Am 27. Mai 1964 begann
die Militäroperation der kolumbianischen Regierung gegen
die Bauernenklave Marquetalia in Zentralkolumbien. Es
ist ein symbolisches Datum, denn mit diesem Tag ist
nicht nur der Angriff einer Regierung gegen 48
bewaffnete Bauern verbunden, sondern es ist der Beginn
einer Transformation von kleinen in verschiedenen
Gebieten lebenden bewaffneten Bauern hin zu einer
weltweit ältesten und aktivsten Guerillabewegungen. 49
Jahre FARC-EP bedeuten 49 Jahre Kampf für ein neues und
gerechtes Kolumbien, aber auch 49 Jahre Kampf für
Frieden. Von Marquetalia nach Havanna – ein Stück
Zeitgeschichte…
Kolumbien ist ein reiches
Land. Hier gibt es drei große Gebirgszüge der
Kordilleren, zwei große Flüsse durchfließen das Land von
Süd nach Nord, es gibt die weiten Grassavannen im Osten
und im Süden das Amazonasgebiet. Kolumbien ist das Land
mit der zweitgrößten Biodiversität, also der
Artenvielfalt, mit Küsten an zwei Ozeanen, mit fast
allen möglichen Klimazonen, welche die allerbesten
Voraussetzungen für die landwirtschaftliche Produktion
bieten und somit mehrere Ernten im Jahr ermöglichen. Mit
einer Bevölkerung von mehr als 46 Millionen gäbe es in
Friedenszeiten ein enormes wirtschaftliches Potential
und aus Sicht der Lebensmittelproduktion zur
Selbstversorgung wesentlich mehr Möglichkeiten, als in
vielen anderen Ländern der Erde. Hinzu kommen diverse
Bodenschätze, die erst seit wenigen Jahrzehnten
ausgebeutet werden. Kurz um, Kolumbien ist ein Land mit
eigentlich traumhaften Bedingungen.
Aber Kolumbien befindet sich in einer nationalen
Tragödie, denn mehr als 60 Jahre staatlicher Terror und
Krieg haben die verschiedenen Generationen geprägt und
ein scheinbar reiches Land physisch und psychisch
zerstört. Es gab mehrere Etappen von großer sozialer
Ungerechtigkeit bis hin zu demokratischen Beschneidungen
und Zeiten starker Repression. Die Zeiten des Schmerzes
begannen mit der Präsidentschaft von Dr. Mariano Ospina
Pérez aus der Konservativen Partei im Jahre 1946, in der
die gewalttätige Unterdrückung der Opposition, besonders
die der Liberalen Partei, begann und die wiederum zu
einem Anwachsen des friedlichen Protests führte.
Erinnert sei an die großen Zusammenkünfte auf dem Plaza
de Bolívar in Bogotá, als die Menschen den Anführer der
Liberalen Partei Dr. Jorge Eliécer Gaitán zuhörten. Der
Platz war überfüllt, es gab keine Rufe, kein Klatschen,
alles hörte nur auf Gaitán, der über die soziale
Gerechtigkeit, den Frieden und die Versöhnung redete.
Am 9. April 1948 wurde Gaitán ermordet und bis heute ist
nichts über die Auftraggeber bekannt und blieb sein Tod
völlig ungesühnt. Bis heute wurden Dokumente und
Ermittlungen der CIA nicht freigegeben, obwohl der
Zeitpunkt während der Panamerikanischen Konferenz, die
in jenen Tagen in Bogotá stattfand, und die
anschließenden Unruhen ein gesteigertes Interesse
hervorriefen. Das kolumbianische Volk musste in jenen
Jahren einen großen Tribut dieser katastrophalen
Regierung zahlen, zwischen 1948 und 1953 starben mehr
als 300.000 Landsleute durch die staatlichen
Mörderbanden und der Unruhen. Diese Politik des Blut und
Feuers gegen Systemkritische und Oppositionelle wird bis
heute fortgeführt.
Die liberale Führungsschicht ging ins Exil und die
Mitglieder und Sympathisanten der Liberalen Partei
duckten sich dem Terror oder zogen sich teilweise in die
Berge zurück. Sie besorgten sich Waffen um ihr Leben und
das ihrer Familien zu verteidigen während die
konservativen Kräfte im ganzen Land wüteten und linke
und liberale Kräfte vernichteten. Im Jahr 1953 putschte
sich der General Gustavo Rojas Pinilla an die Macht und
versuchte beide Seiten, als auch die Guerillagruppen,
unter dem Motto „Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit“
zur Waffenabgabe zu bewegen. Die meisten Kämpfer hielten
sich an die Richtlinie der Liberalen Partei und gaben
ihre Waffen ab. Doch was folgte war nicht der Frieden.
Sehr schnell wurde die Militärregierung zum Feind für
all jene, die ihre Politik weiter kritisierte. Der
General entpuppte sich als Verfechter einer streng
antikommunistischen Doktrin, die auch Thema der IX.
Panamerikanischen Konferenz war. Im Zuge dessen
bekämpfte er die Kritiker und Opposition und ließ
ländliche Regionen wie in Tolima bombardieren. Hierher
hatten sich liberale und linke Kräfte zurückgezogen. Bei
den Bombardierungen wurden zahlreiche Männer, Frauen und
Kinder getötet.
1957 musste General Rojas Pinilla zurücktreten. Die
beiden großen Parteien, die Konservative und die
Liberale Partei, teilten sich nun die Macht auf. Die
neue Regierung rief die Guerillaverbände wieder zum
Frieden und zur Arbeit auf. Diese akzeptierten
schließlich und ein Großteil der Menschen kehrte in ihre
angestammten Regionen zurück. Die Zeit der „Violencia“,
der schrecklichen Gewalt, war vorüber. Die liberalen und
linken Bauern lebten und arbeiteten in den bergigen
Gebieten von Rio Chiquito, Marquetalia, El Pato und El
Guayabero. Hier bauten sie Mais, Bananen, Maniok, Kaffee
und Bohnen an, sie züchteten Schweine, Rinder und Hühner
und nutzten diese Produkte zur Selbstversorgung oder zum
Verkauf in den naheliegenden Städten.
Doch dem Staat waren diese fast selbständig agierenden
Bauernenklaven ein Dorn im Auge, denn linksliberale und
revolutionäre Ideen und Lebensweisen waren hier weit
verbreitet. Die militärischen Aggressionen spitzten sich
über die Jahre weiter zu. Die ehemaligen Bauern, die in
Selbstverteidigungsgruppen organisiert waren, stellten
militärisch eigentlich gar keine Gefahr dar, ihre Waffen
waren veraltet und ihre Anzahl im Gegensatz zur Armee
gering. Doch im Zuge der erfolgreichen sozialistischen
kubanischen Revolution sollte ein revolutionärer
Flächenbrand in Lateinamerika verhindert werden. Ende
Mai 1964 griff die Armee mit Unterstützung der USA die
von Bauern selbstverwaltete Region Marquetalia an.
Tausende Soldaten wollten die Bauernrepublik Marquetalia
mit ihren gerade einmal 48 bewaffneten zurückgebliebenen
Bauern vernichten. Ziel war es, den Keim der Revolution
zu ersticken und ein weiteres Kuba zu verhindern.
Diese permanente Verfolgung und die militärischen
Operationen der Regierung sind letztendlich der Ursprung
der FARC-EP, eine der weltweit ältesten
Guerillabewegungen und die seit fast einem halben
Jahrhundert gegen den gewalttätigen und ungerechten
Staat kämpft. Die Ziele nach Würde für alle Menschen,
sozialer Gerechtigkeit und Frieden führte im Laufe des
Bestehens zu mehreren Versuchen von Friedensprozessen.
Im Jahr 1984 wurden die Vereinbarungen von „La Uribe“
getroffen, benannt nach dem Ort der Zusammenkunft.
Hierbei konnte ein Waffenstillstand vereinbart werden,
der offiziell zwar erst am 9. Dezember 1990 mit der
Bombardierung des Hauptquartiers der FARC-EP, dem „Casa
Verde“, beendet wurde, der aber in den letzten Jahren
immer brüchiger wurde und in dem der Staat zunehmend auf
paramilitärische Kräfte setzte. Die Bombardierung des
„Casa Verde“ fand just an jenem Tag statt, als man die
neue kolumbianische Verfassung verabschiedete.
Ein Produkt des Abkommens von „La Uribe“ war die
Gründung der „Unión Patriótica“ (UP), eine
pluralistische und linke Partei, die starken Rückhalt
bei den Arbeitern, Studenten und der ärmeren Bevölkerung
hatte. Innerhalb kürzester Zeit wurden 14
Kongressabgeordnete, 17 Parlamentsabgeordnete, 10
Bürgermeister und 135 Gemeinderäte gewählt. Doch die
Reaktion der kolumbianischen Rechten ließ nicht lange
auf sich warten. So wurden die beiden
Präsidentschaftskandidaten Jaime Pardo Leal und Bernardo
Jaramillo, ein Großteil der Abgeordneten und
Funktionsträger sowie fast 5000 Mitglieder, Aktivisten
und Sympathisanten ermordet. Alle Aufschreie verklangen,
als die kolumbianische Linke, die Familien und die
Bevölkerung den Staat in die Verantwortung nehmen
wollten, um das systematische Morden zu beenden. Doch
nicht nur Personen der UP und der Kommunistischen Partei
fielen dem staatlich geduldeten Terror der Paramilitärs
zum Opfer, auch Carlos Pizarro von der legalisierten
M-19 und Luis Carlos Galán des neuen Liberalismus
starben durch Attentate. Der Frieden, der noch zuvor von
der Regierung bekräftigt wurde, schien in weite Ferne
gerückt zu sein und eine legale politische
Oppositionsarbeit unmöglich.
Was folgte war ein stetiger politischer und
militärischer Zuwachs der FARC-EP. Die Guerilla war im
ganzen Land präsent und stand vor den Toren der
Hauptstadt. Ein neuer Schritt, um Friedensgespräche zu
eröffnen geschah im Jahr 1998 mit der Regierung von
Andrés Pastrana. Am 7. Januar 1999 begannen die
Gespräche in San Vicente del Caguán. Zeitgleich versucht
die Regierung jedoch mit Hilfe der USA den Militärplan
„Plan Colombia“ zu forcieren und den Staat aufzurüsten.
Der Dialog um Frieden und soziale Programmpunkte
schleppte sich über drei Jahre hin, bis am 20. Februar
2002 Präsident Pastrana trotz der Bedenken zahlreicher
Staaten, die den Prozess begleiteten, den Dialog
beendete. Die Fortschritte einer gemeinsamen Agenda für
einen Wandel in Kolumbien und die bereits thematisierten
Vereinbarungen in politischen, sozialen und
wirtschaftlichen Themen wurden an die Wand gefahren.
Was folgte war eine Militarisierung des Landes unter
Álvaro Uribe Veléz und eine Ausweitung des Bürgerkriegs
auf das gesamte Territorium Kolumbiens. Die FARC-EP
machten wiederholt darauf aufmerksam, dass sie für die
neue Gewalt nicht allein verantwortlich sind, wie dies
von der Regierung und den Massenmedien immer behauptet
wurde. An den Präsidenten Uribe sendeten die FARC-EP
mehrere öffentliche Vorschläge zur Entmilitarisierung
und zu einem Weg des Friedens. Doch Uribe glaubte, den
Konflikt mit militärischen und repressiven Mitteln lösen
zu können. Die Militärschläge von 2008 konnte die
Guerilla nicht verunsichern. Mit Juan Manuel Santos
folgte ein Nachfolger auf das Präsidentenamt, der zwar
die militärische Politik von Uribe fortsetzte, aber auch
Friedensgespräche mit der Guerilla begann. Doch der
derzeit stattfindende Dialog in Havanna auf Kuba kann
nicht verhehlen, dass weiterhin kritisch denkende
Personen und soziale und politische Aktivisten verfolgt
werden und sich die FARC-EP im Krieg mit der Regierung
befindet.
Solidarität mit der FARC-EP!
Für ein neues Kolumbien!
Editorische Hinweise
Wir
spiegelten den Artikel von Indymedia, wo er am
27.5.2013 erschien
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