Der Wahnsinn hat Methode
Generalangriff der Unternehmer auf die Arbeitszeit
Proteste aus Betrieben und Gewerkschaftsgliederungen
07/04

trend

onlinezeitung
Den Abschluss der 40-Stunden-Woche in den Siemens-Werken Bocholt und Kamp-Lintfort gab den Unternehmerverbänden das Signal zum Generalangriff auf die Arbeitszeiten. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, fordert jetzt sogar die vorübergehende Einführung der 50-Stunden-Woche. "Warum nicht gleich 60 oder 70 Stunden? Der Wahnsinn hat Methode", heißt es dazu im Kommentar der Frankfurter Rundschau vom 7. Juli 2004.

Die Methode wird klar. Für das Kapital ist die Zeit gekommen um die 35-Stunden-Woche generell abzuschaffen und die absolute Flexibilisierung der Arbeitszeit durchzusetzen. Denn Zimmermann konkretisierte seine Aussage, es gehe nicht um die generelle Einführung der 50-Stunden-Woche, sondern darum, "einen breiten Korridor zu ermöglichen, in dessen Mitte vielleicht die 40-Stunden-Woche steht, aber in dem auch 30 Stunden und 50 Stunden möglich sind." Die Löhne sollen über längere Arbeitszeiten abgesenkt werden damit die Profitraten weiter steigen.

Doch von den Belegschaften, Betriebsräten und aus den Gewerkschaftsgliederungen kommt Protest und Widerstand. So fordern die Betriebsräte von Alstom "auf breiter Ebene innerhalb der Organisation endlich eine ausführliche und offene Erörterung und Diskussion dieses Abschlusses" und die Delegiertenversammlung der Verwaltungsstelle Stuttgart fordert in einer Resolution die Sanierungstarifverträge nicht zu genehmigen. Wir veröffentlichen diese beiden Stellungnahmen als Beispiel der vielfältigen Proteste gegen die Einführung der 40-Stunden-Woche:

Der erpresserischen Politik des Kapitals entgegentreten

An IGM-Vorstand,
zu Händen der Kollegen Peters und Huber.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit großer Sorge haben wir über die Medien den Abschluss eines Ergänzungstarifvertrages für die Siemens-Standorte Bocholt und Kamp-Lintfort mit der Rückkehr zur 40-Stunden-Woche mit vollem Lohnverzicht zur Kenntnis nehmen müssen. Der Abschluss beinhaltet darüber hinaus, abweichend vom Flächentarifvertrag:

  • eine gigantische Zeitflexibilisierung über 24 Monate
  • die Abschaffung von tariflichen Sonderzahlungen und Urlaubsvergütungen
  • die Halbierung der Schichtzuschläge
  • eine Umstellung von Prämien- auf Zeitlohn, usw.

Den Siemens-Kolleginnen und -Kollegen wird damit ein Lohnverzicht von über 20 Prozent aufgezwungen bei einer ganzen Reihe von erheblichen zusätzlichen Einschränkungen.

Über die Einzelfallbetrachtung an den beiden Siemens-Standorten hinaus können wir die Einschätzung des IGM-Vorstandes in seiner übertrieben positiv gefassten "politischen Bewertung" keinesfalls teilen. Aus unserer Sicht wird hier - trotz aller Beteuerungen - ein weiteres Tor zur Aushöhlung der Flächentarifverträge geöffnet. Wir befürchten aufgrund solcher Abschlüsse einen bevorstehenden Dammbruch in der Tariflandschaft, durch den alle schwer erkämpften Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte weggeschwemmt werden und der Erpressungstaktik von Kapital und Politik zum Erfolg verholfen wird. Umso schlimmer, wenn dies dann direkt in zeitlicher Folge nach dem Aktionstag Tausender Siemens-Kolleginnen und -Kollegen gegen Arbeitsplatzvernichtung und gegen Arbeitszeitverkürzung und Sozialabbau erfolgt.

Wir fordern vom Vorstand der IG Metall, dass nun auf breiter Ebene innerhalb der Organisation endlich eine ausführliche und offene Erörterung und Diskussion dieses Abschlusses und seiner möglichen Folgen für das Überleben und den Sinn der Gewerkschaftsarbeit eingeleitet wird. Der ohne Abstimmung mit den Mitgliedern eingeschlagene Kurs zur "neoliberalen Reformpolitik" muss durch vielfältige sachliche und konstruktive Diskussion und Meinungsbildung dringend korrigiert werden. Vor dem Abschluss eines solchen Diskussionsprozesses darf auf keinen Fall ein ähnlicher Abschluss getätigt werden.

Wir, die Gewerkschaftsmitglieder, sind bereit, an einem offen und ehrlich geführten Prozess der inneren Meinungsbildung aktiv mitzuwirken. Für uns steht die Glaubwürdigkeit der IG Metall auf dem Spiel. Dieser Abschluss macht die Diskussion mit unseren Funktionärinnen, Funktionären und Mitgliedern noch schwieriger. Wenn schon die Politik nicht mehr ernst genommen wird, sollten wir als IG Metall darauf achten, nicht in die gleiche Ecke gestellt zu werden.

Die Gewerkschaften müssen in der öffentlichen Diskussion das Bewusstsein um die Bedeutung weiterer Arbeitszeitverkürzungen wecken, um den neoliberalen Vorstellungen von "Maggie" Merkel, Schröder und Co. etwas entgegenzusetzen. Wir als Gewerkschaft fordern, dass unser Vorstand dieser erpresserischen Politik, die in einem Bündnis von Politik und Kapital betrieben wird, entgegentritt. Dazu reicht es unserer Meinung nach nicht, in einem "Arbeitnehmerbegehren" Unterschriften zu sammeln.

Die am 3. April 2004 durchgeführten Demonstrationen müssen fortgesetzt und zu massiven betrieblichen und außerbetrieblichen Aktionen weiter entwickelt werden. Wir als Gewerkschaften müssen klare Arbeitnehmerpositionen beziehen und Konzepte entwickeln, um uns von der Sozialdemontage der Regierungs- und Oppositionsparteien im Auftrag des Kapitals zu unterscheiden.

Um es mit Erich Kästner zu sagen: "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

Wir bitten Euch, diesen Brief als Ausdruck unserer ernstgemeinten Sorge über die Weiterentwicklung unserer IG Metall zu verstehen. In Erwartung Eurer Stellungnahme und mit freundlichen Grüssen.

Europäischer Betriebsrat, Konzernbetriebsrat, Betriebsrat und IGM-Vertrauenskörperleitung der Alstom Power, Mannheim
2. 7. 2004



"Wir finden es empörend"

An den Vorstand der IG Metall

Resolution der Delegiertenversammlung der Verwaltungsstelle Stuttgart zum Ergänzungstarifvertrag Kamp-Lintfort und Bocholt.

Die Delegiertenversammlung der Verwaltungsstelle Stuttgart lehnt die gefundene Ergänzungstarifvertragslösung zur Sicherung der Arbeitsplätze in obengenannten Siemensstandorten ab.

Wir haben sehr wohl Verständnis dafür, Lösungen zur Sicherung von Arbeitsplätzen auch mit dem Mittel von Sanierungstarifverträgen zu finden. Kein Lösungsansatz kann dabei die unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit sein.

Wir finden es empörend, wie damit vielen Belegschaften, die gegenwärtig unsere Tarifverträge und gewerkschaftliche Grundsätze verteidigen ( z. B. Arbeitszeit muss auch bezahlt werden), in den Rücken gefallen wird. Vor allem der Bezirk Baden-Württemberg hat in der letzten Tarifrunde im Flächentarifvertrag die unbezahlte Verlängerung von Arbeitszeit verhindert.

Wir sehen uns auch in unserer Verwaltungsstelle zahlreichen betrieblichen Angriffen in Richtung unbezahlter Verlängerung von Arbeitszeit ausgesetzt. Die Firmen Bosch Leinfelden, Bosch Feuerbach und Trumpf sind nur einige Beispiele einer umfassenden Kampagne der Arbeitgeber, durch die flächentarifliche Bestimmungen zur Arbeitszeit außer Kraft gesetzt werden sollen.

Es bleibt geradezu widersinnig mit einer Verlängerung von Arbeitszeit Beschäftigung sichern zu wollen. Mag dies im Einzelfall Siemens befriedigen, löst derartiges gleichzeitig die Gefährdung Hundertausender anderer Arbeitsplätze aus, wenn mit Siemens derartigen Lösungsansätzen Bahn gebrochen wird.

Wir erwarten vom Vorstand der IG Metall, dass er die Sanierungstarifverträge für Siemens in Kamp-Lintfort und Bocholt nicht genehmigt, solange der Lösungsweg die unbezahlte Verlängerung von Arbeitszeit vorsieht.

 

Editorische Anmerkungen:

Dieser Artikel erschien in der UZ vom 16. Juni 2004 und ist eine Spiegelung von: http://www.dkp-online.de/uz/3629/s0502.htm