trend spezial:  Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym

Donika Kadaj-Bujupi: Das Gefängnis überraschte mich nicht. Jetzt gehöre ich zur Parlamentsfraktion von VV in Kosova

Interview von Max Brym

06/2016

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Donika Kadaj-Bujupi ist eine sehr bekannte Parlamentsabgeordnete in Kosova. Geboren wurde sie am 20. März 1979 als Kind albanischer Eltern in Sarajevo. Ihr Vater war ein sehr bekannter Professor. Er wurde in den neunziger Jahren in Kosova von serbischen Faschisten ermordet. Frau Kadaj-Bujupi studierte Journalismus und Englisch und arbeitete einige Jahre für die UNMIK, von 2005–2007 für den öffentlichen Stromversorger KEK. Im Jahr 2007 wurde sie ziemlich überraschend für die Partei AAK, auf deren offener Liste ins Parlament gewählt. Im April dieses Jahres trat sie der „Bewegung für Selbstbestimmung“ VV als Parlamentsabgeordnete und Mitglied bei. Dieser Übertritt wurde in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Vorher wurde Frau Kadaj-Bujupi vom faschistoiden Regime in Kosova für 30 Tage ins Gefängnis geworfen und später unter Hausarrest gestellt. Der Arrest wurde vor kurzem aufgehoben.

Max Brym - Frau Bujupi wie kommt es eigentlich, dass man von der Partei AAK, welche sich Partei der „rechten Mitte“ nennt in die linke "Bewegung für Selbstbestimmung" eintritt?

Donika Kadaj-Bujupi - Wissen Sie in Kosova haben die meisten Parteien gar keine Ahnung von einem Parteiprogramm. Die Parteivertreter wissen nur, dass ein Programm zu einer Partei gehört. Die Begrifflichkeit links ist in Kosova aufgrund der Vergangenheit diskreditiert. Aus diesem Grund kam die AAK wohl auf die Idee sich Partei der rechten Mitte zu nennen. Ich selbst kandidierte im Jahr 2007 auf der offenen Liste der AAK und habe mich nie als rechts definiert.

Max Brym - Erzählen Sie mal etwas über ihre politische Karriere

Donika Kadaj-Bujupi - Im Jahr 2007 wurde ich auf der offenen Liste der AAK von Platz 30 weit nach vorne ins Parlament Kosovas gewählt. Nachdem sich die Regierung unter Hashim Thaci formierte forderte ich einen scharfen Oppositionskurs gegen diese Regierung. Ein besonderes Anliegen waren mir, die Interessen der einfachen Menschen mit ihren alltäglichen Bedürfnissen. Im Jahr 2008 schrieben die kosovarischen Zeitungen: „ Das war der Tag von Donika Kadaj-Bujupi.



Max Brym lässt das Jahr 2015 mit seinen teils dramatischen Geschehnissen Revue passieren. Verarbeitet werden die politischen, ökonomischen und kulturellen Ereignisse aus den vergangenen zwölf Monaten. So entsteht ein alternatives Tagebuch zu den aktuellen politischen und ökonomischen Debatten.

Max Brym- Was ist darunter zu verstehen?

Donika Kadaj-Bujupi - In einer Parlamentsdebatte setze ich dem damalige Ministerpräsidenten, der sich jetzt Präsident nennen lässt, ziemlich zu. Ich stellte mehrere konkrete Fragen zu den Problemen der Stromversorgung des Landes. Zuerst wollte ich wissen warum die Stromversorgung in weiten Teilen des Landes immer noch nicht funktioniert und wieso jede Menge Strom gleichzeitig an Serbien, Montenegro, Mazedonien und anderweitig verkauft wird. Daraufhin kam der damalige Ministerpräsident Hashim Thaci ins stottern und versprach sich mehrmals. Die Quintessenz seiner Antwort bestand darin, dass ihn angeblich die Arbeiter der KEK „sabotierten“. Besonders störte ihn, dass ich für die sozialen Rechte der Beschäftigten eintrat und höhere Löhne für sie forderte. Der Unsinn wonach 13.000 Arbeiter der KEK angeblich Thaci boykottierten um sein“ fortschrittliches Energieprogramm“ zu unterlaufen führte zu einem großen Gelächter in der gesellschaftlichen Debatte.

Max Brym- Nach der Regierungsbildung im Dezember 2014 vollzogen von der PDK-LDK und der Liste Serbska verließen viele Menschen Kosovo. Worauf führen Sie das zurück?

Donika Kadaj-Bujupi - Ganz einfach, die Menschen wollten Veränderungen sie sahen aber wieder die alten Köpfe, die alten Mafioso an der Regierung. Ein Teil der Menschen verlor jegliche Hoffnung und flüchtete aus dem Land.

Max Brym - Kritisierten sie auch den verheerenden Privatisierungsprozess welche bis dato 77.000 Arbeitsplätze kostete?

Donika Kadaj-Bujupi - Selbstverständlich habe ich den neoliberalen Privatisierungsprozess abgelehnt. Innerhalb der AAK stimmte ich oft als einzige Abgeordnete gegen die Privatisierung von öffentlichem Eigentum. Wie Sie sich vorstellen können machte ich mich dabei innerhalb der AAK nicht unbedingt beliebt. Auch in sozialpolitischen Fragen opponierte ich des Öfteren gegen die Mehrheitsmeinung in meiner damaligen Fraktion. Ich forderte beispielsweise eine Ausweitung des Mutterschaftsschutzes, der Lohnfortzahlung für Mütter weit über die gesetzlich gegebenen drei Monate hinaus forderte.Insgesamt habe ich in der Zeit als Abgeordnete rund 100 parlamentarische Anfragen gestellt. Diese Anfragen wurden meist nicht beantwortet. Offen rebellierte ich gegen das Abkommen Zajdnica mit dem serbischen Staat vom August 2015.

Max Brym- Waren Sie gegen das Abkommen welches damals unter der Schirmherrschaft der EU unterzeichnet wurde aus nationalistischen Gründen?

Donika Kadaj-Bujupi - Nein. Das Abkommen teilt Kosova auf ethnischer Basis und gibt dem serbischen Staat direkt die Möglichkeit nach Kosova hinein zu regieren. Die so genannte "Vereinigung serbischer Kommunen" verfügt über einen eigenen Haushalt, der Verband bestimmt sämtliche Richter, Polizeileiter usw. Der Verband teilt das Land im Bereich des Unterrichts. Der Verband hat sogar dieMöglichkeit eigene diplomatische Beziehungen zu unterhalten. Es gilt sich gegen ein zweites Bosnien auf dem Balkan mit all seinen Konsequenzen gerade auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu positionieren. Diese Positionierung ist auch im Interesse der einfachen serbischen Menschen und der Roma in Kosova. Die ethnische Teilung führt nur zur Beibehaltung des nationalen Konflikts. Dadurch werden wichtige Lösungsansätze für viele soziale und wirtschaftlicher Probleme verunmöglicht.

Max Brym - Sie waren unter den Abgeordneten welche Tränengase im Parlament einsetzten. Haben Sie dadurch nicht parlamentarischen Spielregeln gebrochen?

Donika Kadaj-Bujupi - Was heißt hier parlamentarische Spielregeln? Über Monate verweigerte die Regierung jegliche Debatte im Parlament über das Abkommen mit dem serbischen Staat. Einmal wurde eine Debatte abgelehnt weil der Ministerpräsident nicht anwesend war, das nächste Mal weil der Außenminister fehlte. Letztendlich wurden dadurch elementare Entscheidungen dem Parlament vorenthalten. Die Regierung stellte das Abkommen nicht zur Debatte und verweigerte eine Abstimmung im Parlament. Dies obwohl, die Vereinbarung mit dem serbischen Staat zustimmungspflichtig ist. Das Verfassungsgericht Kosovas stellte sogar fest:“ Dieses Abkommen verstößt in weiten Teilen gegen die Verfassung Kosovas“. Aber die Regierung schert sich nicht um demokratische Spielregeln. Sie behandelten den Vertrag mit Serbien letztendlich als formalen und gültigen Regierungsakt. Gegen solch eine Regierung welche das Parlament völlig missachtet, gilt es sich zu wehren.

Max Brym - Wie ich gehört habe waren sie 30 Tage im Gefängnis und 30 Tage unter Hausarrest. Wie bewerten Sie diese Maßnahmen?

Donika Kadaj-Bujupi - Einen Monat vor meiner Inhaftierung besuchte ich mit der Abgeordneten Abullena Haxhiu ( VV) als Mitglied einer parlamentarischen Kommission das Gefängnis in Ljpian. Dem zur Folge war mir das Gefängnis keine fremde und abstrakte Angelegenheit. Im ersten Fall war ich Mitglied einer parlamentarischen Kommission für die Gefängnisse in Kosova und dann war ich eben politischer Häftling. Ich lege Wert auf die Betonung politische Haft.Meine Inhaftierung, sowie der Hausarrest waren rein politische Maßnahmen. Die Regierung will jeden gerechtfertigten Protest gegen dieses antidemokratische Regime, auch im Parlament unterbinden. Die Regierungen Kosovas kümmert sich weder um die Meinung der Öffentlichkeit noch kommt sie ihren Pflichten gegenüber dem Parlament nach. Nochmals diese Regierung verweigert dem Parlament Debatten und Abstimmungen zu zustimmungspflichtigen Verfassungsänderungen. Das einzige worüber sich diese Herrschaften aufregen ist, wenn sie plötzlich wegen Tränengas etwas weinen müssen. Letzteres ist aber mehr als gerecht und legitim.

Max Brym- Was war letztendlich der konkrete Grund um die Fraktion der AAK zu verlassen?

Donika Kadaj-Bujupi - Die AAK versucht sich Schritt für Schritt, von ihrer Opposition gegen die Regierung zu verabschieden. Mir wurde bekannt, dass Geheimverhandlungen mit Kadri Veseli und anderen führenden Regierungsvertretern gab und geben sollte. Innerhalb der Gremien der AAK lehnte ich solche Ambitionen entschieden ab. Für mich gibt es gegenüber dieser Regierung nur die klare oppositionelle Kante. Aus diesem Grund habe ich letztendlich die AAK verlassen und bin in die "Bewegung für Selbstbestimmung" eingetreten.

Max Brym - Gestern forderte ein Autor in der Zeitung Koha Ditore, dass Sie und derAbgeordnete Ilir Deda, ihre Parlamentsmandate zurückgeben sollten. Ilir Deda trat aus VV aus und Sie in VV ein. Der Autor meinte: „Das Parlament dürfe sich in keinen Basar verwandeln“. Was sagen Sie dazu?

Donika Kadaj-Bujupi - Der Autor dieser Zeilen liegt gar nicht so weit daneben als Sie vielleicht vermuten. Ich bin der Meinung: Alle Abgeordneten sollten ihre Mandate niederlegen, denn wir benötigen dringend Neuwahlen. Neuwahlen lehnt aber dieses Regime mit ihren faschistoiden Tendenzen ab. Sie wollen auch keine Volksabstimmung zum Abkommen mit dem serbischen Staat erlauben. Diese Regierung muss gestürzt werden.

Max Brym - Ich danke Ihnen für das Gespräch

Anmerkungen

Das Gespräch fand am 26. April in Prishtina statt.

AAK = Allianz für die Zukunft Kosovas Vorsitzender ist Ramush Haradinaj

Kadri Veseli- Parlamentspräsident,neuer Vorsitzender der Regierungspartei PDK. Langjähriger Leiter des Parteigeheimdienstes SHIK.