Sozialrevolutionäres Stadtentwicklungsprogramm. Der Zweijahres-Plan ”Stadt übernehmen“
Programmatischer Vorschlag für eine sozialrevolutionäre Perspektive in Berlin. Irrtum inbegriffen.


von Referat für Verbrechensbekämpfung (Berlin 2010)

06/11

trend
onlinezeitung

Gentrifizierung ärgert uns. Wir leiden unter steigenden Mieten, schwindendem Lebensraum für uns und andere, meist ärmere Bevölkerungsschichten, und unter der Zerstörung unserer gewachsenen sozialen Zusammenhänge und unkontrollierten, manchmal subversiven Freiräume.

Fragen, nur zum Teil beantwortet

Versuchen wir uns in einer radikalen, sozialrevolutionären, anarchistischen Annäherung an folgende Fragen: Mit wem zusammen können wir um die Stadt kämpfen (Wer sind die Subjekte)? Gibt es Besetzungsformen, die nicht subkulturell verhaftet und somit geschlossen und starr sind? Sondern breiten Schichten der Ausgegrenzten – einschließlich uns – eine Perspektive bieten?
Wie könnten heute kollektive Lebensformen aussehen, so dass Kinder nicht immer in den Sicherheitskonzeptionen ihrer Eltern gefangen bleiben, die in verbürgerlichten Lebensvorstellungen enden? Kann das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Sicherheit emanzipativ aufgehoben werden? Gibt es Perspektiven, dem Markt Ressourcen zu entreißen und sie zu vergesellschaften statt immer tiefer gehend alles – einschließlich unserer sozialen Beziehungen – zu Kapital zu transformieren? In einer Mischung aus Kampf, Aneignung von unten und auch der kreativen Nutzung von Gesetzen? Oder lässt der Neoliberalismus mit seiner Absorptionsfähigkeit gar keine soziale Lücke? Sind wir in der Lage zu einer sozialen Bewegung zu werden, die auf außerparlamentarische, militante und sozialrevolutionäre Weise Vorschläge entwickelt und gegen den Mainstream neoliberaler rot-roter oder sonstiger Senate durchzusetzen bereit ist? Gibt es zu berücksichtigende Brüche und Widersprüche innerhalb der herrschenden Klasse und Formation? Sind wir bereit für eine Diskussion, mehr Verantwortung für die Gestaltung der Stadt zu übernehmen und über die Verneinung des Bestehenden hinausgehend eigene radikale Perspektiven zu formulieren?

Ziel

Wir sehen uns als Gegner_innen der Gentrifizierung herausgefordert. Es geht darum, eine politisch-militante Strategie zu entwickeln, die sozial an Breite und Sichtbarkeit gewinnt, die die Privatisierungspolitik der korrupten Senate erfolgreich blockiert und die beabsichtigte Verdrängung der Armen in die Ringbahnaußenbezirke radikal unterbricht.

Begriff

”Sozialrevolutionär-anarchistisch“ umschreibt in diesem Text die Vorstellung umfassender gesellschaftlicher Umwälzung auf sozialer Basis. Dieser Vorstellung liegt kein Avantgarde-Konzept zugrunde, das die Menschen als Massenbasis braucht und benutzt, um eine wie auch immer geartete Macht zu erringen.
”Sozialrevolutionär-anarchistisch“ ist Methode und Utopie zugleich. Wir lernen mit den Menschen, mit denen wir einen gemeinsamen Kampf gegen die Verhältnisse entwickeln wollen und umgekehrt – und setzen auf Selbstorganisierung und Verbreiterung emanzipativen Denkens in der Gesellschaft – um auf einer starken sozialen Basis alle Machtfunktionen auszuhebeln und unbrauchbar zu machen. Im Widerstehen gegen die Verhältnisse auf gesellschaftlich umkämpften Feldern entstehen in Verbindung mit anderen Menschen kleine temporär befreite Räume und soziale Verhältnisse, die es auszuweiten gilt.

These

Eine sozialrevolutionäre militante Perspektive in dieser Stadt ist der erklärte Angriff auf die unternehmerische und neoliberale Stadt der Verwertung und Vereinzelung. Ohne eine solche Perspektive bleibt uns keine Hoffnung, die wir mit anderen Bevölkerungsschichten von Mieterhöhung, Repressionen, Zwangsumzügen und Verdrängung betroffen sind. Ohne eine solche Perspektive gibt es auch keine Chance, subkulturelle Strukturen langfristig erfolgreich zu verteidigen. Von einer befreiten Gesellschaft ganz zu schweigen.

Militanz und Gentrifizierung

Militanz ist für uns ein politischer Begriff, der selbstredend militante Aktionen als politisches Mittel im Kampf einschließt, aber längst nicht die gesamte Palette einer militanten Bewegung ausmacht. Militante Aktionen müssen innerhalb einer militanten, sozialrevolutionären und anarchistischen Bewegung auch fassbar sein und sich politischer Kritik stellen, wenn sie bspw. einen politisch ungenauen, elitären, militaristischen, antiemanzipativen etc. Charakter annehmen.
Die eine richtige Strategie gibt es nicht. Viele richtige Ansätze weisen in die Richtung, die uns vorschwebt: Häuser in Syndikatbesitz zu vergesellschaften ebenso wie 300 flambierte Hochpreiskarossen...
Die Presse übersetzt letztere als Äußerung gegen Gentrifizierung und Kampfansage an die reichen Gewinner_innen des städtischen Ausverkaufs von Lebensraum. Entspringen die brennenden Autos auch nicht unbedingt einer konzeptionell aus einem Guss bestehenden militanten Strategie – und das ist ja auch gut so, auch wenn mangelnde Vermittlung und Einbindung als Problem zu diskutieren ist –, so muss man den Akteur_innen auf jeden Fall lobend zur Seite stehen, diese unterstützen und offensiv gegen Kriminalisierung verteidigen. Ohne diese flammenden Statements wäre Gentrifizierung (oder besser: steigende Mieten) immer noch kein derart politisiertes Thema in der Stadt. Erst jetzt stürzen sich auch die Mitverursacher wie Linkspartei, Grüne und SPD auf das Thema. Angehalten vom Verfassungsschutz werden diese sich des Themas auf ihre Weise annehmen, um der militanten Offensive und der mehr oder weniger klammheimlichen Sympathiewelle, wie sie sich vor allem auf Veranstaltungen zum Thema zeigt, in der Bevölkerung das Wasser ab zu graben. Denn die symbolische Wirkung brennender Autos und beschädigter Luxusbaustellen begünstigt eine Antigentrifizierungsstimmung und ein ebensolches Klima, das über die Stadtgrenzen hinaus für Furore sorgt. Spannend zu sehen wäre, wie eine Strategie von Militanten aussähe, die über symbolische Statements hinaus in das Stadtgeschehen eingreifen könnte.

Gebt der Mittelschicht Heroin und Zunder

Die Verdrängung ärmerer Schichten läuft auf Hochtouren. In allen Stadtteilen, die wir beobachten. Die Verdrängung hat rapide an Fahrt zugenommen, der Trend kennt keine zeitliche und kaum räumliche Fixierung; und keinen Endpunkt. Verdrängung wabert in der gesamten Stadt.
Die Stadt wird aufbereitet für die sozialen Subjekte des Neoliberalismus – die Singlekreativen: flexibel, aggressiv im schnellen Aufspüren verwertbarer Ideen und Trends – und die ökobürgerlichen Kleinfamilien: die neue gehobene Mittelschicht, von der sich das liberale Bürgertum ihre Wiedergeburt als Klasse erhofft. Konservativ war einmal. Kapitalismus ist jetzt Öko.
Sie kaufen/bauen Eigentumshäuser oder zahlen jeden Preis für Wohnungen in trendigen Bezirken. Berlin-Mitte ist überall. Verdrängung ist kein Zufall sondern wird durch Politik und Verwertungsinteressen gesteuert. Der im Sanierungsbezirk aufgehübschte Kinderspielplatz ist kein neutraler Ort, er erfüllt eine Funktion: Unter anderem dort vernetzt sich die neue Mittelschicht. Die Wertvollen. Ebenso erfüllen die Bullen am Kotti ihren Zweck mit ihren Schikanen und Brutalitäten, mit ihrer Überwachung: Verdrängung der Junkies – der Nichtverwertbaren, Überflüssigen. Sozialen Wohnungsbau gibt's schon lange keinen mehr in dieser Stadt, wir steuern zusehends auf eine Wohnungsknappheit zu, und damit auf Mieterhöhungen und Verdrängung, die sich längst nicht mehr nur auf einige Aufwertungskieze beschränken.
Dafür heißt Junge Reyer jetzt mit Mittelnamen Baugruppe. Wer hat, dem wird gegeben: Privateigentum wird heute per Baugruppenförderung subventioniert. Stadtentwicklung von oben setzt mittlerweile ausschließlich auf diesen noch immer bei vielen als ein kleineres Übel wahrgenommenen Ansatz. Und Wowereit macht während dessen den Partydeppen für die Brachialabzocker von Media Spree. Die Leuchtreklame der O2 Arena markiert den Besitzanspruch des Neoliberalismus auf die Stadt.
Auf der anderen Seite die Ausgegrenzten und nicht Verwertbaren also, die in der hübschen Innenstadtwelt der Gewinner_innen nix zu suchen haben, außer vielleicht als Lohnsklaven, zum Putzen, Wachschützen, Hunde ausführen und Kellnern. Für diese Leute sollen die Innenstadtbezirke kein Wohnort mehr sein. Hier stören sie auch nur, verderben das Bild mit ärmlichen Lebensweisen, mit Kulissen der Unsicherheit. Deswegen ist es kein Systemunfall, sondern Projekt, die Marginaliserten aus der Innenstadt raus zu kriegen. Raus an die Ränder, die nicht wichtig sind für die Stadt als Laufsteg und Lebensraum der Gewinner_innen, als Aushängeschild des Wirtschaftsstandorts, als Anziehungspunkt für den Tourismus.

”Was machst Du?“ – ”Alter, ich harze.“

Die Überflüssigen in der neoliberalen Dynamik haben keine klare Identität. ”Ich bin Hartz 4“ drückt bei aller Absurdität am ehesten eine materielle und identitäre Gemeinsamkeit aus. Die Eigentumsfrage und die Einkommensfrage sind zentraler Bestandteil bei der Bestimmung einer sozialrevolutionären Perspektive ”Stadt übernehmen“. Das wird keine Zuckerschlecken – aber eine Alternative gibt es nicht.
”Gentrifizierung für alle“ ist totaler Quatsch, sollte das jenseits der populistischen Utopie irgendwie als ernsthafte Anregung gedacht sein. ”Gentrifizierung für alle“ oder ”Luxus für alle“ kleistert die Klassenwidersprüche zu. ”Gentrifizierung für alle“ oder ”Luxus für alle“ gibt's erst in der befreiten Gesellschaft. Es sind utopische Zielvorgaben. Und wenn es dann erstmal soweit ist, wird Luxus auch ganz anders aussehen. Bzw. irrelevant sein. Daher taugen die Hinweise auf diese Ziele wenig bis nichts für den Weg dorthin. Weil nämlich das, was unter herrschenden Bedingungen gemeinhin als Luxus klassifiziert wird, immer diejenigen voraussetzt, die ihn für andere erarbeitet haben – und seien es die Menschen in den Billiglohnländern, auf deren Knochen wir keinen Antigentrifizierungskampf lostreten wollen.
Es geht nicht um eine Arbeiter_innenklasse, die ist futsch. Der Neoliberalismus bildet vielmehr verschiedene Subjekte heraus mit unterschiedlichen Lebensrealitäten, den reinen Hartz-4-Empfänger, die Migrantin, die illegal putzt, den Hartz-4-beziehenden Jobber, den Studi etc. Deren Realitäten sind komplett unterschiedlich; eine gemeinsame Identität ergibt sich nicht zwangsläufig oder einfach so.
Aber die Realitäten können zusammengeführt werden und Vereinzelungen aufgebrochen werden an sozialen Fragen – wie Mietkämpfen. Die Subjekte sind kein abstraktes Etwas, sondern wir selber; und Deine und meine Nachbarin. Und doch sind es nie alle in meiner Straße, in der auch die ökoliberalen, doppelverdienenden Zweikindfamilien und die Kreativyuppies, neureiche Mittelstandkids, der sozialblinde Architekt, die klassenkämpfende Unternehmensberaterin etc. wohnen.
Der Riss geht mitten durch die Stadt, die Brüche sind zu benennen und der entlang dieser Brüche verlaufende ”Klassenkampf von oben“ zu skandalisieren. Die Stadt ist längst gespalten, in jene deren Geld in der Innenstadt ”arbeiten“ soll, und die anderen, die in einem Prozess, schleichend und über Jahre, an die Außenbezirke gedrückt werden und von dort ”arbeiten“ sollen.
Den Bruch auch von unten zu vollziehen, heißt: Yuppies, Mittelschicht und Eliten Druck zu machen mit dem Ziel sie zu verdrängen. Direkt und praktisch. Das Leben darf den Vertreter_innen von Kapital und Ordnungspolitik, ob im Öko- oder von-Guttenberg-Look, keine Freude mehr machen. Jene, die mit ihrer arroganten Lebensweise brechen und mit uns nach Lösungen für ein solidarisches Leben eintreten, sind willkommen. Die real existierenden Widersprüche sind keine Ausrede, sich allen Gegebenheiten hinzugeben, sondern bleiben Anlass dafür, dass wir uns immer wieder entscheiden müssen: Was tue ich, was tun wir? Was bewirke ich, was bewirken wir dadurch? Und: Wo positioniere ich mich, wir uns – durch unsere Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen? Wie kann ich mich selbst revolutionieren, um auf der Seite derer mit zu kämpfen, die ausgegrenzt und verdrängt werden, obwohl ich (noch) nicht zu diesen gehöre?
Und wie also eine unmissverständliche Kritik und einen sozialen Umgang einfordern ohne den Kontakt zu und die Auseinandersetzungen mit den Kritisierten völlig abzubrechen?

Kommt zusammen – lernt Euch kennen... Zusammen?

Um zusammen zu kommen, müssen wir kommunizieren! Das ist zentral! Wie teuer ist Deine Wohnung, wieviel Einkommen hat die Nachbarin, wo überschneiden sich Interessen und Möglichkeiten? Wo verläuft der Bruch?
Eigentum und Einkommen sind Mittel, Zweck und Strategie zur Ausgrenzung. Die Häuserbauer_innen etwa haben zwar zum Teil die gleiche Sprache und vermeintlich gleiche soziale Wurzeln. Doch ihr strategisches Setzen auf Privateigentum trennt.
Die von uns vorgeschlagene Organisierung zielt auf die Zusammenarbeit der vom neoliberalen Verwertungsprozess Ausgegrenzten und nicht auf die der sich herausbildenden Gewinner_innen. Letztere organisieren sich sowieso. Gegen uns. Bewusste Brüche mit einer ökoliberalen eigentumshäuslebauenden Mittelschicht sind unvermeidlich. Die alte vermeintlich gemeinsame Sprache und Kultur stimmt nicht mehr – ihre Sprache hat heute schon langsam einen hohlen Klang. Und wir werden unsere Sprache neu entwickeln. Das beinhaltet neben der Entwicklung radikaler Orientierungslinien eben nicht, den Marsch in die Isolation anzutreten und nur noch mit denen zu diskutieren, mit denen wir eh einer Meinung sind, sondern im Gegenteil: die Diskussionen von einem radikalen Standpunkt aus mit uns wichtigen Freunden und Freundinnen zu führen und den radikalen Standpunkt auch zu vertreten, statt ihn aus taktischen Gründen oder Gründen der Höflichkeit abzumildern.

Doch mit diesem Ansatz – dem neoliberalen Unternehmen Stadt eine sozialrevolutionäre Perspektive entgegen zu setzen – sind Konflikte innerhalb der Linken vorgezeichnet. Linke, die sich einerseits gemein mit ausgegrenzten Schichten machen wollen – aber Erbe, Vermögen, sichere Einkommen verschweigen und ihre sozialen Ressourcen in Form von Qualifikationen und Verbindungen nicht offenlegen. Diese müssen sich fragen lassen, wie aus solch einer Haltung eine gemeinsame Basis zum Handeln entstehen kann mit den Ausgegrenzten ohne jede ”Sicherheiten“. Es geht auch nicht an, dass Linke einerseits auf Sozialkampf tun, dann aber Eigentumshäuslebauer_innen verteidigen, weil sie womöglich selber in diese Richtung schielen, sich soziale Sicherheit selbst schon gar nicht mehr anders als im Privateigentum vorstellen können. Und Linke, die den Schulterschluss mit der Partei ”Die Linke“ suchen, machen sich gemein mit denen, die als Regierende in dieser Stadt die Ausgrenzung durch Privatisierungs- und Gentrifizierungspolitik mit-organisieren und mit-tragen, also mit zu verantworten haben. Bündnisarbeit kann zwar ein erforderlicher Bestandteil größerer Mobilisierungskampagnen sein, aber es ist eben nur ein Bündnis an einzelnen Aspekten. Eine strukturelle Verwischung mit Gruppen, die eine neoliberale Politik mit-tragen, lehnen wir ebenso ab wie sich von den Geldtöpfen der Stiftungen, Senatsprogramme und Parteien abhängig zu machen.
Der Konflikt als solcher ist nicht Unterschicht gegen Mittelschicht, er lässt sich auch nicht am Einkommen ablesen – doch wer seine Ressourcen nicht transparent macht, heuchelt Gemeinsamkeiten, denen die reale Grundlage fehlt und die notwendige Bündnisse unmöglich bzw. von Anfang an instabil machen.
Der soziale Angriff von oben braucht eine offensive Gegenwehr und Organisierung von unten, die nur tragfähig sein kann, wenn der organisierte Widerstand auf der Grundlage von Gemeinsamkeiten entstanden ist – also auf der Grundlage von Vertrauensverhältnissen. Die sozialen ökonomischen Differenzen sind im Neoliberalismus weit größer als beispielsweise zu Zeiten, als der Wedding noch ein reines Arbeiter_innenviertel war.

Antiautoritäre, außerparlamentarische Strukturen

Braucht es nicht ein soziales Vernetzungsforum, das strategische Reflektionen ermöglicht? Dies muss unbedingt in a) außerparlamentarischen und b) antihierarchischen Strukturen angelegt sein, um emanzipative Kämpfe vorwärts bringen zu können.
 a) weil Gruppen mit Parteianbindung etc. aufgrund von Abhängigkeiten zur opportunistischen Praxis neigen und Widerstand als Event simulieren oder einbinden.
 b) weil gerade das Beispiel ”Media-Spree versenken“ gezeigt hat, wie ein ursprünglich als außerparlamentarische Initiative angelegtes Vorhaben von einer machtpolitisch fixierten Person dominiert werden konnte, die sich als Sprecher und Chef aufspielte und den Kampf gegen eine auf Prestigekommerzkultur geprägte Stadtpolitik in die seichten Gewässer von Diskussionen um 50m Spreeuferabstand umlenkte.

Herrschende Klasse Pfui Bäh

Es gibt keine ernsthaften politischen Forderungen an die politischen Klassen zu stellen. Das neoliberale Projekt mit seiner Dynamik und den daraus abgeleiteten politischen Diktaten, meist als ”Sachzwänge“ verkleidet und entpolitisiert, lässt keine Spielräume. Wer sollte Adressat einer Forderung sein, z.B. von ”Umwandlung leerstehender Bürogebäude in Wohnraum, statt Stadtvillen und Eigentumshäuser auf den letzten Brachflächen!“? Bestenfalls unsere eigene Fantasie können wir vielleicht mit solchen Parolen in Gang bringen: Warum nicht mal wieder ein Bürohaus besetzen, früher waren's die Fabriketagen... Richten wir solche politischen Forderungen jedoch ernstgemeint an jene, die gerade das Interesse an der Bewusstlosigkeit der Ausgegrenzten haben und das mit ”Armut ist sexy“ noch unterstreichen, werden wir den Realitäten in der Stadt nicht gerecht. Unsere Hauptforderung richtet sich an uns selbst – an die Selbstorganisierung mit anderen Subjekten über den Szenetopf hinaus, zum Ziel eines entschiedenen Widerstandes gegen das Modell Unternehmen Stadt.

Selbstorganisierung und die Versuche dahin werden auf mindestens drei Ebenen Druck von oben erfahren:
  a) Die Politik wird alles dafür tun, sich an die Spitze solcher Prozesse zu setzen – oder sie verteufeln, wenn das nicht klappt, weil eine erfolgreiche Selbstorganisierung die Machtstrukturen außer Kraft setzen würde.
  b) Die Presse wird der Öffentlichkeit Sand in den Augen streuen, um möglichst viele Menschen an die Denkweise zu binden, die gerade Sache ist. Nicht unbedingt vorsätzlich und nach Masterplan, aber im Rahmen einer Dynamik kapitalistisch verfasster Berichterstattungsfirmen, deren Eigentümer ein eigenes Interesse an der Aufrechterhaltung der herrschenden Verhältnisse haben. Daher werden die Worte von Politiker_innen immer einen anderen Stellenwert bekommen, als wenn Menschen anfangen, über ihre eigenen Interessen zu bestimmen, wenn sie grundsätzlich anders vorgehen und nicht mehr um Erlaubnis fragen.
c) Der dritte reaktionäre Impuls kommt aus dem Teil der Linken, der angepasst, bzw. karrierefixiert unterwegs ist und eigene Interessen verfolgt. Das führt zu dem Versuch, Selbstorganisierungsprozesse an der Basis zu dominieren, in geregelte Bahnen zu lenken, zu kontrollieren und zu manipulieren.
Dieser dritte Komplex ist ein besonderes Problem für eine radikale, antagonistische, emanzipative und militante Bewegung, weil darüber in dieser Stadt nicht geredet wird. Zu viele Seilschaften, Identitäts- und Label-Politiken, interessengeleitete Motive und soziale Querverbindungen verhindern bisher eine offene und direkte Aussprache, die uns zu neuem politischen Bewusstsein verhelfen könnte. Lieber wird an ominöse Gemeinsamkeiten angeknüpft und auf dubiose Unterstützungsleistungen gehofft, anstelle einer inhaltlichen Kritik – die auch zu Konsequenzen führen kann.

Des Kaisers soziale Stadt: Konsum, Geld, Eventkultur, Tourismus...

Der von uns vorgeschlagene politische Angriff zielt auf die Eliten und TrägerInnen der neoliberalen Umwälzung – der Privatisierung; der Eigentumsbildung; der Verdrängung; der Renditeprojekte, die uns in unserem Lebensraum die Luft nehmen. Wir brauchen kreativen Witz und subversive Freude, diese Stadt in einen Experimentierort zur Störung neoliberaler Entwicklungen zu verwandeln. Zur Freude der Menschen in anderen Regionen und Ländern und mit gelebten Beispiel zum Widerstand.
Unser Projekt heißt ”die Stadt übernehmen“, und zwar als ”soziale Stadt“. Was sich fast sozialdemokratisch anhört, ist in seiner Bedeutung sozialrevolutionär – weil der kriegerische Neoliberalismus alles Soziale zerstört. Dass es ein Kampfbegriff der Gegenseite ist, um unter diesem Label die Stadt so zu strukturieren, wie die neoliberalen Anforderungen es erforderlich machen, zeigt nur deren Zynismus. Die ”soziale Stadt“ als Begriff der Herrschenden dient zu nichts anderem als dazu, die Spur des zerstörerischen neoliberalen Projekts zu verwischen. Es klingt so überzeugend, weil Sozialdemokraten und Sozialisten gemeinsam das neoliberale Projekt in dieser Stadt durchpeitschen. Nach diesem Muster werden Begriffe besetzt und umgeformt und Ohnmacht reproduziert, wenn wir diese nicht sozial, praktisch, im Alltag und militant zurück holen und selbst mit Leben füllen. Ob wir diesen Begriff als Begriff zurückerobern wollen, ist zweitrangig – wichtig ist es, die Lügen der Gegenseite zu entkleiden und eine soziale und militante Perspektive anzubieten, die von den Ausgegrenzten dieser Stadt als ihre soziale Perspektive angenommen werden kann. Eine Perspektive, wie wir das Soziale in der Stadt wieder aufbauen.

An welchen identifizierbaren Orten wollen wir, möglichst als sehr breite und politisch radikale Bündnisse, zu politischem Widerspruch, Aktionen und Angriffen zusammenkommen? Um an einem solchen Ort, zentraler Demonstration, Blockade, Aktion, Raumaneignung etc. die Sichtbarkeit einer radikalen und militanten Antigentrifizierungsbewegung herzustellen. Es geht also um mehr, als Orte zu erobern und so den Einflussbereich einer links-subkulturellen Szene zu verbreitern, sondern um Räume des Austauschs und der Begegnung mit den Ausgegrenzten. Um Aktionen und Angriffe auf neoliberale Projekte, die sich breiter vermitteln als nur in eine Szene der Aktivist_innen hinein. Ohne dabei Abstriche in der Radikalität von Positionen und Handlungsweisen zu machen.

”Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Marmelade Fett enthält...“

Gentrifizierung – das ist gerade ein umkämpfter Begriff, der gerne akademisch besetzt die Brutalität der Verdrängung verschleiert. Wir haben Zweifel an der Weise, wie der Begriff oft benutzt wird und mit einer Selbstverständlichkeit eingesetzt wird, als verbänden alle die selbe Vorstellung damit. Durch vor allem militante Aktionen wie brennende Autos, Carlofts, WBA-Aktionen, aber auch ”Media Spree versenken“, Squat Tempelhof, O2-World- und Mietenstoppdemos ist ein Feld politisch besetzt worden, das nun ”Experten“ auf den Plan ruft. Die Statements einer nicht fassbaren militanten Bewegung gegen Nobelkarrossen, die ein Ausdruck von etwas sind, wollen ja interpretiert und verstanden werden. Erst dann sind sie bekämpfbar bzw. integrierbar. Nun beginnen also die Soziologen, Mietexperten, Senatsfuzzies oder Politiker_innen zu schwatzen. Wir müssen immer aufpassen, welche Begriffe überhaupt noch die unseren sind.
Die soziologische Aufsplitterung beispielsweise in verschiedene Phasen und Akteure von Gentrifizierung legt ein Zwangsläufigkeit fest, als sei diese nicht aufzuhalten, weil jedes Subjekt schon Teil der Gentrifizierung ist. Es tut so, als seien die subversiven, kreativen und sozial schwachen Schichten jene Pioniere, die den Anfangspunkt für die Aufwertung eines ”heruntergekommenen“ Viertels setzen. Diese Personalisierung blendet die Verhältnisse aus, die diese Menschen zwangen, sich nach billigen Orten umzuschauen. Sie führt dazu, dass dann linke Mittelstandskids betroffen in ihren neuen Szenetreffs sitzen, weil auch sie dynamischer Teil der Gentrifizierung seien. Die Personalisierung führt entweder zu Schuldgefühlen oder Zynismus, in jedem Fall jedoch erscheint die Situation ausweglos und die ”Betroffenen“ verurteilen sich mit dieser Sichtweise zur Passivität. Anstatt sich mit anderen im Viertel zu verbinden, mit den Menschen, mit den sozialen Realitäten, und konkret gemeinsamen Widerstand zu organisieren, wird letztlich nur die eigene linke oder pseudolinke Identität und bestenfalls die daran anschließende Subkultur als Praxis gepflegt. Egal wo wer hinzieht, er/sie kann sich entscheiden, wie sie in dem Kiez lebt und wirkt, ohne Teil von Gentrifizierung zu sein. Wir sind handelnde Subjekte. Wir werden nicht gelebt vom Neoliberalismus, wenn wir uns dagegen entscheiden.
Darüber hinaus entgehen dem Begriff der Gentrifizierung die Viertel, Quartiere und Kieze, in denen gerade kein Run auf geile Wohnungen stattfindet und auch keine erkennbare Umschichtung der Bevölkerung. Sollen dies Orte für einen sozialrevolutionären Kampf außer acht gelassen werden, bloß weil die ökoliberale Mittelschicht oder die Investoren dort nicht einfallen? Gibt es deshalb dort weniger soziale Missstände und Nöte? Geht der Begriff Gentrifizierung als Kampfbegriff nicht gerade an zentralen sozialen Fragen vorbei? Zeigt sich nicht gerade durch diese konzeptionelle Blindheit der akademischen Begrifflichkeit, dass der Begriff als politischer stumpf ist? Wieso sollen die Armen und Ausgegrenzten in Marzahn nicht Teil eines Kampfes sein oder werden können, oder die RentnerInnen in ehemaligen gemeinnützigen Zehlendorfer Wohnblocks, die sich ausrechnen können, dass die Rente mit dem kontinuierlichen Anstieg der Miete nicht mithalten wird? Und dass sie wegziehen werden müssen.
Gentrifizierung beschreibt also lediglich ein ziemlich eingegrenztes soziales Phänomen. Ohne Attribut sagt er gar nichts darüber aus, was die Ursachen sind, wer sich durchsetzt und wohin die Reise geht. Wir wehren uns gegen kapitalistische, neoliberale Gentrifizierung, gegen deregulierten Wohnungsmarkt, geplanten und administrativ erzeugten Wohnungsmangel, staatliche Baupolitik, die nur Vermögende fördert. Soziale Polarisierung, die Tatsache dass eine Mittelschicht in die Innenstadt drängt und sich dort in den attraktiven Bezirken gegen die Ärmeren durchsetzt, macht diese Gentrifizierung aus. Nur in diesen umkämpften Bezirken wird der Konflikt sichtbar, wird darüber politisiert und offen ausgetragen. Die Armen in besagten anderen Vierteln jedoch werden in einem entlang des Gentrifizierungsbegriffes gestalteten Kampf überhaupt nicht mitgedacht und mitgenommen, zur Organisierung eingeladen...
Wenn wir Gentrifizierung als Begriff in seiner ganzen Fragwürdigkeit benutzen, dann nur als einen provisorischen Kampfbegriff, der in den Kiezen der Gentrifizierung bedingt taugt, mit dem Ziel, unseren Kämpfen überhaupt erstmal einen Namen zu geben und ausgehend von unseren Kämpfen einen Flächenbrand zu entzünden, der andere Kieze entflammt, die keinem Gentrifizierungsprozess unterliegen.
In diesem Text steht der Begriff der Gentrifizierung für das Phänomen der Verdrängung unliebsamer, nicht oder schwer zu verwertender Menschen. Subjekte, die im ”Aufwertungs“prozess der Kieze bewusst den neuen verwertbareren Einkommensschichten weichen sollen. Dieser Prozess ist gewollt und wird gesteuert z.B. über Erteilungen und Versagen von Baugenehmigungen, Baulückenmanagment, Steuererleichterungen, Subventionen für

Öko-Bauweisen, über die bewusste Verschleierung der Mieterhöhungen durch die Wasserträger in der Politik. Hinein spielen die Aufbereitung der Kieze für die ökoliberale Mittelschicht (”Sanierungsgebiet“), Abmontage der Bänke die vorwiegend von Alkis besetzt sind, Razzien bei Drogis, Errichtung von Kinderspielplätzen, Quartiersmanagment, ”Task Forces“ usw.

Der Kurs einiger Linker, vor diesem Hintergrund z.B. mit Bezirksbürgermeister Schulz (Friedrichshain/Kreuzberg) bestimmte Projekte zu beeinflussen oder schützen zu wollen, drückt unter anderem Ohnmacht und Konzeptionslosigkeit aus. Wer sich von der Gnade von Politiker_innen abhängig macht und so hofft, sein Projekt durchzubringen, betreibt eine entwürdigende und entsolidarisierende Praxis. Wir haben die Kraft, die Politik zu zwingen, das Gespräch mit uns zu suchen statt umgekehrt, wenn wir uns dieser Kraft bewusst werden. Und, das ist das entscheidende, wir haben auch die Kraft diese Gesprächsgesuche auszuschlagen und die sozialen Auseinandersetzungen weiter zu revolutionieren. Weil es um noch weit mehr geht als ein Verdrängungsstopp ärmerer Schichten aus der Innenstadt.
Wollen wir nur die Verdrängungsprozesse etwas abfedern, dann können wir mit der Politik kuscheln und Lobbyarbeit für diverse Projekte betreiben. Nicht jedoch wenn wir unserem Zorn folgen wollen, der sich aus der Einschränkung unserer eigenen Lebensmöglichkeiten als Konsequenz z.B. der Schweinereien des Senats ergibt: Menschen, ihre Fähigkeiten und Verhältnisse werden auf ihre Verwertbarkeit als Sozialkapital und Standortfaktor geprüft und je nach ihren Möglichkeiten verschieden bewertet: Daumen hoch oder runter, ins Töpfchen oder ins Kröpfchen.
Milieus, die für die neoliberale Stadtpolitik wertvoll erscheinen, werden vom Senat umworben. Für sie wird die Innenstadt als Wohn-, Lohnarbeits- und Konsumraum aufgehübscht und befriedet. Wer da nicht reinpasst, muss sehen, wo er/sie bleibt. Vermittelt wird die Verdrängung, das Rausfliegen aus der aufgehübschten Innenstadt, über die Mieten, die im Rahmen der Aufwertung in die Höhe steigen. Wer sie noch zahlen kann, darf gern auf der gesellschaftlichen Sonnenseite leben bleiben und ist gleichzeitig angetrieben, sich vorteilhaft in den urbanen Verwertungsprozess einzubringen. Die dabei sichergestellten immensen Gewinne der Immobilienwirtschaft sind Nebensache. Wer mit den Mieten nicht mithalten kann oder das nötige Kleingeld nicht parat hat, sich rechtzeitig eine Eigentumswohnung zu sichern, darf am eigenen Leib spüren, dass Verdrängung eine Form von Gewalt ist. Eine Gewalt, die vordergründig unpersönlich durch den Wohnungsmarkt vermittelt ist, die aber trotzdem Ergebnis politischen Handelns ist, Ergebnis von Interessen und Kalkül.

Gestaltung der Stadt als militante Verantwortung

Gegen diese soziale Kälte und Brutalität bleibt uns nichts anderes, als die sozial-revolutionäre Organisierung, Verankerung, Vermassung von Widerstand anzugehen. Dass über das Abbrennen von fetten Autos die Wut gegen Gentrifizierung bzw. die sozialen Sauereien einen Ausdruck findet und die Politik mittlerweile gezwungen ist, sich dazu zu verhalten, sollte der im weitesten Sinne militanten Linken mehr Selbstvertrauen geben, politisch und praktisch weiterhin präsent zu bleiben. Wir – eine zu schaffende und im Entstehen begriffene militante Bewegung – können gesellschaftliche Forderungen erheben, die über den Erhalt subkultureller Orte hinaus gehen und nicht die Zustimmung von Politiker_innen brauchen. Auf der parlamentarischen Ebene werden die kommenden Wahlen zur Bühne der Politiker werden, und sie werden sich alle über soziale Fragen zu profilieren versuchen. Wenn wir uns die militante Initiative nicht aus der Hand nehmen lassen und anderen die Interpretation über brennende Autos, sabotierte Baustellen oder soziale Konflikte überlassen wollen, dann wird es Zeit, dieses Selbstbewusstsein aufzubringen, gesellschaftlich radikale Forderungen zu erheben und deren Umsetzung anzugehen.

Revenge of the Stadtteilgruppe

Ein Schritt könnte darin bestehen, in unseren Kiezen kleine, radikale Stadtteilgruppen aufzubauen – in den Kiezen in denen wir leben – und dort an sozialer Verankerung zu arbeiten: mit jenen, die nichts oder wenig haben, in Verbindung zu gehen. Wem das zu groß ist, sollte wenigstens in den umliegenden Häusern Kontakte haben. Hier geht es nicht um eine Vertreter_innenpolitik oder Lobbyarbeit für andere. Auch nicht um Sozialromantik und Verklärung derer, mit denen wir die Verbindung suchen. Wir kämpfen in der ersten Person. Es geht um uns, die wir uns selber meinen und mit anderen, mit denen wir die Verbindung und Organisierung suchen. Wir brauchen große Ohren, für was wo abläuft, und Zähigkeit zu intervenieren und sich über den Stadtteil hinweg bewusst zu unterstützen.
Militant läuft zwar viel. Sympathien gibt es genügend. Doch es fehlt an Verankerung – oder an Initiativen. Orte an die sich Betroffene wenden können, wenn sie die Schnauze voll haben, und sich einbringen könnten, wenn sie wollten. Greifbare Strukturen, die in einem Kiez wissen, wer da welche Scheiße baut, was das neueste Projekt ist, das Mieterhöhungen begünstigt und Verdrängung bewirkt. Und Strukturen, die dann auch in der Lage sind, die Leute zu dem Thema zu sensibilisieren, zu organisieren und gemeinsam an Gegenmaßnahmen zu arbeiten – mit radikalen Zielsetzungen. Wenn Strukturen an einer Stelle zu schwach sind, müssen sie sich auf die Unterstützung anderer Strukturen in anderen Kiezen beziehen können. Für die Gegenseite müssen die Konfliktfelder, an denen wir uns organisieren und verankern, unübersehbar und unüberschaubar werden und von kleinen Bränden zu einem kiezübergreifenden Flächenbrand werden, so dass sich die Zerstörer der Sozialen Stadt noch in die Zeiten zurück sehnen, in denen nur ihre Luxuskarrossen brannten.
Wir sagen all dies nicht, weil wir uns entschlossene Kämpfe herbeifantasieren wollen, sondern weil wir die Möglichkeit dazu sehen.

Downgrading die Schöne Neue Stadt – geht da was?

Eine Verankerung im Stadtteil beinhaltet, im Umfeld der O-Strasse, der Casting-Allee, in Neukölln oder Treptow auf örtliche Bedingungen einzugehen. Die Verdrängungsprozesse gestalten sich verschieden und sind unterschiedlich weit fortgeschritten. In Neukölln braucht es schon das Modell ”Task Force“, das gegen soziale Brennpunkte in Stellung gebracht wird. Eine ”Task Force“ richtet sich gegen jene, denen es im Kiez am dreckigsten geht, gegen die Sichtbarkeit von Armut, um dann auch diesen Kiez häppchengerecht für Investitionen, Eigentumswohnungen, Bioläden und das Klientel der Grünen, die Besserverdiener_innen hoffähig zu machen. Mancherorts jammern nun diejenigen, die vor Jahren selber Akteure der Verdrängung und Wegbereiter_innen der damaligen Gentrifizierungswelle waren, dass ihnen der Ausblick mit fetten Luxusbauten verbaut wird. Öffnen sich diese Leute einem sozialen Anspruch, der den eigenen Anteil an der Verdrängung anderer Menschen erkennt, dann können Bündnisse und weitergehende Widerstandsformen möglich sein. Sonst nicht. Unterschiedlichkeiten ergeben unterschiedliche Ausgangsbedingungen im Kampf – die Fähigkeit, diese Unterschiedlichkeiten zu erkennen und sich gegen die Neoliberalisierung des Wohnungsmarktes, der öffentlichen Räume und der Stadt als Lebensraum insgesamt zu stemmen, kann den Widerstand einen.
Einige Kieze sind bis auf kleine Nischen für Arme verloren. Außer wir tragen ein gewisse ”Verslumung“ in die Wohnviertel der Reichen zurück, die das Wohnen dort unattraktiv werden lässt. Denn auch das gehört zu einer Kampagne, die Yuppies, die Schickeria, die gehobene Mittelschicht, die Reichen und Investoren nicht an ihren Reproduktionsorten, in ihren Fress- und Konsummeilen und installierten Kunstprojekten zur Ruhe kommen zu lassen.

Brücken bauen...

Doch dort, wo wir in den Kiezen präsent sind, können wir Strukturen und Anlaufpunkte schaffen, und versuchen, andere Menschen in diese Orte und Auseinandersetzungen zu integrieren, um einerseits in den Kiez und andererseits vernetzt auf der Stadtebene zu intervenieren.
Wir müssen in unserem Widerstand Bezug nehmen auf die Hartz-4-Empfänger_innen, die Alleinerziehenden und Minilohn-Jobber_innen, Rentner_innen und Migrant_innen. Und Brücken der Verständigung ausprobieren! Es geht um eine Vermittlung und Verankerung in den verschiedenen Schichten der Ausgegrenzten – dazu gehört türkisch oder arabisch als Sprache einfach dazu. (Ein positives Beispiel war der Aufruf zur Mietenstopp-Demo durch Kreuzberg.) Kommunikation ist das A&O einer militanten Kampagne für eine soziale Stadt. Wie sollen wir sonst von Sanierungsvorhaben mit anschließender Mieterhöhung erfahren, wie von der Umwandlung von Miet- in Eigentums- oder gar Ferienwohnungen? Denn es geht ja darum, mit den Mieter_innen auch von außen unterstützende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Bauprojekte können nur durch aufmerksame Stadtteilgruppen frühzeitig lokalisiert werden. Der Bewegung – um mal von einer entstehenden zu reden – steht eine breite Palette an Möglichkeiten zur Verfügung: Behinderungen auf dem Rechtsweg, öffentliche Skandalisierung und Stören durch Besetzung der Baustellen oder nächtliche Besuche, um die Arbeit lahm zu legen.

Beachten wir diese Idee als Vorschlag zu einer ”militanten Untersuchung“! An uns selber, im Prozess mit anderen im Kiez. Es geht um Erfahrungen mit Ausgegrenzten dieser Stadt und wie wir zusammen kommen können. Szenecodes und abstraktes Gelaber verhindern Verständigung. Verständigung läuft auf gleicher Augenhöhe, ohne Respekt läuft da nichts, Neugier und Offenheit für die Realität anderer, ohne sich darin zu verlieren, sind Voraussetzungen. Mit wem sonst wollen wir dem Unternehmen Stadt eine Soziale Stadt entgegensetzen? Mit unserer Subkultur? Mit unseren Politstrukturen? Wenn wir subkulturelle Volksküchen machen, wäre es nicht auch möglich, sich in einem armen Stadtteil über eine nichtkommerzielle, nicht karitative Küche für Arme und Ausgegrenzte mit anderen zu treffen und zusammen zu kommen?

Rückschläge und Niederlagen werden dazugehören – mit Sexismus und Rassismus muss ein klarer Umgang gefunden werden. Das heißt, wir akzeptieren diese Dominanzformen nicht, diskutieren sie und gehen trotzdem nicht sofort aus dem Kontakt. Niemand ist politisch korrekt auf diese Welt gekommen. Aber: Das Projekt einer radikalen Stadtteilarbeit ist auch keine Sozialarbeit.
Stadtteilgruppen, die sich auf eine beratende Funktion beschränken, verlieren sich schnell im Klein-Klein des Alltages. Beratungen können, müssen aber nicht, Zugang zu den Nöten der Menschen sein. Und der Kiez ist nicht alles. All diese sozialen Angriffe, die wir oder andere zum Teil schon erleben oder die sich schärfer abzuzeichnen beginnen, stehen in vielschichtigen Zusammenhängen, lokal wie global. Der Kiez ist ein Mikrokosmos dessen, was auch global falsch läuft.

Mediaspree versenken reloaded

”Mediaspree“, das Projekt eines korrupten Senates und kalter Konzernstrategien – und bisher keineswegs versenkt – zeigt, wie ein Stadtteil gezielt umgekrempelt und zerstört wird. Die Medienyuppies siedeln sich in den Kiezen an und machen alles soziale und solidarische Leben mit ihrem Geld und Karrierehunger tot. Wer nicht über Mieterhöhung und Luxussanierung verdrängt wird, geht spätestens dann, wenn er/sie die Fratzen und das dominante Auftreten, das laute Konkurrenzgelaber nicht mehr aushält, mit dem sie den Kiez überfallen und kolonisieren.

”Mediaspree versenken“ war nie als eine Kritik an der Uferbebauung gedacht, auch wenn das der eine oder die andere so in der Kungelpolitik mit dem Senat betrieben hat, die bekanntlich gescheitert ist. ”Mediaspree versenken“ war die außerparlamentarische und soziale Kampfansage an den Kommerzdreck von Konzernen und sollte wieder zu seinen Wurzeln zurück finden. Die sogenannten ”Kreativen“ der Medienkommerzkultur, die in unseren Kiezen ihren Latte schlürfen, ihre Arbeitsbesprechungen abhalten, und mit ihren Agenturen und Büros die Kieze zuscheißen, sind im Alltag angreifbar, und es wird Zeit ihren Laptop mit Hundescheiße zu beschmieren, ihre Büros zu entrümpeln und sie mehr oder weniger höflich zum Wegzug aufzufordern. Wenn der Senat auf die Aufwertung der Stadt durch die Ansiedlung dieser Konkurrenzapostel setzt, sollten wir eine Politik der Abwertung und De-Attraktivierung entwerfen und dabei auf unberechenbare Alltagsaktionen setzen.

Autohaus Carloft grüßt Baugruppe KarLoh

Je nach spezifischer Situation ist es richtig, das Autowohnhaus Carloft in Kreuzberg oder die Privateigentumsbaugruppe KarLoh in Treptow zu thematisieren. Eine zu starke Fixierung auf derartige Projekt birgt jedoch die Gefahr, die Prozesse der schleichenden und weniger sichtbaren Aufwertung und Verdrängung zu übersehen. Dabei hat die Modernisierung und Mietsteigerung in den vorhandenen Wohnungen viel direktere soziale Folgen als so manches – zugegebenermaßen auffällig-eklige und damit leicht zu skandalisierende – Neubauprojekt. Der Reichenberger Kiez verzeichnet einen rapide wachsenden Einkommensdurchschnitt und steigende Mieten, und im Windschatten des aberwitzigen Carloft-Hauses wird das Vorrücken einer gehobenen Mittelschicht gerne übersehen. Umgekehrt läuft eine Fixierung auf Privateigentumsbaugruppen dann in die Verkürzung, wenn nicht auch die anderen Formen der Verdrängung in den Kiezen wie Luxussanierungen, Umwandlungen von Miet- in Eigentums- oder gar Ferienwohnungen und städteplanerische Vorbereitung dazu durch den Senat als Problem erfasst sind. Hier bedarf es einer Ausweitung der Kämpfe.
Der Kampf gegen Gentrifizierung muss von uns umfassend, in gesellschaftlicher Breite analysiert und insgesamt miteinander verknüpft, radikal angegangen werden. Kämpfe gegen Mediaspree, Carlofts, Konzernansiedlungen, Luxushäuser, Baugruppen, Räumungen von alternativen Projekten, Tourismusindustrie, Prestigeprojekte des Senates oder dessen Sanierungs- und Aufwertungsprojekte, etc. gehören zusammen.

Die angesprochene Organisierung von und mit potentiell ausgegrenzten Menschen außerhalb unseres Tellerrandes funktioniert nicht über Plena und Gruppentreffen. Nur über soziale Kontakte, von Tür zu Tür, Haus zu Haus, Straße zu Straße bauen sich Vertrauensverhältnisse auf zu Menschen, denen unsere Kultur der politischen Organisierung oft und mit zum Teil berechtigten Gründen fremd ist. Mit viel Glück kann so ein Vertrauensverhältnis in gemeinsame Mieter_innenversammlungen oder gar Gegenwehr bei mietsteigernden Modernisierungen münden.
Zu einer Romantisierung oder Glorifizierung in der Zusammenarbeit mit anderen Ausgegrenzten besteht weder Veranlassung, noch kommen wir so zu einer grundsätzlichen gegenseitigen Anerkennung in Unterschiedlichkeiten und Widersprüchlichkeiten. Es geht nicht um ein taktisches Verhältnis zu anderen Menschen, sondern um ein soziales. Dazu braucht es keine Abstriche an radikalen Positionen gegenüber Gentrifizierungsprozessen – niemandem muss nach dem Maul geredet werden. Anbiederung bringt eh nichts. Wir merken ja auch sofort, wenn uns wer verarschen will. Die Leute sind nicht doof. Nicht doofer als wir. Wir gehen als Menschen mit anderen Menschen in Kontakt – das ist eigentlich alles – aber es ist absolut nicht der Standard radikaler Praxis in der subkulturellen Szene, derart die Verbindungen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen und sogar Schichten zu suchen.

Bitte rette mein Projekt...

Die Freiraumkampagnen beispielsweise zielen aktuell nur auf die je eigenen, vom Hochglanz der Stadt bedrohten Biotope. Wann wurde die Verbindung zu anderen Kämpfen oder sozialen Realitäten gesucht, erprobt und gewollt? Dabei ginge es doch um eine soziale kontinuierliche Praxis, die nicht erst dann die gesellschaftliche Breite aus taktischen Gründen sucht, wenn die eigene Wagenburg oder das eigene Haus bedroht ist. Wenn aktuell ein Hausprojekt Beistand bei Schulz sucht oder eine Wagenburg das Besetzen von Häusern zum Zwecke der Unterstützung unterbindet, um eine Verhandlungsposition nicht zu gefährden – dann spricht das für vieles, aber nicht für für ein politisch militantes Verhältnis zu Gentrifizierung. Obwohl dieses gerne inszeniert wurde, um damit politische Solidarität einzufordern. Ohne soziale Verankerung, weit vor einem Räumungstermin entwickelt, bleiben nur die würdelosen Kungelebenen. Es kann sein, dass man dann Platz oder Haus halten kann – das Politische aber kommt damit zum Ende. Und kann dann das Projekt zum Nachteil verändern.

Aktuell scheinen der Senat, die treibenden Kräfte der Gentrifizierung und die Repressionsapparate etwas nervös, weil die militanten Aktionen, die im weitesten Sinne gegen Gentrifizierung gerichtet sind, eine Zustimmung in der Bevölkerung finden, die auf ein Potential zu mehr verweisen. Gelingen die oben vorgeschlagenen sozialen Verbindungen mit unterschiedlichen ausgegrenzten Schichten im laufenden Verdrängungsprozess, dann wird es für die Herrschenden richtig ungemütlich. Wir sind aufgefordert, eine Stimmung in die Stadt zu tragen, die jeden Investor Schlimmstes befürchten lässt; die den Ausgegrenzten und Überflüssigen Mut macht, ihren Platz im Kampf um eine soziale Stadt zu suchen und zu finden. Eine Stimmung, die den neoliberalen Hype auf die renditeträchtige, geile Hauptstadt versaut und ihr einen gehörigen Imageschaden versetzt. Der Bau von Eigenheimen darf sich im Innenstadtring nicht mehr auszahlen, weder für die Architekten, noch für Bauherren und -damen und auch nicht für die Firmen oder politisch für Senat und Bezirksverwaltungen.

Wir plädieren für eine praktische und soziale De-Gentrifizierungkampagne: Machen wir – sozial verankert – kaputt was uns kaputt macht. Wir bleiben alle – außer die neoliberalen Subjekte: Raus mit ihnen und ihrem Scheiß aus allen bislang umkämpften Wohnbezirken. Nicht weniger als der Ruin des Unternehmens Stadt ist unser Zwischenziel. Und wenn wir dann schon soweit sind, dann können wir uns auch noch die Produktionsmittel zurückholen und die Soziale Stadt selbst aufbauen.

Auf gehts...

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde erstveröffentlicht in der INTERIM, wir übernahmen die virtuelle Version aus Doku-Gründen von https://directactionde.ucrony.net/