Kapitalistischer Schock in Wismar

von Peter Nowak

06/11

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Das Thema Arbeitswelt steht heute selten im Mittelpunkt größerer Filmprojekte. Da ist die Langzeitstudie über die Beschäftigten der abgewickelten Wadan-Werft in Wismar eine lobenswerte Ausnahme. Es verwundert kaum, dass für dieses mehrfach ausgezeichnete Filmprojekt eine Senderfinanzierung nicht zur Verfügung stand. „Allein aufgrund der Unterstützung durch die mutige Produktionsfirma“ sei die Realisierung möglich gewesen, heißt es im Freitag.
Der Film zeigt die Reaktion der Beschäftigten, als sich ein russischer Investor in der Werft vorstellte. Die Kamera zoomt auf die Gesichter der KollegInnen, die teilweise belustigt, teilweise ungläubig dessen Propagandarede zuhörten. „Wir wollen gemeinsam Geld verdienen“, erklärte er und die Beschäftigten wussten, dass sie dafür Opfer bringen sollten. Doch der Schritt von dieser vagen Erkenntnis zum kollektiven Widerstand wurde nicht gegangen. Die Betriebsrätin echauffiert sich mehrmals über die soziale Schieflage und verteilte Pfeifen als der Insolvenzverwalter das Aus verkündete. Ansonsten bleiben die geballten Fäuste in den Taschen. Einige KollegInnen begründen, warum sie sich an den von der IG-Metall organisierten Protesten in Wismar nicht beteiligten. Schließlich würde eine Demonstration durch die Innenstadt von Wismar kaum jemand interessieren. In kleiner Runde sinnieren sie darüber, dass man nach Berlin fahren sollte und einige Schrottmaschinen vor den zuständigen politischen Instanzen abladen sollte. „Das wäre was gewesen“, beschließt der Wortführer seine radikale Utopie, um sich gleich wieder in der Realität einzurichten. Solche Aktionen habe niemand geplant und nun sei der Zeitpunkt verpasst worden. Außer Buhrufen bei der Rede des Insolvenzverwalters war ein organisierter Protest auf der Werft nicht feststellbar. Nach dessen Rede, in der er die Regeln der kapitalistischen Verwertungszwänge noch einmal knallhart in Erinnerung rief, zeigt die Kamera die Verzweiflung der Kollegen, ihre ausdruckslosen Gesichter, ihre Panik um verlorene Lebensperspektiven. Ein junger Kollege, der in dem Film ausführlicher vorgestellt wird, die Kamera begleitet ihn in seine Single-Wohnung und bei seinen Freizeitaktivitäten, fasst das Gefühl der Perspektivlosigkeit auch in Worte.

In diesen Szenen wird filmisch gut deutlich gemacht, was die vielzitierte kapitalistische Schockstrategie, die von Naomi Klein beschrieben wurde bedeutet. Es ist keine Verschwörung „böser Kapitalisten“ sondern die Ausnutzung kapitalistischer Verwertungslogik, um das Feld für ein investitionsfreundliches Klima zu bereiten. Im Film wird deutlich, wie die Beschäftigten, nach dem sie entlassen worden waren, und sich große Sorgen über die Begleichung ihrer finanziellen Verpflichtungen machten, veränderten. Unter wesentlich schlechteren Bedingungen hat ein Teil der Beschäftigten die Möglichkeit bei einer Leiharbeitsfirma für weniger Lohn in die Fabrik zurückzukehren. Ein Kollege rechnet vor, dass er nun für 400 Euro weniger arbeitet. Trotzdem greifen alle nach den Niedriglohnarbeitsplätzen, wie Ertrinkende nach dem Strohhalm. Selbst die letzten Spurenelemente eines solidarischen Umgangs mit der Situation fehlen nun. „Jeder unterschreibt, egal unter welchen Bedingungen“, erklärt einer. Ein anderer bekundet seine besondere Arbeitsbereitschaft. Es gehe jetzt darum, die Tätigkeiten nachzuholen, die wegen der Arbeitslosigkeit nicht geleistet werden konnten. Eine besonders absurde Logik. Da werden die Kollegen aus dem Betrieb geworfen und bedanken sich dafür, mit besonderer Arbeitshetze. Noch unangenehmer ist die Konstruktion einer besonderen Stellung durch die Leiharbeitssituation. „Du siehst hier die Einser“, meint einer ganz ohne Ironie. Folgerichtig sind für ihn die Kollegen, die draußen bleiben mussten, an ihrer Situation selber Schuld. Da dürfen auch die Schlenker gegen Kollegen aus dem Ausland nicht fehlen.

Der Film ist eine gute Ergänzung zu Jörg Nowaks im letzten Jahr ausgestrahlten Dokumentarfilm „Der Gewinn der Krise“. Beide Filme zeigen, wie die abstrakten Wachstumszahlen, das Gerede vom Auf- und Absteigen des Daxes bei den Lohnabhängigen ankommen. Nur das mystische Geraune mit Zitaten aus norddeutschen Sagen, das am Anfang und Ende des Films zu hören ist, und auf den Namen der Werft anspielt, nervt. Da hätten einige Zitate von Karl Marx mehr Aufklärung gestiftet. Aber die kamen wohl leider nicht nur den meisten KollegInnen der Wodanwerft sondern auch den Flmemachern nicht in den Sinn.

Wadans Welt,
Dieter Schumann und Jochen Wisotzki 100 Minuten,

Der Film ist bereits angelaufen.
http://www.gebrueder-beetz.de/produktionen/wadans-welt

 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.