Der Schuldenerlass des nächsten G 8-Gipfels:
Können 280 Millionen Afrikaner nun ruhiger schlafen?

von Red. GegenStandpunkt

07/05

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1.

Es ist mal wieder Zeit für einen Schuldenerlass für die sogenannten "Hochverschuldeten armen Länder" (HIPC = Highly Indebted Poor Countries). Das hat Großbritannien, federführend für das nächste Gipfeltreffen der G 8 im Juli, auf die Agenda gesetzt, und es geht, wie es heißt, nur noch um die Modalitäten. Diese Initiative wird grundsätzlich begrüßt und soll für die guten Absichten der "führenden Wirtschaftsnationen" sprechen. Der bekannte Bob Geldof, der zu diesem Anlass wieder große Wohltätigkeitskonzerte organisiert, sieht darin als erstes einen Sieg für die NGOs, die sich dafür schon immer engagieren:

"Das ist jetzt schon ein Sieg für die Millionen Leute, die an den Schuldenerlass-Kampagnen rund um die Welt teilnehmen..."

Und erst recht ist es eine großartige Tat für die Armen in diesen Ländern:

"Morgen werden 280 Millionen Afrikaner zum ersten Mal in ihrem Leben aufwachen, ohne dir oder mir einen Penny aus der auf ihnen lastenden Schuld zu schulden, die sie und ihre Länder so lange verkrüppelt hat." (The Guardian, 13.6.05)

Dieser gute Mensch befasst sich nicht weiter mit der Tatsache, dass die Zahl der in Frage kommenden HIPCs kontinuierlich zugenommen hat, obwohl es Schuldenerlasse schon seit einigen Jahren gibt und auch früher schon routinemäßig Schulden bei einzelnen Ländern durchgestrichen wurden, vielmehr will er nur "nach vorne schauen" und ganz fest daran glauben, dass es für die "Armen der Ärmsten" jetzt nur besser werden kann. Ist es nicht eine Wohltat für sie, wenn sie nun mit einem kleineren Schuldenberg zurechtkommen müssen? Nein, ist es nicht.

2.

Die afrikanischen Nationen, um die es bei der G 8-Initiative hauptsächlich geht, haben über Jahrzehnte bei den "entwickelten Nationen" um Kredite nachgesucht, um ihrerseits eine "nationale Entwicklung" zu finanzieren. Diese Nationen, die damals noch "Entwicklungsländer" hießen, wollten sich mit diesen Krediten tauglich machen für die Teilhabe am Weltmarkt; sie nahmen sich ein Vorbild an den "führenden Industrienationen", zu denen sie - so der damalige Idealismus von "Entwicklung" - aufschließen würden. Dafür haben diese "Industrienationen" durchaus bedeutende Kreditsummen bereitgestellt: Die kamen im wesentlichen den dortigen Staatsmächten zugute, denn die sollten erstens für eine gewisse Ordnung sorgen und zweitens ein Wachstum überhaupt erst einmal in die Wege leiten. Es hieß, dafür hätten sie eine gute Vorbedingung, nämlich ihre sogenannten "natürlichen Reichtümer" - die sollten dafür da sein, an den "künstlichen" Reichtum heranzukommen, der wirklich zählt, nämlich das Geld der anderen Nationen.

Das Resultat ist an den HIPCs, aber auch an einer lange Reihe von Staaten, die nur unwesentlich darüber liegen, zu besichtigen. Sie haben sich dafür hergerichtet, ihre "natürlichen Reichtümer" weltmarktfähig zu machen, sie im Export verkaufen zu können - reicher geworden sind dabei immer nur die "Industriestaaten", die diese Güter zu einem offensichtlich nur für sie vorteilhaften Preis gekauft haben. Die "Entwicklungsländer" sind ihrem Ziel der "Entwicklung", womit sie den Aufbau einer kapitalistischen Ökonomie meinten, keinen Schritt näher gekommen, vielmehr hat dieser Export sie immer nur ärmer gemacht. Der Erlös aus diesen "natürlichen Gütern" ist nämlich vollständig abhängig von den Kalkulationen der Geschäftsleute, die in Nationen sitzen, die schon kapitalistisch entwickelt sind; sie zahlen für diese "Güter" nur Preise, die sicherstellen, dass deren Verwendung in ihrem Produktionsprozess ihren Reichtum vermehrt, und die Abnahme diese "Güter" ist zudem noch abhängig von den Konjunkturen, die sich aus ihrem Geschäftsleben ergeben.

In der Formelsprache eines Schuldenerlasses z.B. aus dem Jahr 2000 wird das so ausgedrückt: Die "Schulden-Export-Relation" soll für diese Länder auf etwa 200 Prozent gesenkt werden. Das heißt: Ihre Schulden sind auch nach einem Erlass immer noch doppelt so hoch wie ihre Einnahmen aus dem Export ihrer "natürlichen Reichtümer" - heißt: der Export dieser "Reichtümer" hat stetig ihre Schulden vermehrt. Der Kredit, den man ihnen gegeben hat, hat also immer nur in eine Richtung gewirkt: Er sorgte für eine gewisse Stabilität der politischen Herrschaft, die wiederum Produktion und Abtransport der Güter garantierte, die im kapitalistischen Produktionsprozess gebraucht werden. Die damit gestiftete Abhängigkeit und der ökonomische Nutzen, den sie aus diesen Ländern zogen, war den imperialistischen Herrschaften dann auch eine beständige Verlängerung der Kredite wert. Wenn die Einnahmen dieser Länder am Export nicht ausreichten, um die Zinsen für die ihnen gewährten Kredite zu bezahlen, erklärten die imperialistischen Staaten nicht den Konkurs ihrer Zöglinge, sondern kümmerten sich - vermittelt über ihre Kreditagentur IWF - immer mehr selbst um die Schuldenbedienung, zahlten sich, zumeist in sehr komplizierten Abkommen, ihre Zinsen selbst.

3.

Ein Schuldenerlass beendet diese Technik der Kreditprolongation. US-Staatssekretär John Snow begründet das mit einer "Ungeduld" der "reichen Länder": Die sind nach seinen Worten "den endlosen Zirkel des 'borrow and forgive'" - also des Verleihens und Stundens - "leid und akzeptieren stattdessen lieber, dass Schulden, die niemals bezahlt werden, ein für allemal abzuschreiben sind". (Ebd.) Was wie eine resignierte Einsicht klingt, ist ein vernichtendes Urteil. Die Kreditierung dieser Staaten hat sie nicht existenzfähig gemacht, sie bei aller Untauglichkeit aber auch nicht aus der kapitalistischen Weltwirtschaft ausgeschlossen; sie haben an ihr teilgenommen - und alles kapitalistisch doch Verwertbare ist aus ihnen herausgepresst worden. Diese Staaten, deren jetzt konstatierte Überschuldung nichts anderes ist als das Resultat ihrer als unerlässlich und für vernünftig erachteten Verschuldung, bekommen nun - nachdem der IWF ihre Anstrengungen jahrelang mit seinen berüchtigten "Auflagen" schärfstens kontrolliert hat - einen Schuldenerlass. Damit wird das alte Kredit- bzw. Schuldenregime außer Kraft gesetzt, das Minus, das diese Staaten angehäuft haben, wird als endgültig uneinbringlich qualifiziert und ein Teil davon weggestrichen. Das bedeutet aber keinesfalls, dass sie nun wieder kreditfähig sind. Auch wenn manchmal, insbesondere von den NGOs so getan wird, als würden durch die Streichung den Staaten "neue Mittel" zufließen - auch das verringerte Minus drückt nichts weiter aus als ihren ökonomischen Ruin. Daran ändert auch eine verringerte Zinszahlung - sofern diese Staaten überhaupt noch Zinsen zahlten - nichts. Und dieser Ruin wird nun in Form des neuen Minus als eine Art Offenbarungseid, als Dokument der endgültig verriegelten Sackgasse, welt- und finanzweltöffentlich niedergeschrieben. Über diese Staaten und damit auch über die "280 Millionen Afrikaner", die nach der verrückten Vorstellung des Bob Geldof "morgen ohne die auf ihnen lastende Schuld aufwachen werden", ist ein internationales Konkursverfahren eröffnet worden. In diesem Verfahren geht es darum, welche Staatlichkeit für diese Armenhäuser des Imperialismus noch für nötig erachtet wird, ihnen also auch aufgeherrscht wird. Der menschenfreundlich daherkommende und doch zugleich verräterische Obertitel, unter dem das läuft, lautet "Armutsbekämpfung". Für nichts anderes mehr sollen die Staaten zuständig sein als für die Eindämmung und Kontrolle des bei ihnen eingerissenen ungeheuren Elends. An erster Stelle steht Aids, denn die Krankheit soll schließlich in Afrika bleiben; dann sollen sie das saubere Wasser wieder herkriegen, das früher in Afrika eine Selbstverständlichkeit war. Dabei bekommen sie - vielleicht - auch "Hilfe" in Form von "donations" oder "grants"; das sind vom Kredit scharf zu unterscheidende Geldzuwendungen, über die der Beschenkte keine freie Verfügung hat, über deren Verwendung vielmehr der Schenker entscheidet. Dieses Geld ist ein Teil der Kontrolle, die von außen ausgeübt wird: Diese dringt darauf, dass die Staaten sich eigene Ambitionen, insbesondere solche, die an den alten Idealismus der "Entwicklung" erinnern, abschminken - und wenn sie sich dabei nichts zuschulden kommen lassen, also totale Unterwerfung praktizieren, spendiert man ihnen das Etikett "good governance" und vielleicht eine Handvoll Dollar mehr.

4.

Bei diesem Konkursverfahren fließen, neben den "donations" und "grants", dann doch wieder Gelder: 1,3 Mia. $ während der nächsten 3 Jahre, aufzubringen von den G 8. Diese vergleichsweise lächerliche Summe - über deren Aufbringung bzw. Aufteilung heftig gestritten wird - ist natürlich nicht für die HIPCs da, sondern dient einem imperialistischen Gemeinschaftszweck. Leidtragende des Konkursverfahrens sind nämlich nicht die HIPCs - denen ist ja gerade eine Wohltat erwiesen worden -, sondern die "Internationalen Finanzinstitutionen" IWF, Weltbank und Afrikanische Entwicklungsbank. Denen fehlen jetzt Zinsen aus den früheren Prolongations- bzw. Umschuldungsabkommen, was die Frage aufwirft, ob sie die weiterhin bekommen sollen und, wenn ja, von wem. Der Streit um dieses Geld hat darum eine besondere Schärfe, weil die USA erst mal gar nichts bezahlen wollen: Die legen seit Beginn ihres 'Antiterror-Krieges' nur noch sehr mäßigen Wert auf imperialistische Gemeinschaftsinstitutionen, da in diesen ja immer eine gewisse Mitsprache ihrer "Partner", sprich: Konkurrenten, institutionalisiert ist, was sich mit ihrem Anspruch aufs Weltordnungsmonopol nicht gut verträgt und weswegen sie diese Institutionen lieber herunterfahren wollen. An diesen Streit schließt sich der nächste an: Wer von den Aufsichtsmächten hat wie viel bei der neuen Kontrolle der soeben dekretierten Armenhäuser mitzureden - auch das schlägt sich in dem verbissenen Feilschen um Anteile an der Zinszahlung, neue "Fazilitäten" etc. nieder. Die USA haben sich erweichen lassen und stehen für einen Teil der ausfallenden Zinsen ein. Dafür haben sie einen halbseidenen und einen guten Grund. Der halbseidene ist, dass George Bushs Freund Tony Blair, Vorsitzender der Gipfeltreffens, auch mal ein Erfolgserlebnis braucht, dass nämlich der große Partner auf der anderen Seite des Atlantik auch mal auf ihn hört - das poliert das Image Großbritanniens innerhalb der G 8 und in Europa auf, was letztlich auch wieder den USA nützt. Der gute Grund ist: Afrika gilt als ausgemachter "Sumpf des Terrorismus" und die USA können sich vorstellen, die Schuldenerlass-Initiative mit ihrem ganzen Drumherum in ihren 'Antiterror-Krieg' mit einzubauen, heißt: sie dafür zu funktionalisieren und die konkurrierenden Aufsichtsmächte mit einzuspannen. Damit kommt den HIPCs die letzte Ehre zu: Sie dienen als Material für eine innerimperialistische Konkurrenzaffäre. Am schönen Schein, dass es bei all dem nur um "Hilfe für Afrika" ginge, wird selbstverständlich festgehalten.

Ob deswegen "280 Millionen Afrikaner" besser schlafen können?

 

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Ausgabe 22-05 vom 29. Juni 2005
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