Bedingungsloses Grundeinkommen
Nicht nur ein Konzept gegen die Armut

von Edith Bartelmus-Scholich

06-2013

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Wenn im Folgenden Gründe für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens ange- führt werden, so ist stets ein sogenanntes emanzipatorisches Grundeinkommen gemeint. Emanzipatorisch wirkt ein Grundeinkommen, wenn es ohne vorgelagerte Bedürftigkeits- prüfung individuell und existenzsichernd gewährt und aus einer Umverteilung von oben nach unten finanziert wird.

Die Höhe eines solchen Grundeinkommens muss oberhalb der Armutsrisikogrenze von derzeit ca. 950 Euro monatlich liegen. Die Vorstellungen linker Grundeinkommensbefür- worter orientieren sich an der Pfändungsfreigrenze, die ab Juli 2013 ca. 1070 Euro monatlich betragen wird.

Den linken Grundeinkommensbefürwortern ist bewusst, dass ein niedriges Grundeinkom- men - diskutiert werden unterschiedliche Beträge zwischen 400 und 800 Euro monatlich - Armut nicht beseitigen und den Zwang schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen verstär- ken würde. Aus eben diesen Gründen können sich auch neoliberale PolitikerInnen und Unternehmer ein niedriges Grundeinkommen vorstellen.

Wirksame Armutsbekämpfung

Derzeit leben in Deutschland 15% der Bevölkerung, ca. 12 Mio. Menschen darunter 2,5 Mio. Kinder in Armut. Erwerbslose, Alleinerziehende, Familien mit mehreren Kindern sind fast immer arm, Frauen oft, ArbeitnehmerInnen, RentnerInnen und MigrantInnen in zu- nehmendem Maße. Die Sozialpolitik verfolgt dabei keine Politik gegen die Armut, sondern verschärft das Problem.

Der Anteil der Armen in der Gesellschaft und insbesondere der armen Kinder steigt seit der Einführung der Hartz-Gesetze stetig. Die Gründe dafür liegen in der völlig unzureich- enden Höhe der Regelsätze und dem Zwang nicht existenzsichernde Erwerbsarbeit annehmen zu müssen. Hartz IV treibt so auch die Ausweitung des Niedriglohnsektors voran, indem derzeit jeder 5. Beschäftigte tätig ist. Perspektivisch werden diskontinuierliche Beschäftigung und Niedriglöhne zukünftig die Mehrzahl der RentnerInnen zu Armut verurteilen.

Die ungenügende Bekämpfung der Armut entspringt politischem Willen. In der reichen BRD müsste niemand arm sein, aber die neoliberalen Konzepte unterschiedlicher Bundesregierungen in den letzten Jahrzehnten zielten nicht auf Armutsbekämpfung, sondern auf Reichtumsvermehrung im oberen Drittel der Gesellschaft. Verdient wird das Geld, welches in der BRD so ungerecht verteilt wird, überwiegend auf den Weltmärkten, wobei ein großer Anteil von Politik und Wirtschaft arbeitenden Armen nicht nur hingenommen, sondern gezielt  geschaffen wird. Der wachsende Niedriglohnsektor wird als Vorteil des Standorts Deutschland unverhüllt herausgestellt.

Gegen Armut durch ALG II, Kleinrenten und Niedriglöhne werden in der gesellschaftlichen Linken unterschiedliche Konzepte, wie die Einführung einer sanktionsfreien Mindestsicherung, eine Mindestrente oder ein gesetzlicher Mindestlohn diskutiert. Selbstverständlich unterstützen linke Grundeinkommensbefürworter solche Vorschläge, sofern sie Armut in der jeweiligen Gruppe beseitigen können. Klar ist aber auch, dass ein Flickwerk unterschiedlicher Maßnahmen nie alle Armen aus ihrer misslichen Lebenslage befreien wird. Ursächlich dafür sind nicht nur die konkret unterschiedlichen Lebenslagen der Armen, sondern auch die vorgelagerte Bedürftigkeitsprüfung.

Selbst bei wohlwollender Antragsbearbeitung erreicht eine Sozialleistung mit vorgelagerter Bedürftigkeitsprüfung nie alle Anspruchsberechtigten. Es wird immer eine Anzahl von Menschen geben, die mit der Behörde oder dem Antrag nicht zurechtkommen oder die Antragstellung scheuen. Von KleinrentnerInnen ist bekannt, dass oft die unzureichende Rente aufstockende Sozialleistungen aus Scham oder aus der Angst heraus, die Kinder würden zur Zahlung herangezogen nicht beantragt wird.

Der so verbleibende Anteil armer Menschen in der Gesellschaft kann nur durch eine Sozialleistung mit nachgelagerter Bedürftigkeitsprüfung, wie es ein BGE ist, erreicht werden. Damit ist das Bedingungslose Grundeinkommen für jeden und jede, die es mit der Armutsbekämpfung ernst meint eine humanitäre Pflicht.

Eine Frage der Gerechtigkeit

Ein durch Umverteilung von oben nach unten finanziertes, existenzsicherndes Grundeinkommen würde einen wesentlichen Beitrag zur Verteilungsgerechtigkeit leisten. Finanziert werden könnte ein Grundeinkommen aus den unterschiedlichen Quellen: Hohe Einkommenssteuer, hohe Vermögensteuer, hohe Erbschaftsteuer sowie Wertschöpfungsabgabe.

Zuerst erhielte jeder Mensch, der in Deutschland seinen ersten Wohnsitz hat, das Grundeinkommen als Absicherung seiner Existenz. Später würde durch die Finanzbehörde im Rahmen der Steuererklärung eine nachgelagerte Bedürftigkeitsprüfung durchgeführt, d.h. es würde ermittelt, ob jemand nach Bezug des Grundeinkommens noch Einkommen bezogen hat. Nach der Höhe der Einkünfte wird der Steuersatz so festgelegt, dass jedem Menschen mindestens das BGE verbleibt. Da einkommensstarke Menschen in ein solches System mehr einzahlen als sie mit dem BGE zurückerhalten, ist eines der liebsten Argumente von Gegnern des BGE, nämlich, dass Millionäre keine Sozialleistung erhalten sollen, hinfällig. Auch, wenn jeder das BGE erhält, profitieren finanziell nur die Einkommensschwachen davon.

Aber, das Bedingungslose Grundeinkommen sorgt zudem für Gerechtigkeit, weil nicht marktförmige Arbeit über ein BGE am gesellschaftlichen Reichtum beteiligt wird. Es ist ungerecht, aber bislang politisch gewollt, dass der größte Teil der gesellschaftlich nützlichen Tätigkeiten nicht entlohnt wird. Dabei macht der Teil der Arbeit, die nicht bezahlt wird mehr als 60% der Arbeit insgesamt aus - und der Anteil von ca. 40% Erwerbsarbeit wäre ohne die 60% unbezahlte Arbeit überhaupt nicht zu leisten. Zu der unbezahlten Arbeit gehören u.a. der gesamte Sektor der Reproduktion (der Arbeitskraft), die in Familien geleistete Erziehungsarbeit, sowie ein großer Teil gesellschaftlicher Kultur- und Kreativarbeit ohne die Erwerbsarbeit gar nicht darstellbar ist. Der überwiegende Teil dieser Tätigkeiten wird gesellschaftlich zugewiesen und von Frauen verrichtet. Diese Konstruktion ist eine der Ursachen für den hohen Anteil von Frauenarmut.

Es ist daher ein Gebot der (Geschlechter)Gerechtigkeit für die unbezahlte Arbeit einen Verteilungsausgleich zu schaffen. Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe wäre hier ein Anfang gemacht.

Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft

Die Einführung eines individuellen, existenzsichernden Bedingungslosen Grundeinkommens würde in der Gesellschaft die beiden Grundbedürfnisse nach Freiheit und Sicherheit im Leben gleichermaßen erfüllen. Die dadurch eintretenden Veränderungen können nicht bis aufs Einzelne vorausgesagt, aber doch in großen Linien skizziert werden.

Zunächst würde ein Grundeinkommen die vom menschenverachtenden Zwangssystem Hartz IV Betroffenen endlich wieder zu BürgerInnen mit allen Rechten und Möglichkeiten werden lassen. Ihre Teilnahme an der Gesellschaft, aber auch an der Wirtschaft würde merklich verbessert. Der Status des Erwerbslosen würde faktisch verschwinden.

Sofort würde sich die Lebenslage von bislang prekär Arbeitenden und gering verdienenden KünstlerInnen positiv verändern. Gleichermaßen profitieren von einem Grundeinkommen alle, die sich bilden wollen – und zwar ein Leben lang. Die Aus- und Fortbildung im Sinne einer ganzheitlichen Bildung würde für viele Menschen erst durch ein Grundeinkommen praktikabel.

Direkte Folge der Einführung eines existenzsichernden Grundeinkommens wäre aber auch die Aufwertung der bislang unbezahlten Arbeit und ihrer TrägerInnen. Viele Menschen, überwiegend Frauen, würden sofort frei nicht nur von Armut, sondern auch von der Missachtung ihrer nicht marktförmigen Arbeit und eventuellen Zwängen in ihren Partnerschaften.

Durch Umfragen wissen wir, dass die große Mehrheit der ArbeitnehmerInnen (98%) auch nach der Einführung eines Grundeinkommens arbeiten möchte. Mit der Einführung eines Grundeinkommens würde die Erwerbsarbeit nicht verschwinden. Schwieriger würde es allerdings sinnentleerte, schmutzige und gefährliche Arbeitsplätze zu besetzen. Zu erwarten ist damit, dass solche Erwerbsarbeitsplätze durch höhere Löhne, mehr Freizeit und mehr gesellschaftliche Anerkennung aufgewertet würden.

Insgesamt würde mit der Einführung eines existenzsichernden Grundeinkommens die Verhandlungsmacht der ArbeitnehmerInnen und ihrer Gewerkschaften merklich gestärkt. Wer seine Existenz bereits gesichert hat, muss nicht Arbeit zu Armutslöhnen annehmen. Ein existenzsicherndes BGE wirkt sich aus, wie eine künstliche Verknappung von Niedriglöhnern auf dem Arbeitsmarkt. Das BGE simuliert faktisch die Vollbeschäftigung, die aus Gründen der Entwicklung der Produktivkräfte real nicht mehr erreichbar sein wird. Die Löhne werden auf breiter Front folglich nicht sinken, sondern steigen.

Die durch Einführung eines BGE geschaffene größere Wahlfreiheit für ArbeitnehmerInnen würde auch weitere Auswirkungen im Bereich von Wirtschaft und Betrieben nach sich ziehen. Wer sich faktisch aussuchen kann, ob und was er / sie arbeitet, kann sinnvolle Tätigkeiten in einem kooperativen Arbeitsumfeld  ausüben, auch, wenn diese geringer entlohnt werden, weil sie unrentabel sind. Ein Teil der ArbeitnehmerInnen würde diese Optionen gern annehmen, und bewusst anders arbeiten wollen als in der Marktwirtschaft. Alternative Wirtschafts- und Produktionsformen würden dadurch an Raum gewinnen. In einem längeren gesellschaftlichen Prozess wäre auch denkbar, dass sich die Arbeit neu organisiert und zwar nach ihren Bedürfnissen, was gleichzeitig eine Emanzipation von der Unterwerfung unter die Gesetze der Kapitalverwertung bedeuten würde.

In Bewegung für die Vision einer anderen Gesellschaft

Das Bedingungslose Grundeinkommen gilt in unserer von den historischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Möglichkeiten tief enttäuschten Gesellschaft als „die letzte Utopie“. Um diese Forderung, die eine lange Geschichte in den (Klassen)Kämpfen um das Existenzrecht vorzuweisen hat, formiert sich weltweit und auch in Deutschland eine wachsende Massenbewegung.

Die Bewegung für ein BGE ist eine der wenigen Bewegungen, die Abwehrkämpfe gegen soziale Verschlechterungen mit einem konkreten, humanitären und zukunftsweisenden Ziel verbindet. Sie ist zwangsläufig eine heterogene Bewegung, denn die Forderung nach einem Grundeinkommen wird von Menschen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen und ideologischen Zusammenhängen erhoben.

Da eine vitale Massenbewegung die Grundlage jeder gesellschaftlichen Veränderung zu Gunsten der kapitallosen Menschen ist, stellt die Bewegung für das BGE eine einzigartige Chance auch für Linke dar, Reform und Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu befördern.

Natürlich ist der Kapitalismus nicht mit der Durchsetzung eines existenzsichernden Grundeinkommens überwunden, aber die Emanzipation der Arbeit vom Verwertungszwang würde die profitorientierte Wirtschaft, die ja nicht ohne die menschliche Arbeit Mehrwert abschöpfen kann, vor eine Herausforderung stellen. Und zuletzt: eine Bewegung, die ein existenzsicherndes BGE durchsetzt, kann sich noch ganz andere Ziele setzen…

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von der Autorin zur Zweitveröffentlichung, nachdem er am
10.6.2013
bei SCHARF-LINKS veröffentlicht worden war. Der Artikel folgt einem frei gehaltenen Referat der Autorin auf der Frühjahrsakademie der Partei DIE LINKE. am 11. Mai 2013.