Marxistische Arbeiterschulung
Kursus Politische Ökonomie

07/04

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III. Konstantes und variables Kapital

Aus der voraufgegangenen Darstellung der Marxschen Mehrwerttheorie und der Kritik der „Lehre" vom Werte der Arbeit ergibt sich, daß das Kapital ein bestimmtes soziales Verhältnis zwischen der Arbeiterklasse und der Kapitalistenklasse in sich schließt. Dieses Verhältnis ist aber kein Verteilungsverhältnis schlechthin, denn dann gäbe es keinen grundsätzlichen Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Im Kampfe um die Verteilung eines sogenannten „Sozialprodukts" der drei Produktionsfaktoren und Produktionsagenten könnte sogar Interessengemeinschaft der Industriekapitalisten und der Arbeiter gegenüber den Handelskapitalisten, Bankiers usw. offenbar werden, so z. B. haben die Industriekapitalisten und die Arbeiter das gemeinsame Interesse, daß vom gesamten Produkt den Handelskapitalisten usw. ein möglichst kleiner Teil zufällt, weil dann der für die „Verteilung" unter Unternehmer und Arbeiter zur Verfügung stehende Teil um so größer sein wird. Die Verteilungsauffassung schließt also grundlegende Klassengegensätze aus.

Das Kapitalverhältnis ist aber ein grundsätzlicher, unversöhnlicher und unüberbrückbarer Klassengegensatz, der nur vom Marxschen Standpunkte aus erklärt und verstanden werden kann. In der bürgerlichen Gesellschaftsordnung ist der Lohnarbeiter kein selbständiger Produzent, er ist auch kein gleichberechtigter Teilnehmer im kapitalistischen Produktionsprozeß: seine Arbeitskraft gehört im Produktionsprozesse nicht ihm, sondern dem Kapitalisten, dem er sie verkauft hat. Er erhält vom Kapitalisten den Wert seiner Arbeitskraft in der Form des Arbeitslohnes. Während des Arbeitsprozesses produziert der Arbeiter einen neuen Wert, der dem Kapitalisten von vorn­herein gehört, von dem also nicht der mindeste Bruchteil dem Arbeiter ge­hören kann. Ein Teil dieses neuen Wertes ersetzt dem Kapitalisten den aus­gezahlten oder den auszuzahlenden Arbeitslohn, also den Wert der Arbeits­kraft, der andere Teil bildet den Mehrwert, der sich in verschiedene Ein­kommensformen der einzelnen Gruppen der gesamten Ausbeuterklasse spaltet — Profit, Zins, Rente. Die letzte Quelle alles Einkommens ist die Arbeit und nur die Arbeit. Damit ist der grundsätzliche Klassengegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie aufgedeckt: die Existenz der Bour­geoisie beruht auf Aneignung der fremden, unbezahlten Arbeit des Prole­tariats. Das Kapitalverhältnis ist also kein Verteilungs-, sondern ein Ausbeutungsverhältnis.

Die bürgerliche Oekonomie, insbesondere die Vulgärökonomie, sucht das Wesen des Kapitalverhältnisses, die Ausbeutung der Lohnarbeit, zu verschleiern. Lehnt sie die Marxsche Lehre vom Werte der Arbeitskraft ab, spricht sie vom Werte der Arbeit und faßt Arbeit, Kapital und Boden als drei selbständige Einkommensquellen auf, — so muß sie notwendigerweise zu der Schlußfolgerung kommen, daß das Kapital, also Geld, Maschinen, Rohstoffe usw., die Eigenschaft besitzt, Profit abzuwerfen. Wie, auf welche Weise und auf Grundlage welcher objektiven Prozesse diese Vorstellung entsteht, werden wir erst im sechsten Hefte unseres Kurses, nach der Untersuchung der Zirkulationsprozesse des Kapitals, verstehen können. Vorläufig wollen wir uns nur mit der Kritik einer sehr wichtigen Seite dieser Vorstellung befassen, und zwar mit der Frage, ob überhaupt Maschinen, Rohstoffe, also tote Sachen, Produktionsmittel, einen Wert, also auch Mehr­wert, Profit schaffen können. Denn die bürgerliche Oekonomie betrachtet als Kapital nur die sachlichen Bedingungen des Produktionsprozesses, nicht aber die Arbeitskraft.

In der Wirklichkeit besteht das fungierende*, das im Produktionsprozeß sich befindende Kapital nicht nur aus Produktionsmitteln, sondern auch aus der dem Kapitalisten verkauften Arbeitskraft. Indem der Kapitalist sein Geld in Kapital verwandelt, verwandelt er es in Produktionsmittel und Arbeitskraft, in sachliche und persönliche Faktoren des Produktions­prozesses. Die vom Kapitalisten gekaufte Arbeitskraft gehört jetzt ihm, nicht mehr dem Arbeiter, sie bildet einen Bestandteil seines produktiven Kapitals. Die verschiedenen Bestandteile des Kapitals spielen aber ganz verschiedene Rollen.

„Die verschiedenen Faktoren des Arbeitsprozesses nehmen verschiedenen Anteil an der Bildung des Produktenwertes.

Der Arbeiter setzt dem Arbeitsgegenstand neuen Wert zu durch Zusatz eines bestimmten Quantums von Arbeit, abgesehen vom bestimmten Inhalt, Zweck und technischen Charakter seiner Arbeit. Anderseits finden wir die Werte der ver­zehrten Produktionsmittel wieder als Bestandteile des Produktenwertes, z. B. die Werte von Baumwolle und Spindel im Garnwert. Der Wert der Produktionsmittel wird also erhalten durch seine Uebertragung auf das Produkt. Dieses Uebertragen geschieht während der Verwandlung der Produktionsmittel in Produkt, im Arbeits­prozeß. Es ist vermittelt durch die Arbeit. Aber wie?

Der Arbeiter arbeitet nicht doppelt in derselben Zeit, nicht einmal, um der Baumwolle durch seine Arbeit einen Wert zuzusetzen, und das andere Mal, um ihren alten Wert zu erhalten, oder, was dasselbe, um den Wert der Baumwolle, die er verarbeitet, und der Spindel, womit er arbeitet, auf das Produkt, das Garn, zu übertragen. Sondern durch bloßes Zusetzen von neuem Wert erhält er den alten Wert. Da aber der Zusatz von neuem Wert zum Arbeitsgegenstand und die Erhaltung der alten Werte im Produkt zwei ganz verschiedene Resultate sind, die der Arbeiter in derselben Zeit hervorbringt, obgleich er nur einmal in derselben Zeit arbeitet, kann diese Doppelseitigkeit des Resultats offenbar nur aus der Doppel­seitigkeit seiner Arbeit selbst erklärt werden. In demselben Zeitpunkt muß sie in einer Eigenschaft Wert schauen und in einer anderen Eigenschaft Wert erhalten oder übertragen.

Wie setzt jeder Arbeiter Arbeitszeit und daher Wert zu? Immer nur in der Form seiner eigentümlich produktiven Arbeitsweise. Der Spinner setzt nur Arbeits­zeit zu, indem er spinnt, der Weber, indem er webt, der Schmied, indem er schmiedet. Durch die zweckbestimmte Form aber, worin sie Arbeit überhaupt zusetzen und daher Neuwert, durch das Spinnen, Weben, Schmieden werden die Produktionsmittel, Baumwolle und Spindel, Garn und Webstuhl, Eisen und Amboß, zu Bildungselementen eines Produkts,- eines neuen Gebrauchswertes. Die alte Form ihres Gebrauchswertes vergeht, aber nur, um in einer neuen Form von Gebrauchswert aufzugehen. Bei Betrachtung des Wertbildungsprozesses ergab sich aber, daß, soweit ein Gebrauchswert zweckmäßig vernutzt wird zur Produktion eines neuen Gebrauchswertes, die zur Herstellung des vernutzten Gebrauchswertes notwendige Arbeitszeit einen Teil der zur Herstellung des neuen Gebrauchswertes notwendigen Arbeitszeit bildet, also Arbeitszeit ist, die vom vernutzten Produktionsmittel auf das neue Produkt übertragen wird. Der Arbeiter erhält also die Werte der ver­nutzten Produktionsmittel oder überträgt sie als Wertbestandteile auf das Produkt, nicht durch sein Zusetzen von Arbeit überhaupt, sondern durch den besonderen nützlichen Charakter, durch die spezifisch produktive Form dieser zusätzlichen Arbeit. Als solche zweckmäßige produktive Tätigkeit, Spinnen, Schmieden, er­weckt die Arbeit durch ihren bloßen Kontakt die Produktionsmittel von den Toten, begeistert sie zu Faktoren des Arbeitsprozesses und verbindet sich mit ihnen zu Produkten." (Marx, „Kapital", Bd. I, S. 153—157; Kröners Ausgabe, S. 160—162.)

Die Produktionsmittel schaffen also keinen neuen Wert. Ihr Wert wird dadurch erhalten, daß er auf das neue Produkt übertragen wird. Und übertragen wird er durch die konkrete Arbeit des Arbeiters. Der neue Wert, der den Produktionsmitteln zugesetzt, von ihnen aufgesaugt wird, wird geschaffen durch die abstrakte Arbeit:

„Wäre die spezifische produktive Arbeit des Arbeiters nicht Spinnen, so würde er die Baumwolle nicht in Garn verwandeln, also auch die Werte von Baumwolle und Spindel nicht auf das Garn übertragen. Wechselt dagegen derselbe Arbeiter den Beruf und wird Tischler, so wird er nach wie vor durch einen Arbeitstag seinem Material Wert zusetzen. Er setzt ihn also zu durch seine Arbeit, nicht soweit sie Spinnarbeit oder Tischlerarbeit, sondern soweit sie abstrakte, gesell­schaftliche Arbeit überhaupt, und er setzt eine bestimmte Wertgröße zu, nicht weil seine Arbeit einen besonderen nützlichen Inhalt hat, sondern weil sie eine be­stimmte Zeit dauert. In ihrer abstrakten allgemeinen Eigenschaft also, als Ver­ausgabung menschlicher Arbeitskraft, setzt die Arbeit des Spinners den Werten von Baumwolle und Spindel Neuwert zu, und in ihrer konkreten, besonderen, nützlichen Eigenschaft als Spinnprozeß überträgt sie den Wert dieser Produktions­mittel auf das Produkt und erhält so ihren Wert im Produkt. Daher die Doppelseitigkeit ihres Resultats in demselben Zeitpunkt. )   Durch das bloß quantitative Zusetzen von Arbeit wird neuer Wert zugesetzt, durch die Qualität der zugesetzen Arbeit werden die alten Werte der Produk­tionsmittel im Produkt erhalten. Diese doppelseitige Wirkung derselben Arbeit infolge ihres doppelseitigen Charakters zeigt sich handgreiflich an verschiedenen Erscheinungen.

Nimm an, irgendeine Erfindung befähige den Spinner, in 6 Stunden soviel Baum­wolle zu verspinnen, wie früher in 36 Stunden. Als zweckmäßig nützliche, pro­duktive Tätigkeit hat seine Arbeit ihre Kraft versechsfacht. Ihr Produkt ist ein sechsfaches, 36 statt 6 Pfund Garn. Aber die 36 Pfund Baumwolle saugen jetzt nur soviel Arbeitszeit ein als früher 6 Pfund. Sechsmal weniger neue Arbeit wird jedem Pfund zugesetzt als mit der alten Methode, daher nur noch ein Sechstel des früheren Wertes. Anderseits existiert jetzt der sechsfache Wert von Baumwolle im Produkt, den 36 Pfund Garn. In den sechs Spinnstunden wird ein sechs­mal größerer Wert von Rohmaterial erhalten und auf das Produkt übertragen, ob­gleich demselben Rohmaterial ein sechsmal kleinerer Neuwert zugesetzt wird. Dies zeigt, wie die Eigenschaft, worin die Arbeit während desselben unteilbaren Pro­zesses Werte erhält, wesentlich unterschieden ist von der Eigenschaft, worin sie Wert schaut. Je mehr notwendige Arbeitszeit während der Spinnoperation auf dasselbe Quantum Baumwolle geht, desto größer der Neuwert, der der Baumwolle zugesetzt wird, aber je mehr Pfund Baumwolle in derselben Arbeitszeit versponnen werden, desto größer der alte Wert, der im Produkt erhalten wird.

Nimm umgekehrt an, die Produktivität der Spinnarbeit bleibe unverändert, der Spinner brauche also nach wie vor gleichviel Zeit, um ein Pfund Baumwolle in Garn zu verwandeln. Aber der Tauschwert der Baumwolle selbst wechselt, ein Pfund Baumwolle steige oder falle um das Sechsfache seines Preises. In beiden Fällen fährt der Spinner fort, demselben Quantum Baumwolle dieselbe Arbeits­zeit zuzusetzen, also denselben Wert, und in beiden Fällen produziert er in gleicher Zeit gleichviel Garn. Dennoch ist der Wert, den er von der Baumwolle als das Garn, das Produkt, überträgt, das eine Mal sechsmal kleiner, das andere Mal sechsmal größer als zuvor. Ebenso, wenn die Arbeitsmittel sich verteuern oder verwohlfeilern, aber stets denselben Dienst im Arbeitsprozeß leisten.

Bleiben die technischen Bedingungen des Spinnprozesses unverändert und geht gleichfalls kein Wertwechsel mit seinen Produktionsmitteln vor, so verbraucht der Spinner nach wie vor in gleichen Arbeitszeiten gleiche Quanta Rohmaterial und Maschinerie von gleichbleibenden Werten. Der Wert, den er im Produkt erhält, steht dann in direktem Verhältnis zu dem Neuwert, den er zusetzt. In zwei Wochen setzt er zweimal mehr Arbeit zu als in einer Woche, also zweimal mehr Wert, und zugleich vernutzt er zweimal mehr Material von zweimal mehr Wert, erhält also im Produkt von zwei Wochen zweimal mehr Wert als im Produkt einer Woche. Unter gegebenen gleichbleibenden Produktionsbedingungen erhält der Arbeiter um so mehr Wert, je mehr er zusetzt, aber er erhält nicht mehr Wert, weil er mehr Wert zusetzt, sondern weil er ihn unter gleichbleibenden und von seiner Arbeit unabhängigen Bedingungen zusetzt." (Marx, „Kapital", Bd. I, S. 154—156; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 162—164.)

„Nur soweit Produktionsmittel während des Arbeitsprozesses Wert in der Gestalt ihrer alten Gebrauchswerte verlieren, übertragen sie Wert auf die neue Gestalt des Podukts. Das Maximum* des Wertverlustes, den sie im Arbeitsprozeß erleiden können, ist offenbar beschränkt durch die ursprüngliche Wertgröße, wo­mit sie in den Arbeitsprozeß eintreten oder durch die zu ihrer eigenen Produktion erheischte Arbeitszeit. Produktionsmittel können dem Produkt daher nie mehr Wert zusetzen, als sie unabhängig vom Arbeitsprozeß, dem sie dienen, besitzen. Wie nützlich auch ein Arbeitsmaterial, eine Maschine, ein Produktionsmittel: wenn es 150 Pfund Sterling, sage 500 Arbeitstage, kostet, setzt es dem Gesamt­produkt, zu dessen Bildung es dient, nie mehr als 150 Pfund Sterling zu. Sein Wert ist bestimmt nicht durch den Arbeitsprozeß, worin es als Produktionsmittel eingeht, sondern durch den Arbeitsprozeß, woraus es als Produkt herauskommt. In dem Arbeitsprozeß dient es nur als Gebrauchswert, als Ding mit nützlichen Eigenschaften, und gäbe daher keinen Wert an das Produkt ab, hätte es nicht Wert besessen vor seinem Eintritt in den Prozeß...

Was überhaupt an den Produktionsmittel verzehrt wird, ist ihr Gebrauchswert, durch dessen Konsumtion die Arbeit Produkte bildet. Ihr Wert wird in der Tat nicht konsumiert, kann also auch nicht reproduziert werden. Er wird erhalten, aber nicht, weil eine Operation mit ihm selbst im Arbeitsprozeß vorgeht, sondern weil der Gebrauchswert, worin er ursprünglich existiert, zwar verschwindet, aber nur in einen anderen Gebrauchswert verschwindet. Der Wert der Produktions­mittel erscheint daher wieder im Wert des Produkts, aber er wird, genau ge­sprochen, nicht reproduziert. Was produziert wird, ist der neue Gebrauchswert, worin der alte Tauschwert wieder erscheint." („Kapital", Bd. I, S. 159 f.; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 167 f.)

In einer prinzipiell anderen Weise erscheint im Produktenwert der Wert der Arbeitskraft. Im Produktionsprozeß spielt die Arbeitskraft eine aktive Rolle. Während die Produktionsmittel keinen Wert schaffen können, schafft die Arbeit (die in Bewegung gesetzte Arbeitskraft) einen neuen Wert, der nicht nur den Wert der Arbeitskraft ersetzt, sondern auch den Mehrwert bildet. Der Wert der Arbeitskraft wird also nicht übertragen, sondern ersetzt durch einen neu geschaffenen Wert, er wird also wiedergeschaffen, oder reproduziert:

„Anders mit dem persönlichen Faktor des Arbeitsprozesses, der sich betätigenden Arbeitskraft. Während die Arbeit durch ihre zweckmäßige Form den Wert der Produktionsmittel auf das Produkt überträgt und erhält, bildet jedes Moment ihrer Bewegung zusätzlichen Wert, Neuwert. Gesetzt, der Produktionsprozeß breche ab beim Punkt, wo der Arbeiter ein Aequivalent für den Wert seiner eigenen Arbeitskraft produziert, durch sechsstündige Arbeit z. B. einen Wert von 3 Schilling zugesetzt hat. Dieser Wert bildet den üeberschuß des Produktenwertes über seine dem Wert der Produktionsmittel geschuldeten Bestandteile. Er ist der einzige Original­wert, der innerhalb dieses Prozesses entstand, der einzige Wertteil des Produkts, der durch den Prozeß selbst produziert ist. Allerdings ersetzt er nur das vom Kapi­talisten beim Kauf der Arbeitskraft vorgeschossene, vom Arbeiter selbst in Lebens­mitteln verausgabte Geld. Mit Bezug auf die verausgabten 3 Schilling erscheint der Neuwert von 3 Schilling nur als Reproduktion. Aber es ist wirklich reproduziert, nicht nur scheinbar, wie der Wert der Produktionsmittel. Der Ersatz eines Wertes durch den anderen ist hier vermittelt durch neue Wertschöpfung.

Wir wissen jedoch bereits, daß der Arbeitsprozeß über den Punkt hinaus fort­dauert, wo ein bloßes Aequivalent für den Wert der Arbeitskraft reproduziert und dem Arbeitsgegenstand zugesetzt wäre. Statt der 6 Stunden, die hierzu genügen*, währt der Prozeß z. B. 12 Stunden. Durch die Betätigung der Arbeitskraft wird also nicht nur ihr eigener Wert reproduziert, sondern ein überschüssiger Wert produziert. Dieser Mehrwert bildet den Überschuß des Produktenwertes über den Wert der verzehrten Produktbildner, d. h. der Produktionsmittel und der Arbeitskraft.

Indem wir die verschiedenen Rollen dargestellt, welche die verschiedenen Faktoren des Arbeitsprozesses in der Bildung des Produktenwertes spielen, haben wir in der Tat die Funktionen der verschiedenen Bestandteile des Kapitals in seinem eigenen Verwertungsprozeß charakterisiert. Der Überschuß des Gesamtwertes des Produkts über die Wertsumme seiner Bildungselemente ist der Überschuß des ver­werteten Kapitals über den ursprünglich vorgeschossenen Kapitalwert. Produktions­mittel auf der einen Seite, Arbeitskraft auf der ändern sind nur die verschiedenen Existenzformen, die der ursprüngliche Kapitalwert annahm bei Abstreifung seiner Geldform und seiner Verwandlung in die Faktoren des Arbeitsprozesses.

Der Teil des Kapitals also, der sich in Produktionsmittel, d. h. in Rohmaterial, Hilfsstoffe und Arbeitsmittel umsetzt, verändert seine Wertgröße nicht im Produktionsprozeß. Ich nenne ihn daher konstanten (unveränderlichen) Kapitalteil, oder kürzer: konstantes Kapital.

Der in Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapitals verändert dagegen seinen Wert im Produktionsprozeß. Er reproduziert sein eigenes Aequivalent und einen Überschuß darüber, Mehrwert, der selbst wechseln, größer oder kleiner sein kann. Aus einer konstanten Größe verwandelt sich dieser Teil des Kapitals fortwährend in eine variable (veränderliche). Ich nenne ihn daher variablen Kapitalteil, oder kürzer:

variables Kapital. Dieselben Kapitalbestandteile, die sich vom Standpunkt des Arbeitsprozesses als objektive (sachliche) und subjektive (persönliche) Faktoren, als Produktionsmittel und Arbeitskraft unterscheiden, unterscheiden sich vom Stand­punkt des Verwertungsprozesses als konstantes Kapital und variables Kapital." („Kapital", Volksausgabe, Bd. I, S. 161 f.; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 168 ff.)

* Immer wieder erinnere sich der Leser, daß Marx hier nur ein beliebiges Zahlenbeispiel nimmt. Im kapitalistischen Produktionsprozeß der Gegenwart wird der Arbeiter zumeist schon in viel kürzerer Zeit den Wert seiner Arbeitskraft reproduziert haben.

Die Teilung des Kapitals in konstantes und variables Kapital, die von Marx zum erstenmal entdeckt worden ist und von den bürgerlichen Oekonomen umgangen wird, trägt viel zur Enthüllung des Geheimnisses der kapitalistischen Ausbeutung bei: die Produktionsmittel spielen eine passive Rolle im Produktionsprozeß, sie schaffen keinen Wert und deshalb auch keinen Mehrwert, ihr Wert wird erhalten, indem er durch die Betätigung der Arbeitskraft, durch die Arbeit, den einzigen aktiven Produktionsfaktor, auf das Produkt übertragen wird. Nur die Arbeitskraft bildet die eigent­liche Triebkraft des Kapitals, nur sie „belebt" die Produktionsmittel, nur sie bildet die einzige Quelle des Mehrwerts. Diese, für das Verständnis des kapitalistischen Produktionsprozesses maßgebende Teilung des Kapitals in konstantes und variables, konnte von Marx — und nur von Marx — ent­deckt werden, weil er den Doppelcharakter der Arbeit entdeckt hatte. Ohne die abstrakte und die konkrete Arbeit zu unterscheiden, wäre es überhaupt unmöglich, in das tiefste Geheimnis der kapitalistischen Produktionsweise und der bürgerlichen Gesellschaft einzudringen.

Kontrollfragen:

1. Aus welchen Teilen setzt sich der Produktenwert zusammen?
2. Wodurch unterscheidet sich der Anteil der Produktionsmittel von dem Anteil der Arbeitskraft an der Bildung des Produktenwertes?
3. Worin drückt sich die Wirkung des Doppelcharakters der Arbeit im kapitalistischen Produktionsprozeß aus?
4. Was ist konstantes und was ist variables Kapital?

 

Editorische Anmerkungen:

1930 erschienen im 14tägigen Abstand die Hefte der Marxistischen Arbeiterschulung, die insbesondere den kleineren Gruppen und Einzelnen, die nicht eine der MARXISTISCHEN ARBEITERSCHULEN besuchen konnten, zur Selbstschulung dienen sollten.

Herausgegeben wurden die Hefte von Hermann Duncker, Alfons Goldschmidt und K.A. Wittvogel. Sie erschienen im Verlag für Literatur und Politik, Berlin, Wien 1930.

Der OCR-gescannte Text stammt aus dem 2. Heft, S. 54-59 und wurde dem Reprint des Politladens Erlangen in seiner 4. Auflage 1971 entnommen.