Kommentare zum Zeitgeschehen
»Wumms« wofür ?

von Christian Hofmann

06/2020

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Nachdem die Bundesregierung letzte Woche ihr »Wumms«-gegen-die-Krise-Konjunkturpaket verkündete, fiel die Kritik der Opposition recht milde aus. Wer will schon Spaßbremse sein, wenn 130 Milliarden Euro größtenteils im Gießkannenprinzip halbwegs gleichmäßig verteilt werden. Ein bisschen »mehr Grün« oder »Soziales«, ein wenig mehr »Kauf-vor-Ort«, aber ansonsten: Zustimmung. Auch die Wirtschaftsvertreter äußerten sich fast durchgängig positiv. „Das Konjunkturprogramm ist nach dem Motto »Klotzen und nicht kleckern« konzipiert, das »Wumms« ist also eindeutig da“, gab etwa Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre und ehemaliger »Wirtschaftsweiser« zu Protokoll.

Richtig jammern wollte nur die Autolobby, die sich im Vorfeld des Koalitionsgipfels mächtig ins Zeug gelegt hatte und sich deshalb, wohl nicht ganz unbegründet, weit mehr versprochen hatte. Dass ausgerechnet die IG Metall-Spitze und der Daimler-Betriebsrat in dieses Wehklagen einstimmen mussten, zeigt recht deutlich, welch Geistes Kind diese eigentlich sind. Gleiches gilt für die Landesregierungen von Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg, die, völlig unabhängig vom jeweiligen Parteibuch, Spalier für »ihre« Autoindustrie standen.

Dass der Autolobby dieses Mal nicht jeder Wunsch von den Lippen abgelesen wurde, war dabei nicht in erster Linie dem logischen Menschenverstand geschuldet. Vielmehr musste diesem durch die (neue) Ökologiebewegung mit massivem Druck auf die Sprünge geholfen werden. Zurecht kann sich »Fridays for Future« den Verdienst auf die Fahne schreiben „das schlimmste verhindert zu haben“. Ihr via Newsletter kommuniziertes Fazit „Lobby versenkt aber Chance verschenkt“ gehörte definitiv zu den originelleren Kommentaren der letzten Woche.

Indes bleibt die Frage, was eigentlich für eine »Chance verschenkt« wurde. Schon klar, geballte 130 Milliarden Euro in die Energiewende zu stecken, wäre schon eine verlockende Vorstellung. Ein massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien, begleitet mit einer Verkehrswende, weg vom motorisierten Individualverkehr, könnte zumindest theoretisch ein schönes »flattening the curve« bezüglich der Treibhausgase ergeben. Nur leider geht es der Regierung um etwas ganz anderes, wenn sie »mit Wumms aus der Krise kommen will«.

Die Wirtschaft muss auf den »Wachstumspfad geführt werden«, verkündete sie, schließlich ist Wachstum unabdingbar. Wächst die Wirtschaft mal nicht, wird es schnell ungemütlich, auch für viele Lohnabhängige. Dieser dem Kapitalismus inhärente Wachstumszwang wurde bereits von Karl Marx erkannt, im Kapital liest sich das zum Beispiel so: Unsere Gesellschaft ist beschränkt durch den „Trieb nach Vergrößerung des Kapitals und nach Produktion von Mehrwert auf erweiterter Stufenleiter. Dies ist Gesetz für die kapitalistische Produktion, gegeben durch die beständigen Revolutionen in den Produktionsmethoden selbst, die damit beständig verknüpfte Entwertung von vorhandnem Kapital, den allgemeinen Konkurrenzkampf und die Notwendigkeit, die Produktion zu verbessern und ihre Stufenleiter auszudehnenbloß als Erhaltungsmittel und bei Strafe des Untergangs. Der Markt muß daher beständig ausgedehnt werden […]“ (MEW 25, S. 254f., Hervorhebungen d. Verf.).

Dieser Wachstumszwang manifestiert sich zwangsläufig in einer immer größeren Menge von Waren. Wächst das Kapital, heißt das mehr Waren. Wird es produktiver – mehr Waren. Da ist im Zweifelsfall wenig Platz für Klima, Öko, Qualität oder Nachhaltigkeit. Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur des »Finanztip« und damit von Berufs wegen Apologet des Verwertungswahns, wälzte bei Spiegel Online eigentlich genau diesen Gedanken, als er das Konjunkturpaket mit folgender Handlungsempfehlung kommentierte: „Nur wenn wir die viel gescholtene Geiz-ist-geil-Haltung in den kommenden Monaten regelmäßig an den Tag legen, wenn wir also Ausschau halten nach den Geschäften, die tatsächlich die Preise senken, haben wir auch etwas davon.“ Frei übersetzt heißt der Plan also: Mit Wumms aus der Krise und ab in die Klimakatastrophe!

Dieses Dilemma ist strukturell bedingt und lässt sich nicht einfach dadurch lösen, gewisse Gelder anders zu verteilen. Wir erinnern uns, „[d]er Markt muß […] beständig ausgedehnt werden“ (Marx) und letztlich macht es dann wenig Unterschied, wer dabei die Regierung stellt, siehe die (Diesel-)Grünen in Baden-Württemberg. Aufgabe der Politik ist, bei gegebenen Verhältnissen den »ideellen Gesamtkapitalisten« zu stellen und für maximal gute Verwertungsbedingungen zu sorgen. Wer dauerhafte und wirkliche Veränderungen will, müsste also viel tiefer ansetzen. Nicht wer regiert, sondern was wird wo und von wem und für wen produziert, ist die entscheidende Frage. Eine Gesellschaft jenseits vom zwanghaften kapitalistischen Wachstum gibt es aber nur jenseits von Waren- und Geldverhältnissen, die Produktion müsste geplant werden. Da man aber nur verplanen kann, was einem auch gehört, müssten die Produzierenden sich die Arbeitsmittel zunächst einmal aneignen!

Wie unter einem Brennglas zeigt die Coronakrise alle Ungleichheiten, Absurditäten und Perversitäten unserer im Niedergang befindlichen Gesellschaftsordnung; das soziale Elend, die Ungleichheit der Geschlechter, den tägliche Rassismus. Ob die Bedingungen, unter denen unser Gemüse und Fleisch produziert wird, oder die Verhältnisse in den Flüchtlingsunterkünften. Plötzlich wirft das Infektionsgeschehen diese Tabuzonen ins Rampenlicht. Das Virus ist, genau wie die Erderhitzung, direkte Folge des kapitalistischen Raubbaus an der Natur. Die Lasten tragen aber nicht die Profiteure, sondern die sozial Benachteiligten. Ein krasses Beispiel für Europa ist Großbritannien, wo die sozialen Verwerfungen besonders gravierend sind: „Zahlen des nationalen Statistikamts weisen in den ärmsten Gegenden des Landes eine Corona-Todesrate von 55 auf 100000 Einwohner aus, während die Rate in den reichsten Gebieten nur halb so hoch war“. In den USA zeigt Louisiana mit der Großstadt New Orleans, wie sich diese Spaltung auch niederschlagen kann: „29 Prozent der Bevölkerung sind schwarz, bei den Corona-Toten sind es 70 Prozent“. Parallel dazu gilt weiterhin, wie oben zitiert, dass der Markt beständig ausgedehnt werden muss: „Die grassierende Arbeitslosigkeit treibt immer mehr junge Frauen dazu, Nacktbilder von sich zu verkaufen.“ Als Faustregel gilt offenbar: Je tiefer in der sozialen Hierarchie, um so schwerer die Last. »Systemrelevant« ist die Profitmaximierung und »gerettet« wird nicht das Klima, sondern die Fossilindustrie. In Deutschland neben der Kohle neuerdings noch die Lufthansa!

Apropos Lufthansa. Trotz 9 Milliarden »Rettungs-«, um nicht zu sagen Steuergeld, fliegt der Luftfahrtkonzern nun aus dem Dax, dem wichtigsten Aktienindex der Republik, dem stets nur 30 Firmen angehören dürfen. Der Zufall wollte es, dass ausgerechnet die »Deutsche Wohnen«, der Zweitgrößte Vermieter des Landes, den bisherigen Platz der Lufthansa dort einnimmt. Allen Mietern sollte es bei dieser symbolträchtigen Rochade kalt den Rücken runterlaufen. Während Klimasünder bedingungslos und ohne jegliche Auflagen gerettet werden, steigen Profiteure des Mietenwahnsinns dank der erweiterten Stufenleiter (Marx) nach oben.

Der Lichtblick in all dem Irrsinn: Überall nehmen nach der Schockstarre der Ausgangssperren die Proteste zu – ob die Abwehrkämpfe nun die ökologischen, medizinischen oder sozialen Folgen der Krise thematisieren. Was noch wachsen muss, ist das Bewusstsein dafür, dass alle diese Kämpfe als ein einziger ökosozialer Kampf zusammengehören. Ob die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern oder Schlachthöfen, der Kampf gegen die Braunkohle, die Abholzung des Regenwaldes oder die Verletzung der Grund- und Bürgerrechte – überall geht es um die direkten Lebensgrundlagen bzw. die allgemeine ökosoziale Katastrophe! Darum müssen die Kämpfe sich noch viel mehr beflügeln, voneinander lernen, Synergien bilden und den Fokus noch viel direkter gegen die Macht und den Besitz der Profiteure richten. Wichtig dabei wird sein, die grassierenden Ungerechtigkeiten des Alltags auf das große Ganze zu lenken. Hierzulande etwa war das Volksbegehren gegen die »Deutsche Wohnen« ein großer Schritt, die Verhinderung der Abwrackprämie ein echter Erfolg und die neuesten Proteste gegen rassistische Polizeigewalt sind überwältigend. In diesem Sinne: Konjunkturpaket zwecklos – staatliche Willkür abwehren, Lufthansa abwickeln, »Deutsche Wohnen & Co enteignen« – Nur ein solcher »Wumms« wird uns nach vorne bringen!

Juni '20

Der Artikel erschien zuerst auf www.assoziation.info  
Im Juli 2020 erscheint von Christian Hofmann und  Philip Broistedt „Goodbye Kapital“ im PapyRossa Verlag.

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