Am 26.1.2005 entschied das
Bundesverfassungsgericht, dass ein Verbot allgemeiner
Studiengebühren verfassungswidrig sei. Dagegen wurden am gleichen
Tag bundesweit Vollversammlungen an den Universitäten
veranstaltet, worauf dann weitere Demonstrationen und Aktionen
folgten. Während sich ein Teil der Studenten schon immer völlig
unberührt von der Vorstellung zeigte, dass vielen Leuten faktisch
das Studium verwehrt wird, haben sich mittlerweile auch viele
andere mit dem Bremer Studienkonten-Modell arrangiert - teils
wohl auch, weil sie sich selber für nicht mehr betroffen halten.
So gibt es nur noch wenige Studierende, die tatsächlich gegen
Studiengebühren protestieren wollen. Diese nehmen nun aber nicht
den Staat als ihren Gegner in dieser Frage wahr, sondern
appellieren mit Forderungen an einen Staat, von dem sie glauben,
dass es dieser doch eigentlich besser wissen müsste. Warum das
ein fundamentaler Irrglaube ist und warum es trotzdem vernünftig
ist, aber nicht ausreicht, Studiengebühren zu kritisieren, wird
im folgenden erläutert.
Warum der Staat ein
Interesse an Ausbildung hat...
Weil der Staat
eine funktionierende Nationalökonomie braucht, muss er sich um
die notwendigen Vorraussetzungen kümmern, damit sich die
deutschen Unternehmen in der internationalen Konkurrenz bewähren
können. Jedes Unternehmen braucht zunächst Arbeitskräfte -
irgendwie Arbeitskraft zu sein reicht allerdings nicht aus,
spezielles Wissen befähigt zu speziellen Jobs. Die allgemeine
Schulpflicht soll dafür sorgen, dass alle ein Allgemeinwissen
bekommen. Dabei werden die SchülerInnen mittels Prüfungen, Noten
und unterschiedlichen Schulabschlüssen einem Ausleseprozess
unterzogen, an dessen Ende der Ausschluss vieler von der
Möglichkeit eines Studiums steht. An den Hochschulen werden dann
wissenschaftliche Kenntnisse vermittelt und ihre Anwendung
erlernt. Dabei wird der eine Teil der Studierenden für Berufe
ausgebildet die für eine funktionierende Produktionssphäre
benötigt werden: Natur- und Ingenieurswissenschaften. Durch
Geisteswissenschaften und Gesellschaftswissenschaften wird nicht
nur der nationalen Selbstdarstellung und nationalen Eitelkeiten
entsprochen, sondern die Bürger auch mit Ideologie versorgt, die
sie zu guten Staatsbürgern bildet. Die Lehrerausbildung sorgt
schließlich dafür, dass dieses Wissen auch an künftige
Generationen herangetragen wird. Wie gut das funktioniert, kann
man an den Studiengebühr-Protesten sehen.
Wenn
Studierende:
- sich als Gesprächspartner andienen, die nur in
den Dialog mit einbezogen werden wollen und nur deswegen
protestieren
- als einziges
Argument gegen Studiengebühren eine geringere Effizienz ihres
Studiums durch zusätzliche Erwerbsarbeit anführen können
- generell nicht
viel gegen Studiengebühren hätten, würden diese nur der
Universität zufallen und in bessere Ausbildungsmittel gesteckt
werden,
dann
argumentieren sie nicht für ihre jeweiligen Einzelinteressen,
sondern entsprechend dem Interesse, dass der Staat bereits
sowieso an ihnen hat und auch gegen sie durchsetzt: ihrer
Nützlichkeit. Zudem verkünden sie damit ihren Anspruch die
besseren Verwalter des nationalen Wohls zu sein und bieten als
solche ganz ungefragt Vorschläge zur Verschlechterung der
Situation der Studierenden an.
...und wie das noch
verbessert werden kann
Auch wenn es
notwendigerweise einen Bedarf an Wissenschaftlern gibt, reicht
einer zu sein alleine nicht aus. Spezielle Professionen werden
gewünscht. Dabei schneiden die Geisteswissenschaften aktuell eher
schlecht ab und die Ingenieure besser, d.h. bei den einen gibt es
einen Überschuss an verfügbaren Arbeitskräften, bei den anderen
einen Überschuss an nichtbesetzten Arbeitsstellen. Trotzdem soll
es aber Staatsbürger geben, die das nicht unmittelbar einsehen
und sich trotzdem für Studiengänge einschreiben, an deren
Absolventen absehbar kein Bedarf besteht. Um diesem Missstand
abzuhelfen, sorgt der Staat qua Studiengebühren dafür, dass der
gemeine Student verstärkt die Kalkulation der Wirtschaftlichkeit
zur Grundlage seiner Überlegungen macht, indem er die Rechnung
aufstellt: Können die Kosten des Studiums durch den Abschluss
bezahlt werden?
Damit wird auch
die Konkurrenz unter den Hochschulen verstärkt, die Studenten
werden sich die Universitäten / Fachhochschulen entsprechend
ihrer Zukunftsaussichten auswählen, nach der einfachen
Kalkulation, welche denn nun den erhofften Startschuss in die
Karriere am effizientesten organisieren können. Die "Qualität der
Lehre" ist nur ein Punkt in dieser Kalkulation, der Ruf einer
Universität ein anderer. Dabei sind die Geldmittel der
Studierenden, die diese für die Ausbildung investieren können,
eine feste Größe in der Kalkulation. Die Frage wird also lauten:
Wie viel an Zukunft kann ich mir leisten?
Diese Konkurrenz
unter den Universitäten organisiert wiederum die verstärkte
Konkurrenz unter den Studierenden, da sich jene diese auswählen
können und werden, nach dem Kriterium, ob sie dem guten Ruf der
Bildungseinrichtung entsprechen. Für Studenten bedeutet das, sich
schon weit vor der Hochschulreife auf den Ausleseprozess
vorzubereiten und sich entsprechend zu positionieren.
Nicht dass dieser
Prozess, bei dem Kinder mit höherem sozialen Status die besseren
Startchancen haben, eine neue Sache wäre und nicht schon längst
Bestandteil des deutschen Ausbildungswesens ist. Aber während
bisher die schulischen Leistungen unter Beobachtung standen, wird
wohl in Zukunft (so sieht es wenigstens in anderen Staaten aus)
der Schüler auch in seiner Freizeit seine Nützlichkeit für die
Gesellschaft unter Beweis stellen müssen - durch freiwillige
soziale Arbeit, deren Nachweis später auch die Zulassung an einer
bestimmten Universität mitentscheiden kann. So setzen sich
Studierende und Universitäten gegenseitig unter Druck, mit dem
Resultat, dass Staat und Kapital genau das Menschenmaterial
vorfinden welches sie suchen.
Die Legende von
der größeren Mitbestimmung ist damit gleich miterledigt, denn
Zweck und Resultat der Veranstaltung stehen schon fest, bevor der
erste RCDSler seine Mitbestimmung qua Verrechnungscheck in
Anspruch nehmen kann. So werden vielleicht Forderungen der
Studierenden auch mal entsprochen - jedoch nur dann, wenn sich
das Interesse der Universität und das ihrer Studentenschaft
sowieso trifft. Die Hoffnung derer, die sich die Studiengebühren
leisten werden können, darauf, dass durch finanzielle Leistungen
ihnen weitere Rechte von den Hochschulen gewährleistet werden,
erhält auch durch einen Blick auf andere Länder alles andere als
Vorschub.
Bildung ist keine Ware -
ach was!
Wenn als Argument
gegen Gebühren angeführt wird, dass Bildung keine Ware sei, dann
haben die Protestler recht - auch wenn sie es eigentlich anders
meinen. Ihr Appell zielt darauf ab, dass die Bereitstellung von
Bildungseinrichtungen Staatsaufgabe bleiben und sich die Ökonomie
da heraushalten solle. Einerseits kann das falsche
Kapitalismuskritik sein: die Angst davor, der Kontrolle und den
Interessen von Konzernen zu unterliegen, andererseits einfach
Moral: Bildung ist ein edles Gut, das nicht durch irgendwelche
materiellen Interessen angetastet werden dürfe. Schließlich aber
formuliert sich da die Forderung nach einem Staat, der die
Ausbildung kontrollieren solle, statt einer freien Wirtschaft.
Dabei ist die weitere Ökonomisierung der Universitäten nur Mittel
zur besseren Verwirklichung des Zwecke, den diese immer schon
hatten: "Humankapital" dem Arbeitsmarkt / Staat zur Verfügung zu
stellen, für das nationale Wohl. (Dagegen die hochgelobte
Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen ist albern: Sie hat auch
bisher nichts anderes bedeutet, als nicht für spezielle
Unternehmen, sondern entsprechend den Zwecken von Nation und
Kapital Wissenschaft zu betreiben).
Bildung ist
tatsächlich keine Ware, man soll sich schließlich auch in Zukunft
nicht einfach Bachelor- und Masterabschlüsse kaufen können. Wenn
der Staat Studiengebühren einführt und damit so etwas wie einen
Bildungsmarkt simuliert, tut er dies zur Effizienzsteigerung des
Ausbildungswesens. Der Staat hat nicht vor sein Monopol auf die
Volksbildung aufzugeben, denn nach wie vor lässt sich durch
privates Geschäftsinteresse nicht das Bildungsangebot
organisieren, das die Nation braucht - durch 500 EUR pro Semester
Zuzahlung durch die Studierenden lässt sich keine Universität
wirklich finanzieren. Die Bereitstellung von
Bildungseinrichtungen, von ein paar privaten Hochschulen mal
abgesehen, ist eine Investition in die Zukunft durch den Staat,
damit das Kapital auch in Zukunft noch auf qualifizierte
Arbeitskräfte zugreifen kann. Dass diese Investition für den
Staat immer defizitär bleiben wird, bedeutet nicht, dass sich
diese nicht lohnt.
Das staatliche
Jammerlied, dass die Universitäten zu teuer seien, heißt nicht,
dass wirklich beabsichtigt wird direkt Gewinn am Campus zu
machen. Es gibt nahezu kein Objekt staatlicher Organisation,
welches gewinnbringend ist. Der Staat ist kein Unternehmen, er
muss keine Gewinne machen, solange die nationale Ökonomie dies
tut. Ein Objekt staatlicher Pflege ist genau dann zu teuer, wenn
das Interesse daran nachlässt oder ganz verloren gegangen ist
oder wenn eine andere Organisationsform sinnvoller erscheint.
Eine ökonomische Notwendigkeit zu Einsparungen im
Hochschulbereich gibt es nicht. Wie ideologisch die Debatte um
Studiengebühren ist, zeigt sich an der Forderung nach
Langzeitstudiengebühren. Langzeitstudenten stehen unter dem
Verdacht faul zu sein, so dass es dem Staat sinnvoll erscheint,
sie mit hohen Rechnungen vom Studium fernzuhalten. Wem aber
schaden Langzeitstudenten? Da sie - so die staatliche Annahme -
die Universitäten kaum nutzen, nehmen sie auch niemanden einen
Platz weg, ein Schaden entsteht nicht. Auch liegen diese dem
Staat keineswegs auf der Tasche, da es Bafög nur begrenzt gibt,
alle Studenten aber gleichsam keinen Anspruch auf andere soziale
Leistungen haben. Die dennoch derart erregt geführte Debatte
zeigt vor allem, dass es dem Staat im wesentlichen um die
Verpflichtung seiner Staatsbürger auf Arbeitsmoral geht. So macht
dieser wieder einmal seine Bereitschaft deutlich seine
Bevölkerung ihrem Zweck für den Staat nach zu behandeln.
Das Elend der
Studierenden...
Nach der letzten
Vollversammlung scheint das Thema Streik in Bremen nun vorerst
beendet. Das liegt freilich nicht an einer möglichen Einsicht der
Studierenden, dass ihre Streikideen eher wirkungslos als
ernstzunehmend sind, sondern vielmehr an der geringen Zahl der
Protestwilligen. Das Problem jedes Vorlesungsboykotts ist, dass
er, was immer das Wort "Unistreik" suggerieren mag, kein
wirkliches Druckmittel ist, weil durch die Niederlegung des
Studiums kein wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Zudem
wird die Streikidee durch Studenten lächerlich gemacht, die nur
ab und zu und geregelt der Universität fernbleiben, um am Ende
doch ihre Scheine abzuholen, damit sich das Studium nicht
verlängert. Allerdings können die Studenten durch ihren "Streik"
Aufmerksamkeit erregen, vielleicht auch Sympathien, und dann
hängt es tatsächlich mal von gesellschaftlichen
Kräfteverhältnissen ab, ob Studiengebühren vielleicht doch
verhindert werden können. Danach sieht es aber momentan nicht
aus, vor allem, da das oben gezeichnete Interesse an der
Einführung allgemeiner Hochschulgebühren so hoch ist.
Gemeiner
allerdings als die, die mit den falschen Argumenten den Staat von
dem Verzicht auf Studiengebühren überzeugen wollen und sich dabei
dessen Interesse zu eigen machen, sind diejenigen, die sich vor
allem darüber beklagen, dass die Studiengebühren nur
Haushaltslöcher stopfen sollen und nicht den Hochschulen
zufallen. Diese finden es scheinbar in Ordnung, bestimmte Leute
von Studium auszuschließen, nur damit sie schließlich mehr
Computer bekommen und dadurch einen Konkurrenzvorteil in der
späteren Arbeitssuche.
Überhaupt ist die
Kalkulation derjenigen, die sich durch Studiengebühren eine
bessere Ausgangssituation in der Konkurrenz um Arbeit
versprechen, eine höchst wacklige. So wird die Einführung eines
"Bezahlstudiums" zwar möglicherweise zu sinkenden Studentenzahlen
in den Fächern führen, deren Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten
zur Zeit gering erscheinen. Andererseits kann es in
"karrierefreundlichen" Studiengängen ebenso gut zu einem Anstieg
kommen, eben weil die Studierenden verstärkt auf
Zukunftsaussichten kalkulieren müssen. Die Hoffnung, dass durch
weniger Mitstudenten und Mitbewerber die eigenen Aussichten auf
Arbeit steigen, ist nicht zudem deshalb höchst spekulativ, weil
es den Job, um den man sich bewerben will, dann vielleicht gar
nicht mehr geben wird.
Seltsam zudem,
dass keiner so richtig mit dem argumentiert, welches das
eigentliche und sehr konkrete Problem der Studierenden sein
dürfte: die 500 EUR und mehr Studiengebühren, die zukünftig pro
Semester anfallen werden. Anstatt einfach den Unmut darüber
auszudrücken, dass diese wohl jeder für etwas besseres ausgeben
könnte und die viele noch nicht einmal besitzen, wird mit
merkwürdigen Appellen an den Staat operiert. Die Plakate an der
Universität, auf denen fett 500 EUR gedruckt steht, sind denn
auch eher ein verzweifelter, an die Studierenden gerichteter
Mobilisierungsversuch, als ein Argument, das sie bereit sind in
die öffentliche Debatte einzubringen. So verstecken die
Protestanten und Protestierenden ihr eigentliches Interesse immer
hinter dem Allgemeinwohl und haben damit offensichtlich die Logik
geschluckt, dass jedes Einzelinteresse immer nur dann
schützenswert ist, wenn es dem nationalen entspricht. Bereits
dadurch machen sie aber diesen Kampf zu einem aussichtslosen, da
im Falle von Studiengebühren gerade ihr Einzelinteresse dem
Allgemeinwohl entgegensteht.
... und warum sie einem
doch nicht so richtig leid tun wollen
Selbstverständlich ist es ärgerlich Geld für etwas zu bezahlen,
was man davor für umsonst bekommen hat. Andererseits ahnen die
Studierenden, dass ihre Forderung eigentlich borniert ist: Denn
wer keine grundlegende Kritik an den Verhältnissen hat, dem/der
fällt dann auch auf die Frage, warum es in Ordnung ist Geld für
einen Kindergartenplatz zu bezahlen, aber die
Universitätsausbildung kostenlos bleiben soll, nichts gescheites
ein. So fordern sie zwar Bildung für alle und zwar umsonst - das
gleiche für Lebensmittel allerdings nicht!
Gruppe "Kritik im
Handgemenge" Bremen
Editorische
Anmerkungen
Wir erhielten den
Text von den AutorInnen mit der Bitte um Veröffentlichung am
19.7.2005
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