Peter Trotzig Kommentare zum Zeitgeschehen

Damit zusammenwächst, was zusammen gehört

Die Natur des Menschen, die Natur des Goldes und die Natur des Geldes
07/05

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Spricht man mit seinen mehr oder weniger geschätzten Kolleginnen und Kollegen über die Absurdiäten des Welt-Kapitalismus, über die wahnwitzige soziale Polarisierung zwischen Armen und Reichen, die Rücksichtslosigkeit und Kurzsichtigkeit mit der das Kapital die natürlichen Grundlagen menschlichen Lebens auf diesem Planten plündert, die Brutalität, mit der gesellschaftliche Lebensformen zerstört werden (aktuell etwa der Völkermord an den afrikanischen Buschmänner, die kecker Weise Landstriche besiedeln, unter denen man Diamanten vermutet), die nicht mit Kapitalverwertung kompatibel sind, so gelangt man hin und wieder schon an einen Punkt, wo es um die Möglichkeit und Notwendigkeit radikaler Gesellschaftsveränderung geht.

Doch ach, spätestens jetzt wird es heikel, plötzlich ist sie da, „die Natur des Menschen“ und erhebt sich drohend als übermächtiges Bollwerk gegen jede Form sozialer Emanzipation. Man weiß nicht so genau, worin diese ominöse „Natur des Menschen“ eigentlich besteht, dafür ist mensch sich aber ganz sicher, das alle Formen bürgerlicher Subjektivät, die sie kennzeichnenden Bedürfnisse wie die Art sie zu befriedigen, schnurstracks eben dieser „Natur des Menschen“ entspringen. Zu dieser „Natur des Menschen“ gehört vor allem, das die Individuen von Natur aus ungleich sein. Damit dementiert sich die angerufene Natur des Menschen schon mal ein Stück weit selbst, denn wenn alle Menschen von Natur aus ungleich sind, dann kann es eine „Natur des Menschen“ nicht geben, oder diese reduziert sich auf die Feststellung von Unterschieden. Die natürlich Ungleichheit ist aber nur ein ziemlich plattes gedankliches Werkzeug, um die moderne Form der sozialen Ungleichheit zu erklären. Ausbeutung, Herrschaft und Unterdrückung , ungleiche Verteilung des Reichtums etc. alles ergibt sich auf wunderbare Weise aus der naturhaften Ungleichheit der Individuen.

Die „Tüchtigen“ sitzen eben oben auf!

Selbstverständlich haben die Menschen ein „natürliches“ Bedürfnis nach Mobilität, nach Reisen aber auch nach Sesshaftigkeit. Man weiß nichts mehr von menschlicher Gesellschaft, für die Sesshaftigkeit den Untergang bedeutet hätte (Nomaden), weshalb ihnen das Bedürfnis danach eher „spanisch“-fremd (das „spanisch“ ist auch wörtlich zu nehmen) vorgekommen ist. Zum Beweis der Widernatürlichkeit des Nomadenlebens wurde und wird den Nomaden ihre Existengrundlage genommen. Das Streben nach privatem Besitz an Grund- und Boden entspricht „der wahren Natur des Menschen“ und setzt sich „natürlich“ durch.

Anders herum machte und macht man den Bauern Beine. An der „Scholle“ kleben, sich durch Bearbeitung dieser Scholle selbst versorgen? Is nich! Diese Bauern waren einfach zu sesshaft. Es kam ihnen Jahrhunderte lang nicht in den Sinn, das Land zu verlassen, auf der Suche nach neuen attraktiveren Existenzmöglichkeiten (etwa in dunklen, lauten, dreckigen Fabrikhallen) durchs Land zu vagabundieren, sich dabei womöglich noch aufhängen lassen, wie in England, um schließlich in den Slums von Großstädten zu stranden, wo sie wieder ein bisschen sesshaft werden durften und dürfen. Selbstverständlich immer nur auf Abruf, den sie müssen dem „natürlichen“ Strom des Kapitalflusses folgen.

Der moderne Kapitalismus, die bürgerliche Demokratie beruhen auch ganz wesentlich auf Völkermord. Ihrem „natürlichen“ Trieb folgend, machten sich europäische Menschen – sozusagen die Fleischwerdung der „Natur des Menschen“ – auf, um Lebensraum damals im Westen zu gewinnen. Sie stießen dabei auf die nord- und südamerikanischen Indianer, Spezies, die zwar dem Menschen ähnelten, die aber den Teufel als Taufpaten gehabt haben mussten. Sie entsprachen ganz und gar nicht der „Natur des Menschen“ besiedelten aber Land, das gebraucht wurde, damit „die Entdecker“ das schöne Amerika schaffen konnten, wie wir es heute kennen, mit all seinen Offenbarungen „der Natur des Menschen“ (Mord und Todschlag, bis zur restlosen Verblödung gereifte Religiosität, ausgedehnter Konsum weiterer Drogen). Dass diese menschenähnlichen Wesen im Süden des amerikanischen Kontinents an Gold gekommen waren, bedeutete eine ungeheure Vergeudung, Zweckentfremdung und Provokation. Die europäischen Menschen allein wussten, das Gold „von Natur aus“ Geld ist und seinem natürlichen Zweck zugeführt werden muss. Dies wiederum konnte nur ihnen vorbehalten sein, denn die „wahre Natur des Menschen“ kann sich erst dann frei entfalten, wenn die „wahre Natur des Goldes“ entdeckt ist und als Geld das Räderwerk der kapitalistische Akkumulation anstoßen und schmieren kann.

Es ist heute soweit gekommen,. dass das Kapital selbst zur eigentlichen „Natur des Menschen“ geworden zu sein scheint. Die Menschen sind (nicht nur freundlich) aufgefordert, sich dieser Natur anzupassen. Will sagen: das gesamte menschliche Zusammenleben muss so organisiert werden, dass es der Kapitalverwertung förderlich ist. Wer störrisch sich dagegen verwahrt, wird platt gemacht, weil er „naturwidrig“ handelt. Dem Tüchtigen („Leistungsträger“) die Vorfahrt. Die vom Markfundamentalismus besoffenen Profiteure der kapitalistischen Produktionsverhältnisse treiben die Menschwerdung des Affen weiter bis zur Umwandlung der Menschen in Ökonomen. Das Streben nach Bereicherung, die „Privatisierung“ des gesellschaftlichen Lebens in der Form der schrankenloser Öffnung für renditegeile Geldanleger, die unablässige Produktion neuer Bedürfnisse durch die Produktion von Waren, die im Zweifelsfall so überflüssig sind wie ein Kropf, die ausschließliche Anerkennung menschlicher Bedürfnisse in der Gestalt zahlungsfähiger Nachfrage, die „Versorgung“, „Bereicherung“ und Sättigung auch der intimsten menschlichen Beziehungen und Erlebnisfelder mit Waren (Durchstylung der Individuen bis hinein ins Bett, im Extremfall: man kann sich nicht mehr riechen ohne Parfum, man kann sich nicht mehr anschauen ohne Verkleidung und Maske; Vermarktung von Sex in Prostitution und Pornographie) usw. das alles liefert uns die beste aller denkbaren Welten und entspringt flux aus der „Natur des Menschen“. Man muss den Menschen nur die „Freiheit“ geben, dann schaffen sie das alles (angeblich) von selbst. Auch ohne die Suche nach profitabler Anlage für private Geldmassen, die „von Natur aus“ dafür bestimmt sind, sich selbst zu vermehren? Auch ohne „Geschäftssinn“ (was für ein Wort! Als ob Geschäft irgend etwas mit Sinnlichkeit zu tun hätte!)? Schaffen die Menschen das nicht, dann müssen die „Tüchtigen“ eben ein bisschen nachhelfen, muss ein Markt auch schon mal gewaltsam „geöffnet“ werden. An der „Naturwüchsigkeit“ des Militärs kann nun wirklich niemand zweifeln. Bomber und Bombe gehörten schließlich von Anfang an zu den liebsten Spielzeugen der Pygmäen. Schon die Jäger und Sammler träumten vom VW Touareg.

Was heißt schon Geschichte, wo wir doch deren Ende in „Natürlichkeit“ erreicht haben?

Ja, wenn die „Natur des Menschen“ soziale Befreiung ausschließen würde, dann könnte es mehr oder weniger schnell zu Ende gehen mit der Geschichte der Menschheit.
Es gehörte immer zu den vornehmsten Aufgaben der Mächtigen jedes Streben nach sozialer Emanzipation von scheinbar „gottgewollten“ oder „natürlichen“ (was von besondern Koriphäen des bürgerlichen Geistes auch schon mal gleichgesetzt wurde und wird) Gesellschaftszuständen als Vergehen wider die „Natur des Menschen“ zu denunzieren. Je elender diese Zustände, je offenkundiger ihre Unerträglichkeit, je stärker der Wunsch nach sozialer Emanzipation, desto heftiger das ideologische Trommelfeuer.

Vor dem Hintergrund des Scheiterns eines „Kommunismus“ dessen gesellschaftliche Praxis einer blanken Verhöhnung sozialer Befreiung von den bedrückenden „Sachzwängen“ der Kapitalverwertung gleichkam, fällt es den Ideologen der kapitalistischen Marktwirtschaft leicht, sich „ideologiekritisch“, „pragmatisch“ zu geben. Aber dieser angebliche „Pragmatismus“ bedarf der Heraufbeschwörung der „Natur des Menschen“ wider alle Bestrebungen nach sozialer Emanzipation, um seine Wirksamkeit entfalten zu können.
 

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.