Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Athletik schwarz, Technik weiß

06/11

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Der französische Fußballverband (FFF) diskutiert hitzig über ruchbar gewordene Pläne, eine strukturelle Diskriminierung durch Quoten für schwarze oder arabischstämmige Spieler einzuführen. Im Mittelpunkt stehen u.a. auch junge „doppelte Staatsbürger“. Und prompt debattieren Marine Le Pen und konservative Politiker in dieser Woche soeben wieder über „das Problem Doppelstaatsangehörigkeit“…  

Auf die Polemik folgt der Wahlkampf. Am vorletzten Wochenende im Mai begann die Wahlkampagne für den Chefposten des französischen Fußball-Dachverbands FFF. Der jüngste Rassismusskandal, der seit einer Veröffentlichung der Online-Zeitung Médiapart von Ende April 11 wochenlang die FFF erschütterte und einen heftigen Streit auslöste, wird dabei offiziell keine Rolle spielen. Aber natürlich werden die beiden Auseinandersetzungen sich kreuzen, und die Kontrahenten werden die dabei aufgekommenen Vorwürfe - unter der Hand oder offen - zu instrumentalisieren versuchen. Manche behaupten auch, der Zeitpunkt der Veröffentlichung der belastenden Dokumente in Médiapart, welche Kritiker von Diskriminierungsabsichten sprechen ließen, hänge in Wirklichkeit mit dem Machtkampf zusammen. Bewiesen ist dies jedoch nicht. 

Zwei Anwärter streiten sich in den nächsten Wochen offiziell um den Vorsitz der Fédération française du football: Fernand Duchaussoy, der den Posten bereits seit Juli vergangenen Jahres als Interimspräsident bekleidete, und sein Herausforderer Noël Le Graët. Letzterer ist seit 2002 der mit „wirtschaftlichen Angelegenheiten“ betraute Vizepräsident des Verbands. Le Graët wirft seinem Konkurrenten vor, nicht profimäßig genug in Wirtschaftsfragen zu handeln – „die FFF ist ein Unternehmen mit 200 Millionen Euro jährlichem Umsatz und 240 Angestellten“, da könne man sich kein mangelndes Unternehmerdenken leisten – und möchte den Verband gerne wie eine erfolgreiche Firma lenken. In den Jahren von 1991 bis 2000 hatte Le Graët, der seit langem den Fußballverein En avant Guingamp (Vorwärts, Guingamp) in der Bretagne leitet, dem Verband der Profifußballer vorgesessen. Duchaussoy hingegen führte von 2005 bis 2010 den Amateursverbands, die Ligue du football amateur. Vor diesem Hintergrund weisen sie eine jeweils unterschiedliche Machtbasis auf.  

Einflussreiche Kräfte in der FFF wollen „endlich“ die bisherige „Dominanz“ der Amateursvereine brechen und verweisen darauf, dass vergleichbare Dachverbände in den Nachbarländern schon längst in der Hand der Berufsfußballer lägen. Am 18. Juni d/J/ wird das Rennen zwischen den beiden Anwärtern auf den Chefsessel, die jeweils Listen mit mindestens zehn Namen für den Vorstand präsentieren mussten, entschieden.  

Welche Konsequenzen aus dem Rassismusskandal ? 

Wenn das Rennen um den Vorsitz entschieden sein wird, sind die Konsequenzen des jüngsten Rassismusskandals jedoch noch nicht längst ausgetragen. Ungefähr zum selben Zeitpunkt, voraussichtlich Mitte bis Ende Juni 11, wird das französische Sportministerium unter Chantal Jouanno seinen Abschlussbericht zu den diesbezüglich eingeleiteten Untersuchungen vorlegen. Bei der Vorstellung eines vorläufigen Untersuchungsergebnisses, am 10. Mai 11 vor der Presse, hatte Jouanno erklärt, ihr Ministerium werde nicht die Justiz einschalten. Dennoch sprach sie von „Absichten, die an rassistische Entgleisungen grenzen“ (des sousentendus à la limite de la dérive raciste) und forderte den Dachverband dazu auf, unverzüglich eine „unabhängige Beobachtungsstelle für Diskriminierung, Rassismus und Kommunitarismus“ einzurichten. 

Was war passiert? Am 28. April 11 publizierte Médiapart, die Internetzeitung des früheren Chefredakteurs von Le Monde – des aus der radikalen Linken der siebziger Jahre kommenden Edwy Plenel -, einen Artikel unter der Aufsehen erregenden Überschrift: „Französischer Fußball: Die Führungsleute wollen weniger Schwarze und Araber.“ 

Die Ausführungen des sehr langen Artikels basieren auf Tonbandmitschnitten einer Sitzung von Vorstandsmitgliedern des Dachverbands, die am 08. November 2010 stattfand. Inzwischen steht fest, dass die - eigentlich illegalen - Aufzeichnungen von Mohammed Belkacemi, der beim Dachverband für die Entwicklung des Fußballs in den französischen Trabantenstädten verantwortlich ist, angefertigt worden sind. Dies hat Belkacemi selbst öffentlich eingeräumt. Hingegen bestreitet der Betreffende, dass er selbst es sei, der die Aufnahmen der Internetzeitung zugespielt habe. Er habe die Aufzeichnungen bei der Sitzung am folgenden Tag an André Prevosto, seines Zeichens Vizepräsident der FFF - und ein Vertrauter des Vorsitzenden Duchaussoy -, weitergegeben. Wie die Mitschnitte dann Monate später an die Presse gelangt seien, wisse er nicht. Hingegen scheint fest zu stehen, dass Prevosto keinerlei Schritte eingeleitet hat, nachdem Belkacemi ihn auf Äußerungen hingewiesen hatte, die auf eine rechtswidrige Diskriminierungspraxis hindeuten. 

Was Belkacemi schockiert hatte, waren die Debatten über herkunftsbezogene Quotierungen beim fußballerischen Nachwuchs anlässlich der Sitzung, denen schon seit Wochen und Monaten ähnliche Diskussionen vorausgingen. Dabei wurden eigentlich zwei unterschiedliche Diskussionen miteinander vermengt: der Umgang mit „Doppelstaatsbürgern“ einerseits, und die Sicht auf so genannt „rassische“ Minderheiten oder Bevölkerungsgruppen auf der anderen Seite. Erstaunlich leichtfertig wurde dabei eine Assoziationskette aufgebaut, die von Begriffen wie „doppelte Staatsbürgerschaft“ über „Afrikaner oder Araber“ - sowie, bisweilen, die Zugehörigkeit zur muslimischen Religion - bis hin zu vermeintlich feststehenden körperlichen Eigenschaften reicht. 

Ausgangspunkt der hochproblematischen Debatten innerhalb des französischen Fußballverbands war die Krise, die ihn infolge des blamablen Ausscheidens und - vor allem - der heftigen inneren Konflikte der Nationalelf bei der Fußball-WM vor einem Jahr schüttelte. (Vgl. dazu ausführlich http://www.trend.infopartisan.net/trd7810/t297810.html sowie http://jungle-world.com/artikel/2010/26/41257.html ) Damals war die Mannschaft der Bleus zerstritten wie noch nie erschienen. Vielfach wurden die Konflikte zwischen ihren Mitgliedern in der danach ausgelösten öffentlichen Debatte jedoch ethnisiert dargestellt: als vermeintlicher Kampf zwischen Schwarzen und Weißen, zwischen Kindern der Trabantenstädten und Franzosen aus anderen sozialen Verhältnissen, sowie zwischen Nichtmuslimen und Moslems. Bei den Letztgenannten handelte es sich dabei im übrigen nicht um Einwanderer oder Migrantenkinder, sondern in der Regel um herkunftsfranzösische Konvertiten wie Franck Ribéry und Nicolas Amelka. 

In der Folgezeit schwelte diese Diskussion, auch wenn sie nach außen hin unausgesprochen blieb, innerhalb des Verbands weiter. Bei der Sitzung im November 10 wurde die Debatte um eine eventuelle Einschränkung der Zahl von Spielern, die aus bestimmten Bevölkerungsgruppen stammen, jedoch zunächst aus dem Blickwinkel der Doppelstaatsbürgerschaft angesprochen. Den Aufhänger dafür ergab die Befürchtung, Inhaber der doppelten Staatsbürgerschaft könnten - einmal durch Frankreich in seinem Ausbildungszentrum für qualifizierte Spieler, in Clairfontaine in der Nähe von Versailles, „unter hohen Kosten“ ausgebildet - später dann in den Nationalmannschaften anderer Länder spielen.

Doppelstaatsbürger als potenzielle Verräter? 

Dies kommt zwar tatsächlich vor. Prominente Beispiele dafür sind Moussa Sow, der 2009 im Senegal spielte, oder Didier Drogba, der sich nach einer Spielzeit für Frankreich letztendlich für sein Geburtsland Elfenbeinküste entschied. Diese Fälle sind jedoch in der Minderheit, auch wenn, wie von den Verfechtern der These von der „Gefahr“ der Doppelstaatsbürger jetzt immer wieder ausgeführt wird, 19 von 22 Mitgliedern der algerischen WM-Mannschaft im letzten Jahr auch die französische Staatsangehörigkeit besitzen. Wesentlich verbreiteter ist jedoch das umgekehrte Phänomen, dass nämlich gute Spieler im jugendlichen Alter aus französischsprachigen Ländern Afrikas gezielt für französische Clubs abgeworben werden. Dieses Phänomen hat solche Ausmaße angenommen, dass Kritiker schon von „Menschenhandel“ sprachen. Französische Fußballverbände haben darauf in den letzten zwei Jahren zu reagieren versucht - zunächst, indem sie aus dem Ausland stammenden jungen Spielern vorschrieben, dass ihre Familie schon seit mindestens fünf Jahren „legal“ in Frankreich gelebt haben muss, um in Vereinen aufgenommen zu werden. Doch diese Vorschrift drohte, auch etwa Jugendlichen aus Familien von sans papiers, also „undokumentierten“ Einwanderern, die Türen zu verschließen. Antirassistische Vereinigungen kritisierten eine Diskriminierung, und die Maßnahme wurde 2009 zurückgenommen. Das Problem blieb, dass es mitunter schwierig sein kann, die Grenze zwischen neokolonialer Ausnutzung von „Humanressourcen“ ärmerer, oft von Frankreich abhängiger Länder einerseits und „normaler“ Präsenz von Einwandererkindern andererseits zu ziehen.  

Doch die Antwort auf die gesamte Problematik, die bei der fraglichen Sitzung ins Auge gefasst wurde, war noch weitaus heikler. Sie lautete, es solle eine pauschale Quote für „Doppelstaatsangehörige“ festgelegt werden. Nicht formell zwar, denn die Teilnehmern waren sich offenkundig im Klaren darüber, dass dies eine rechtswidrige Diskriminierung bedeuten würde. Am Gesetz vorbei sollen jedoch, so behauptet es jedenfalls Médiapart, informell bereits Anweisungen in diesem Sinne an größere Clubs wie in Lyon und Marseille gegeben worden sein. Der „technische Direktor“ des Dachverbands, Laurent Blaquart, wird seit Erscheinen des ersten Artikels zum Thema immer wieder mit den Worten zitiert: „Man kann, ohne es zu sagen, eine Art von Quote festlegen.“ Einige Tage später wurde zudem noch eine Graphik, die mutmaßlich durch Blaquart entworfen worden war und den Anteil von „Doppelstaatsbürgern“ unter den Jugendmannschaften verschiedener Vereine zeigt, publik. 

Diese Diskussion verschränkte sich jedoch mit einer zweiten, andersartigen, bei der es um die künftig zu fördernden körperlichen Eigenschaften von Spielern ging. Die Quintessenz daraus lautete: Bislang wurden „athletische Züge“, also Muskelkraft, bevorzugt - in Zukunft jedoch sollen lieber intelligentes Spiel und Technik gefördert werden. Diese jeweiligen Eigenschaften wurden jedoch de facto mit der jeweiligen „ethnischen“ Herkunft von Spielern korreliert. Nationaltrainer Laurent Blanc, der im Sommer 2010 eingesetzt worden war, just um die damals aufgebrochene Krise des französischen Fußballs zu lösen, wird durch Médiapart mit den Worten zitiert: „Und was gibt es an Großen, Kräftigen, Starken? Die Schwarzen. So ist das nun einmal. Und Gott weiß, dass viele in den Ausbildungszentren sind.“ Aus anderem Anlass soll er auch Verantwortliche der spanischen Fußballverbände mit den Worten zitiert haben: „Die Spanier sagen uns: Wir haben keine Probleme. Schwarze haben wir nicht.“  

Seine Unterstützer verteidigten Blanc später mit dem Argument, dieser sei „kein Rassist“. Dies mag auf ihn persönlich sogar tatsächlich zutreffen; als früherer Nationalspieler ist Laurent Blanc es gewohnt, mit Fußballern unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe zusammenzuarbeiten. Viel eher als „absichtlichen“, bewussten Rassismus widerspiegelt diese Haltung eine Form von ethnisierter Arbeitsteilung. Tatsächlich lässt sich in gewisser Weise heute, in der Krise, ein Gegenschlag des Pendels beobachten. Denn noch in jüngerer Vergangenheit waren Spieler etwa auch aus afrikanischen Ländern gerade in der Erwartung rekrutiert worden, dass diese „athletische“ Eigenschaften, Muskelkraft, mitbringen. Ihnen wurde mit einer Erwartung entgegenkommen, die in etwa der früheren Militärpolitik Frankreichs entspricht, die Afrika als Reservoir für Soldaten behandelte und diese als Ausdruck roher Kraft - la force noire – betrachtete (vgl. zu letzterem Punkt: http://www.trend.infopartisan.net/trd0210/trd150210.html ). Ihre heutige Behandlung, die darin besteht, sie jedenfalls ab einer bestimmten Anzahl oder einem bestimmten Anteil an einer Mannschaft abzulehnen, bildet nur die Kehrseite derselbe Medaille.  

Welche Sanktionen? 

Die Veröffentlichung dieser Diskussion löste in der Öffentlichkeit einen Skandal aus, und die Regierung versprach einzuschreiten. Letztendlich sind Sanktionen von ihrer Seite her jedoch ausgeblieben. Sportministerin Jouanno begründet dies damit, dass es zwar höchst fragwürdige Äußerungen gegeben habe, jedoch keine nachweisbare Umsetzung einer auf diskriminierenden Quoten basierenden Vereinspolitik. Der Dachverband FFF seinerseits hat jedoch disziplinarrechtliche Verfahren gegen zwei seiner Funktionäre, Blanquart aufgrund seiner Auslassungen und Prevosto aufgrund seines Nichthandels trotz Mitwisserschaft, eingeleitet. (Sicherlich sind diese auch vor dem Hintergrund des aktuellen Machtkampfs zu sehen.) Am Dienstag, den 31. Mai 11 fiel nun die Entscheidung diesbezüglich: Laurent Blaquert erhielt eine Verwarnung durch die Verbandsführung. André Prevosto wiederum werden sechs Tage Lohn abgezogen, und er wird für diese Dauer aus dem Dienst entfernen; vgl. http://www.lefigaro.fr/ . Kritiker/innen kommentierten schnell - etwa in der Morgensendung auf ,Radio France Inter’ vom 1. Juni -, dies sei eine ausgesprochen geringfügige Sanktion, da die zum Gutteil an Prämien hängenden fetten Bezüge (jenseits der sechs Tage Abzug) nicht angetastet würden. 

In der Öffentlichkeit hat vor allem der prominente Fernsehjournalist Eric Zemmour - der selbst im Februar 2011 aufgrund von Äußerungen, die Diskriminierungen im Arbeitsleben ausdrücklich rechtfertigen, gerichtlich verurteilt worden ist - im Figaro empört zum Thema Stellung genommen. Er schreibt, die Kritik an den bei der FFF ins Auge gefassten Praktiken sei Ausdruck „einer dieser Operationen ideologischen und medialen Terrors, welcher für die antirassistische radikale Linke typisch ist“. - Nicht zum Thema ausgelassen hat sich ihrerseits Marine Le Pen. Doch auf ihren Sportseiten merkte die Pariser Abendzeitung Le Monde dazu an, die derzeit sehr populäre rechtsextreme Politikerin brauche nur zuzusehen, wie „die Entwicklung der Mentalitäten ihr zuarbeitet“.  

Hingegen hat Marine Le Pen sich unmittelbar zum Thema „doppelte Staatsbürgerschaft“, welches zumindest indirekt mit dem Sportstreit zusammenhängt, ausgelassen. Am Montag, den 30. Mai 11 sandte sie einen Offenen Brief an alle Abgeordneten der französischen Nationalversammlung, in welchem sie die französischen Parlamentarier dazu auffordert, das (in Frankreich allgemein anerkannte) Recht auf eine doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen. Begründung: Im Falle, dass Frankreich je in Algerien – wie aktuell in Libyen – militärisch eingreifen solle, würden sich „die zahlreichen Doppelstaatsangehörigen als Problem erweisen“. Der Generalsekretär der Regierungspartei UMP (Jean-François Copé) forderte die rechtsextreme Politiker daraufhin dazu auf, ihr Anliegen bei dem Kongress zur Immigrationspolitik, welchen die UMP im Laufe des Juni dieses Jahres abhält, einzubringen. Mit dieser Antwort verband Copé keinerlei inhaltliche Kritik an Marine Le Pens Vorstoß. Dies zog eine scharfe Kritik der französischen KP nach sich, welche beiden, Copé und Le Pen, eine „Wiedererfindung der Apartheid“ vorwarf. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/) Der Präsidentenberater & Redenschreiber Sarkozys, Henri Guaino, seinerseits äußerte die Auffassung, das Thema Doppelstaatsbürgerschaft „verdiene eine Diskussion“, auch wenn der (durch Marine Le Pen für ihren Vorstoß gewählte) „Zeitpunkt nicht unbedingt der beste“ sei. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/)

Editorische Anmerkungen

Den Text
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.