Szenen einer Ehe
Michael Sommer und der Kanzler

von
Max Brym

07/04

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Michael Sommer will den Konflikt zwischen Gewerkschaft und SPD beenden. Das ist das Resultat der Gespräche zwischen SPD und sozialdemokratischer Gewerkschaftsführung vom 5. Juli 2004. „Klare und deutliche Worte hätte der Kanzler gefunden“, meinte der SPD Generalsekretär im ARD Morgenmagazin. Aus der Sitzung des „SPD Gewerkschaftsrates“ wurde gemeldet, dass der DGB- Vorsitzende Sommer gegenüber Gerhard Schröder erklärte: „Das ist deine Agenda 2010“. Es soll laut geworden sein, bezüglich des „größten Sozialabbauprogrammes einer Bundesregierung seit 1949“ (FAZ). Dennoch soll das „Gespräch gesucht werden“, betonten sowohl der SPD-Chef Franz Müntefering als auch Michael Sommer. Der DGB-Vorsitzende will gar den „Konflikt beenden“ und den „Dialog suchen“.

Dialog oder Kampf

Bis zum heutigen Tage gab es im wesentlichen nur verbale Wortgefechte zwischen Teilen der Gewerkschaftsführung und der Rot-Grünen Koalition. Laut „Spiegel“ fährt die Gewerkschaftsführung einen „Krawallkurs“. Leider liegt der „Spiegel“ mit seiner Diagnose daneben. Nach der massiven Mobilisierung gegen den Regierungskurs vom 3. April, bemühte sich die DGB-Führung den Konflikt von der Straße wieder in die Büros der Funktionäre zu verlagern. Ein gewisser Wortradikalismus war dabei durchaus feststellbar. Michael Sommer diktierte: „Niemand in den Gewerkschaften und ich kenne wirklich niemanden- ist im Moment bereit die SPD zu unterstützen“. Sein Verhältnis zum Kanzler beschrieb Sommer als „Non-Verhältnis“. Der IG-Bau Chef Klaus Wiesenhügel, sagte vor einigen Wochen: „Ich kann das Gerede vom kleineren und größeren Übel nicht mehr hören, die Politik der Bundesregierung ist zynisch und ein übler Verstoß gegen die Menschenwürde.“ Frank Bsirske von Ver.di warf dem Kanzler vor, „gemessen an seinen Ansprüchen vollständig gescheitert zu sein“. Einige Leute aus der Umgebung des Kanzlers verließen daraufhin die Gewerkschaft Ver.di. Der Kanzler empfahl den Mitgliedern von Ver.di sich nach einem anderen Vorsitzenden umzusehen. Dieser bis dato unbekannte Versuch eines Bundeskanzlers, sich in innergewerkschaftliche Fragen einzumischen, blieb unbeantwortet. Vor einigen Wochen sagte der frostige Kanzler gegenüber Michael Sommer: „Versteht doch endlich, ich will den Paradigmawechsel und ich werde ihn auch durchziehen“ (Der Spiegel-27/2004). Dafür erhält der Kanzler die volle Rückendeckung des „Bundesverbandes der Deutschen Industrie“. Nach dem Europawahldebakel der SPD lobte der BDI-Boss öffentlich „den Mut und den Kurs des Kanzlers“. Den DGB-Führern kann nur ein gewisser Verbalradikalismus bescheinigt werden. Ihnen fehlt der Mut und der Wille, dem Kurs des radikalen Klassenkampfes von Oben die Mobilisierung und den Klassenkampf von Unten entgegenzustellen. Das aktuelle Gespräch mit der SPD Führung zeigt, dass es den Gewerkschaftsbürokraten darum geht, an Bord zu bleiben und angehört zu werden. Denn an der Agenda 2010 wird nichts geändert, statt dessen propagiert die SPD „Linke“ Andrea Nahles eine „Allianz der Vernunft“. Diese Allianz beinhaltet die Gültigkeit der Agenda 2010, jede Mobilisierung gegen den „Sozialraub“ soll auf Funktionärsebene abgeschmiert werden. Das dabei die Herren Sommer, Peters oder Bsirske andere Positionen haben als Schröder, gehört zum politischen Spiel. Es wird weiter gerungen und „Szenen“ einer Ehe werden dem Publikum geboten. In den Betrieben und auf der Straße hat es ruhig zu bleiben. Zum Kampf zwischen Kapital und Arbeit soll es nicht kommen.

Die DGB Strategie ist verheerend

In den letzten Wochen und Monaten wurde die Regierung mit Worten durch viele Gewerkschaftsführer attackiert. Die Argumente gegen den Regierungskurs waren oft angebracht und entsprachen den Bedürfnissen der Menschen, die nur ihre Arbeitskraft als Ware besitzen. Aber Worte ändern bekanntlich nichts. Die Bourgeoisie hat den sozialen Frieden längst aufgekündigt, sie setzt auf unbezahlte Mehrarbeit, Lohnkürzungen, ungeschützte Arbeitsverhältnisse und bei nicht „verwertbarem Menschenmaterial“, auf den Mut zur Zahnlücke, sowie einem Leben in Armut und Dreck. Die Regierung ist dabei der treue Erfüllungsgehilfe des Kapitals. Die Profite der Konzerne steigen nach dem Handelsblatt vom 5.7.04 im Jahr 2004 beträchtlich an. Zwischen 20 und 30% klettern die Gewinne. Den Beziehern des Arbeitslosengeldes II wird im Westen hingegen zugemutet, von 345 Euro im Monat zu leben. Zudem soll ihnen jede Arbeit ohne gesetzlichen Mindestlohn „zumutbar“ sein. Die kapitalistische Klassengesellschaft zeigt ihr nacktes brutales Gesicht. Deutlich kann der Interessensgegensatz zwischen Oben und Unten wahrgenommen werden. In der Tat, was dem einen seine Eule, ist dem anderen seine Nachtigall. Die klassische Arbeiterorganisation ist die Gewerkschaft, die in einer solchen Lage kämpfen sollte, zumindest zur Verteidigung bereits erkämpfter Standards. Eigentlich müßte auch die privilegierte Bürokratie der Gewerkschaften ein Interesse an wirklicher Auseinandersetzung haben. Denn für das Kapital ist die „Arbeiterbürokratie“ nur dann von Interesse, wenn sie einen Machtfaktor darstellt und Einfluß auf die Arbeiter hat. Wenn die IG-Metall wie bei Siemens geschehen unbezahlte Mehrarbeit absegnet, so verspielt die IG-Metall Bürokratie ihr Renommee und ist nur noch ein momentaner Verhandlungspartner. Der Zwist mit der Regierung, der verbal abgemildert werden soll, bringt weder den Gewerkschaftsbürokraten Ansehen noch den Menschen materiellen Nutzen. Am Ende werden Menschen wie Organisationen an ihren Taten gemessen. Der DGB Apparat will mit der harten Kapitalregierung Schröder, trotz aller Verletzungen die dieser den Gewerkschaftsführern und den Massen zufügte (bei den Arbeitern und Arbeitslosen sind das andere Verletzungen), kooperieren. Dieser Kurs ist selbstmörderisch für den Apparat wie für die Arbeiter.

Was tun ?

Diese Frage kann hier nur angerissen werden. Notwendig ist sofortige Aktivierung und die Stärkung linker gewerkschaftsoppositioneller Gruppen. Ihre Agitation hat unmittelbar an das Bewußtsein in den Betrieben und unter den Arbeitslosen anzuknüpfen. Dies impliziert die dialektische Erkenntnis, dass es zwar einen Widerspruch zwischen Gewerkschaftsapparat und den Mitgliedern gibt, aber nicht in der einfachen Form: hier kämpferische Basis, da verräterische Führung. Die Geschichte ist komplizierter. Grundsätzlich muß sofort damit begonnen werden, für den Herbst politische Streiks in den Betrieben und Aktionen auf der Straße zu organisieren. Innerhalb der Gewerkschaften gilt es zu fordern: Keine Gespräche mehr mit der SPD-Führung und der Regierung solange die Agenda 2010 steht. Zudem sollten Schröder und Konsorten aus der Gewerkschaft ausgeschlossen werden. Die Regierungspolitik ist mit der gewerkschaftlichen Programmatik absolut unvereinbar. Norbert Blüm wundert sich zurecht öffentlich darüber, warum es gegen ihn Ausschlußanträge aus der IG- Metall gab, aber nicht gegen jetzige „Sozialpolitiker“. Das Ziel der Mobilisierung muß die Verhinderung von Hartz IV sein. Dabei ist klar, dass es sich um einen defensiven Abwehrkampf handelt, der allerdings radikal geführt werden muß. In ganz Europa kann die Erfahrung gemacht werden, dass bereits Abwehrkämpfe in der heutigen Klassenkampfsituation mit harten Bandagen geführt werden müssen. Für klassische reformistische Taktiken gibt es keinen Raum mehr.
 

Editorische Anmerkungen:

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 06.06.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.