Aus Betrieb & Gewerkschaft 
Deutsche Post und Verdi einigen sich auf neuen Tarifvertrag


Von Jörg Victor

07/04

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Am Dienstag, den 3. Juni, einigten sich die Deutsche Post und die Gewerkschaft Verdi auf einen neuen Tarifvertrag für die rund 160.000 Arbeiter und Angestellten des Konzerns. Der Vertrag mit einer Laufzeit von 24 Monaten sieht zweimalige Einmalzahlungen von je 65 Euro sowie eine Lohnerhöhung um 2,7 Prozent im November diesen Jahres und weitere 2,3 Prozent im November nächsten Jahres vor. Der Einigung gingen eintägige Warnstreiks in mehreren Bundesländern voraus, die vereinzelt die Briefzustellung lahm legten.

Die Unternehmensführung hatte der Gewerkschaft in den Verhandlungen zunächst kein Angebot vorgelegt und Verdi so die Möglichkeit gegeben, wortreich mit einem flächendeckenden Streik zu drohen. In der abschließenden Verhandlungsrunde einigten sich die Verhandlungsführer dann jedoch relativ schnell auf den nun vorgelegten Abschluss. Laut dem Verhandlungsführer der Post Walter Scheurle hat das Unternehmen sein Ziel erreicht. Der zweijährige Vertrag hat nach seinen Worten einen "wirtschaftlich vertretbaren Rahmen".

Der Abschluss wird von vielen Medien als Erfolg auch und gerade für die Beschäftigten dargestellt. Die Frankfurter Rundschau schrieb am 3. Juni in einem Kommentar, die Einigung der Tarifparteien sei "ein Beispiel dafür, dass bei einem großen Unternehmen, einem Global Player, auch in Zeiten der Globalisierung und von Shareholder-Value die Deutschland AG doch noch ein bisschen funktioniert. Dass es Tarifabschlüsse gibt, die nicht mit Entlassungen bezahlt werden, obwohl keine Null vor dem Komma steht. Die moderat sind, weil die Firmen sie finanzieren können. Die fair sind, weil die Teilhabe der Arbeitnehmer am Betriebsergebnis sichtbar wird." Alle - Beschäftigte und Kapitaleigner - würden profitieren. Diesem Beispiel sollten daher auch andere Unternehmen folgen.

Selbst wenn man davon absieht, dass der erzielte Abschluss die Mehrbelastung der Beschäftigten durch den Preisanstieg und die Folgen der "Agenda 2010" nicht annähernd ausgleicht, ist diese Einschätzung grundfalsch. Der Post-Konzern hat nur deshalb einem Abschluss ohne "Null vor dem Komma" zugestimmt, weil er die Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen schon vor der Tarifverhandlung längst durchgesetzt hat - in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft.

Lohnsenkungen und Arbeitshetze

Unternehmensführung und Gewerkschaft beschlossen schon 2001 die Senkung des Stundenlohns für befristet Beschäftigte und alle neu eingestellten Arbeiter um rund einen Euro (damals zwei DM), was für die Betroffenen einer Lohnsenkung von bis zu 25 Prozent gleichkam.

Die betroffenen Arbeiter bekommen seither teilweise weniger als 1.000 Euro netto ausbezahlt. Die jetzt vereinbarte Lohnsteigerung bedeutet für sie daher kein Ende ihrer finanziell prekären Lage. Auf die Frage, wie man mit einem solchen Einkommen über die Runden komme solle, antwortete ein regionaler Postmanager: "Indem man Zweitjobs annimmt".

Neben der direkten Lohnkürzung hat das Post-Management außerdem permanent das Arbeitspensum eines jeden Beschäftigten erhöht. Großkunden werden Sonderkonditionen gewährt, wenn sie in großen Mengen Werbepost oder Kataloge einliefern. Die sogenannten Wurfsendungen, unadressiertes Werbematerial, müssen von den Postboten zugestellt werden, ohne dass sie bei der Erfassung der Postmenge berücksichtigt werden. Über die Postmenge wird jedoch die Größe der Zustellbezirke der einzelnen Briefträger berechnet. Und neuerdings müssen die Briefträger auch noch zusätzlich die Bücher- und Warensendungen zustellen, die früher von der Paketpost ausgeliefert wurden.

Gleichzeitig steigt der Druck von oben nach unten. Das Führungspersonal im Mittelbau des Unternehmens bekommt Extraprämien für niedrigen Krankenstand und Überstundenkonten. Fallen die entsprechenden Zahlen unbefriedigend aus, scheut sich die Zentrale nicht, solche Posten neu zu besetzen. Der Druck wird entsprechend nach unten weitergegeben. Wer im zugewiesenen Zustellbezirk Überstunden macht oder sich häufiger krank meldet, wird zum Vorgesetzten bestellt. Meldungen über verbale Ausfälle während solcher Vier-Augen-Gespräche häufen sich.

Besonders hart von diesem Mobbing betroffen ist die Gruppe der befristet Beschäftigten. Diese - rund 30 Prozent der Belegschaft - müssen damit rechnen, dass ihr Vertrag nicht verlängert wird, wenn sie Überstunden aufbauen, zu oft krank sind oder gar an Protestaktionen gegen die Unternehmenspolitik teilnehmen. Dementsprechend sank der Krankenstand von Jahr zu Jahr aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder anderen Repressalien. Dies ist sicher keine unternehmerische Glanzleistung und erst recht kein Anzeichen für die gestiegene Zufriedenheit der Belegschaft, wie es in der Bilanz des Vorstands dargestellt wird.

Weitere Arbeitsplätze wollte die Unternehmensführung einsparen, indem sie die morgendliche Vorbereitung der Zustellung und die eigentliche Zustellung selbst in zwei getrennte Teilzeitjobs (auf befristeter Beschäftigungsbasis) aufspaltete (Trennung der Vorsortierung von der Zustellung, TVZ).

Eigens eingestellte neue Zusteller beginnen und beenden ihren Arbeitstag nicht mehr im zentralen Post-Stützpunkt, sondern direkt in ihren Zustellbezirken. Die zuzustellende Post wird ihnen in Geräteschuppen ohne Heizung und Toilette in der Nähe ihrer Bezirke angeliefert. Mit Hilfe der Zeitersparnis, die durch den Wegfall des Weges vom zentralen Zustellstützpunkt in den Zustellbezirk entsteht, soll etwa eine Arbeitsstelle pro Postleitzahlbezirk abgebaut werden. Angesichts von rund 41.000 Postleitzahlen bedeutet dieser Plan den Abbau von einigen Zehntausend Arbeitsplätzen. Das TVZ-Projekt schließt außerdem den Einstieg in die flächendeckende Teilzeitarbeit bei der Briefzustellung ein. Die Post wäre dann wohl einer der größten Teilzeitarbeitgeber mit ein paar Hunderttausend Teilzeitjobs.

Die Gewerkschaft Verdi hatte auch hier aktiv an der Umsetzung mitgearbeitet. Die unzumutbaren Bedingungen wurden in einer Betriebsvereinbarung zwischen Unternehmen und Gewerkschaft festgelegt. Auf gewerkschaftlich organisierten Betriebsversammlungen, die als Ersatz für Arbeitskampfmaßnahmen gegen die geplante Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds der Beamten durchgeführt wurden, wurde dann der Unmut der Belegschaft gegen das TVZ-Projekt deutlich.

Während der diesjährigen Tarifverhandlungen kündigte Verdi die Betriebsvereinbarung zum TVZ-Projekt überraschend. Die Gewerkschaft kümmerte sich aber nicht um das Schicksal derjenigen, die eigens für dieses Projekt eingestellt worden waren und deren Verträge Ende Mai - dem offiziellen Ende des TVZ-Projekts - abliefen

Weil eine schnelle Umstellung auf den "normalen" Zustellbetrieb logistisch nicht möglich war und außerdem die Post Klage gegen die Kündigung der Betriebsvereinbarung eingelegt hat, die nun vor einem Schiedsgericht verhandelt wird, haben die betroffenen Zusteller und Vorsortierer weiterhin Arbeit. Ihre für die inoffizielle Fortführung des Projekts verlängerten Arbeitsverträge beinhalten aber die Klausel, dass der Kontrakt sofort endet, sollte das Schiedsgericht das Projekt "Trennung der Vorsortierung von der Zustellung" offiziell beenden.

Topgehälter für Manager

Die Ausrichtung des Unternehmens ist inzwischen typisch für die Unternehmenspolitik eines Global Players. Sie kommt einzig und allein den Aktionären und Topmanagern des Konzerns zugute. Die jetzt vereinbarte Lohnerhöhung für die 160.000 Arbeiter kostet dem Unternehmen in einem Jahr genauso viel wie die Gehälter der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einschließlich der Pensionszahlungen an ehemalige Vorstandsmitglieder. Allein die acht Mitglieder des Vorstands bezogen 2003 über zehn Millionen Euro Gehalt. Dies bedeutet eine Erhöhung im Vergleich zum Vorjahr von 30 Prozent.

Wirtschaftlich gesehen steht die Post besser da als jemals in ihrer Geschichte. Der Umsatz stieg im Vergleich zum Geschäftsjahr 2002 erneut leicht auf 40 Milliarden Euro. In der für das vergangene Geschäftsjahr vorgelegten Bilanz weist die Bonner Zentrale einen Reingewinn von 1,3 Milliarden Euro aus - eine Verdoppelung im Vergleich zum Vorjahr.

Gleichzeitig übernahm der Konzern weiter Transport- und Logistikunternehmen auf der ganzen Welt mit dem Ziel, in dieser Branche die internationale Nummer Eins zu werden. Die schrittweise Übernahme des weltweit tätigen Speditions- und Logistikunternehmens DHL für 2,3 Milliarden Euro ist abgeschlossen. Zuletzt kaufte sich der Konzern das US-amerikanische Expressunternehmen Airborn. Durch diese jahrelange Expansion ist die Post zur europäischen Nummer Eins der Branche geworden und liegt weltweit an vierter Stelle. Der in der Bilanz ausgewiesene Anstieg der Beschäftigtenzahlen ist dieser Einkaufspolitik geschuldet, denn die Mitarbeiterzahl im traditionellen Zustell- und Paketbereich nimmt seit Jahren ab.

Das Unternehmen kündigte an, die Dividende leicht auf 44 Cent pro Aktie zu erhöhen und somit insgesamt 490 Millionen Euro auszuschütten. Der Bund als Hauptaktionär profitiert davon am meisten. Der Löwenanteil der Ausschüttung fließt in die Kassen des Bundesfinanzministers Hans Eichel (SPD).

Für die Beschäftigten und die Kunden der Post hat die neue Ausrichtung des Post-Konzerns andauernde Verschlechterungen zur Folge. Die Anzahl der Briefkästen wurde ebenso reduziert, wie die Anzahl der von ausgebildeten Postmitarbeitern betriebenen Filialen. Gleichzeitig kündigen Agenturbetreiber in Supermärkten oder Zigarettenläden wegen unrentabler Vereinbarungen ihre Verträge mit der Post. Die Reduzierung des Versorgungsgrads der Bevölkerung mit postalischen Dienstleistungen ist Teil des Kostensparprogramm des Unternehmens und durchaus beabsichtigt. Großaktionäre und Topmanager sind die Profiteure.

Editorische Anmerkungen:

Der Artikel ist eine Spieglung von
www.wsws.org/de/2004/jun2004/post-j17.shtml