Dominique Strauss-Kahn
Der Politische Absturz eines Alphatiers - eine
Chronik seit dem 14. 5. 2011

von Bernard Schmid

06/11

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Macht Macht wirklich sexy? Dominique Strauss-Kahn schien dies schon immer zu glauben, und sich selbst folglich für absolut unwiderstehlich zu halten. Ob der 62jährige allerdings nicht nur – wie bekannt war - ein Sexbesessener und pausenlos Frauen bedrängender „Anbaggerer“, sondern darüber hinaus auch ein Vergewaltiger ist, wird nun in den kommenden Monaten (voraussichtlich bis Anfang 2012) ein US-Gericht im Bundesstaat New York klären müssen. Bis dahin entfaltet der Skandal einstweilen schon einmal handfeste politische Konsequenzen; auf unterschiedlichen Ebenen

Sollte doch etwas an dem Aberglauben dran sein, wonach das Datum „13. Mai“ besonders Unglück bringt? Dominique Strauss-Kahn, genannt „DSK“, ehemaliger Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und bis vor kurzem Favorit der Umfragen für die französische Präsidentschaftswahl 2012, könnte über die Frage nachdenken.  

An jenem Freitag war Strauss-Kahn von seinem Arbeitsplatz in Washington zunächst nach New York gereist, von wo aus er am folgenden Nachmittag nach Paris und kurz darauf nach Berlin weiterfliegen sollte. Doch dann kam etwas Entscheidendes dazwischen: Eine Zimmerfrau des Sofitel-Hotels, die unter ihrem Einwanderernamen „Ophelia“ arbeitende 32jährige Westafrikanerin Nafissatou Diallo, warf dem bis dahin erfolgsverwöhnten Franzosen an jenem Samstag um die Mittagszeit versuchte Vergewaltigung und erzwungenen Oralverkehr vor. Arbeitskollegen (so jedenfalls die Darstellung durch die US-amerikanische, gewöhnlich gut informierte Webseite ,Daily Beast’) hatten die junge Frau, an deren Namen unschwer ihre Herkunft aus Guinea abzulesen ist, zuvor zusammengekauert am Fube eines Schranks aufgefunden. Ihre Befragung durch Kollegen und Vorgesetzte forderte dann die Vorwürfe zutage, bevor die Hoteldirektion die Polizei einschaltete. 

Strauss-Kahns Terminkalender wurden ein verlängerter Zwangsaufenthalt in New York und eine jähe Unterbrechung aller für die kommenden Wochen geplanten Aktivitäten hinzugefügt. Das konservativ-liberale Wochenmagazin Le Point hat übrigens kolportiert, welches die letzten Worte „von DSK in Freiheit“ gewesen seien, bevor zwei Polizeibeamte der New Yorker Hafenbehörde ihn zum Aussteigen aus dem abflugbereiten Flugzeug aufforderten: „Was für ein schöner Arsch!“ Sofern die Darstellung zutrifft, richteten sie sich an eine Stewardess von Air France – und bestätigt einen soliden Ruf, den Strauss-Kahn seit langen Jahren in politischen und journalistischen Kreisen hatte.  

Ein Mann wird seinem Ruf, nun ja, „gerecht“ 

Es war auch bisher bekannt, dass „DSK“ einen nicht eben armseligen Lebensstil pflegt. Das wahre Ausmab seiner Ansprüche jedoch war bislang ein gut behütetes Geheimnis. Noch Anfang Mai, vor Ausbruch der „Affäre“, hatten Strauss-Kahns Imageberater von der Werbefirma Euro-RSCG Strafanzeige gegen die Boulevardzeitung France Soir erstattet. Diese hatte zuvor behauptet, die Anzüge ihres Schützlings kosteten 35.000 Dollar das Stück. Die Kommunikationsberater – vier von ihnen arbeiteten „DSK“ quasi hauptamtlich zu – waren ausgesprochen nervös, seitdem in den ersten Maitagen ein Foto publiziert worden war. Auf ihm sieht man den Mann in ein teures Auto der Marke Porsche steigen. Die Aufnahme stammte vom 28. April dieses Jahres.  

Bei seinen Imageberatern betrachtete man dies als schweren PR-Unfall - und beeilte sich, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, der Wagen gehöre gar nicht Strauss-Kahn. Tatsächlich ist sein Eigentümer einer seiner Berater bei Euro-RSCG, der Enddreibiger Ramzi Khiroun. Allerdings war die Wirkung dieses Dementis fast noch schlimmer als jene des Fotos selbst. Denn nun wusste alle Welt, dass einer der wichtigsten Imageberater „DSK“s identisch ist mit dem Konzernsprecher von Lagardère. Dieses Unternehmen, bei dem Khiroun hautberuflich angestellt ist, ist einer der führenden Medien- und Rüstungskonzerne in Frankreich. 

Strauss-Kahn wusste, dass er seit einiger Zeit durch Teile der Öffentlichkeit argwöhnisch beobachtet wurde, seitdem das Gerücht über seine Präsidentschaftskandidatur sich zunehmend zu erhärten schien. Inoffiziell traf er in jüngster Zeit die Redaktionen mehrerer grober Printmedien, die der Sozialdemokratie mehr oder weniger nahe stehen: Le Nouvel Observateur, Libération oder Le Monde. Jener von Libération erzählte er am 28. April  dieses Jahres unter anderem, er wisse, dass sein Hang zu Frauen eine seiner Achillesfersen sei. Und, fügte er hinzu, er könne sich vorstellen, dass jemand „einer Frau 500.000 oder eine Million Euro bezahlt“, dafür, dass diese angeblich fingierte Vorwürfe über „eine Vergewaltigung auf einem Parkplatz“ erhebe.  

Dass es nicht ganz so einfach ist, jemandem mit gefälschten Vorwürfen solcher Art zu schaden – es gibt schlieblich DNA-Analysen und andere Formen wissenschaftlicher Spurensicherung -, wusste natürlich auch Strauss-Kahn. Tatsächlich wird auch vor der US-Justiz demnächst eine Analyse von Kleidungsstücken sowie dem Teppich aus dem New Yorker Hotel, wo die Vergewaltigungsszene sich abgespielt haben soll, vorgelegt werden. Intern stehen deren Ergebnisse bereits fest. Anfang vergangener Woche hatten US-Medien und, detaillierter noch, der französische Fernsehsender France 2 berichtet, es hätten sich Spermaspuren mit der DNA Strauss-Kahns am Kragen der Bekleidung der mutmablich zum Oralsex gezwungenen Hotelbeschäftigten nachweisen lassen. Mittlerweise wurde dies jedoch öffentlich dementiert, New Yorker Polizei- und Justizbehörden erklärten, sie hätten das Ergebnis an niemanden weitergegeben. Erst zum Prozess werde es bekannt gegeben.  

Dumm gelaufen für DSK, besseres Timing für Sarkozy

Wie der Zufall so spielt: Während im Osten der USA die Ereignisse für Dominique Strauss-Kahn ihren Lauf zu nehmen begannen, vermeldete die französische Presse einen Popularitätsgewinn für Amtsinhaber Nicolas Sarkozy, den „DSK“ bei der Präsidentschaftswahl voraussichtlich besiegt hätte, von fünf Prozentpunkten. Viele Beobachter meinen, dieser kurzfristige Popularitätszuwachs – der zum Teil bereits wieder verflogen ist – resultiere lediglich aus den Schlagzeilen der Yellow Press über die Schwangerschaft von Gattin Carla Bruni. Deren Zeitpunkt (das arme Kind wird voraussichtlich vier Monate vor der nächsten französischen Präsidentschaftswahl auf die Welt kommen) ist sozusagen „optimal getimed“. Und so manche Beobachter/innen, denen sowohl die Persönlichkeit des Machtpolitikers Nicolas Sarkozys als auch jene von Carla Bruni – früher eine Art Kombination aus Sängerin und Kurtisane ständig wechselnder Reicher & Berühmter Männer – bekannt ist, wagen dabei bisweilen am Zufall zu zweifeln.

Ob „DSK“ über einen Zusammenhang zu dem Datum am 13. Mai, an dem die Dinge ihren Ausgang nahmen, nachdenkt, ist unbekannt. Zeit dazu hätte er jedenfalls, seitdem er in New York unter Hausarrest steht. Zunächst trat er diesen unter der Hausnummer 74 des berühmten Broadway an, in einem Gebäude, das keinen Luxusstandards entspricht. Seit dem Mittwochn, 24. Mai 11 allerdings ist der saubere Herr nun umgezogen. Und zwar in eine 623 Quadratmeter umfassende Wohnung mit vier Badezimmern, vier Schlafgemächern, einem eigenen Kinosaal, einem Fitnessraum, einer Dachterrasse..., welche die Millionärsgattin von DSK (die frühere TV-Journalistin und Erbin eines Kunsthändlers, Anne Sinclair) für lockere 35.000 Dollar monatlich anmietete. So lässt sich Hausarrest aushalten, wenn man nur die nötigen Millionen hat. Die konservative Tageszeitung Le Figaro lieb ihre Leser/innen/schaft auf ihrer Webseite bereits D3-Simulationen vornehmen, um sich spielerisch in allen Ecken der luxuriöse Wohnung umzugucken. Selbst ihre bourgeoise Leserschaft hat derart krasse Privilegien noch selten derart offen zur Schau gestellt bekommen... (Vgl. dazu http://www.lefigaro.fr/)

Dieses „Luxusgefängnis“ - wie zahlreiche französische Medien es bereits nennen - darf der a-ha-harme und be-dau-erns-wer-te Super-DSK nur verlassen, um sich in ärztliche Behandlung, zum Gericht, zu seinem Anwalt oder eventuell (so sehen es die Spielregeln in den USA vor) zu einem Gottesdienst zu begeben. So lauten die Auflagen, die ein Geschworenengericht am 19. Mai 11 festlegte.

Seine Überstellung von der Gefängnisinsel Rikers Island, wo „DSK“ zuvor seit dem 15. Mai d.J. einsab, in Hausarrest wäre bei der Verhandlung um ein Haar gescheitert. Denn bei einer luxuriöseren Adresse in der New Yorker Upper East Side, wo Strauss-Kahns Ehefrau zwei teure Appartements angemietet hatte, wollten die Miteigentümer und Anwohner den gestrauchelten Politiker nicht zum Nachbarn haben. Sie fürchteten entweder unfreundliche Publicity, oder verurteilten die „DSK“ vorgeworfenen Umtriebe selbst moralisch... 

Ein paar bislang unterdrückte Detailchen...  

Unterdessen kommen in Frankreich seit der Monatsmitte des Mai 2011 nun immer neue Details ans Licht der Öffentlichkeit, die zahlreiche Journalisten bis dahin wussten – und in ihrem Milieu jahrelang weitererzählten -, aber bislang nie aufschrieben.

So erfuhr das breite Publikum erstmals, dass eine heute 30jährige Schriftstellerin namens Tristane Banon „DSK“ seit Jahren vorwirft, bei der Arbeit für ein Buch 2003 um ein Haar durch ihn vergewaltigt worden zu sein. „Wie ein brünftiger Schimpanse“ habe er sich auf sie „gestürzt“, gab sie dazu 2007 in einer Fernsehsendung zu Protokoll – die damals ausgestrahlt wurde, wobei der von ihr explizit ausgesprochene Name des Politikers jedoch unkenntlich gemacht worden war. Die Vorwürfe tauchten also nicht erst im Zusammenhang mit dem New Yorker Skandal auf. 

Die junge Frau ist die Tochter einer Parteifreundin von Dominique Strauss-Kahn und Regionalparlamentsabgeordneten der französischen Sozialdemokratie, Anne Mansouret. Letztere wirft inzwischen ihrer Partei öffentlich vor, Prominente hätten von den Vorwürfen gewusst, aber in der Öffentlichkeit dazu geschwiegen, um ihre Galionsfigur „DSK“ nicht zu demontieren. Eine fanatische Anhängerin Strauss-Kahns, die Regionalparlamentarierin Michèle Sabban, fordert deswegen inzwischen den Ausschluss Mansourets aus ihrer gemeinsamen Partei. Dieselbe Politikerin, die auch Vizepräsidentin des Pariser Regionalparlaments ist, sprach als erste von einem „internationalen Komplott“.

Aus diesem Anlass erweist sich, wie opportunistisch die französische Presse sein kann. Bislang wahrte sie das Schweigen über „DKS“s Umtriebe, während nunmehr allerorten davon die Rede ist, dessen „Ruf“ sei ja längst „bekannt“ gewesen. Gerechtfertigt wird dies seitens von Berufsjournalisten und Politikerkollegen dadurch, dass man den „Schutz des Privatlebens“ habe respektieren müssen, und dass ein „Baggerer“ oder „Sexbesessener“ (Eigenschaften, welche bis zu dem Punkt noch unter „private Angelegenheiten“ fallen) eben noch kein Vergewaltiger – also Krimineller – sei. Dies trifft zu, und die Linie zwischen beiden gilt es aufrecht zu halten. Nur fiel und fällt das Verhalten von „DSK“ eben offenbar nicht allein in die erste, sondern bisweilen auch früher schon in die zweite Kategorie...

Auch kommen nun andere Einzelheiten über „DKS“s bisheriges politisches Verhalten ans Tageslicht, die schlichtweg nichts mit seinem (hyperaktiven) Sexualleben zu tun haben. So erfuhr man vor wenigen Tagen ganz nebenbei und unspektakulär etwa in der Pariser Abendzeitung Le Monde in einer sekundären Artikelpassage, dass es Strauss-Kahn war, dessen Büro die vor einem guten Jahrzehnt extrem berühmte Videokassette mit den Bekenntnissen von Jean-Claude Méry verwahrte. Méry war in den 1990er Jahren eine Hauptfigur bei der illegalen, teilweise mafiösen Parteienfinanzierung der bürgerlichen Rechten (damals unter Jacques Chirac und Charles Pasqua). Um sich selbst zu schützen, hatte er eine Videokassette aufzeichnen lassen, auf der er ausführlich „auspackte“. Der Hintergedanke dabei lautete: „Falls mir je etwas ,zustöbt’, sollten die dafür Verantwortlichen wissen, dass sie mein Wissen nicht zusammen mit mir aus der Welt schaffen können.“ Deshalb wurde die Kunde über die Existenz einer solchen Kassette gestreut. Ans Licht der Öffentlichkeit gelangte sie im Jahr 2000. Doch über den weiteren Verbleib dieses wichtigen Beweisstücks – denn die Kassette enthält zahlreiche Detailinformationen, u.a. über enge Verflechtungen zwischen Wirtschaftsunternehmen und bürgerlichen Rechtsparteien – wurde danach nichts mehr bekannt, ihre Spur verlor sich für die Öffentlichkeit, und es war in den Medien nie wieder die Rede davon. Nun erfährt man in diesen Tagen ganz lapidar, dass das Büro „DKS“s diese Kassette besab und, räusper hüstel!, „verloren“ hat. Angeblich, so liest man es nun plötzlich in den Zeitungen, hat Strauss-Kahns Sekretärin sie „aus Versehen weggeworfen“. Unglaublich...

Verschwörungstheorien: dummer Schrott, wie (fast) immer im Leben 

Zahllose Verschwörungstheorien ranken sich um die Inhaftierung Strauss-Kahns und seinen dramatischen politischen Absturz. Von „Sexfalle“, „Venusfalle“ und einem „Komplott“ ist vielfach die Rede.

Dabei darf – wie immer, wo es in jüngerer Zeit um Verschwörungsscheibdreck geht – besonders der rot-braune Jauche,journalist’ Jürgen Elsässer nicht fehlen. Der Mann halluziniert sich etwa folgende Ausführungen herbei: Die (= die Yankees) wollen uns zeigen, dass sie jeden von uns kriegen können, egal was er getan hat. Deutschland, Europa, das ist alles von den USA besetzt“ (Orignalton); und  er nutzt gleich auch noch die (nun ja) unpassende Gelegenheit, mit, so wörtlich, „Frauenrechtsgedöns“ verbal heftig ins Gericht zu gehen. Jedem Schweinchen sein Pläsierchen... Jedenfalls, bis es irgendwo irgendwann mal tüchtig was in die Eier setzt... (Vgl. http://juergenelsaesser.wordpress.com/2011/05/17/gerechtigkeit-fur-strauss-kahn/ oder http://juergenelsaesser.wordpress.com/2011/05/20/iwf-und-yankee-banker-zerquetschen-strauss-kahn/ und http://juergenelsaesser.wordpress.com/2011/05/23/dsk-offensive-der-mannerhasserinnen/ )

Und natürlich fehlt es auch sonst nicht an Schlaumeiern, die meinen, einer gigantischen Verschwörung auf die Schliche gekommen zu sein, ganz alleine und vor ihrem Fernseher oder Bildschirm sitzend. Dies ist insofern wohl unvermeidlich, als „DSK“ auf nationaler und internationaler Ebene eine wichtige politische Figur war und sein bisheriger Arbeitgeber – die internationale Finanzinstitution IWF – eine gewisse Machtfülle aufweist. Tatsächlich stehen wichtige Interessen auf dem Spiel, wenn in den kommenden vier Wochen dort die Nachfolge „DSK“s geregelt wird. Als aussichtsreiche Anwärterin auf den Posten gilt derzeit unter anderem die amtierende französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde, die bis zu ihrem Regierungseintritt 2007 eine Kanzlei von US-Wirtschaftsanwälten in Chicago leitete. Unterdessen sprach der sozialdemokratische französische Ex-Minister Claude Bartolone von einem möglichen „russischen Komplott“, da DSK ihm gegenüber in jüngerer Vergangenheit erklärt habe, Russland wolle ihn vom IWF-Vorsitz verdrängen.

Befeuert worden sind die Verschwörungstheorien schnell auch dadurch, dass ein junges Mitglied von Sarkozys Regierungspartei UMP – der 24jährige Jonathan Pinet – schon am Abend des 14. Mai des Jahres gegen 22 Uhr (Pariser Ortszeit, d.h. wohl gegen 17 Uhr in New York) über Twitter bekannt gab, dass Strauss-Kahn in New York Probleme mit der Polizei habe. Zu dem Zeitpunkt war „DSK“ noch nicht offiziell inhaftiert, auch wenn die beiden Polizisten an Bord der Air France-Maschine ihn bereits eine Stunde zuvor mitgenommen hatten. – 60 Minuten später war es auch auf dem Blog Atlantico zu lesen, der durch Sarkozys früheren Wahlkampfleiter Arnaud Dassier mitbetrieben wird. Es brauchte nicht viel mehr, um manche an den unverbrüchlichen Beweis „des Komplotts“ glauben zu lassen. In Wirklichkeit wären diese UMP-Politiker jedoch nichts als strohdumm gewesen, hätten sie auf diese Weise ihre Mitwisserschaft ins World Wide Web hinausposaunt. (Eine erfolgreiche Verschwörung erkennt man jedenfalls nicht daran!) Die Realität dürfte banaler ausfallen: Eigentümer und Management des Sofitel in New York sind Franzosen. Und da die Hotelleitung schon Stunden vor der Festnahme Strauss-Kahns von dem Vorfall wusste, hatten befreundete Landsleute dem Studenten Jonathan Pinet die „Sensation“ mitgeteilt.

In der ersten Woche nach Ausbruch der Affäre erklärten stattliche 57 Prozent der befragten Franzosen in einer Umfrage, sie glaubten an ein „internationales Komplott“ im Zusammenhang mit dem Skandal. Der Mediensoziologe Denis Muzet erklärte dazu in der Pariser Abendzeitung Le Monde, dieses frappierende Phänomen resultiere zunächst aus der Verblüffung und dem Unverständnis, die sich aus der extremen Dissonanz zwischen dem privaten Verhalten Strauss-Kahns und der in der Öffentlichkeit aufgebauten Figur des verhinderten Präsidentschaftskandidaten ergäben. Auf die schnelle und radikale Veränderung, die den Verlauf des französischen Wahlkampfs ganz erheblich verändern dürfte, reagierten viele deswegen mit einer geistigen Blockade. Bei den Sympathisanten von „DKS“s sozialdemokratischer Partei stieg der Anteil derer, die in den ersten Tagen an ein Komplott glaubten, bis auf 70 Prozent

Inzwischen sind die im Umlauf befindlichen Verschwörungstheorien in der breiten Öffentlichkeit zurückgegangen, und eine Mehrheit der Bevölkerung wartet auf den künftigen Gerichtsprozess. Strauss-Kahns Anwälte werden dabei alles daran setzen, die Persönlichkeit von Nafissa Diallo zu diskreditieren und in Zweifel zu ziehen. Auch dies spricht natürlich (neben der Tatsache, dass ein Schuldspruch die Einstimmigkeit unter 12 Geschworenen erfordert, was sich schwer vorab garantieren lässt) gegen die Theorie vom in allen Einzelheiten vorbereiteten „Komplott“. Es widerlegt die These von der „Venusfalle“, der zufolge sie eine Art moderner Mata Hari darstellt - es würde unvermeidlich auffliegen, denn ihr gesamtes Leben wird nunmehr bis ins letzte Detail durchleuchtet werden.

Furcht um das Opfer

Privatdetektive, die von „DKS“s teuren Anwälten in New York losgeschickt wurden, sollen bereits in Guinea – dem Herkunftsland, das Nafissatou Diallo 1998 im Alter von 19 Jahren verlieb - nach ihren Spuren schürfen. Zu befürchten ist deswegen nicht, dass dem Publikum eine Einzelheit zu ihrem Leben entgeht, sondern eher, dass sie systematisch mit Schmutz beworfen werden wird.

Öffentliche Verharmlosungen

Parallel dazu haben einige französische Prominente, aus Sympathie zum Beklagten „DSK“ heraus, längst ihre Aussage in Zweifel gezogen oder aber die Vorwürfe auf skandalöse Weise heruntergespielt. Ex-Kulturminister Jack Lang meinte etwa beschwichtigend, es sei ja „niemand gestorben“, und der Chefredakteur des pseudo-rebellischen Wochenmagazins Marianne – Jean-François Kahn – murmelte etwas vom „Betatschen einer Domestikin“, was irgendwie Tradition habe. (Infolge des Skandals, der durch diese Sprüche ausgelöst wurde hat der 72jährige nun am Mittwoch, den 24.o5.11 erklärt, er beende seine berufliche Laufbahn und ziehe sich völlig aus dem Journalismus zurück. Am folgenden Tag veröffentlichte er einen Beitrag in Le Monde unter dem Titel „Werft meine Engagements nicht vor die Hunde“. Darin rechtfertigt er sich mühsam mit dem Argument, er habe sich sehr unglücklich ausgedrückt, wolle aber nicht sein Leben und Wirken auf diesen Auftritt reduziert sehen.)

Französische Feministinnen reagieren auf solche Auslassungen hellauf empört. In einer Petition, die innerhalb einer knappen Woche bereits 28.000 Unterschriften erhielt, protestierten sie am vorletzten Wochenende: „Wir wissen nicht, was am vergangenen Samstag in New York passiert ist. Aber wir wissen, was seit einer Woche in Frankreich passiert. Wir wohnen einem energischen Aufschwung von sexistischen und reaktionären Reflexen, wie sie bei einem Teil der französischen Eliten so schnell auftauchen können, bei. (...) Diese Aussprüche tendieren dazu, aus einer Vergewaltigung eine Situation mit unklaren Grenzen, eine Art Ausrutscher, mehr oder minder akzeptabel, zu machen.“ Die Frauenrechtsvereinigungen Osez le féminisme, La barbe (Der Bart) und Paroles de femmes organisierten ferner gemeinsame eine Kundgebung vor dem Pariser Centre Pompidou. An ihr nahmen, je nach Angaben, zwischen 500 und 3.000 Menschen teil.  

Die grobe Welle der Komplotttheorien ist vorläufig abgeebbt. Aber es bleiben jene Kommentatoren, die diese Affäre vor allem aus dem Blickwinkel der jeweiligen Abstammung oder Religionszugehörigkeit ihrer Protagonisten betrachten. So kommentierte der Philosoph Alain Finkielkraut – früher Maoist, heute reaktionärer Prediger der Notwendigkeit einer Elite -, die Öffentlichkeit lasse sich täuschen, weil das angebliche Opfer arm, schwarz und muslimisch sei. Aufgrund ideologischer Voreingenommenheit der breiten Masse flögen ihr deswegen die Sympathien zu, während „DSK“ als Reicher & Mächtiger von vornherein verdächtigt werde. Dass „DSK“ auch aufgrund seiner jüdischen Herkunft verfolgt werde, bleibt bei Finkielkraut angedacht, aber bislang unausgesprochen. Dagegen war im Forum des deutschen (philosemitischen, rassistischen und sozialdarwinistischen) Internetmagazins Politically Incorrect schon mal die Rede von einer „Hetzjagd auf konservative und jüdische Geschäftsleute“, unter die Strauss-Kahn subsumiert wird, seit dem Amtsantritt von „Hussein O.“ als US-Präsident.

Auf Radio Monte Carlo (RMC) sprach der Journalist Eric Brunet unterdessen von DSK als einem „neuen Dreyfus“. Umgekehrt ironisierte der französische Antisemit Dieudonné M’bala M’bala in einem Videofilm, der über das Internet verbreitet wird, über Strauss-Kahn als „Angehörigen des auserwählten Volkes“. Deswegen, fügte der antisemitische Theatermacher suggestiv-sarkastisch hinzu, sei er notwendig Opfer, und sprach diesbezüglich hämisch von einer „Shoah durch Oralverkehr“.

Profitiert die Rechte von „DKS“s Absturz? Nicht sicher!

Jene Theorien, die DSK als Angeklagten einer „neuen Dreyfus-Affäre“ betrachten, fügen bisweilen hinzu, objektiv profitiere von seinem Sturz ja in der französischen Innenpolitik der rechtsextreme Front National (FN). Aber nichts ist ungewisser als dies. Zwar bereitete dessen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen sich tatsächlich auf eine Stichwahl gegen DSK, als Traumkonstellation der extremen Rechten und gleichzeitig - bis vor kurzem – nicht unwahrscheinlichen Ausgang der nächsten Präsidentschaftswahl, vor. Aber ihr Vater Jean-Marie Le Pen hat nicht Unrecht, wenn er am letzten Wochenende davon sprach, es sei „schade“, dass „DSK“ nun nicht als Wunsch-Gegenkandidat für seine Tochter zur Verfügung stehe. Denn die rechte Kampagne gegenüber einem „DSK“ war vorgezeichnet: Bei niemandem hätte sie vermeintlich leichteres Spiel gehabt, um aufzuzeigen, dass die durch Ex-IWC-Chef Strauss-Kahn verkörperte „Linke“ mit den globalisierten Eliten und dem „internationalen Finanzkapital“ zusammenstecke. Ein Teil der extremen Rechten – vielleicht nicht ihre Frontfrau selbst, die strategisch dem Antisemitismus abgeschworen hat – hätte dabei im Subtext gleichzeitig überdeutlich auf die jüdischen Wurzeln „DSK“s verwiesen. Die sozialen Widersprüche, die Strauss-Kahns wirtschaftsliberaler Kurs notwendig hervorgerufen hätte, hätten sich dadurch ideologisch rechts kodieren lassen, vielleicht auch noch unter Verweis auf Strauss-Kahns notorische Sexualmoral bzw. Sexsucht. Nicht wenige Antifaschisten hielten „DKS“s Präsidentschaftskandidatur insofern für gefährlich, als sie der rechten Agitation eine Steilvorlage liefere.

Auch im Lager Nicolas Sarkozys ist man nicht unbedingt erbaut darüber, Strauss-Kahn als Gegenkandidat zu verlieren. Zwar fürchtete die konservativ-wirtschaftsliberale Rechte sich einerseits vor diesem Bewerber, der wesentlich stärker als die jetzt zu erwartenden sozialdemokratischen Präsidentschaftsbewerber – François Hollande oder Martine Aubry – auch bürgerliche Mitte-Rechts-Wähler angesprochen hätte. Auf der anderen Seite hatten die Leute Sarkozys längst, wie sie jetzt in den Medien durchsickern lassen, die belastenden Dossiers über „DSK“ vorbereitet. Denn dessen sexuelle Umtriebe hatten sich natürlich auch bis zur Regierungspartei herumgesprochen. „Ganz umsonst“ habe man dort „die Anti-Strauss Kahn-Kampagne“ seit längerem vorbereitet, resümiert der für „Elysée-Angelegenheiten“ zuständige Le Monde-Journalist Arnaud Leparmentier auf seinem Blog.

Editorische Anmerkungen

Den Text
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.

Zum Thema siehe auch Dominique Strauss-Kahn: Der Retter stürzt ab (trend 5/11)