Betrieb &  Gewerkschaft
Streik bei Voith Sonthofen beendet
Sozialtarifvertrag errungen – Welche Lehren werden aus diesem Kampf gezogen?

von Christa Hourani

06/2020

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Über einen Monat lang haben die Kolleginnen und Kollegen von Voith Sonthofen gegen die Schließung ihres Werkes gekämpft. Nach langen Verhandlungen haben sich die IG Metall Bayern und der Maschinenbauer Voith auf Eckpunkte für einen Sozialtarifvertrag für die IG-Metall-Mitglieder im Werk Sonthofen geeinigt. Nachdem 87 Prozent der IG-Metall-Mitglieder für Beendigung des Streiks und die Annahme des Verhandlungsergebnisses stimmten, arbeitet die Belegschaft seit 27. Mai wieder.

Was konnte die Belegschaft durchsetzen?

Die Schließung des Werkes konnte nicht verhindert werden. Die Betriebsratsvorsitzende Birgit Dolde fasst das Ergebnis so zusammen: „Uns schmerzt ungemein, dass wir unser Werk und unsere Arbeitsplätze nicht retten konnten. Wir haben aber einen guten Sozialtarifvertrag errungen, der gewährleistet, dass niemand in existenzielle Nöte gerät.“ Auf den ursprünglichen, aber noch nicht unterschriebenen Sozialplan des Gesamtbetriebsrats konnten in dem durch den Streik erkämpften Sozialtarifvertrag etwa 25 Prozent draufgesattelt werden. Die Abfindungsregelung ist guter Durchschnitt für die Metallindustrie, ist allerdings auch bei 110.000 Euro gedeckelt. Alternativ kann eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft gewählt werden, bei der bis zu 18 Monate Arbeitslosigkeit mit 80 Prozent des letzten Nettoentgelts überbrückt werden können, oder eine Vorruhestandsregelung, bei der die Firma das Arbeitslosengeld aufstockt. Alle Azubis können ihre Ausbildung beenden. Das „Büro Allgäu“ (keine Produktion, sondern Konstruktion und Verwaltung), in dem 167 Beschäftigte eine Arbeit angeboten bekommen sollen, ist für drei Jahre garantiert. Wird es vorher geschlossen beziehungsweise Beschäftigten betriebsbedingt gekündigt, gelten die vereinbarten Abfindungskonditionen. Außerdem wird ein Härtefonds eingerichtet, aus dem IG-Metall-Mitglieder zusätzliche Abfindungen erhalten, insbesondere ältere Beschäftigte, Eltern, Alleinerziehende und Lebenspartner, die beide bei Voith arbeiten.

Die Konzernspitze war knallhart unterwegs. Siegfried Russwurm, der Aufsichtsratschef, und Toralf Haag, der Vorstandsvorsitzende, machten immer wieder deutlich, dass „Voith hart bleiben werde“. Haag erdreistete sich auch am 17. Mai im „Handelsblatt“ zu der Aussage, dass die Schließung des gut ausgelasteten und Profit bringenden Werkes nötig für den Erhalt der anderen Arbeitsplätze sei: „Wir müssen den Konzern und die 20.000 Arbeitsplätze nachhaltig zukunftssicher machen. Das ist kein kalter Kapitalismus. Das ist unsere eigentliche soziale Verantwortung als Unternehmer.“ Diese „soziale Einstellung“ untermauert er mit der Behauptung: „Allen Mitarbeitern haben wir aber alternative Arbeitsplätze angeboten.“ Auf Facebook haben zahlreiche Beschäftigte dies als schlichte Lüge entlarvt. Das soziale Mäntelchen, mit dem sich die Konzernspitze brüstet, ist schon mehr als dreist, aber eben auch typisch, wenn es darum geht, die wahren Ursachen zu verschleiern: Profitmaximierung durch Zusammenlegen und Schließungen von kleineren Werken.

Wie ist der Kampf zu bewerten?

Carlos Gil, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Allgäu und Streikleiter, sagt: „Ich bin tief beeindruckt und ziehe meinen Hut, wie die Mannschaft bei Voith über all die Monate und bis zuletzt zusammengehalten hat.“ Dies ist eine gute Zusammenfassung. Allein schon die 100-prozentige Teilnahme bei der Urabstimmung und die 98-prozentige Streikbefürwortung haben diesen Zusammenhalt kraftvoll zum Ausdruck gebracht. Aber auch der Mut, während einer Pandemie zu streiken, und die kreativen Aktionen haben unsere Hochachtung verdient.

Etliche Kollegen kritisieren, dass der Streik zu früh beendet wurde, denn er hatte gerade erst angefangen, Voith richtig weh zu tun. Die Getriebe, die dort produziert werden, sind Spezialanfertigungen, die hochqualifizierte Facharbeit mit jahrelanger Erfahrung voraussetzen. Ihre Herstellung konnte nicht so einfach in andere Werke verlagert werden. Außerdem wird kritisiert, dass nur in einer Videokonferenz die Ergebnisse vorgestellt wurden und es nicht möglich war, über eine intensivere gemeinsame Diskussion das Ergebnis zu bewerten, da bereits einen Tag später die Urabstimmung stattfand. In Chatgruppen hatte sich gezeigt, dass die Bereitschaft zum Weiterstreiken noch durchaus da war.

Welche Lehren können wir aus diesem Kampf ziehen?

Notwendig wäre gewesen, gegen den Angriff der Konzernspitze eine gemeinsame Front aufzubauen:

  • Streiks auch in den anderen von Schließung betroffenen Voith-Werken Zschopau und Mülheim
  • Solidarische Aktionen in allen anderen Voith-Werken
  • Verhinderung von Streikbrecherarbeiten oder Verlagerungsschritten
  • Gemeinsame Aktionen mit anderen Betrieben, die ebenso von Schließung, Verlagerung oder Personalabbau betroffen sind.

Dies ist sicher nicht einfach. Vielen Betriebsratsgremien ist die Sicherung ihres Standortes am wichtigsten und auch in der IG Metall ist die Standortlogik und Sozialpartnerschaftsideologie weit verbreitet. Deshalb braucht es in den Gewerkschaften dringend eine Auseinandersetzung um diese Ideologien. Denn sie untergraben die Solidarität innerhalb eines Konzerns und zwischen betroffenen Betrieben. Ein einzelner Betrieb wird aber selten in der Lage sein, einen Kampf gegen eine Werksschließung zu gewinnen. Nur durch eine gemeinsame und viel breitere Widerstandsfront unter Einbeziehung der Bevölkerung kann genügend Druck aufgebaut werden. Bundesweit hat dieser Streik in der IG Metall leider keine Rolle gespielt. Weder auf der Homepage noch in Printmedien wurde informiert oder auf Unterstützung gedrängt. Die IGM Allgäu hat den Kampf gut begleitet und geführt, aber ohne Rückenstärkung aus der Organisation.

Welche Kampfformen und Ziele sind notwendig?

In den nächsten Monaten müssen wir die Diskussion darüber führen, welche weitergehenden Kampfformen und strategischen Ziele bei solchen Auseinandersetzungen notwendig sind. Sind Streiks ein ausreichendes Mittel? Oder sind Betriebsbesetzungen notwendig, um die zahlreichen Angriffe, die auf uns zurollen, abzuwehren? Fordern wir im Kampf gegen Werksschließungen und Entlassungen die entschädigungslose Enteignung dieser Betriebe? Wenn das Kapital nicht mehr in der Lage oder gewillt ist, die Produktion aufrechtzuerhalten, müssen die Belegschaften zusammen mit ihren Gewerkschaften dies tun. Gesellschaftliche Planung und Gestaltung der Produktion und Dienstleistungen im Interesse der abhängig Beschäftigten sowie Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich sind notwendige Zielrichtungen bei den anstehenden Kämpfen.

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