Repression & Widerstand unter Hartz IV

Sie war laut geworden

von Peter Nowak

06/11

trend
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Über Tote im und durch das Jobcenter - nicht alle machen Schlagzeilen oder was Werner Braeuner und eine bis heute unbekannte Hartz IV-Empfängerin, die im Jobcenter Frankfurt/Main erschossen wurden, gemeinsam haben

Der Name der Frau ist bis heute nicht bekannt(*). Nur kurz machte die Anonyme Schlagzeilen, als sie am 19. Mai im Jobcenter Frankfurt/Main von einem Polizisten erschossen wurde. Was genau diesem tödlichen Schuss vorausging, ist nur teilweise geklärt. Bernhard Schülke von der Erwerbsloseninitiative Lucky Losers hat mittlerweile erfahren, das der Streit um die Auszahlung von Bargeld ging, das ihr von der Behörde verweigert wurde. Griff die Frau danach zum Messer und setzte eine tödliche Dynamik in Gang, die mit den Schüssen endete? Wir wissen es nicht? Doch Schülke weiß aus dem Beratungsalltag im Jobcenter. „Wenn Menschen in die Ecke getrieben werden, reagieren sie verzweifelt“.
In einer offiziellen Stellungnahme zu dem Vorfall heißt es über die Frau: „Die 39-Jährige war laut geworden und wollte das Gebäude nicht verlassen. Die Mitarbeiter des Jobcenters verständigten daraufhin die Polizei.
Als die Streife eintraf und der 30-jährige Beamte die Frau bat, ihre Papiere zu zeigen, holte diese laut Polizei ein Messer aus ihrer Tasche und ging damit auf den Beamten los. Dieser habe seiner zwei Jahre jüngeren Kollegin noch zugerufen: "Vorsicht, sie hat ein Messer", berichtete ein Polizeisprecher.

Ein Kommentar auf Internetforum Erwerbsloser lautete: „Sie war "laut geworden". Sie wird ihre guten Gründe gehabt haben. Ich könnte hier jeden Tag schreien!“

Diese Einschätzung hört man oft in Erwerbslosenkreisen häufiger. Manche wundern sich, dass solche Aktionen nicht noch häufiger passieren, bei dem Frust, der Wut und der Verzweiflung, die sich auf den Fluren der Jobcenter angesichts der Zumutungen des Hartz-Regimes angesammelt haben.


Schikanen begannen nicht mit Hartz IV

Allerdings wird gerne vergessen, dass es auch schon davor starken Druck auf die Erwerbslosen gab, jede Arbeit anzunehmen. Werner Braeuner war schon in den 90er Jahren Erwerbslosenaktivist und wehrte sich gegen viele Behördenmaßnahmen, die er als Schikane empfand. Am 12.01.01 schreibt er an für ihn zuständigen Arbeitsamtsdirektor von Verden Klaus Herzberg: "[...] teile ich Ihnen mit, wie ich die Verhängung einer Sperre der Arbeitslosenunterstützung bewerte: Sie brechen mir damit das Genick. Und Sie tun das mutwillig."
Wenige Tage später stach Braeuner bei einer Auseinandersetzung auf Herzberg ein und verletzte ihn tödlich. Zurzeit sitzt Braeuner er JVA Sehnde seine 12jährige Haftstrafe ab. Auch im Knast ist er weiter im Widerstand gegen die Bürokratie. Seit dem 8.Mai befindet sich im Hungerstreik gegen verunreinigtes Essen.

Ohnmächtige Wut oder kollektive Gegenwehr?

Die beiden Fälle scheinen erst einmal nichts miteinander zu tun zu haben. Doch sie werfen ein Schlaglicht auf die Zustände in den Arbeitsämtern und Jobcentern, auf den Kleinkrieg, den dort Zigtausende Menschen um ihr Überleben kämpfen müssen und der nicht erst mit Hartz IV begonnen hat. Dieser Krieg fordert viele Toten, macht aber selten Schlagzeilen. Meistens fressen die Betroffenen ihren Frust in sich hinein, werden krank und sterben früh, nehmen die unterschiedlichen Drogen um sich zu betäuben oder verüben Selbstmord. Nur wenige gehen bisher den Schritt der kollektiven Gegenwehr. Die Palette ist hier sehr breit und beginnt bei Beratungen und Informationen über die eigenen Rechte.

„Wenn es nicht an vielen Orten den unermüdlichen Einsatz von  „Freiwilligen“ in den Selbsthilfe-Beratungsgruppen gäbe und an einigen Orten auch gute bezahlte Berater_innen, längst schon viel mehr passiert. Nicht nur die Gesetzgebung bringt Verelendung und Demütigung… Die Ämter sind unterbesetzt, die dort Tätigen rechtlich und menschlich gering qualifiziert, ständig inhaltlich und arbeitsmäßig überfordert und ewig gereizt“, lautete ein Kommentar aus der Erwerbslosenszene nach der Toden von Frankfurt. Manche Erwerbslose organisieren sich, gehen mit Begleitpersonen zum Amt oder organisieren Zahltag-Aktionen, um kollektiv ihre Rechte einzufordern. Solche Aktionen bescheren den Betroffenen nicht nur direkte materielle Erfolge, sie stärken auch das Selbstbewusstsein der Betroffenen. Das aber ist die stärkste Waffe gegen die ohnmächtige Wut und den Frust, den heute viele Erwerbslose auf den Jobcentern und in den Arbeitsagenturen erfahren. Diese Selbstermächtigungsprozesse sind auch das beste Mittel gegen den Tod durch und im Jobcenter, gegen die, die Schlagzeilen machen ebenso, wie gegen die vielen unbekannten, die niemand interessieren.

*) Ein aufmerksamer Leser teilte uns kurz nach Erscheinen dieses Artikels mit, dass der Name "Christy Schwundeck" sei. Ihr Name wurde bereits in anderen linken Publikationen veröffentlicht. - red. trend (2.6.11 / 20:30)

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.

Der Autor ist Herausgeber des Buches Zahltag - Zwang und Widerstand: Erwerbslose in Hartz IV, ISBN: 978-3-89771-103-7, 80 Seiten, 7.80 Euro. Dort gibt es weitere Informationen zu Widerstandsaktionen im Jobcenter.