Die Überschrift einer polemischen Behandlung des Frühjahrs könnte knalleffektisch etwa lauten "Bund Die Jam Session" Frutiger kursiv
Wir. Spielen. Deutschland.

06-2013

trend
onlinezeitung

"The Frutiger family [used by the Bundeswehr] is neither strictly geometric nor humanistic in construction; its forms are designed so that each individual character is quickly and easily recognized. Such distinctness makes it good for signage and display work."

, doch plakatives Aburteilen per Verdrehung der Affirmation ist immer altbacken anbiedernd an den Gegenstand der taktischen Verballhornung. Die Faust aufs Intellektuelle. Termingerecht scheint ein Bürgertum auf sich selbst zu erkennen, wenn es Rituale erkennt, wo Ritualisierungen gefeiert werden, wie im "Le sacre du printemps" <Opfer des Frühlings> (1913, Igor Strawinsky), das mit dem "TAM Tam Tam Tam TAM Tam Tam"-usw.-Rhythmus vor hundert Jahren archaische Vorahnung und Abwehr des Krieges (à la Theodor W. Adorno in Philosophie der neuen Musik) gewesen sein mag. Heavy Metal für die besitzende Klasse der Hochmoderne. Der Topos einer ICH-müden Gesellschaft, sprich einer politisch hilflosen aber besitzenden Schicht, die sich bedienen lässt und in der zum Zweiten Dreißigjährigen Krieg verklärten Epoche ihre Zügel bald anderen überlässt, lastet wie eine schräge Erinnerung, dass kulturellem Getriebe und seinem in es inkorporierten Societybending ein indifferentes "vielleicht kommt ja noch was" (Margarita Tsomou über Lady Gaga) exactement genügen. Wenn Coco Chanels oder Karl Lagerfelds sich pudern, bedeutet das die kognitive Enteignung von Dienstmädchen im frühen 20. Jahrhundert, die ihre privaten nach Lohnarbeit riechenden Träume vielleicht nicht einmal am "No 5" ausrichteten. Opfer werden nicht bloß erbracht, sie werden züchtig produziert.

"Opfa(er)haltung"
Ich. Dufte. Deutschland.

Wenn bei Protesten gegen Auftritte von "Die Big Band der Bundeswehr" Demonstranten aus dem Publikum der Big Band heraus angegriffen werden, kann das heißen, dass Bedarf und die Kritik an diesen 'falschen' Bedürfnissen nicht zusammengehen können.

Eine Lektion in Sachen Identifikation und Swing und Rock und Latin, den vielleicht wichtigsten musikalischen Feldern der Wehr, neben "Es steht ein Haus im Kosovo" (Gunter Gabriel) und dem "Fanfarenstoß (Franz List). Aber vielleicht auch eine Lektion für Kritik, die semantische Grenzenlinien dort zieht, wo die sich über-alles verbindenden Netzwerke die in Wirklichkeit nie bloße 'deleuzianische' Verbindungen sondern auch disjunktive Ausschlusswerke sind Symboliken und Bedeutungen miteinander-schließt und anschlussfähig macht. Wo antiautoritäre Zeichenoperationalistinnen in der An-Wendung aller Genres das gegen-kategoriale Heil suchen. Was wäre an dieser Stelle an Gegensound drin? Krieg sei kein Wunschkonzert, gerät schnell in sein Gegenteil von Argument des Destruktiven. Denn er i s t , auf der Bühne, mit seinen Repräsentanten und bei der Truppenbetreuung, und für die Entsagten und Aufsteiger-Willigen als Beruf, das Konzert bestimmter Wünsche. Diese sind nicht dieselben der Avantgarden, welche sich mühsam oder mit Dissidenten-Bonus aus der normativen Kakophonie ihrer akademischen Lehre in die Studios der Mäzenaten-Institutionen retteten. Was also an der Schnittstelle von Tönen und realer Politik? Gegensound oder übernehmen? Für Jacques Attali (Mitterand, Sarkozy) und den deutschen Kanzler Gerhard Schröder war weit weit nach 1968 klar: Die politische Ökonomie der Musik spielt im Zentrum der ... und nicht in der kursierenden ... Macht (Michel Foucault) Erhöhung der Arbeitszeiten, Senkung der Löhne, Einsparungen im Sozialbereich. Das Produktionsmittel-Versprechen des massentauglichen Spurgeräts auf die 'freie' (freilich an den Apparatus gebundene) Organisierung musikalischen Materials im Austausch fürs Normalarbeitverhältnis, hält Walter Benjamins Massenkunstprophetie (Kunstwerkaufsatz) evtl. nicht stand. Kompensiert sich hier Ohnmächtigkeit im nahtlosen ("Electro Harmonix 2880 Super Multitrack Looper") oder auch gebrochenen Ritornell (Force Inc. Schule) der 'demokratisierten' Maschine (Roland TR-606 und TB-303) nur weil diese Entfremdung reproduziert? "Die Menschen sind alle so herzlich" (Rainer Schaller, Geschäftsführer der "Loveparade" 2008, http://www.stern.de/lifestyle/leute/loveparade-highway-to-matsch-631703-video.html). Der Umschlag der Ästhetik des Politischen ins Therapeutische. Das Politische der Ästhetik und der Sinne steht außen vor.

Rituale sind oft auch Zeremonien der Selbstvergewisserung und Schließung der Rede eigener Ideologie. Der Kultus um die akkumulativen Alleinunterhalterlooper, stapelnde Geräte wie Performer, zeigt, sie rappen gerne über "effects of sound", in sich kreisende Beats der "Negermusik", die uns resonatorisch zum Tanzen anregen. Das Medium Tanzen ist aber fertig akkulturiert, wobei die Umwelt und nicht nur das Individuum nun erzogen wurde, deren Spielfeld das urbane Gebiet der Aussagen wurde. Auf dem Firmenareal einer Mitmach-T.A.Z. des einzelnen Kapitals trifft Adornos Befund, Überbau und Unterbau seien in eins (Phil. d. n. Mus., S. 124), etwas weitergedacht, vielleicht zu. Die Auswürfe des kulturellen Apparats sind von der Warenproduktion nicht nur erfasst, die Warenproduktion bedarf der Kultur als stetiger Vermittlerin des Unmittelbaren und Konsumtion-Produktion verschmelzen scheinhaft.

Verhalten, die Domäne der Seele im Sozialen, muss notwendig kaufbar werden. Kultur ist Form in Form von Ware und klangwolkige Verunsichtbarmachung der Kluft zwischen Publikum und Produktion. Und dieses dynamische Schaniergebilde oder Repository muss auch dieses Signum vergsprächsrunden. Die lichtdurchflutete Produktionshalle (Fagus-Werk, Walter Gropius), das Glashütchen auf dem Dach des Parlamentgebäudes. In Mobys Video der frühen 00er Jahre mit dem Jungen, der nicht tanzen kann, jedoch alle Mittel der üblichen Theatralisierung zur Verfügung hat (Feuer-, Wasser-, Windmaschine) wird Moby selbst vom provinziellen Möchtegernkollegen zum Gedrängten gemacht und das Auto, stereotypes Objekt des Protesthasses, brennt ungeplant. Der clownesk opportunistische und verbal hypersozialmobile "Reggie Watts Live at the BMW Guggenheim Lab" hat das Kindchenschema der Befriedung, kann singen. Und die negativierende Human Noisebox, deren 3 oder 4 oder mehr Spuren seemlessless keine Vergemeinschaftung klingen lässt und keine Stimmen-Imitation vokaler Perkussion der Disziplinierungsdisziplin.

Klang (zu) denken oder Klangdenken in der macht-dekonstruktiven Form reicht mitunter universitär aus, wenn vielleicht nicht mal, was linker Rap genannt werden kann, das Narrativ aufbringt, über die Körperpolitiken und am Style hinaus antikapitalistisch zu agieren. Auch nicht, wenn Freies Musizieren das eigene Zwanghafte unbewussten Improvisierens als emanzipatorisch auffasst, und der gleiche Flow als Erfahrungsschatz zur Fitness der Arbeitswelt dazugehört, wo jede kleine Befreiung inkludierbar ist, wie jede noch arbeitsfähige Demente per Musik on Demand. Man hat schon immer "In the mood" (Glenn Miller) gespielt und war schon immer befreit. Die Schrifttype (Frutiger) der Bundeswehr kehrt hier auch wieder, aber kursiv, also flott und unterhaltsam. Der Stand der Armee wird diesen Sommer wieder Schall und Militär gutgelaunt vortragen, als sei es ein Tag der offenen Tür in der Kaserne oder die Zukunft auf dem Recruiting-Videomonitor im Hamburger-Restaurant. Adornos Jazz, des Musikkritikers Zumba; nicht Jazz jenseits des glorifizierenden Marsches oder post-militärkapellig. Blutspritzer auf der Showuniform und Aufklärung der Kinder an Kriegsgerät, eine Re-Injektion des Realen und der Waffenrock tragenden Tradition, würden daran nur an den Realismus erinnern, auf den verschiebend, verdrängend vorbereitet werden soll, während das Vorgestellte aus dem direkt Wirkenden einfach rockt. Die Bewegungen werden auf die Bedürfnisse der Teilnehmer abgestellt, die Bedürfnisse der Teilnehmer werden auf die Bewegungen abgestellt. Das Kapital liest Marx und Hegel. Ein Ende der neu-liberalen Kontrollgesellschaftsthese, wo auf softes Kommando umgestellt wird. "Keine Werbung für den Krieg!" (Die Linke) greift pazifistisch kurz, weil moralisches Raunen übers Kanonenfutter der strukturellen Analyse der Funktionen der neuen deutschen Hegemonialarmee als Grundlage für Widerstand vorgezogen wird.

Am 17.06.2013 spielt die Big Band der Bundeswehr in Kassel. "Im Bundeswehrzelt auf der Karlswiese gibt es Köstlichkeiten aus der Feldküche, umrahmt von einem abwechslungsreichen Bühnenprogramm. Die Ausstellung befindet sich im BuGa-Gelände, unweit der Landesausstellung, und zeigt das vielfältige Aufgabenspektrum der Bundeswehr." (Hessentag) Auf dem Hessentag 2012 in Wetzlar (Hessen) standen an den Jets der Luftwaffe Kinder schlange. Dazu trägt das aktuelle Coolness-Credo der objektiven Offenheit in der Armee bei: Kein Held sein, den gefährlichen Job machen. Der kälteste Mai seit ... . Einer der Täter des Brandanschlags am 29. Mai 1993 in Solingen stammt aus einer linksliberalen Familie in einer Stadt voller Ressentiments.

Ali Emas

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.