Drohende Entlassungen
Schatten der kommenden Krise

von Frederik Haber

06/2016

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Zwei der größten deutschen Konzerne sind derzeit richtig in der Krise: VW und die Deutsche Bank. Sind da nur die ManagerInnen schuld? Fehlentscheidungen oder Betrugsaffären? Bei beiden droht massiver Personalabbau, was in keinem Fall überrascht: Die Beschäftigten tragen im Kapitalismus sowohl die Folgen von Fehlentscheidungen wie auch der Krisenhaftigkeit des Systems - solange sie sich nicht wehren und dies auch mit den richtigen Mitteln tun.

Einzelfälle?

Gegen die These, dass VW und Deutsche Bank Einzelfälle seien, spricht die Breite von Angriffen in vielen Firmen und Branchen. Es häufen sich die Meldungen über Werksschließungen und Personalabbau. Sind das Einzelerscheinungen oder kommt da was Größeres?

Als im letzten Jahr endgültig die Lichter bei Opel Bochum ausgingen, Tausende arbeitslos wurden, bzw. in einer Transfergesellschaft geparkt wurden, war das sicher die spektakulärste Massenentlassung des Jahres. Aber sie war Resultat einer Neustrukturierung des OPEL/General Motors-Konzerns, die mit der Krise 2008 begonnen hatte und ohne die Hilfe der US-Regierung und der Gewerkschaften zum Kollaps des Riesen geführt hätte.

Heute stehen Ankündigungen im Raum, die darauf hindeuten, dass die Konzernetagen sich bereits auf neue Schlachten und Krisen vorbereiten. So hat das Management von VW angekündigt, mehr als 3000 Stellen im Verwaltungsbereich abzubauen. Das ist von einiger Aussagekraft, auch wenn sie dies ohne Entlassungen, ja gerade, weil sie es ohne Entlassungen durchziehen wollen. Normalerweise finden Umstrukturierungen in solchen Konzernen im Verwaltungsbereich nämlich immer ohne Entlassungen, aber auch ohne große Geräusche statt. Diese Ankündigung dürfte also das Signal sein, dass weitere Angriffe folgen werden - auch auf die ProduktionsarbeiterInnen, vermutlich sogar nach dem verlogenen Motto der Gerechtigkeit: „Wenn die Angestellten bluten mussten, müssen es dann auch die ArbeiterInnen tun.“ Die Manager haben ja auch auf 30% ihrer Boni verzichtet.

Die LeiharbeiterInnen wie auch Werkvertragsbeschäftigte dürften jetzt schon mit Stellenabbau und Entgeltkürzungen durch die Zwischenunternehmen zu tun haben. Solche Angriffe können auch bald seitens der anderen Autofirmen folgen, denn alle außer BMW sind jetzt des Betrugs bei Abgaswerten überführt. Neben „ihren“ Beschäftigten werden sie nach bewährtem Muster die Kosten auch auf die Zulieferer abwälzen wollen.

In dieser Branche ist bereits jetzt Unruhe. So hat der Autozulieferer Leoni nach Problemen in seiner Bordnetz-Sparte einen Stellenabbau angekündigt; vorwiegend seien Arbeitsplätze in der Verwaltung in Ländern mit hohen Arbeitskosten betroffen. Weitere Autozulieferer stehen da nicht zurück:

  • Mann und Hummel (Filter) wollen 500 Arbeitsplätze vernichten, u.a. in Ludwigsburg und Sonneberg.
  • Mahle (Motorkomponenten, Klimatechnik, Filtration) schließt Werke in Schwäbisch Hall, verkauft die Industrie-Sparte (Öhringen, Schwaikheim und Hamburg) und plant Personalabbau an weiteren Orten wie Gaildorf, Öhringen, Markgröningen (alle Baden-Württemberg) und Reichenbach (Sachsen).
  • Conti will die Klimaschlauchfertigung mit 220 Beschäftigten in Salzgitter schließen, in Gifhorn (Niedersachsen) die Produktion von Bremskraftverstärkern umbauen - 680 Stellen sollen betroffen sein.
  • ZF will in Schweinfurt in den nächsten Jahren 1400 Arbeitsplätze in der Stoßdämpferproduktion vernichten.
  • SM Peguform (Sitze) will 50 Beschäftigte in Meerane (Sachsen) entlassen.
  • Autoliv (Airbags) entlässt über 100 ArbeiterInnen in Dachau.
  • Der Rietheimer Automobilzulieferer Marquardt (Elektronikbauteile, Baden-Württemberg) will bis Ende 2018 in Deutschland 600 Arbeitsplätze abbauen.
  • INA-Schäffler will mal ganz pauschal 500 Jobs in der Verwaltung streichen.
  • Faurecia (Abgasrohre und Katalysatoren) will das Werk in Trabitz (Bayern) dichtmachen, 280 sind betroffen.
  • Dura (Leisten und Blenden) will 850 Leute im Raum Plettenberg (NRW) entlassen.
  • Selbst der größte Autozulieferer weltweit, Bosch, plant, die Produktion von Startern und Generatoren („Anlasser“ und „Lichtmaschinen“) in Hildesheim (900 Arbeitsplätze) und Schwieberdingen (400) aufzugeben und will diese Werke verkaufen - was letztlich auf das Ende dieser Betriebe hindeutet.

Aber über die Autobranche hinaus ist in der Metallindustrie einiges los:

Der kanadische Eisenbahnhersteller Bombardier streicht 1430 Jobs in Deutschland, was schon zu massiven Protesten an den betroffenen Standorten in Hennigsdorf, Görlitz, Bautzen, Mannheim, Siegen und Kassel führte.

Der Edelmetallspezialist Heräus in Hanau vernichtet 400 Arbeitsplätze plus 110 Leiharbeiterstellen, die Stanzerei und Galvanik werden geschlossen werden, ebenso das Werk in Alzenau.
Vaillant schließt eine Fabrik für Heißwassergeräte in Gelsenkirchen, 200 ArbeiterInnen sind betroffen.
Bei Siemens droht ein weiterer heftiger Stellenabbau: Im Geschäftsbereich Prozessindustrie und Antriebe soll eine vierstellige Zahl von Arbeitsplätzen in Deutschland gestrichen oder ins Ausland verlagert werden. Der weltweite Sparkurs hat Streichungen von 13000 Stellen zur Folge. Allein in Bayern sind der Nürnberger Standort mit rund 750 Stellen, Erlangen mit etwa 150 und Neustadt/Saale mit 350 Stellen betroffen.

In der Elektronikbranche ist es die Firma Fujitsu, die ihr Werk in Paderborn mit 600 Arbeitsplätzen schließt. Mobilcom schließt das Werk in Nördlingen mit 700 Beschäftigten. Telefonica entlässt 1600 Beschäftigte. Hewlett-Packard, die weltweit über 50 000 Jobs vernichten, wollen in Deutschland an die 1500 auslagern.

In der Chemie-Industrie gibt es Werksstilllegungen bei RKW (Folien) in Phillipstal (Hessen).
Auch bei der Lebensmittelherstellung gibt's Einschläge: Coca Cola vernichtet 400 Arbeitsplätze durch Werksschließungen in Bremen und Oldenburg, Nestlé macht die gleiche Anzahl in Mainz platt.
Im Handel und Transportwesen entlässt Heine-Versand 90 Leute, ALSO-Logistik 240, das Subunternehmen Perfetto von Karstadt und Rewe plant heftige Einschnitte.

Über allem steht der drohende Personalabbau bei der Deutschen Bank. Weltweit soll rund ein Viertel der 100000 Beschäftigten gehen, in Deutschland 5000. Auch bei anderen Banken drohen noch Einschnitte.

Wo bleiben die Gewinne?

Auch bei der Deutschen Bank steht - wie bei VW - ein massiver Gewinneinbruch in Verbindung mit den Angriffen. Im Gegensatz zu Deutscher Bank und VW kündigt Siemens als weiteres Flaggschiff des deutschen Kapitals einen erhöhten Gewinn an. Dieser ergibt sich allerdings vor allem aus Spartenverkäufen; da kommt weniger aus dem Umsatz, auch wenn die Umsatzrendite bei Siemens immer noch sehr hoch liegt.

Von daher können wir vermuten, dass die Krisenerscheinungen, wie sie in vielen anderen Firmen auftreten, keine Einzelfälle sind, sondern dass es über die Problemlagen hinaus, die in den einzelnen Firmen, Branchen und „Marktumfeldern“ bestehen, wie es auf Manager-Sprech heißt, einige Gemeinsamkeiten gibt.

Sie wächst in den Jahren seit der Krise, aber sie wächst zu wenig für dieses System. Fünf Jahre in Folge liegt die reale Entwicklung hinter den Vorhersagen der OECD. Sie wächst auch langsamer als die Masse an Kapital, das immer schwerer Anlagemöglichkeiten findet. Damit verschärft sich einerseits der Konkurrenzkampf um die verbleibenden Profite, aber auch der Druck darauf, diese durch noch höhere Ausbeutung zu erhöhen. Generell treiben zusätzlich die Rationalisierung - oft selbst eine Reaktion der Einzelkapitale den tendenziellen Fall der Profitrate weiter voran und führen zu einer Verschärfung des Problems für das Gesamtkapital.

Diese Fakten konnten von denjenigen KapitalistInnen und denjenigen Ländern überspielt werden, die in dieser Gesamtlage noch expandieren konnten, natürlich vor allem auf Kosten von anderen. Dazu gehörte China, das immer noch ein Wachstum aufweist, das aber schon zu schwach ist, um alle Unternehmen im eigenen Land mitzuziehen, und die Exportindustrie, die auf den chinesischen Markt liefert.

Jetzt sind da die Aussichten nicht mehr so rosig und so haben wir einen Zustand in der deutschen Wirtschaft, wo ein Jahr nach den Rekordgewinnen der DAX-Unternehmen fette Einbrüche und Rückschläge zu verzeichnen sind.

ArbeiterInnenklasse

Die jetzigen Entlassungen und Stilllegungen könnten also die Vorboten einer tieferen Krise sein. Wir als Liga für die Fünfte Internationale halten dies auch von der ganzen weltweiten Entwicklung her für wahrscheinlich.

Das Vorgehen der KapitalistInnen jetzt in einer Phase, wo angeblich das „Klima“ noch ganz gut ist und sich die Börsenkurse von ihrer Talfahrt zu Jahresbeginn weitgehend erholt haben, zeigt aber, was bei einem echten Kriseneinbruch zu erwarten ist. „Dann fließt Blut“, wie es ein Betriebsrat aus einem der obengenannten Betriebe bezeichnet.

Das Schlimme allerdings bei den meisten Betriebsräten und Gewerkschaften ist, dass sie auf eine solche Situation nicht im mindesten vorbereitet sind und in der Lage wären, der Brutalität der KapitalistInnen eine entsprechende Antwort zu verpassen.

Selbst in Betrieben, die komplett dichtgemacht werden, gibt es nur wenig Widerstand. Die logische Forderung, den UnternehmerInnen die Werke wegzunehmen, die sie nicht mehr haben wollen, traut sich kaum einer zu denken oder gar auszusprechen. Um dies in die Tat umzusetzen, müsste der Betrieb besetzt werden, was wiederum von den Betriebsräten und GewerkschaftssekretärInnen heftigst bekämpft wird, wenn die Parole trotzdem aufkommt. Es wird gedroht, dass das die Abfindung kosten könnte oder die vage Hoffnung auf einen Arbeitsplatz woanders.

Wo nur Teile der Unternehmen stillgelegt werden, basteln Gewerkschaften und Betriebsräte lieber an Standort„sicher“ungen, die heute eine scheinbare Sicherheit durch Verzicht von Seiten der Beschäftigten erkaufen, die aber allesamt von den Bossen zerrissen werden können, wenn die wirtschaftliche Situation sich ändert.

Bei den derzeitigen Angriffen ist nennenswerter Widerstand bislang nur bei Bombardier zu vernehmen. Bei VW ruft hingegen der Betriebsrats-Vorsitzende die „VW-Familie“ dazu auf, zusammenzustehen und dies mit gleichen T-Shirts auch noch auf Betriebsversammlungen zu demonstrieren. Kritik ist Tabu. Bei Fujitsu in Paderborn gibt es gar den Verdacht, dass der Gesamt-Betriebsrat die Werks-schließung hinter dem Rücken der Belegschaft und des örtlichen Betriebsrates vorbereitet hat.

Mit solcher Zusammenarbeit mit dem Kapital müssen Betriebsräte und Gewerkschaften brechen. Statt für das „Wohl“ des Unternehmens einzutreten und die Konkurrenzfähigkeit des „eigenen“ Ladens gegen die KollegInnen, die im Konkurrenzbetrieb arbeiten, zu stärken, gilt es die Widerstandfähigkeit der ganzen ArbeiterInnenklasse zu stärken - und nicht nur in Deutschland.

Statt mit Verzicht die KollegInnen, die im konkurrierenden Betrieb, aber oftmals in der gleichen Firma, arbeiten, und fast immer in der gleichen Gewerkschaft organisiert sind, noch tiefer zu drücken, muss gemeinsamer Widerstand organisiert werden. Und nur unter dieser Voraussetzung - dem Bruch mit der eigenen Unternehmensführung - ist jener auch möglich.

In der Automobil- und Zulieferindustrie sind fast alle Konzerne schon jetzt bei den Arbeitsplatzvernichtern dabei: mit Bosch, ZF, Conti und Mahle auch die vier führenden Zulieferer in Deutschland. Gerade hier wäre eine Konferenz aller bedrohten Belegschaften ein nötiger Schritt, der aber auch zu einem gemeinsamem Kampfprogramm führen müsste und nicht in Gejammer steckenbleiben darf wie die „Zuliefer-Konferenz“ der IG Metall im letzten Jahr in Leipzig, zu der nur ausgewählte Betriebsratsvorsitzende zugelassen wurden.

So wie die Betriebsräte mit ihren Bossen brechen müssen, muss natürlich die Gewerkschaft - in diesem Fall die IG Metall - mit dem deutschen Exportmodell brechen, mit: „Wir machen mit Technik, Flexibilität und niedrigen Stückkosten die ausländische Konkurrenz platt“.

Solche Konferenzen sollte auch Verdi zum Beispiel im Einzel- und Großhandel oder bei den Banken organisieren, wo ExpertInnen ähnliche Schläge, wie sie jetzt auf die Deutsche Bank niedergehen, auch bei der Konkurrenz erwarten.

  • Kampf gegen jede Entlassung und auch gegen jeden „sozialverträglichen Stellenabbau“, der letztlich Beschäftigung kostet!
  • Solidarität mit allen Belegschaften, die Widerstand leisten!
  • Betriebe, die entlassen oder stillgelegt werden sollen, müssen entschädigungslos enteignet werden. Die verstaatlichten Betriebe sollten unter Kontrolle der Belegschaften fortgeführt werden.
  • Raus mit Betriebsratsmitgliedern und Gewerkschaften aus den Aufsichtsräten! Dort geht es nicht um die Belegschaften, nur um das „Unternehmenswohl“.
  • Demokratisierung der Gewerkschaften! Über Kampfaktionen in bedrohten Betrieben haben nur die Betroffenen zu entscheiden, nicht die GewerkschaftssekretärInnen. Vollversammlungen der Betroffenen, um selbst die Kontrolle und Verantwortung für ihren Kampf zu übernehmen!
  • Offenlegung aller Verhandlungen, Schluss mit den Gesprächen hinter verschlossenen Türen von Betriebsräten, Gewerkschaft und den Bossen!

Die ArbeiterInnenschaft kann sich so auf die kommenden Schläge vorbereiten, wenn sie heute damit anfängt. Das geht nicht ohne heftigsten Widerstand gegen die heutigen Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre, die sich selbst in der Rolle sehen, zusammen mit den Bossen die Unternehmen und Branchen zu „führen“ und das jeweils Beste für die Beschäftigten - auch mit deren Opfern - rauszuholen.

Ihre Methoden werden sich als völlig hilflos erweisen, wenn die Krise des Systems voll zuschlägt, was sich schon heute ankündigt.

Alle, die den Widerstand wollen, die ihn vorbereiten wollen und die sich keine Illusionen in „Sozialpartnerschaft“ machen, müssen sich heute dafür zusammenschließen, für kämpfende Gewerkschaften einzutreten, die kämpfende Belegschaften unterstützen.

Per email am 27.5. 2016  durch ARBEITER/INNEN/MACHT-INFOMAIL, Nummer 883