt wird. Die Mittel
ihn zu vermehren haben die normalen Leute nicht – sie sind im
Gegenteil das Mittel dafür. Deshalb sehen sie von dem durch sie
vermehrten Reichtum auch nicht viel und werden von ihm
ausgeschlossen.
An den Sparmaßnahmen sieht man das
auch: Wenn es heißt, dass der Euro unbedingt gerettet werden
muss, dann ist damit nie der Euro im Portemonnaie der Leute
gemeint, sondern die Geldeinheit, in der Geschäft laufen und die
sich als Geldanlage wieder lohnen soll. Wie soll das passieren?
Gerade indem an Rente, Lohn und Zuschlägen gespart, also das
Leben der Lohnabhängigen verbilligt wird. Ausgaben für bloße
Lebensbedürfnisse von Lohnabhängigen sind anscheinend genau das
falsche Signal an die Finanzmärkte. Dem ließe sich entnehmen,
dass man es nicht mit falscher Verteilung oder damit zu tun hat,
dass „nur noch“ ums Geld ginge, sondern das der Zweck des Geldes
und die Lebensinteressen von Leuten, die es mehren sollen,
einander ausschließen.
Banken in die Schranken!
Alternativ kann die Forderung nach
„Gerechtigkeit“ - also die Verpflichtung aller auf den Dienst am
Gemeinwesen – auch darin münden, die „Eigennützigen“ beschränken
zu wollen. Die Beschränkung fordern viele ausgerechnet von der
Politik, die die Profitinteressen zuvor ins Recht gesetzt hat
und die gerade alles dafür tut, um ihnen weiterhin gute
Geschäftsbedingungen zu verschaffen.
„Banken in die Schranken!“3 fordern
sie z.B. von der Politik und meinen in ihr auch den richtigen
Ansprechpartner gefunden zu haben, sie machen ihr z.B.
praktische Vorschläge, wie die Finanzübermacht, „die
Spekulative“, zurückzudrängen sein. So fällt es der Politik auch
nicht schwer, den Protest für sich zu vereinnahmen und ihr
Handeln als eines im Auftrag der Protestierenden darzustellen,
wenn sie selbst höhere Eigenkapital-Anforderungen ans
Finanzgeschäft stellt, mit Transaktionssteuern droht und eine
freiwillige Beteiligung privater Anleger am griechischen
Schuldenschnitt aushandelt. Wenn die Politik allerdings
Beschränkungen für das Finanzgewerbe bestimmt, dann lizensiert
sie es erstens in neuer Form, weil sie es zweitens für ihren
Wirtschaftsstandort schätzt und es so drittens auf neuer
„soliderer“ Grundlage zum Florieren bringen will und nicht weil
sie es tatsächlich einschränken will. Das Geschäft soll nur
krisenfrei ablaufen! Und auch im Wunsch nach einem krisenfreien
Kapitalismus ist sich ein Teil der Protestierenden mit der
Politik einig:
Statt in „hochspekulative
Finanzprodukte“ zu investieren, sollte die Bankenwelt doch ihrer
„eigentlichen“ „dienenden“ Aufgabe nachkommen,
verantwortungsvoll Kredit zu günstigen Konditionen an Staaten,
Unternehmen und Häuslebauer zu vergeben. So wollen sie „Bankiers
statt Bankster!“
Kredit ist erstens nie ein Dienst,
sondern ein Rechtsanspruch gegen den Schuldner, die Zinsen zu
bedienen, egal wie der das hinkriegt. Ein Kredit wird nie
vergeben, um jemanden zu „versorgen“, sondern um an fremder
Geschäftstätigkeit zu partizipieren. Zweitens ist es immer eine
risikobehaftete Angelegenheit, Kredite an Konkurrenten zu
vergeben, die sich ihren Erfolg gegenseitig bestreiten. Ein
Kredit, der den Kreditnehmer vom bisher verdienten Geld
unabhängig machen soll, um zukünftiges Geschäft gegen andere zu
ermöglichen, ist immer spekulativ. Das Schuldengeschäft wird
also nicht erst bei Aktien und Derivaten spekulativ, seine Natur
besteht im Geschäft mit dem Risiko.4 Dabei sollen die Banken
dann aber nur nicht „zu viel“ riskieren. Wo aber soll bitteschön
das Maß der „soliden Spekulation“ sein? Banken sollen Risiko
eingehen, aber nicht zu viel und ganz solide? Das „zu viel“ wird
wie zuvor dargestellt immer erst beim Eintreten einer Krise
entdeckt.
Dem Bankwesen vorzuwerfen, dass es
seine Aufgabe verletze, die Unternehmen mit Krediten „zu
versorgen“, wenn es in „hochspekulative Finanzprodukte“
investiere, erklärt ganz schlicht alle Geschäftstätigkeit, die
über das Verleihen von Krediten hinausgeht und auf dieser
Grundlage passiert, zu einer bloßen Entgleisung des Geschäfts.
Diese Erklärung will sich also gar nicht mit dem Bankgeschäft
für sich auseinandersetzen, sondern es moralisch anprangern.
Noch fataler bei dieser Diagnose ist allerdings die
Unterscheidung von schaffendem und raffendem Unternehmertum.
Während in der Realwirtschaft noch produziert würde und
Arbeitsplätze geschaffen würden, würde im Finanzwesen ja „nur
noch Geld“ verdient, lautet der Vorwurf. Der „Realwirtschaft“
wird einfach unterstellt, sie habe letztlich den Zweck,
nützliche Sachen für die Versorgung von Leuten herzustellen.
Dagegen muss man festhalten: Die Sachen – so brauchbar und nötig
sie auch sein mögen – werden nicht verteilt, sondern verkauft.
Sie werden nicht einmal produziert, wenn nicht die Aussicht
besteht, sie gewinnbringend absetzen zu können. Niemand wird
eingestellt, weil er auf einen Lohn angewiesen ist, sondern wenn
die mit dem Lohn eingekaufte Arbeitsleistung so viel mehr an
Ertrag erwirtschaftet, dass bei der Realwirtschaft Gewinne
hängen bleiben. Auch die Realwirtschaft hat denselben Zweck wie
das Finanzgewerbe: Geldvermehren(lassen). Dort wird das Geld
zwar anders vermehrt, aber die Identität von beiden besteht in
der Geldvermehrung und von der ist hier alles abhängig gemacht.
Damit ist der Profit das gesellschaftlich gültige Interesse und
nicht bloß ein „nur“. Profit wird hier nicht zu wichtig
genommen, sondern von ihm ist alles abhängig gemacht, für nichts
anderes wird hier gearbeitet, in nichts anderem besteht der
Zweck dieser Gesellschaft.
Umgekehrt drückt sich im Wunsch nach Beschränkung aus, wie gern
die Protestierenden einfach wieder „zurück zur Normalität“
wollen und wie sturzzufrieden sie eigentlich mit den
Verhältnissen sind: Krise soll nicht mehr sein und die
Finanzsphäre ihrem „eigentlichen“ Job nachkommen, den Zweck der
Wirtschaft nach „verantwortungsvollen Wachstum“ ordentlich zu
unterstützen. Wenn die Protestierenden die Krise, aber sonst
nichts am Kapitalismus stört, müssen sie vielleicht einfach ein
bisschen zelten und warten – bis sich genügend Kapital entwertet
hat, damit das „verantwortungsvolle“ Wirtschaften wieder von
vorne losgehen kann. Außerdem müssen sie der Politik nur die
Daumen dabei drücken, ihre Bevölkerungen genug zu verarmen, so
dass die mit der Staatstätigkeit herbeiregierten
Standortbedingungen wieder als produktiv, weil
wachstumsförderlich, eingeschätzt werden.
Brecht die Macht der Banken!
Am negativen Urteil der Finanzwelt
über bestimmte Staatsanleihen oder die Kreditwürdigkeit von
produktiven Unternehmen, wird die Macht der Banken festgemacht.
In der Kritik kommen hierbei die Staaten allerdings
fälschlicherweise als die Opfer und Getriebene des Bankenkalküls
vor.
Diese Kritik unterschlägt, die
staatliche Grundlage vom und das staatliche Interesse am
Finanzwesen. 2008 haben die Staaten das Bankgeschäft mit
verschiedenen Maßnahmen gerettet.5 Allein, dass sie das
vermochten, verweist erstens auf ihr Interesse an einem intakten
Bankwesen, zweitens darauf, dass dieses Geschäft dann auch auf
der staatlichen Macht beruht. Er lizenziert deren Geschäft: Alle
Handelsartikel (vom kommerziellen Kredit bis zum
Optionsgeschäft) sind Rechtsansprüche, die er garantiert. Der
Staat stellt den Banken zweitens das Material ihrer Betätigung
überhaupt erst zur Verfügung, indem er ein nationales Geld
stiftet.
Der Staat hat an dem Geschäft der
Banken ein eigenes Interesse: Er setzt es frei, so dass sie nach
ihrem Kalkül von Sicherheit und Rendite über die Zuteilung von
Geld entscheiden, auf dass auf dem eigenen Standort garantiert
nur Geld verausgabt wird, dass kapitalistisch gerechtfertigt,
also rentabel ist – von diesem aber unbegrenzt viel. Weil der
Staat diesen „Dienst“ von ihnen will, rettet er die Banken und
macht seine Verschuldung von ihrer Bewertung abhängig.
Hierbei sollte man allerdings beachten, dass es Sache der
Politik ist, Staatsanleihen zu begeben, also das staatliche
Verschuldungsinteresse dem Finanzkapital als Geschäftsmittel
anzubieten. Die Staaten wollen sich damit eine höhere Freiheit
in Sachen Ausgaben für ihre Standortförderung leisten. Umgekehrt
haben die investierenden Banken und Versicherungen relativ
sichere Papiere, die sich verzinsen, wissen sie doch um die
Zugriffsmacht des Staates auf den Reichtum unter seiner Hoheit.
Dass damit der staatliche Wille, mit den neu eingeworbenen
Geldmitteln einen erfolgreich wachsenden Standort zu
herbeizuregieren, nun auch zu einem Muss wird, wenn er sich
weiterhin verschulden will, mag schon so sein. Das zeugt jedoch
weniger von einem äußeren Zwang als von der Konsequenz die sein
Interesse nach sich zieht – er setzt seinen Standort und seine
Ausgaben eben der Beurteilung durch seine Geldgeber aus: Wie
fähig ist er zukünftig gesteigerten Reichtum aus der von ihm
beherrschten Gesellschaft zu ziehen? So lange wie beide
Interessen zusammenwirken, so lange ist nebenbei niemand auf die
Idee gekommen, die Macht von Finanzkapitalisten zu kritisieren.
Mit der Krise und dem Misstrauen in den Kredit einiger Staaten
ist diese Symbiose aufgebrochen und dadurch, dass sich die
Banken „einfach nur“ fragen, ob die jeweiligen Staatsschulden
noch für ihr erlaubtes Bereicherungsinteresse taugen und mit der
Abwertung ein negatives Urteil fällen, geraten die Banken in
Verruf. All das spricht aber nicht für eine Fremdherrschaft der
Banken.
Die Sphäre der Politik: Korrupt,
Amtsmissbrauch – Mangel an Demokratie
Für ihre Bescheidenheit bzgl. der
Ansprüche nach einem eigenen guten Leben verlangen die
Protestierenden von der Politik wenigstens berücksichtigt zu
werden: „Die Demokratie gehört den Menschen (demos = Menschen,
krátos = Regierung), wobei die Regierung aus jedem Einzelnen von
uns besteht. Dennoch hört uns […] der Großteil der Politiker
überhaupt nicht zu. Politiker sollten unsere Stimmen in die
Institutionen bringen“ (Manifest M15) Die Nation und ihre
Politik scheint nur für den Auftrag zu bestehen, den Interessen
der Leute zur Durchsetzung zu verhelfen, also gute
Lebensverhältnisse für's Volk zu schaffen.
Der Grund dafür, dass Krise herrscht
und der „Profit über den Menschen“ gestellt werden konnte, so
dass der Gier einiger weniger Recht gegeben worden sein soll,
liegt für die Protestierenden in einer völlig falschen Politik.
Dass die Mehrheit der 99% nicht viel von ihrem Leben hat –
obwohl es ihr vor lauter Dienstbereitschaft doch zustünde –
liegt für sie darin, dass ihr eigentlich Verdientes von der
politischen Macht vorenthalten wird. So werden sie kritisch
gegen den Staat und klagen darüber, dass er sich die Abwesenheit
„echter Demokratie“ hätte zu Schulden kommen lassen.
Deren Fehlen soll dann der eigentliche Grund für die
aufgezählten Leiden sein. Auch wenn das logisch widersprüchlich
ist, geht der Gedanke dabei so: Weil die Herrschaft von der
unternehmerischen Minderheit der 1% korrumpiert sei, höre sie
nur noch auf den Profit und diene nicht mehr dem Volke. So
verletze sie ihren eigentlichen volksfreundlichen Auftrag und
werde zu einer Herrschaft „der 1%, durch die 1%, für die 1%“.
Zum volksfreundlichen Auftrag der Demokratie:
Es ist schon fragwürdig, warum es
ausgerechnet ein Gewaltmonopol mit einer Heerschar von
Polizisten und Richtern brauchen soll, um Leuten ein
auskömmliches Leben zu bieten. Es fragt sich auch, warum es für
ein gutes Leben von Menschen überhaupt eine Herrschaft brauchen
soll – soll sie die Menschen zu chilliger Arbeit und guter
Versorgung etwa zwingen? Jede Herrschaft – auch die
demokratische – unterstellt einen Gegensatz zu den von ihr
Beherrschten. Es muss ferner eine seltsame Gemeinschaft sein,
wenn sie erzwungen werden muss. Dann beruht sie nämlich nicht
auf gemeinsamen Interessen und Absprachen, sondern auf lauter
ins Recht gesetzten Gegensätzen!
Was ist eigentlich Volksherrschaft? Dass das Volk nicht über
sich selbst herrscht, sondern regiert wird, ist bekannt. Wenn
die Demokratie ihr Volk selbst darüber abstimmen lässt, von wem
es sich gern regieren lassen will, wird sie darüber noch nicht
menschenfreundlich. Sie überlässt hierbei der Bevölkerung die
Entscheidung, wer die vorher feststehenden Ämter ausfüllen soll,
also mit der bereits vorabstehenden Staatsräson betraut werden
soll. Zu der Ermächtigung bestimmter Parteien und Politfiguren
darf das Volk seine Zustimmung abgeben, in der Wahl wird jedem
so abverlangt sich die Frage vorzulegen, wer Deutschland wohl am
besten regieren könnte – ohne zu fragen, was er selbst davon
eigentlich hat. Die Abgabe der Stimme ist gleichbedeutend mit
einer Unterschrift, fortan andere über die eigenen
Lebensverhältnisse entscheiden zu lassen – demokratisch
legitimiert. Ausgerechnet von so etwas wollen die
Protestierenden mehr?
Dass die Mehrheit in der Demokratie nicht gerade von ihr
profitiert, liegt nicht an ihrer Abwesenheit oder dass einfache
Bürger zu wenig mitreden dürfen, sondern an ihrem
Herrschaftszweck. Noch für jeden Politiker ist es das
Wichtigste, dass „Deutschland gestärkt aus der Krise“
hervorgeht, alle halten es für eine Notwendigkeit sich um die
Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und um Zuspruch von den
Finanzmärkten zu bemühen. (Die Politik verfolgt damit nicht den
Standpunkt „es allen recht machen zu wollen“, sondern will den
Erfolg der Nation.) Dass Natur, Menschen und Wissenschaft
Ressourcen dafür sind, mit denen sich Gewinn durch Unternehmen
erzielen lassen, wird von jeder Politik so gesehen. Beim
Management der Bedingungen, dass diese auch geldverdienmäßig
ausgenutzt werden, gibt es dann parteipolitische Alternativen –
worin besteht der sichere Energiemix?, Vermögensster bei 42%
oder 48%?, Mindestlohn bei 7,50 oder 10 Euro?
Dass das demokratische Procedere
beim Staatmachen kein Selbstzweck für sich ist, sondern eben ein
Mittel um das Volk ideell auf die Staatsvorhaben zu verpflichten
und dessen Zustimmung abzuholen merkt man an sowas wie
Expertenregierungen oder der Drohung seitens der Troika Kredite
zu verweigern, das griechische Volk über die Annahme
Sparmaßnahmen abstimmen zu lassen. Wenn ein Misstrauen in den
Volkswillen besteht, stört das demokratische Verfahren einfach
nur! Somit macht sich die Politik nicht vom Willen des Volkes
abhängig und wirft auch mal ihre Herrschaftsmethodik über Bord,
wenn sie sie für unzweckgemäß hält.
Zum Korruptionsvorwurf:
Politikern den Vorwurf zu machen,
sie ließen sich bestechen und würden damit ihrem eigentlich
Auftrag nicht mehr nachkommen, tut so, als müssten sie erst zu
etwas gezwungen werden, was sie selbst gar nicht vorgehabt
hätten. Der Vorwurf der Korruption verpasst genau das
Eigeninteresse der Politik am Wachstum der nationalen
Wirtschaft, weil sie sich etwas für sich davon verspricht. Nur
wegen ihrem Interesse hat sie übrigens auch ein offenes Ohr für
die Bedürfnisse von Unternehmen und richtet ihnen eine Lobby
ein. Nur wegen ihres Interesses an kreditfinanzierter
Staatstätigkeit erlaubt sie den Banken die Bewertung von
Staatsanleihen. Es wäre auch ein schlechter Witz, wenn die
Politik eigentlich gerne Leuten ein nettes Leben ermöglichen
wollen würde, nur ausgerechnet sie – die die Geschäftswelt zu
ihrer Tätigkeit berechtigt und ermächtigt hat – dauernd durch
ihr eigenes Produkt dazu nicht in der Lage wäre. Volksherrschaft
heißt eben gar nicht, dass es allen gut gehen soll oder es
„allen recht zu machen“, sondern dass es eine Politik gibt, die
über dem Volk steht und es beherrscht. Eine Politik, die alle
einzelnen beschränkt und sie so zur Verfolgung ihrer
gegensätzlichen Interessen berechtigt, damit der Erfolg der
Nation zum Zuge kommt – dafür wird das Volk benutzt und gegen
andere Nationen wird er erzielt und behauptet (siehe
Griechenland). Ein Sparprogramm zeigt das extra deutlich: Für
einen stabilen Euro und das Vertrauen der Finanzmärkte in die
Verschuldungsfähigkeit der Staaten werden Ausgaben für bloße
Lebensbedürfnisse der lohnabhängigen Bevölkerung
zusammengestrichen und gegen sie durchgesetzt. Selbst jetzt, wo
die Bedürfnisfeindlichkeit des Systems besonders offen zu Tage
tritt, hoffen die Protestierenden auf besseres Regiertwerden?
Diese Beschränkung tut niemanden gut und lohnt sich auch nicht,
weil sie in der Verpflichtung aller besteht, direkt oder
indirekt einen Beitrag zum Konkurrenzerfolg in Sachen
Wirtschaftswachstum zu leisten. Genau in der Förderung von
Kapitalwachstum für die eigene Nation besteht die
„Verantwortung“ der demokratischen Politiker*innen. Frage an die
Protestierenden: Ist es sinnig an diese Politik Forderungen zu
stellen? Ist es klug sich von einer solchen Politik beherrschen
lassen zu wollen?
Nein, werden einige sagen: Wir wollen ja eine echte Demokratie!
„Echte Demokratie jetzt!“
Es ist zwar gar keine Kritik an der
bestehenden, ihr einfach das eigene Bild einer idealen entgegen
zu halten. Trotzdem sei noch ein Augenmerk auf die Praxis der
voll echten Direktdemokratie gelegt: „Als eine Versammlung von
Menschen ist die Asamblea die basisdemokratische Zusammenkunft
freier Individuen zum konstruktiven kommunikativen Austausch.
Dieser Austausch hat Konsensentscheidungen zum Ziel, die
Kommunikation sollte lösungsorientiert und kooperativ von
Statten gehen. Sinn und Zweck der Asamblea ist es ausdrücklich
nicht, gegensätzliche Positionen konfliktiv aufeinanderprallen
zu lassen, sondern vielmehr aus gegensätzlichen Positionen
heraus gemeinsam neue Ansätze zu entwickeln.“ (alex11.org)
„Sonstige Abstimmungen sollten nur in terminlich drängenden,
organisatorischen Fragen, in denen die Zeit fehlt um zu einer
Konsensentscheidung zu gelangen, als Mittel gewählt werden. Es
ist allerdings niemand gezwungen sich an Ergebnisse von
Abstimmungen zu halten. Denn echte Demokratie schließt ein
Verständnis und ein Bewusstsein für eigenverantwortliches
Handeln mit ein.“ (alex11.org) In der Asamblea soll jeder zu
Wort kommen, jeder gehört werden. Jedes Interesse wird für
gleich wichtig befunden, auf den Inhalt kommt es also nicht so
sehr an. Jeder kann sich aber mit seiner ganz persönlichen
Betroffenheit als Betroffener vorstellig machen und so die
Demonstration seiner Empörung mit Kritik verwechseln. Es geht
nicht darum für bestimmte Interessen zu kämpfen – das würde
andere ja ausschließen – sondern darum, mit der Versammlung und
dem öffentlichen Campen zu zeigen, dass hier eine Mehrheit von
Betroffenen versammelt ist, die sich „engagiert“. Dieses
Interesse ist für sich schon ein seltsames, das nämlich nur
zeigen will, dass man sich irgendwie engagiert statt „zuguckt“.
Widersprüchliche Interessen werden dann nicht einfach
ausgetragen, sondern jeder soll sich konstruktiv für die ideelle
Gemeinschaft einsetzen und dann eben nach anderen
„Lösungsvorschlägen“ suchen. Warum eigentlich? Es kann doch auch
mal sein, dass man falsch liegt, da ist es doch besser sich
widerlegen zu lassen statt gemeinsam irgendeinen neuen Ansatz zu
suchen, der dann am Ende trotzdem Murks ist. Für was eigentlich?
Für einen „gezähmten“ Finanzmarkt? Für eine solidarische EU?
Es kommt doch schon etwas auf den
Inhalt der verschiedenen Interessen an. Relativ zu dem ergibt
sich dann, ob man zwischen den unterschiedlichen vermitteln kann
oder nicht. Auf eine Zeltordnung in Sachen Kloreinigung und
Kochen, woran alle ein Interesse haben dürften, lässt sich
sicherlich gut einigen. Worauf sich allerdings abhängig
Beschäftigte und Mittelständler einigen sollen in Fragen der
Arbeitsplatzeinrichtung und Lohnhöhe ist nicht abzusehen.
Zwischen dem Interesse an einem guten Geschäft, das möglichst
viel Leistung zu möglichst geringen Lohnkosten verlangt und dem
Interesse an möglichst wenig Arbeit für möglichst viel Geld
lässt sich einfach kein Konsens finden. Es ist schlecht, sich
nicht die Gründe für die Verfasstheit von Ökonomie und
politischer Macht anzuschauen, sondern immer nur die eigene
Enttäuschung über ihre Resultate zu demonstrieren, um am Ende
dabei zu landen, sich konstruktiv in sie hinein zu denken. Wenn
derart gegensätzliche Interessen vorliegen, müssen die
Verhältnisse ziemlich üble sein, dass Leute derart aneinander
geraten. Dann muss man etwas an der grundlegenden Verfasstheit
dieser Gesellschaft verändern.
Editorische
Hinweise
Den Text
erhielten wir von den AutorInnen für diese Ausgabe.
|