Die Kommune von Kronstadt
Eine Besprechung von Klaus Gietingers Buch
“Die Kommune von Kronstadt”

von Anne Seeck

06/11

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Vor neunzig Jahren, im März 1921, wurde die widerständige Bevölkerung in Kronstadt von den Bolschewiki besiegt. Klaus Gietinger, Regisseur und Autor zahlreicher Filme und Bücher, beschreibt in seinem Buch “Die Kommune von Kronstadt” sehr eindrücklich, wie es zu diesem Aufstand kam und wie dieser schließlich von den Bolschewiki niedergeschlagen wurde.

Noch im Oktober 1917 hatten sich viele Kronstädter Matrosen am Sturm auf das Winterpalais beteiligt. Trotzki bezeichnete sie als “die Schönheit und den Stolz der Revolution”. Von 1918 bis Herbst 1920 kämpfte die Mehrheit der Kronstädter in einem Bürgerkrieg gegen die Weißen. Sie kämpften in einer Armee, in der Trotzki die Rätedemokratie abgeschafft hatte. Die Rote Armee wurde nach dem westlich- kapitalistisch- militärischen Prinzip aufgebaut. Als die Matrosen nach dem Bürgerkrieg in ihre Heimatdörfer kamen, erlebten sie den Krieg der Bolschewiki gegen die Bauern. Ihre Eltern fragten sie, warum sie für die Unterdrücker kämpfen, denn Eintreibungskommisionen und Erschießungen verbreiteten Angst und Schrecken unter den Bauern. Die “Diktatur des Proletariats” bestand zu 80 Prozent aus Bauern. Die Bolschewiki hatten die Inflation angeheizt und die Bauern verkauften und tauschten nichts, weil sie für ihre Lebensmittel nur wertloses Papier oder nichts erhielten.

Die verfehlte Landwirtschaftspolitik führte wiederum zu einer schwierigen Versorgungslage in den Städten. Als nach dem Bürgerkrieg der “Handel unter der Hand” verboten wurde, nahm der Hunger noch zu. Die Lebensmittelrationen für die Großstädte wurden gekürzt, die Tagesration lag unter 700 Kalorien am Tag.

Aufgrund dieser Situation kam es in Petrograd zu Demonstrationen und Streiks. Aus der Hungerrevolte in Petrograd wurde schließlich eine politische, denn die Arbeiterräte waren schon 1918 entmachtet worden. “Statt Sozialismus mit Arbeiterkontrolle und Betriebsräteherrschaft entstand so ein starres, von der Partei kontrolliertes, nicht funktionierendes Leitungssystem.” (1) Zudem wollten die Bolschewiki von Deutschland lernen. “Arbeit, Disziplin, Ordnung werden die sozialistische Sowjetrepublik retten.”, so Trotzki (2)

Die Ereignisse in Petrograd wirkten sich auf das 20 Kilometer entfernte Kronstadt aus.

Die Kronstädter Matrosen lehnten das Antreibersystem- das Taylor-System- und die Militarisierung der Arbeit ab. Sie wollten: “Eine Sowjetrepublik der Arbeiter, in der der Produzent selbst uneingeschränkt Herr und Verwalter über die Produkte seiner Arbeit sein wird.”(3) Die Kronstädter verabschiedeten die “Petropowlowsk-Resolution”, in der sie u.a. die Neuwahl der Sowjets, Versammlungsfreiheit und die Abschaffung der kommunistischen Parteizellen forderten. “Man kann das Programm der Matrosen, Arbeiter und Bauern Kronstadts daher als eine Mischung aus Maximalismus, Anarcho-Syndikalismus und Rätekommunismus bezeichnen, als letzten Versuch die Ideale des Oktober 1917 zu verwirklichen.”(4) Die Kronstädter wollten “alle Macht den Sowjets und nicht den Parteien”. Dafür wurden sie von den Bolschewiki als Konterrevolutionäre beschimpft, Lenin bezeichnete sie als kleinbürgerlich. 50 000 Bolschewiki kämpften gegen Kronstadt. Die Kronstädter wurden isoliert, in dem die Bolschewiki für die Petrograder Lebensmittel aus dem Ausland einkauften und die Neue Ökonomische Politik eingeführt wurde. “Die Bolschewiki feierten den 50. Jahrestag der Pariser Kommune just an dem Tag, an dem sie die Kommune von Kronstadt endgültig liquidiert hatten”(5) Neben Tausenden Toten auf beiden Seiten wurden 2500 Matrosen in Gefängnisse und Lager gesteckt, wo die meisten vermutlich zugrunde gingen. Opposition wurde im März 1921 zum Verbrechen. Am Ende des Aufstandes war der Mythos vom Arbeiter- und Bauernstaat zerstört. Bald trat Stalin ans Ruder und es erfüllte sich folgender Satz der rebellischen Matrosen: “Das Blut der Unschuldigen wird auf die Häupter machttrunkener und grausamer kommunistischer Fanatiker kommen.”(6)

Der Weg des Realsozialismus war mit der Niederschlagung des Kronstädter Aufstandes vorgezeichnet. Nach dem roten gegen den weißen Terror unter Lenin kam der “Große Terror” unter Stalin, der Hitler-Stalin-Pakt und der Kampf gegen den Faschismus, der Kalte Krieg, die Stagnation und das Ende.

Für Klaus Gietinger war Kronstadt der entscheidende Wendepunkt in der russischen Revolution. Er schreibt engagiert gegen leninistische, trotzkistische, stalinistische und verharmlosende Geschichtsschreibung an. Denn beschäftigt man sich mit Kronstadt, kann man leicht zwischen die Fronten geraten. Die Trotzkisten, die ihren Trotzki hochhalten und für die Kronstadt eine Konterrevolution war. Die Marxisten- Leninisten, die ihre Ikone Lenin und ihr Bruderland verteidigen wollen. Die Anarchisten, für die Kronstadt die “Dritte Revolution” war. Dieser Ismen- Streit hilft zwar so nicht weiter, aber er besagt etwas, nämlich ob “Linken” Tote, Inhaftierte, Deportierte, Zwangsarbeitende und Hungernde egal sind und sie diese ihrer Ideologie opfern. Das ist entscheidend. Hier geht es nicht um Erbsenzählerei oder Buchzitate, hier geht es um vernichtete Leben und zerstörte Biographien. Das Buch macht wütend, auf die Bolschewiki, aber auch auf Menschen, die sich heute als “links” bezeichnen und das alles nicht wahrhaben wollen.

Klaus Gietinger hatte im Jahre 1997 eine mehrteilige Serie in der Jungen Welt veröffentlicht, die jetzt zum Jahrestag in diesem Buch erscheint. Darin sind auch Leserbriefe abgedruckt. So: “Bitte erspart uns diesen Müll...” oder “Wieder fordert mir ein Artikel, der von Antibolschewismus/ Antikommunismus und Geschichtsfälschungen strotzt und in einer Zeitung veröffentlicht wurde, die sich doch wohl radikal sozialistisch versteht, eine Geduldsprobe ab.” (7)

Das Buch von Klaus Gietinger ist allerdings kein Antikommunismus, sondern notwendig, um wieder nicht- kapitalistische Alternativen denken zu können. Das Bild von der Vergangenheit zeigt das Bild, das man von der Zukunft hat. Es geht um die Glaubwürdigkeit der Linken, wollen sie wirklich eine menschenwürdigere Gesellschaft aufbauen. Den Herrschenden kommt ein unkritischer Umgang von Linken mit der eigenen Geschichte gerade recht.

So wäre der kritische Text Klaus Gietingers zum “Schwarzbuch des Kommunismus” und seine Abgrenzung von rechter Kritik am Ende des Buches nicht notwendig gewesen. Die Revolte von Kronstadt kam von links und auch Gietingers Kritik an der Niederschlagung.

Die entscheidende Frage, die nach der Lektüre bleibt, ist- wie stehen Linke zur Parteidiktatur oder Rätedemokratie, erstere lehnten die Kronstädter ab, letztere ersehnten sie. Klaus Gietinger, der mit den Kronstädtern symphatisiert, ist eine breite Leserschaft zu wünschen. Erinnerung tut not, auch in einem entfesselten Kapitalismus in den post”kommunistischen” Ländern. Dieser Kapitalismus ist eben nicht alternativlos, wagen wir neue Wege.

Anmerkungen
 

(1) Klaus Gietinger, Die Kommune von Kronstadt, Die Buchmacherei Berlin 2011, S.16
(2) Gietinger, S.15
(3) Gietinger, S.57
(4) Gietinger, S.57
(5) Gietinger, S.71
(6) Gietinger, S.81
(7) Gietinger, S.82

Redaktioneller Hinweis: Siehe auch die Buchsprechung von Peter Nowak

Klaus Gietinger
Die Kommune von Kronstadt

Berlin, 2011
Die Buchmacherei, 138 Seiten
10 Euro, ISBN 978-300-03811-3