„ Dem überzeugenden
Druck der Belegschaften ist es zu verdanken, dass
diese Einigung überhaupt möglich war“, sagt
Zitzelsberger, der IG Metall-Chef von
Baden-Württemberg. Er verweist auf 760.000
MetallerInnen in Warnstreiks bundesweit und davon
222.000 in Baden-Württemberg.
Mögen die Zahlen
auch leicht geschönt sein, tatsächlich haben sich
Hundertausende für die Forderung nach mehr Lohn
eingesetzt. Stimmt also die Geschichte, dass die
Unverschämtheit der „Arbeitgeber“, das niedrigste
Angebot seit Jahrzehnten vorgelegt zu haben, durch
den harten Einsatz der Kolleginnen und Kollegen und
dem großen Verhandlungsgeschick der Führung gebrochen
wurde?
In
Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sieht der
Politabschluss für 21 Monate (April 2016 – Dezember
2017) folgendes vor. Für April bis Juni 150,- Euro
Einmalzahlung, vom 1.7. 2016 bis zum 31.3. 2017 eine
Entgelterhöhung um 2,8 Prozent und ab April 2017 noch
einmal 2 Prozent. Hinzu kommt, dass sich die
Gewerkschaft und die Unternehmer darauf verständig
haben, dass der Abschluss „differenziert“ ausfallen
kann. Die Bürokratie und die Kapitalisten können
vereinbaren, dass die Auszahlung der 150,- Euro um
bis zu drei Monate (also bis zum Oktober) verschoben
oder ganz gestrichen wird. Auch die Umsetzung der
Lohnerhöhung 2017 kann in einzelnen Betrieben
„einvernehmlich“ um bis zu drei Monate ausgesetzt
werden. All das verkauft die IG Metall als tollen
Erfolg.
Man kann die
Geschichte auch anders erzählen. Man kann
feststellen, dass rund 2,5 - 3 % – auf ein Jahr
gerechnet – von Anfang an ein Ergebnis war, das dem
Kapital nicht weh tut. Der Lohnanteil bei den
Produkten liegt in der Metallindustrie bei den
wenigsten Betrieben über 20 %, zumindest was den
Lohnanteil betrifft, der zu tariflichen Bedingungen
bezahlt wird. Die Tariferhöhung bedeutet also meist
weniger als 0,5 % Preiserhöhung bzw. kann durch eine
Rationalisierung in dieser Höhe abgefangen werden.
Der übliche Produktivitätsfortschritt liegt in dieser
Branche allerdings deutlich höher.
Weil Unternehmen und
IG Metall-Führung dies wissen, wurde von letzterer
schon bei der Forderungsfindung alles getan, um die
Vorschläge aus den Betrieben, die über 5 % lagen,
niederzubügeln. Die Unternehmer halfen die anfangs
als zu tief erachtete Forderung von 5 % durch ein
Niedrigangebot von 0,9 % zu legitimieren. Am Ende
bleibt die Metallindustrie in dem gleichen Korridor,
in dem sich alle Tarifabschlüsse bewegen – mit oder
ohne Warnstreiks.
Ausverkauf
Damit ist auch schon gesagt, dass dieses Ergebnis
kein Erfolg ist. Auch wenn die Erhöhung dank der
niedrigen Inflation – falls die so bleibt – ein
kleines Plus bringt, wird die Umverteilung zugunsten
des Kapitals fortgesetzt. Der Anteil an den von ihnen
selbst geschaffenen Werten, den die ArbeiterInnen
erhalten, wird noch weiter sinken. Der
Produktivitätsfortschritt fließt in den nächsten zwei
Jahren überwiegend in die Taschen der Kapitalisten.
Sie haben zusätzlich „Kalkulationssicherheit“, nicht
nur bezüglich ihrer Profite, sondern auch
dahingehend, dass sie die Angriffe auf Arbeitsplätze,
Stilllegungen, Entlassungen und Verlagerungen
weitgehend ungestört durchziehen können. Die
Geschlossenheit der Gewerkschaft, die in einer
Tarifbewegung durchaus entsteht, flaut wieder ab.
Jede Belegschaft
steht wieder für sich allein und meist auf verlorenem
Posten.
Die großzügige Differenzierung im Abschluss, die
Möglichkeit für die Betriebe, die Einmalzahlung zu
streichen und die zweite Runde der Tariferhöhung bis
fast ans Ende der Periode zu verschieben, spaltet die
Belegschaften zusätzlich. Sie schafft dann im Vorfeld
der nächsten Runde noch zusätzlich „differenzierte“
Bedingungen in den Belegschaften, die schon jetzt
unterschiedlich genug sind. Es ist auch klar, dass
solche Differenzierungen zukünftiger Bestandteil der
Tarife sein werden. Um dies zu vereinbaren, wurden
die Verhandlungen seitens der IGM extra in
Nordrhein-Westfalen zu Ende geführt, da dort die
„kleineren“ Unternehmen ein stärkeres Gewicht haben.
Alles war also so
gewollt – von beiden Seiten. Denn der Konkurrenzkampf
wird weltweit härter. Die deutsche Metallindustrie
verteidigt damit nicht nur ihre Profite, sondern auch
die Position Deutschlands als imperialistischer
Großmacht. Denn es sind vor allem Maschinenbau und
Automobilindustrie, die den gewaltigen
Exportüberschuss erzielen, der andere Länder in
Schulden und in die Abhängigkeit von Deutschland
treibt. Das ist die Arena, in der die deutsche
Bourgeoisie auf Augenhöhe mit dem US-Imperialismus
und anderen Rivalen agieren kann.
Die IG
Metall-Führung steht dabei treu an der Seite des
deutschen Exportkapitals immer und überall, egal ob
es gegen zu strikte Abgaswerte der EU, die Folgen des
VW-Dieselgate, für EU-„Rettungs“-Pakete zugunsten der
Banken oder für die Abschaffung des Streikrechts
geht.
Dampfablassen – und Deutschland retten
In den Tarifrunden wird dann Klassenkampf gespielt.
Nicht nur Massenmobilisierungen, Warnstreiks und nie
erfüllte Streikdrohungen, es fallen auch markige
Worte über die gierigen Unternehmer und Manager. Aber
regelmäßig scheint das wahre Denken der
reformistischen Apparatschiks durch. Wir sind „eine
Säule der Stabilität für Deutschland“, erklärte der
IGM-Sprecher Rodenfels auf der Aktion in Karlsruhe am
21. April und begründete das mit der Kaufkraft
fördernden Wirkung der Tariferhöhung. „Willst du
Deutschland kaputtmachen?“, fragt ein erster
Bevollmächtigter einen Vertrauensmann, der für Streik
zur Durchsetzung der Forderung von 5 % eintritt.
Das Ritual ödet vor
allem die Vertrauensleute und andere AktivistInnen
zunehmend an und immer mehr KollegInnen haben – zu
Recht – das Gefühl verarscht zu werden. Was tun? Kein
Tarifkampf ist auch keine Alternative.
Im Unterschied zu
manch anderen Gewerkschaften gibt es in der IG Metall
die Auffassung, dass durch Kampf etwas zu erreichen
ist. Und das ist gut so. Das ist besser, als wenn
Gewerkschaften und Belegschaften erst lernen müssen,
dass Kampf ein Weg zur Erreichung der eigenen Ziele
ist.
Es gab in der
Geschichte durchaus gute Belege dafür wie den Kampf
um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder die 35
Stunden-Woche. Die heutige Praxis sieht allerdings
anders aus. Es gibt kaum noch Beispiele für
erfolgreiche Verteidigung von gefährdeten
Arbeitsplätzen, die Tarifrunden werden seit Jahren
unter den Möglichkeiten abgeschlossen – aber das
liegt nicht am Kampf, sondern an denen, die ihn
organisieren und kontrollieren.
Linke und
kämpferische GewerkschafterInnen müssen also bei
allen Aktionen gegen das Kapital mitmachen, auch wenn
diese so angelegt sind, dass sie möglichst wenig
Schaden anrichten. Aber sie dürfen nicht einfach
unkritisch mitmachen, sie müssen eigene Vorschläge
für den Kampf vorbringen und die Diktatur des
Apparats bekämpfen. Auch wenn es noch sehr schwierig
ist, damit heute durchzukommen, nur so können sich
die kritischen und kämpferischen KollegInnen sammeln
und für eine Gewerkschaft kämpfen, die an der Seite
der Belegschaften steht, die alle Teile der
Belegschaft vertritt, auch die LeiharbeiterInnen und
WerksverträglerInnen, und die nicht die Allianz mit
dem deutschen Kapital gegen die Kolleginnen in
anderen Ländern sucht, sondern für die Interessen der
gesamten Klasse kämpft!
Per email am 17.5. 2016
durch ARBEITER/INNEN/MACHT-INFOMAIL, Nummer 881
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