Dass es im real existierenden Kapitalismus
oftmals nicht so zugeht wie in
den Lehrbüchern des Wirtschaftsliberlismus und anderen bürgerlichen
Theoriegebäuden, ist eine unter Linken altbekannte Binsenweisheit. Das
gilt namentlich auch für die Frage staatlicher «Eingriffe» in die
Wirtschaft, die theoretisch im Namen der Freiheit von Markt und
Konkurrenz,
der Eigentumsfreiheit der Produktionsmittelbesitzer verdammt werden. In
der
Praxis aber rufen gerade auch letztere gerne nach dem Staat, wenn es
beispielsweise darum geht, Verluste zu sozialisieren oder das «nationale
Interesse» für die Verteidigung ihrer Interessensphäre anzurufen.
Dennoch lassen sich Protagonisten von Staat
und Wirtschaft immer wieder dazu
herbei, diesen Widerspruch zwischen wirtschaftstheoretischem Anspruch und
kapitalistischer Wirklichkeit zum Anlass für ernsthafte Streitereien zu
nehmen. Oft aber verbergen sich hinter diesen Konflikten in Wirklichkeit
Versuche, nationale Interessensphären und blöcke gegeneinander
abzugrenzen.
Das gilt auch dann, wenn nunmehr vielfach die Rede ist von der
Herausbildung
sogenannter «europäischer Champions», die auf dem Wege von Fusionen und
Kapitalkonzentration im EU-weiten Maßstab die notwendige Masse auf¹s Tapet
bringen sollen, um mit den us-amerikanischen und ostasiatischen global
players im Wettbewerb bestehen können. Denn auch innerhalb der EU sind die
Widersprüche zwischen nationalen Kapitalien und ihren politischen
Stützen
keineswegs verschwunden. Vielmehr stoßen ihre Interessen jetzt direkter
aufeinander, wenn es darum geht, welches Land bei den anstehenden und sich
vollziehenden Firmenverschmelzungen den Kürzeren zieht und «seine»
Konzerne
den Wirtschaftskapitänen des Nachbarn sich unterordnen sieht. Bei einer
Unternehmensverschmelzung herrscht deswegen auch ein knallhartes Ringen
darum, wer in letzter Instanz das Sagen hat. Dazu das Handelsblatt :
«Trotz
aller rhetorischen Nebelkerzen, die eine <Fusion unter Gleichen> stets
begleiten : Nach spätestens fünf Jahren ist klar zu erkennen, wer sich
durchgesetzt hat. Das war bei Daimler-Chrysler so, das wird auch bei
Sanofi-Avantis so kommen.»
Die Fusion der Pharmakonzerne Sanofi und
Aventis
Stichwort Sanofi-Aventis : Die beiden
Pharmakonzerne (überwiegend)
französischer Herkunft gaben am 25. April dieses Jahres ihre Entscheidung
bekannt, zu fusionieren: Ein «feindlicher Übernahmeversuch» war plötzlich,
quasi über Nacht, zur «freundlichen Übernahme» geworden. Die
verhältnismäßig
kleine, aber profitable Konzerngruppe Sanofi-Synthélabo, die vor allem im
Forschungsgeschäft führend ist, hatte im Januar 2004 den Aktionären der
weit
größeren Aventis einen Aufkauf ihrer Aktien zu einem Preis, der um 14
Prozent höher lag als ihr damaliger Kurs, angeboten. Dies geschah ohne das
Einverständnis der Führung des Aventis-Konzerns (der selbst 1998 aus einer
Fusion zwischen dem deutschen Hoechst-Konzern einem der Rechtsnachfolger
der IG Farben - und der französischen Firma Rhône-Poulenc hervorgegangen
war), deswegen das Adjkektiv «feindlich». Wochenlang tobte über teure und
bunte Großanzeigen in der Presse, die auf Aktieninhaber und Kunden wirken
sollten, der Propagandakrieg. Es gehe um das Interesse der medizinischen
Forschung in Frankreich, behaupteten die Einen; im Falle einer Fusion
seien
die Arbeitsplätze bedroht, die Anderen. Für den Fall, dass Sanofi ihnen
gefährlich werden könnte, eröffneten die Konzernführer von Aventis auch
Fusionsverhandlungen mit dem Schweizer Pharmariesen Novartis (ehemals
Sandoz
sowie Ciba-Geigy) und sahen schon einmal äußerst großzügige
Abfindungszahlungen für sich vor.
Und dann sah, im April, plötzlich alles
ganz anders aus. Was vorher noch
angeblich konträr zu den Interessen der Patienten, der Mitarbeiter und der
Nation stand, versprach plötzlich, den Verlautbarungen beider Seiten
zufolge, die besten Zukunftsaussichten für alle Betroffenen. Mitte März
hatte Premierminister Jean-Pierre Raffarin seine Präferenz für eine Lösung
im «nationalen Interesse» erklärt, unter Ausschluss des Novartis-Konzerns,
der als nicht-französischer Anwärter auf den Rängen saß.
Und dann ging alles sehr schnell: Am 23.
April schickte der ebenso
aktivistische wie vom Ehrgeiz zerfressene Wirtschafts- und Finanzminister
Nicolas Sarkozy der vormalige Innenminister einen seiner Berater bei
den
beiden Konzernchefs, Jean-François Dehecq und Igor Landau, vorbei. Beide
sollten sich möglichst schnell treffen, was sie dann auch am folgenden Tag
taten. Keine 24 Stunden später war die Superfusion unterschriftsreif.
Sanofi-Synthélabo hatte, auf staatlichen Druck hin, akzeptiert, sein
Angebot
für die Übernahme von bisher 48,5 auf jetzt 55,3 Milliarden Euro
aufzurunden. Pro Aktie wollte der Übernehmer jetzt 69, statt bloß 60 Euro
herausrücken. Die französische Regierung hatte sich ganz massiv
eingeschaltet. Sie hatte ein ausgezeichnetes Druckmittel in der Hand : In
den kommenden Wochen soll nun auch in Frankreich eine «Gesundheitsreform»
durchgesetzt werden, die natürlich vorwiegend auf Kosten der Kranken und
Lohnabhängigen gehen wird. Im Zuge der «Reform» soll ein in Bälde neu
einzurichtendes Gremium namens «Hohe Gesundheitsbehörde» einen sogenannten
«Arzneimittel-Warenkorb» festlegen. Dabei soll definiert werden, welche
Medikamente künftig noch durch die gesetzliche Krankenkasse erstattet
werden, welche nur noch in verringertem Maße, und welche überhaupt nicht
mehr. Und wenn es nun demnächst beispielsweise darum gehen wird, zu
entscheiden, ob ein Medikament von Aventis dabei «durchfällt» oder
weiterhin
von der gesetzlichen Kasse bezahlt wird, ist augenfällig, dass der Staat
über ein enormes Druckmittel verfügte.
Sauer aber waren, neben den Schweizern in
der Vorstandsetage von Novartis,
auch die Deutschen. Denn konzernintern wird sich das Schwergewicht beim
Hoechst-Erben nunmehr auf die westliche Seite des Rheins verlagern. Der
Berliner Finanzminister Hans Eichel äußerte sich gegenüber der Financial
Times ungehalten über das Verhalten der französischen Regierung.
Oppositionspolitiker warfen der Bundesregierung vor, sich nicht genügend
für
deutsche Interessen eingesetzt zu haben. Aber auch die Gewerkschaften und
der deutsche Aventis-Betriebsrat bliesen eifrig in dasselbe,
nationalistische Horn. Die IG BCE sprach sich gegen die Fusion mit Sanofi
und für den Übernahmekandidaten Novartis aus, obwohl dieses zweitgenannte
Szenario explizit den Abbau von doppelt so viel Arbeitsplätzen (20.000)
vorsah. In den deutschen Werken des Konzerns profilierte die IG BCE sich
mit
der Suche nach dem «besten Franzosenwitz». Protestversammlungen des
Betriebsrats fanden unter Anleitung und Aufsicht des Managements stand.
Dagegen spricht eine Ende April veröffentlichte, gemeinsame Erklärung von
linken Gewerkschaftern aus Frankreich, der Schweiz und der BRD etwa aus
den Reihen der linksalternativen SUD Chimie und der oppositionellen
«Chemiekreis»-Liste sich gegen solcherlei Chauvinismus aus. Sie warnt
vor
den Konzernstrategien beider Seiten Beteiligten und vor der Vernichtung
von
Arbeitsplätzen in allen betroffenen Ländern.
Am Beispiel Siemens und Alstom
Nun bliesen aber die Deutschen zur
Revanche. Eine Gelegenheit sollte sich
ihnen alsbald bieten, denn Mitte Mai dieses Jahres stand die Entscheidung
des EU-Wettbewerbskommissars Mario Monti in dem seit acht Monaten hängigen
Verfahren zum französischen Alstom-Konzern unmittelbar bevor. Alstom ist
ein
französischer Mischkonzern, der namentlich den Hochgeschwindigkeitszug
TGV,
Installationen für Atomanlagen sowie Schiffe baut(e). Im Frühsommer 2003
schlitterte der Konzern tief in die roten Zahlen. Das hing einerseits mit
dem Zusammenbruch der Nachfrage im Schiffbau zusammen u.a. aufgrund des
Rückgangs der US-Kreuzfahrtbranche nach dem 11. September 2001.
Andererseits
hatte der Konzern mit Investitionsruinen Milliarden in den Sand gesetzt,
etwa mit Großturbinen für Kraftwerke, die nicht richtig funktionierten und
ihm enorme Regresszahlungen einhandelten. Und schließlich hatte der
Konzern,
während die Talfahrt bereits eingesetzt hatte, seine Aktionäre durch
großzügige Ausschüttungen belohnt. An der mangelnden Ausbeutung
menschlicher
Arbeitskraft durch Alstom kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Denn in
diesem Bereich erprobte der Konzern längst ausgereifteste Strategien. So
wurde das Kreuzfahrtschiff der Superlative, die Queen Mary 2, auf der
Alstom-Werft in Saint-Nazaire zu bedeutenden Teilen durch immigrantische
Arbeitskräfte errichtet, die durch Sub-Subfirmen unter prekärsten
Bedingungen über befristete Kurzverträge «importiert» worden waren. Die
franzözsische Wirtschaftszeitung La Tribune schrieb dazu im August 2003:
«In
der Mehrzahl der Fälle beträgt die Arbeitszeit rund 60 Stunden pro Woche,
für einen Lohn, der unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns SMIC», rund
1.000 Euro im Monat, «liegt und von dem der Arbeitgeber noch die
Unterbringungskosten abzieht.» Im März desselben Jahres streikten die
Inder
auf der Werft, im April die Griechen, und im August wurde der Schiffbau
durch rumänische Arbeiter blockiert, die seit Monaten ohne Lohn geblieben
waren man glaubt sich zu Zeiten von Emile Zola.
Nach einem Rettungsplan vom 6. August
vorigen Jahres wollte der französische
Staat 800 Millionen Euro Einlage in das Alstom-Kapital tätigen. Damit wäre
er, mit 31 Prozent Anteil, zum größten Einzelaktionär des Konzerns
geworden.
Zudem sollten die Gläubigerbanken, durch das staatliche Engagement in
ihrer
Angst vor «faulen Krediten» beruhigt, rund 1,5 Milliarden Euro Vorschuss
auf
den Tisch legen. Doch dann zog die EU-Kommission Anfang September 2003 die
Bremse : Die Staatsbeihilfen bedeuteten eine Wettbewerbsverzerrung, und
dürften deswegen nicht ohne Genehemigung ausgegeben werden. Seitdem prüfte
der für den Wettbewerb zuständige EU-Kommissar Mario Monti die
Zulässigkeit
der Pläne.
In der Zwischenzeit entfaltete der deutsche
Siemens-Konzern, der in
ähnlichen Sparten wie Alstom tätig ist es und es bei dem Konkurrenten vor
allem auf den Anlagenbau den Turbinenbereich -, aber auch auf die
Eisenbahntechnik abgesehen hat, enormen Druck mit Unterstützung deutscher
Regierungskreise. Siemens hat klar gemacht, dass man in München an einer
Übernahme der zitierten Kernsparten von Alstom interessiert sei, dabei
aber
eine Minderheitsbeteiligung nicht in Frage komme. Die FAZ sprach am 25.
Mai
von «der aggressiven Lobbyarbeit des Münchener Konzerns in Brüssel und
Berlin». Das für die Finanzen zuständige Alstom-Vorstandsmitglied Philippe
Jaffré (ehemals Vorstandschef beim Erdölkonzern Elf-Aquitaine) drückte es
undiplomatisch so aus : Der Druck, den Siemens in den vorangegangen Wochen
auf den französischen Konzern ausgeübt habe, «kommt einer organisierten
Vergewaltigung gleich».
Die französische Regierung dagegen
favorisierte zunächst einen anderen
möglichen «industriellen Partner» für Alstom, nämlich den französischen
staatlichen Nuklearindustriellen Areva (ehemals Cogema). Doch damit
handelte
Paris sich die Gegnerschaft aller Seiten ein: Die Deutschen waren
verärgert,
die EU-Kommission sah durch die Idee des Einstiegs eines Staatskonzerns
die
heiligen Grundsätze des Wettbewerbs verletzt, und die Areva-Spitze
selbst
hielt nichts davon, da wesentlich mächtigere Interessen sie mit der
Münchener Konzernzentrale verbinden. Denn Areva und Siemens unterhalten
eine
gemeinsame Filiale (Framatome), die in naher Zukunft die nächste
Generation
von Atomkraftwerken, den EPR-Druckwasserreaktor, bauen soll. Also legten
Siemens und Areva Anfang Mai einen gemeinsamen Plan «zur Sanierung von
Alstom» vor; der französische Atomproduzent hatte sich wie ein
trojanisches
Pferd der Siemens-Interessen verhalten.
Der in der letzten Maiwoche ausgehandelte
Deal zwischen Mario Monti und
Nicolas Sarkozy sieht zudem vor, dass Alstom sich binnen vier Jahren einen
«industriellen Partner» in seinen Kernsparten Energie und Transport suchen
muss ; dieser muss der Privatwirtschaft entstammen. Siemens wetzt bereits
die Krallen, auch wenn andere Interessenten Aufstellung genommen haben:
Der
Nordamerikaner General Electric, die japanische Mitsubishi-Gruppe sowie
die
schweizerisch-schwedische Unternehmensgruppe ABB. Bei letzterem hat zwar
Konzernchef Jürgen Dormann sein Interesse bekundet, doch manifestiert das
Management äußerste Skepsis, da ABB erst vor vier Jahren seinen
Turbinenbereich mit dem Alstom dann erhebliche technische und in der
Konsequenz wirtschaftliche Probleme bekommen hat an den Konzern aus
Belfort veräußert hat. Als wahrscheinlich gilt, dass letztendlich doch
Siemens den Zuschlag erhalten könnte, da ein europäischer Konzern den
nordamerikanischen und japanischen Rivalen vorgezogen würde. Der Münchener
Konzern seinerseits hat bisher nicht ausgeschlossen, gegen die
Staatseinlage
bei Alstom vor Gericht zu ziehen, da das dafür gegebene grüne Licht aus
Brüssel die Wettbewerbsregeln verletze.
Bundeskanzler Gerhard Schröder schimpfte in
der Financial Times Deutschland
über Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Sarkozy, dieser sei
«extrem
nationalistisch». Wie die Faust auf¹s Auge zu dem Kanzlerspruch passten
dessen manifeste Drohungen. «Schröder befürchtet», referiert die FTD vom
7.
Juni 04, dass Sarkozys Politik «die Durchschlagskraft der
deutsch-französischen Zusammenarbeit in Europa gefährdet». Dem
durchschlagenden Argument setzte er hinzu: «Man darf nicht erlauben, dass
unsere freundschaftlichen Beziehungen darunter leiden.»
Nicht seine nationalistische, den
Konzerninteressen von Siemens dienende
Politik jedoch kritisierte der oberste deutsche Gewerkschaftsbürokrat an
Schröders Politik: « DGB-Chef Michael Sommer kritisierte Bundeskanzler
Gerhard Schröder (SPD), dass er sich nicht ausreichend für die Interessen
des Siemens-Konzerns eingesetzt habe.» Dies berichtet jedenfalls die «taz»
(02. Juni). In ein ähnliches Horn stießen die Oppositionsparteien im
Berlin
Bundestag. Die Heimatfront steht offenkundig.
Editorische Anmerkungen:
Der Autor schickte uns am 17. Juli
2004 seinen Artikel in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung. Eine
gekürzte Fassung erschien in der Ausgabe 07/2004 der Zeitschrift KONKRET.
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