Zu den größten
Errungenschalten der wissenschaftlich-technischen
Revolution, die wir miterleben, gehört die Erfindung und
Konstruktion von Maschinen, die Denkprozesse nachahmen,
die schwierige mathematische Aufgaben lösen, logische
Operationen ausführen, Übersetzungen vornehmen oder die
Überwachungs- und Regelungsfunktionen in der Produktion,
im Verkehr usw. ausüben können. Diese Maschinen nehmen
dem Menschen nicht nur psychische und geistige Arbeit
ab, sondern sie arbeiten auch unvergleichlich schneller
und präziser als das menschliche Gehirn. Mit ihrer
Erfindung haben sich völlig neue Möglichkeiten sowohl in
der Sphäre der Produktion wie in Bezug auf die Leitung
gesellschaftlicher Prozesse und auf dem Gebiet der
menschlichen Erkenntnis ergeben.Im Zusammenhang mit
dieser technischen Entwicklung ist die Kybernetik als
Wissenschaft entstanden, die neue, bisher unbekannte
Gesetzmäßigkeiten erforscht. Ihre Untersuchungen sind in
vieler Beziehung von hohem philosophischem Interesse.
Insbesondere bestätigen sie, was uns an dieser Stelle
interessiert, die materialistisch-dialektische
Widerspiegelungstheorie, und tragen dazu bei, diese zu
konkretisieren und zu präzisieren. Andererseits wirft
die technische Kybernetik, die Konstruktion „denkender"
Maschinen, Fragen auf, die das Verhältnis des
Materiellen und Ideellen betreffen. Der Gegenstand der
Kybernetik sind komplizierte dynamische
selbstregulierende Systeme. Ihre Selbstregulierung
erfolgt über Rückkopplungsmechanismen. Zu diesen
Systemen gehören organische, gesellschaftliche und
technische. Sie werden von der Kybernetik unter
einheitlichen Gesichtspunkten untersucht.
Allen diesen Systemen ist gemeinsam, daß sie
Informationen aufnehmen, speichern und verarbeiten.
Die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen ist eine
notwendige Bedingung für die Selbstregulierung dieser
Systeme. Sie üben ihre Funktionen auf Grund von
Informationen aus, die sie entweder aus der Umwelt
aufnehmen oder die von einem ihrer Teilsysteme auf ein
anderes übertragen werden.
Die Informationen sind an Signale gebunden.
Signale sind materielle Prozesse, die für ein bestimmtes
dynamisches System Informationsgehalt haben. (5)
Zum Beispiel erhalten die Regelmechanismen eines
automatischen selbstregulierenden Maschinensystems
laufend Signale (z. B. in Form verschiedenartiger
elektrischer Impulse), die Informationen über den
Arbeitsablauf enthalten und auf Grund derer die Maschine
selbst den weiteren Material- oder Energiezufluß, den
Transport der Werkstücke usw. regelt. Die Kybernetik
geht davon aus, daß es sich bei solchen Prozessen, bei
denen etwa elektrische Impulse gerichtete Regelungen
auslösen, keineswegs lediglich um physikalische
Umwandlungen handelt. Das Wesen der Sache besteht
vielmehr darin, daß physikalische (oder chemische)
Vorgänge als Träger von Informationen fungieren, ohne
die die Selbstregelung des Maschinensystems nicht
erfolgen könnte. Daher können auch sehr geringfügige
Energiemengen, die als Signale fungieren, Prozesse von
gewaltigen Ausmaßen auslösen und regeln. Das heißt aber,
daß es sich hier nicht um Gesetze der Energieumwandlung
handelt. Vielmehr liegen hier spezifische Gesetze der
Informationsübertragung, -aufnähme, -Verarbeitung vor.
Diese Gesetze gelten für alle vorgenannten Systeme.
Gehen wir weiter! Die Information ist im Signal in
einer bestimmten Form enthalten, in einem Code,
der durch das betreffende kybernetische System
„verstanden" werden kann. Zum Beispiel muß eine
mathematische Aufgabe in eine Rechenmaschine, die auf
dem Dualsystem aufgebaut ist, erst dem Dualsystem gemäß
kodifiziert werden. Aber wenn wir die bewußte
Kodifizierung durch den Menschen beiseite lassen, so ist
die Informationsübertragung allgemein wie folgt zu
verstehen: Bestimmte Strukturen des Objekts, von dem das
Signal ausgeht, die in der bestimmten Geordnetheit des
Signals selbst vorhanden sind, werden durch
entsprechende Umstrukturierungen des die Information
erhaltenden Objekts von diesem aufgenommen. Anders
gesagt: Zwischen bestimmten Zuständen der Quelle
der Information, des Signals und des
Empfängers stellen sich Beziehungen struktureller
Ähnlich-1 keit her. Solche Strukturähnlichkeiten nennen
wir Isomorphie. Isomor-phie heißt, daß jedem
Element des einen Systems eindeutig ein Element des
anderen Systems entspricht. Die Aufnahme der Information
durch ein System setzt also bei diesem die Fähigkeit zu
einer strukturellen Isomorphie mit der Seite oder der
Eigenschaft des Gegenstandes voraus, die in der
materiellen Struktur des Signals erscheint.
Zumn Beispiel besteht zwischen der bestimmten
Struktur akustischer Erscheinungen und den
Nervenprozessen, in die sie sich auf dem Wege über den
inneren Apparat des Ohres umsetzen, eine strukturelle
Isomorphie. Isomorphie kann also zwischen physikalisch,
chemisch, biologisch ganz verschiedenartigen Prozessen
oder Erscheinungen vorhanden sein. Die
Informationsübertragung zwischen Objekten erfolgt somit
auf Grund solcher in stofflichenergetischer Hinsicht
verschiedenartiger Isomorphien. Wenn wir die
strukturelle Geordnetheit des Signals den Code der
Information nannten, so unterscheiden wir natürliche und
künstliche Codes. Die künstlichen Codes werden vom
Menschen bei der Informationsübertragung in der
Gesellschaft, z. B. in den Morsezeichen, die dem
Alphabet isomorph sind, geschaffen, aber auch für die
informationsverarbeitenden Maschinen.
Die Kategorien der Information, des Signals und der
Isomorphie konkretisieren die materialistische
Widerspiegelungstheorie. Sie erklären, in welcher Weise
die Widerspiegelung bestimmter Objekte durch andere
Objekte möglich ist. Die informationstragenden Signale
rufen in einem System bestimmte Veränderungen hervor,
die Widerspiegelungen von Zuständen bzw. Prozessen
anderer Systeme darstellen. In den selbstregulierenden
dynamischen Systemen finden die Informationen eine
systemeigene Verarbeitung, sie werden für die Funktionen
dieses Systems ausgewertet.
Die Kybernetik gibt uns neue Beweise für die
materielle Einheit der Welt, insbesondere für die
Einheit des Anorganischen und Organischen. Sie weist
nach, daß Widerspiegelungsprozesse nicht an die
organische Materie gebunden sind. Die Kybernetik
erweitert unsere Erkenntnisse über die materiellen
Grundlagen des menschlichen Denkens.
Die Bindung der menschlichen ideellen Widerspiegelung
der Wirklichkeit an materielle Nervenstrukturen und
-prozesse sowie ihre Bindung an materielle
Erscheinungsformen wie die Sprache, wie Zeichensysteme
überhaupt, ist die Voraussetzung dafür, daß man diese
Widerspiegelung technisch modellieren und imitieren
kann. Dadurch sind wir in der Lage, bestimmte geistige
Tätigkeiten der Menschen maschinell ausführen zu lassen.
Andererseits erschließt uns die erfolgreiche technische
Modellierung von Denkpro-
zessen neue Wege zur Erkenntnis der komplizierten
Gehirntätigkeit selbst. Zwar kann man von der
Arbeitsweise „denkender" Maschinen keine unmittelbaren
Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Gehirns ziehen,
aber sie ist in irgendeiner Form, in irgendeiner
Hinsicht dieser analog und daher für die weitere
Erforschung der Gehirnprozesse von bedeutendem
heuristischen Wert.
Wenn in den kybernetischen Maschinen Denkprozesse
nachgeahmt werden, so gehen in ihnen allerdings nicht
selbst ideelle Prozesse vor sich. Vielmehr werden
ideelle Aufgaben vom Menschen in die Maschine in
materieller Form eingegeben, die Maschine nimmt die
ihrer Konstruktion und dem eingegebenen Programm
entsprechenden Umwandlungen vor, deren Resultat für den
Menschen dann wieder eine ideelle Bedeutung annimmt. In
der Maschine finden tatsächlich nur materielle Vorgänge
statt, die aber Modellierungen ideeller Prozesse
darstellen. Die Möglichkeit solcher Umwandlungen beruht
auf den materiellen Grundlagen des Denkens überhaupt.
Die Kybernetik steht, in theoretischer wie in
technischer Hinsicht, noch in den Anfängen ihrer
Entwicklung. Schon heute sind die kybernetischen
Maschinen nicht nur darauf begrenzt, rein routinemäßige
geistige Prozesse des Menschen zu ersetzen. Es werden
heute bereits selbstorganisierende, „lernende" Maschinen
konstruiert, die ihre Arbeitsweise selbst zu verbessern
vermögen, den besten Weg zur Lösung von Aufgaben
bestimmter Art selbst zu finden vermögen. Es wird im
Prinzip für möglich gehalten, daß Maschinen in
bestimmter Hinsicht auch „schöpferisch" arbeiten.
Angesichts einer solchen Entwicklung und solcher
Perspektiven wurde die Frage aufgeworfen, ob es in
Zukunft nicht möglich sei, Anlagen zu konstruieren, die
echte Denkprozesse vollziehen, in denen in der Tat ein
Denken stattfindet. Diese Frage wird von verschiedenen
Wissenschaftlern bejaht. Dabei wird u. a. so
argumentiert, daß, wenn man auf materialistischem
Standpunkt stehe und das Denken nicht für etwas
Mystisches halte, man auch die Möglichkeit anerkennen
müsse, das Denken maschinell zu reproduzieren,
künstliche Gehirne zu schaffen. Bei Verwendung einer
sehr großen Zahl von Elementen und unter Einschluß
eventuell auch biologischer Elemente sei die Möglichkeit
nicht auszuschließen, Anlagen zu schaffen, die echte
Denkprozesse ausführen und Bewußtsein erlangen. Einer
solchen Annahme muß aber vom philosophischen Standpunkt
widersprochen werden, und zwar, ohne daß man damit das
Denken, das Bewußtsein, für etwas Mystisches hält.
Maschinen, technische Anlagen können nicht denken oder
Bewußtsein entwickeln. Um dies einzusehen, muß man sich
daran erinnern, was wir über die Entstehung und das
Wesen des Denkens und Be-wußtseins in den vorhergehenden
Abschnitten ausgeführt haben. Wir haben betont, daß das
Denken nicht nur die Funktion des Gehirns als eines sehr
komplizierten materiellen Systems ist. Darum handelt es
sich beim Denken nicht nur um die Frage eines Apparates,
und habe er einen noch so großen Umfang von
Wechselbeziehungen mit der Umwelt. Die Entwicklung des
Denkens setzt die gesellschaftliche Produktion, den
gesamtgesellschaftlichen Verkehr, die gesellschaftlichen
Bedürfnisse voraus. Aus der gesellschaftlichen Praxis
erfolgen die Antriebe des Denkens, ergeben sich die zu
lösenden geistigen Aufgaben. Wie wir in den
vorhergehenden Abschnitten besonders hervorgehoben
haben, ist das Denken letzten Endes ein
gesamtgesellschaftlicher, mit der Praxis untrennbar
verbundener Prozeß, wenn es sich auch in den einzelnen
Gehirnen der Gesellschaftsmitglieder realisiert. Das
Bewußtsein hat seinem Wesen nach kollektiven Charakter.
Wenn man diesen marxistischen Standpunkt anerkennt, so
sollte man sich mechanistische, vulgärmaterialistische
oder auch positivistische Argumentationen in Bezug auf
denkende künstliche Anlagen nicht zu eigen machen.
Maschinen können weder zur Umwelt, noch unter sich, noch
zu den Menschen bewußte Beziehungen herstellen. Sie
können auch nicht, eine Vorstellung, die besonders
imperialistischem Denken entspringt, eines Tages ihre
Herrschaft über die Menschen errichten.
Die Maschinen, mögen sie noch so kompliziert
konstruiert sein, und mögen sie noch so komplizierte
Aufgaben zu lösen vermögen, werden von Menschen
hergestellt und erhalten ihre Aufgaben vom Menschen. Die
Maschinen sind immer nur Hilfsmittel der menschlichen
Gesellschaft in ihrer Höherentwicklung.
Man hat die herkömmlichen Maschinen treffend als eine
Organverlängerung des Menschen bezeichnet. So
stellt z. B. ein moderner Kran einen ins Riesenhafte
vergrößerten menschlichen Arm dar. Analog sind die
Maschinen, Anlagen, die geistige Arbeit zu imitieren,
geistige Aufgaben dem Menschen abzunehmen vermögen,
Organverlängerungen des menschlichen Gehirns. Sie werden
jeweils für bestimmte Zwecke, für einen bestimmten
Bereich von Aufgaben oder Funktionen konstruiert, die
sie besser, unvergleichlich schneller und zuverlässiger
bewältigen können als der Mensch. Sie potenzieren die
menschlichen geistigen Fähigkeiten. Sie sind aber keine
selbstdenkenden, den Menschen überflügelnden (oder die
Menschen gar einmal beherrschenden) Wesen. Sie bleiben
Werkzeuge des vergesellschafteten Menschen, der
menschlichen Gesellschaft. Sie dienen in hohem Maße der
Steigerung der Produktion und des gesellschaftlichen
Wohlstands, und sie dienen der Erhöhung der menschlichen
Erkenntnismöglichkeiten.
Fußnoten
5) Der Begriff des Signals ist hier nicht identisch
mit dem physiologischen Signalbegriff bei
I. P. Pawlow, der im Zusammenhang
mit der Erklärung des bedingten Reflexes seine
spezifische Bedeutung hat (eine biologisch an sich
indifferente Erscheinung kann als Signal dienen für eine
biologisch wichtige Tatsache). Der kybernetische
Signalbegriff bezieht sich auf jede materielle
Erscheinung, die für irgendein kybernetisches System
Informationsträger ist. In gewisser Hinsicht, jedoch
nicht in ihrer spezifischen Bedeutung, sind die
Pawlow-schen Signale auch solche im Sinne der
Kybernetik.
Editorische Hinweise
Wir entnahmen den Text: Rugard Otto
Gropp, Grundlagen des dialektischen Materialismus,
Berlin 1979, S, 71-75