Peter Trotzig
Kommentare zum Zeitgeschehen

Anti-AKW-Bewegung
Eigentlich ganz traditionell sozialistisch?

06/11

trend
onlinezeitung

Zu den unbestrittenen allgemeinen Zielen des Sozialismus/Kommunismus gehörte und gehört es, dass die Mehrheit der Menschen - die heute in entwickelten kapitalistischen Ländern üblicher Weise von fremdbestimmter Lohnarbeit leben - darüber entscheiden, was produziert wird und wie es produziert wird. Um dieses Ziel sicher zu stellen, müssten die kapitalistischen Produktionsverhältnisse überwunden werden und die gesellschaftlich arbeitsteilige Produktion dem Willen der nunmehr frei assoziierten Menschen unterworfen werden. Solange kapitalistischen Produktionsverhältnisse herrschen entscheiden in erster Instanz voneinander unabhängige Privatproduzenten was produziert wird und wie es produziert wird. Die lohnabhängige Masse kann allenfalls als Konsument, durch Kaufentscheidungen, auf Produktionsentscheidungen Einfluss nehmen. 

Die Anti-AKW-Bewegung beschränkt sich nicht auf diese mögliche, begrenzt marktvermittelte Einflussnahme von KonsumentInnen auf die Produktionsentscheidung für diese oder jene Form der Energie. Von Anfang an ging ihr Bestreben dahin, durch politische Aktion direkten Einfluss auf die Produktionsentscheidung zu nehmen. Die Forderung nach Abschaltung aller AKWs wendete sich sowohl an die Kraftwerksunternehmen, wie an den bürgerlichen Staat. 

Die Anti-AKW-Bewegung hat von Anfang an nicht nur von Kapital und Staat die Abschaltung der AKWs verlangt sondern gleichzeitig die Produktion von Energie aus erneuerbaren Energiequellen angeschoben. 

Ob sich diejenigen, die die Anti-AKW-Bewegung tragen und voranbringen dieser Tatsache bewusst sind oder nicht, es bleibt festzuhalten, dass die Bewegung in einem sehr wichtigen Bereich der gesellschaftlichen Produktion nach direktem demokratischen Einfluss auf die Produktionsentscheidung strebt. Das ist aus meiner Sicht eine unverkennbar sozialistische Tendenz! 

Die Produktion, Bereitstellung und Nutzung von nicht menschlicher Energie gehört zu den entscheidenden Bereichen der gesellschaftlichen Produktion, die großen Einfluss haben auf die Entwicklung von Arbeitsproduktivität und Entwicklung der natürlichen Umwelt. (Für die Entwicklung der Arbeitsproduktivität ist die Nutzung nicht menschlicher Energie entscheidend.) Der Versuch einer wachsenden Zahl von Menschen, auf diesen Bereich der gesellschaftlichen Produktion direkt Einfluss zu nehmen, ist auch aus diesem Grunde von besonderer Bedeutung. 

Solange das kapitalistische Privateigentum unangetastet bleibt, kann die Masse der von lohnabhängiger Arbeit lebenden Menschen nur durch politische Bewegung und politischen Druck auf Kapital und Staat einen entscheidenden Einfluss auf Produktionsentscheidungen nehmen. Das solche Bestrebungen nicht illusorisch sind, beweist die Anti-AKW-Bewegung. Ihr Erfolg und die Dauerhaftigkeit der durchgesetzten Entscheidung hängt jedoch immer vom Ausmaß der Mobilisierung und somit der Stärke der Bewegung ab. Es gibt keine gesellschaftlich Einrichtung, keine Organisation der Produktion selbst, die den Menschen ihr Einflussnahme und Entscheidungsmacht garantiert. Sowie der Druck auf Kapital und Staat nachlässt, beherrscht das Privateigentum das Feld und werden die marktwirtschaftlichen Kriterien der Gewinnmaximierung uneingeschränkt dominierend. Sollen sich die in der Anti-AKW-Bewegung ausdrückenden sozialistischen Tendenzen nach Einflussnahme auf die Produktion also dauerhaft durchsetzen, dann verlangt das eine Überwindung des kapitalistischen Privateigentums. 

Die Anti-AKW-Bewegung ist aus 2 Gründen ganz traditionell sozialistisch:

1.      weil sie in einem konkreten Einzelfall nach direkter Einflussnahme auf was und wie der Produktion strebt

2.      weil sie – wie es wider alle linksradikalen Unkenrufe unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen gar nicht anders sein kann – zu diesem Zweck Forderungen sowohl an das Kapital (in diesem Fall auf Unterlassung) als auch an den Staat (in diesem Fall Durchsetzung eines Verbots) stellt. 

An beiden „Traditionen“ ist nichts auszusetzen. Eine sozialistische Massenbewegung wird sich auch auf dem Boden der heutigen Gesellschaft nicht entwickeln, ohne zunächst Forderungen an Kapital und Staat zu richten. 

Die Anti-AKW-Bewegung ist aus 2 Gründen nicht traditionell sozialistisch:

1.      weil sie die Eigentumsfrage nicht stellt

2.      weil sie nicht blind ist für die Risiken von Technik und Produktivkraftentwicklung

Während der erste Punkt aus meiner Sicht eine Schwäche der Bewegung ausdrückt, bedeutet der 2. Punkt eine entscheidende Stärke der Bewegung, ohne den sie sich überhaupt nicht – jenseits des traditionellen Sozialismus - in der Breite hätte entwickeln können. Die Infragestellung von Produkten und Produktionstechniken wurde in der Anti-AKW-Bewegung zum entscheidenden Ausgangspunkt für die oben benannte sozialistische Tendenz.

Die „Risikobeurteilung“ (mögliche Gefährdungen erkennen, Risiken für Mensch und Umwelt analysieren und bewerten)

  • von Produkten, die für den Verkauf erzeugt werden

  • von Produktionstechniken, die vor allem darauf abzielen Umsatz und Gewinn zu steigern

  • von Arbeit und Arbeitsorganisation, die darauf ausgerichtet ist, menschliche Arbeitskraft zu möglichst niedrigen Kosten marktkonform zuzurichten und zu benutzen

wird unter heutigen Bedingungen zu einem entscheidenden Ausgangspunkt für grundlegende Gesellschaftskritik und darauf aufbauenden populären sozialistischen oder kommunistischen Bestrebungen. Man kann und muss von der Anti-AKW-Bewegung eine Menge lernen, wenn man beitragen will zur Entwicklung einer gesellschaftlichen Massenbewegung in der zunehmend mehr Menschen mit entscheiden wollen was produziert wird und wie es produziert wird.

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.