Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Konkurrenz von weiter rechts für den Front National?

06/2016

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„Dissidenten“ vom FN, aber auch offizielle Vertreter/innen des Front National, „Identitäre“ und andere französische Neofaschisten tagten in Béziers. Zusammen mit einigen Konservativen

Um die extreme Rechte in Frankreich ist es derzeit relativ ruhig, da ihre Hauptpartei – in Gestalt des Front National (FN) – sich in Zeiten zugespitzter sozialer Konflikte eher bedeckt: Es ist schwierig für ihn, die Gewerkschaften zu unterstützen, ebenso wie eine Pro-Regierungs-Position seiner Selbstdarstellung als Protest- & Wut-Partei schaden würde. Im Stillen bereitet Marine Le Pen sich auf ihre Präsidentschaftskandidatur für das Frühjahr 2017 vor, welche unter dem Motto La France apaisée („Das zum Frieden gekommene/zur Ruhe gekommene Frankreich“) stehen soll. Es ist keine unmittelbare Reaktion auf die derzeitigen sozialen Konflikte, vielmehr wurde dieses Motto zu Jahresbeginn 2016 vor deren Ausbruch gewählt. Marine Le Pen hatte ihre Kandidatur im Februar 16 offiziell angekündigt und dabei bereits diesen Slogan benutzt.

Dennoch hält die extreme Rechte in Frankreich derzeit nicht insgesamt still.

Es war so etwas wie der rechtsextreme Jahrmarkt der Möglichkeiten. Am verlängerten Wochenende des 27., 28. und 29. Mai 2016 kamen laut Veranstalter-Angaben „über 2.000 Personen“ – andere Zahlen liegen nicht vor, vielleicht waren es auch ein paar weniger – im südfranzösischen Béziers zusammen. Béziers mit rund 71.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist derzeit die größte der zwölf vom Front National (FN) regierten Städte; hinzu kommen noch drei weitere rechtsextrem gelenkte Rathäuser unter Führung der Regionalpartei Ligue du Sud. Allerdings gehört der Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard, früher einmal ein Linker und zwischendurch zeitweilig Vorsitzender der NGO „Reporter ohne Grenzen“ (französisch RSF abgekürzt), nicht selbst dem FN an. Er ist formal parteilos, wurde jedoch 2014 mit Unterstützung des FN ins Amt gewählt.

Die Rivalität zwischen ihm und dem FN bzw. dessen Parteiführung ist seitdem gewachsen. Ménard nährt persönliche Ambitionen und legt gerne ein übersteigertes Selbstbewusstsein an den Tag. Aus Anlass der Zusammenkunft in Béziers, die unter dem Motto La droite hors les murs (ungefähr „Die Rechte außerhalb der Wände“, also eine Rechte, die nicht eingeschlossen oder aber außerhalb der Stadtmauern verbannt ist) stand, gab er denn auch den Startschuss für die Gründung einer eigenen Bewegung. Diese hört auf den Namen Oz ta droite, was ungefähr so viel bedeuten soll wie „Trau Dich zu Deiner Rechten“, aber bewusst falsch geschrieben ist und deswegen irgendwie modisch und frech wirken soll. Orthographisch richtig wäre „Ose“ für „Wage es, Trau Dich“.

Dabei handelt es sich nicht um eine politische Partei, sondern um eine diffuse Sammlungsbewegung, die sich ein 51-Punkte-Programm verpasst hat.

Programmpunkte: Grusel, grusel...

Zu ihren Forderungen zählen die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft „mit Ausnahme von EU-Angehörigen“, die Abschaffung des Rechts auf Familienzusammenführung für Einwanderer, die Wiedereinführung des ius sanguinis oder „Blutrechts“ (statt des in Frankreich geltenden ius soli oder „Bodenrechts“) bei der Staatsbürgerschaft. Verlangt wird auch, den besonderen sozialrechtlichen Staatsbediensteten-Status – er unterscheidet sich in Frankreich erheblich vom deutschen Beamtenstatus, denn Letzterer enthält die Idee einer „besonderen Treuepflicht zum Staat“ und verbietet das Streikrecht, was in Frankreich nicht der Fall ist – für alle mit nicht-repressiven Aufgaben betreuten Staatsdiener/innen abzuschaffen. Die Arbeitszeit soll verlängert (ohne nähere Präzisierung), das Renten-Mindestalter von derzeit i.d.R. 62 auf 65 Jahre angehoben werden. (Sozial-)Wohnungen und Arbeitsplätze sollen „bevorzugt an Franzosen“ vergeben werden. Das collège unique, also die seit 1975 auf Mittelstufen-Niveau die allgemeine Schulform darstellende Gesamtschule, soll verschwinden. Universitäten sollen sich ihre Studierende nach dem Prinzip der „freien Selektion“ aussuchen dürfen, was eine Maßnahme zur Eliteförderung darstellen soll. Abgeschafft werden soll auch das Kulturministerium (Geldverschwendung!). Verschwinden soll, man hätte sagen können: natürlich, auch die im Mai 2013 eingeführte Möglichkeit zum Eheschluss für homosexuelle Paare.

Aufenthaltstitel für ausländische Staatsbürger/innen sollen „nicht verlängert werden“ (sondern mit dem Erreichen ihrer derzeitigen Frist auslaufen), „so lange nicht die Arbeitslosenquote auf fünf Prozent gesunken ist“, also auf die Hälfte der derzeitigen Rate. „Straffällige Ausländer“ sollen nach Verbüßung ihrer Haftstrafe grundsätzlich abgeschoben werden. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) soll durch Frankreich – als „Behinderung der Aufgabenerfüllung von Polizei und Justiz“ -aufgekündigt, die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen im Namen des „Vorrang der Politik vor dem Recht“ eingeschränkt werden. Mündlich schlug Robrt Ménard ferner noch vor, Richter/innen sollten persönlich haftbar gemacht werden für Entscheidungen zur Haftentlassung von Personen, die in den darauffolgenden fünf Jahren erneut straffällig werden.

Streitpunkt Homosexuellen-Ehe

Ein Programm ungefähr nach dem Geschmack des Front National, hätte man erwarten dürfen (während ein Beobachter ironisch vom „Programm von Roberto Pinochet“ spricht(1). Tatsächlich geht der FN auch mit einem Großteil dieser Vorschläge konform, wenngleich er – jedenfalls in der Öffentlichkeit – nicht einen derart wirtschaftsliberalen Tonfall wählen, sondern auch sozial klingende Versprechungen zu den Programmpunkten hinzufügen würde.

Und auch wenn ein Teil der Parteiführung des FN heute der Auffassung ist, man könne die Homosexuellenehe nicht wieder abschaffen, da sie längst in die Mehrheitsmentalität der französischen Mehrheitsgesellschaft eingegangen sei. Hinzu kommt, dass ein nicht geringer Teil der Umgebung, der Berater seiner Chefin Marine Le Pen aus Homosexuellen besteht. Was Robert Ménard am Rande der Versammlung in Béziers zu einem Ausfall darüber veranlasste, dass Marine Le Pen sich in seinen Worten„,gay friendly’ Extravaganzen“ leiste(2). Dies allein würde allerdings nicht ausreichen, um die Partei(führung) und Ménard ernsthaft zu entzweien, denn dieselbe Polemik wird auch innerhalb der Partei geführt.

Unterdessen sind die Beziehungen zwischen dem harten Kern der aktiven Gegner/innen der Homosexuellenehe – er war ebenfalls in Béziers mit dabei – und dem FN eher angespannt. Die Sprecherin der Plattform La Manif pour tous („Die Demo für Alle“, in Anlehnung an die Bezeichnung der Homosexuellenehe „Ehe für alle“), die katholische Reaktionärin Ludovine de la Rochère, lieferte sich etwa wiederholt polemische Schlagabtausche mit der FN-Führung, zuletzt im April dieses Jahres(3). Letztere verdächtigt ihrerseits de la Rochère verdächtigt, als Zutreiberin für den rechten Flügel der Konservativen zu wirken, und so den Konservativen neue Integrationsmöglichkeiten bis zum rechten Rand zu verschaffen.

FN-Abgeordnete reist vorzeitig ab

Und doch hat es böses Blut rund um die Initiative von Robert Ménard gegeben. Nicht oder jedenfalls nicht so sehr aus inhaltlichen Gründen, sondern vor allem, weil die FN-Leitung die Gründung Ménards faktisch als Konkurrenzunternehmen auffasst. Der Bürgermeister von Béziers hatte zwar auch hochrangige FN-Vertreter/innen eingeladen, um an den „Runden Tisch“ anlässlich der Veranstaltung in Béziers teilzunehmen, unter ihnen den Vizevorsitzenden der Partei (und Lebensgefährten von Marine Le Pen), Louis Aliot.

Auch die populäre, und zu manchen inhaltlichen Fragen von ihrer Tante Marine Le Pen (im katholisch-reaktionären und wirtschaftsliberalen Sinne) abweichende, Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen war eingeladen, um an prominenter Stelle in Béziers aufzutreten. Ihre Positionen, vor allem in Sachen Wirtschaftsliberalismus und Marktradikalismus, dürften denen von Robert Ménard auch oftmals näher stehen als die stärker von sozialer Demagogie geprägten Stellungnahmen der Parteiführung (und vor allem des Co-Vizevorsitzenden Florian Philippot). Dennoch reiste Marion Maréchal-Le Pen bereits am Samstag Mittag – 28. Mai -, also ungefähr in der Mitte der dreitätigen Veranstaltung, wieder ab. Ursprünglich hatte sie angekündigt, noch bis am Samstag Abend bleiben zu wollen. Ménard ließ ihr jedoch vom Saal Applaus spenden, als sie aufbrach.

Ihr vorzeitiger Abtritt hing damit zusammen, dass Ménard Allüren zu einer gewissen parteipolitischen Unabhängigkeit an den Tag gelegt hatte. Er hatte unter anderem hinaus posaunt: „Ich bin niemandes Wahlagent!“ Die Parteiführung beargwöhnt seine Initiative deswegen argwöhnisch;, weil sie mutmaßt, Ménard könne entweder eine Konkurrenzkandidatur zur Präsidentschaftsbewerberin Marine Le Pen bei der Wahl im April/Mai 2017 unterstützen, oder aber eigene Kandidaten zu den Parlamentswahlen im darauffolgenden Juni aufstellen. Die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde hingegen vermutet, solche Pläne seien deswegen von vornherein zum Scheitern bestimmt, weil Ménard nicht über das nötige Geld dafür verfüge. Sei es, wie es sei, die 26 Jahre junge Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen beschwerte sich darüber, es sei ein Fehler, zu erkennen, dass allein der FN (machtpolitisch) zur Durchsetzung bestimmter Ideen in der Lage sei.

Konservative Präsenz und Nichtpräsenz...

Um seine Autonomie gegenüber dem FN unter Beweis zu stellen, hat Ménard sowohl nach „links“ als auch nach „rechts“ gegenüber der offiziellen Parteilinie ausgegriffen. Auf der einen Seite lud er dezidiert auch Konservative, also bürgerliche Rechte ein, unter ihnen den früheren nationalkonservativen und rechtskatholischen Präsidentschaftskandidaten Philippe de Villiers (1995: 4,74 % und bei seiner abermaligen Kandidatur 2007: 2,2 %). Er kam jedoch nicht, ebenso wenig wie der zwischen Konservativen und FN stehende Fernseh-Starjournalist Eric Zemmour oder auch Nicolas Sarkozys früherer Berater (beide Herren sind jedoch schwer verkracht), Patrick Buisson. Bei ihm, Buisson, hatte Ménard sich übrigens den Slogan La droite hors les murs entliehen. Patrick Buisson, in den Jahren um 1987 Chefredakteur der rechtsextremen Wochenzeitung Minute und damals Jean-Marie Le Pen, später zeitweise auch Philippe de Villiers nahe stehend, hatte ab 2005/2007 Sarkozy beraten und auf eine national-identitäre Linie zu bringen versucht. Auf sein Konto geht unter anderem die Schaffung eines „Ministeriums für Einwanderung und nationale Identität“ im Mai 2007, das Präsident Sarkozy jedoch 2011 wieder abschaffte. Seitdem nach den Wahlen von 2012 herauskam, dass Buisson des Öfteren Sarkozys Gespräche heimlich aufgezeichnet hatte, war für ihn jedoch „Schicht im Schacht“.

Gekommen war allerdings ein Anwärter auf die konservativer Präsidentschaftskandidatur im Frühjahr 2017 – für die „Urwahl“ der konservativen Wähler/innen im November 2016, analog zu den US-amerikanischen primary elections, gibt es inzwischen elf erklärte und mindestens zwei noch unerklärte Bewerber/innen. Es handelt sich um Jean-Frédéric Poisson, den Vertreter der Kleinpartei Parti Chrétien-démocrate (PCD), die einen Assoziierungsvertrag mit der konservativen Hauptpartei Les Républicains (LR, früher UMP) unterhält(4). Er steht der berüchtigten Rechtskatholikin, Homosexuellenfresserin und Ex-Ministerin unter Sarkozy, Christine Boutin, nahe.

...und Überschneidungen mit der rechtsbürgerlichen Presse

Offizielle Mitveranstalterin der Zusammenkunft in Béziers war im Übrigen das konservativ-rechtsaußen angesiedelte Wochenmagazin Valeurs Actuelles („Zeitgenössische Werte“)(5), das in den letzten Jahren durch eine gezielte rechte Provokationsstrategie seine Auflage von zuvor 84.000 auf derzeit 117.000 wöchentlich steigern konnte. Die Redaktion derselben Publikation nimmt zugleich Einfluss auf die Kandidatendebatte für die konservative „Urwahl“ vom November 16 und erteilt immer wieder dem einen oder anderen Bewerber dazu das Wort. Erklätermaßen teilt die Chefredaktion ferner mit Ménard die Auffassung, eine extreme Rechte dürfte nicht (wie der FN es tue) soziale, sondern müsse vor allem „identitätsbezogene, kulturelle, religiöse“ Aspekte der Gesellschaft in den Vordergrund rücken, wolle sie Erfolg haben. Denn diese seien für die künftigen gesellschaftlichen Konflikte weitaus zentraler(6).

Teilgenommen in Béziers haben auch der rechtsreaktionäre Leitartikler der Tageszeitung Le Figaro (und faktische Kolonialismus-Apologet), Ivan Rioufol, sowie der Figaro-Kolumnist und rechtszionistische Propagandist Gilles-William Goldnadel. Der araberhasserische aktivistische Anwalt Goldnadel(7) wurde 2013 als „Sekretär für Medienpolitik“(8) auch Mitglied der erweiterten Parteiführung der damaligen UMP (inzwischen in die Partei ,Les Républicains’ / LR umgewandelt). Er sitzt ferner auch als rechtestes Leitungsmitglied im Vorstand des CRIF, also beim französischen jüdischen Zentralrat, der seit den späten 1990er und frühen 2000er Jahren stark nach rechts gedriftet ist. Als Rechtsanwalt verteidigte er u.a. angeklagte Waffenhändler im Zusammenhang mit dem 2001 ausgebrochenen Skandal ,Angolagate’, vertrat als Anwalt den FN-Vizevorsitzenden Florian Philippot(9) (in einem Streit mit Qatar, in dem man sicherlich guten Gewissens zu keiner Seite halten konnte) und betätigt sich auf einem regelmäßig aktualisierten Blog als Hetzer: gegen Links, gegen Einwanderung, gegen soziale Bewegungen.

Bürgerlicher Rechtsaußen Ch. Vanneste

Wohlwollend diskutiert wurden die 51 Programmpunkte von Ménards neuer „Bewegung“ aber auch durch den konservativen Ex-Parlamentarier (er wurde wegen allzu markanter homophober Sprüche geschasst) und Rechtsaußen Christian Vanneste. Er übte allerdings in der Folge Kritik auf seinem Blog (wir hatten keine Lust auf Verlinken). Dort monierte er, dass die – in dem Programmkatalog ebenfalls enthaltene – Forderung nach Einführung des Verhältniswahlrechts schädlich sei, da es klare Mehrheiten im Parlament ver- und also die Umsetzung eines rechten Programms potenziell behindere. Zudem seien es wohl eher zu viele Forderungen, und eine regierungswillige Rechte solle sich lieber strategisch auf eine paar Kernpunkte konzentrieren, um diese auch durchzusetzen.

Nach Béziers kamen aber auch Vertreter der intellektuellen extremen Rechten, unter ihnen Alain de Benoist, der „Papst“ der ehemals als Nouvelle Droite (Neue Rechte) bezeichneten ethnopluralistischen und neuheidnischen Strömung, sowie der aus derselben Richtung kommende Jean-Yves Le Gallou, nach einigen Jahren in der Parteipolitik u.a. in den Reihen des FN nun parteilos und Anführer der Stiftung Polemia.

Gekommen waren nicht zuletzt auch Vertreter der außerparlamentarischen, und ideologisch schärfer als der FN auftretenden „identitären“ Rechten sowie Monarchisten aus dem Umfeld der Action française und des Blogs Lafautearousseau. Zu den prominenten Hauptvertretern der „identitären“ Richtung zählt der elitär-rassistische Schriftsteller Renaud Camus. Eines seiner Bücher wurde am 21. April 2000 durch seinen damaligen Verleger aufgrund antijüdischer Passagen aus dem Verkehr gezogen(10).

Besagter Camus ist auch der Erfinder des inzwischen geflügelten Begriffs vom grand remplacement oder angeblich systematisch betriebenen „großen Bevölkerungsaustausch“. Ein Konzept, das Marine Le Pen vor circa zwei Jahren als in ihren Augen zu verschwörungstheoretisch einstufte (allerdings durch ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen verteidigt wird; und in Deutschland durch den faschismus-affinen Journalisten Jürgen Elsässer). Kurz nach dem Ende der Tagung in Béziers gab Camus seine „Präsidentschaftskandidatur für 2017“ bekannt(11). Er dürfte allerdings keine Chance aufweisen, die dafür erforderlichen 500 Unterstützungsunterschriften von Mandatsträger/inne/n (Bürgermeistern, Abgeordneten..) zusammen zu bekommen.

Endnoten

 

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.