Zum Israel-Palästina-Konflikt
Die Beschissenheit der Dinge

von Anne Seeck

6/10

trend
onlinezeitung

Ich wollte mich eigentlich nie zu dem Israel-Palästina-Konflikt äußern, aber jetzt ist es soweit.

Der Staat Israel existiert in einer feindlichen arabischen Umgebung. „Wir Deutschen“ haben nicht und niemals (!) das Recht, die Existenz Israels in Frage zu stellen. Für Auschwitz gibt es keine Worte. Obwohl man sich natürlich darüber streiten kann, ob die Existenz von Staaten überhaupt sinnvoll ist, Israel hat eine Existenzberechtigung. So verquoren die Ansichten der „Antideutschen“ auch oft sein mögen.

So sprach sich Henning Mankell, der auch auf dem Gaza-Schiff war, gegen die Zweistaatenlösung aus und will nur noch einen Staat, nämlich einen palästinensischen Staat haben: "Jeder Israeli müsse sich selber entscheiden, ob er in einem palästinensischen Staat leben wolle." (Berliner Zeitung 1.6.10, S.28; Print-Ausgabe mit Titel: "Gefährliche Selbstverständlichkeit") Natürlich gibt es aber für Linke auch die Berechtigung, die Herrschenden in Israel zu kritisieren, zum Beispiel für ihre Siedlungspolitik.

Ich bin in dem Israel-feindlichen Staat DDR aufgewachsen. Uns wurde „eingebleut“, dass „unser“ Hauptfeind nach den USA und der BRD Israel sei. Den Antisemitismus in der DDR hat Harry Waibel gut aufgearbeitet.

Ich war vor drei Monaten in Israel und einem palästinensischen Gebiet. Ich fragte mich, wie lebt es sich in einem Land, in dem ein Angstklima herrscht. Ich meine die Angst vor Selbstmordattentaten. (Die finden inzwischen häufiger in anderen Teilen der Welt statt.) Steigt man in einen Bus, so fährt die Angst mit. Wie halten Menschen das aus. Menschen, deren Vorfahren ermordet wurden. Diese Menschen werden wieder in ihrem Leben bedroht. Das muß schrecklich sein. Israel ist ein kleines Land, jede/r kennt jemanden, der getötet worden ist - ob unter den Nazis oder durch Selbstmordattentate.

In diesem Land erlebte ich vor allem soziale Kontraste. Einer westlichen Partystadt wie Tel Aviv steht die Armut in den palästinensischen Gebieten entgegen. Es sind vor allem soziale Unterschiede.

Ein weiteres Thema ist die Religion. Wir waren die meiste Zeit in Jerusalem. Wir wohnten in einem palästinensischen Hotel im arabischen Viertel. Wenn wir eine große Straße überquerten, waren wir im ultra-orthodoxen jüdischen Viertel. (Beim Sabbat fuhren auf dieser Straße Autos.) So wie der Islam Auftrieb erfährt, so auch das orthodoxe Judentum. 1/3 der Bevölkerung in Jerusalem ist ultraorthodox. Wir bewegten uns beim Sabbat in einem ultraorthodoxen Viertel.

Siehe dazu:  http://de.wikipedia.org/wiki/Me%27a_Sche%27arim und http://de.wikipedia.org/wiki/Ultraorthodoxes_Judentum

Zu dieser Zeit darf dort kein Auto fahren, alle Geschäfte müssen geschlossen sein, Frauen dürfen nicht in kurzen Röcken und nackten Beinen herumlaufen usw. Wer das nicht befolgt, wird z.B. mit Steinen beworfen, es gibt auch Brandanschläge auf Geschäfte. Die Ultraorthodoxen dürfen beim Sabbat nicht das Licht anknipsen und andere Kuriositäten.

Es besteht in Israel nicht nur ein Konflikt mit den Palästinensern, sondern auch ein Konflikt zwischen den westlich orientierten Israelis und den Ultraorthodoxen. Den Ultraorthodoxen wird vor allem vorgeworfen, dass sie auf Kosten der westlich Orientierten leben und diesen dann auch noch Vorschriften machen, wie sie zu leben haben. Die Männer studieren (Tora und Talmud) solange, bis sie nicht mehr zum Militär brauchen (dann sind sie 43), die Frauen bekommen reichlich Kinder. Die Ultraorthodoxen beziehen oft Stütze vom Staat und sind arm. Innerhalb Israels gibt es einen tiefen Riss. Überall präsent ist in Israel das Militär, zu dem auch die Frauen eingezogen werden: http://de.wikipedia.org/wiki/Israelische_Streitkr%C3%A4fte

In der DDR war ich gewohnt, dass Soldaten in Uniformen in den Zügen saßen. In Israel auch, aber sie tragen auch alle noch ein Gewehr. Das ist „Normalität“.

Als wir in Jerusalem waren, gab es dort wie so oft Unruhen, vor allem am Tempelberg. http://de.wikipedia.org/wiki/Tempelberg

Wer mehr über Israel erfahren möchte, lese das Buch „Die Israelis“, das für 4 Euro bei der Bundeszentrale für politische Bildung zu bekommen ist: http://www.bpb.de/publikationen/IV2RJJ,0,0,Die_Israelis.html

Natürlich haben aber auch die Palästinenser eine Existenzberechtigung. Die Linke muß sich für ein besseres Leben der Palästinenser einsetzen. Aber ich lehne das Schwarz-Weiß-Denken sowohl der „Antiimps“ aber auch der „Antideutschen“ ab, die Situation ist differenzierter. Weder die Hamas, die einen Gottesstaat errichten will, noch das israelische Militär, dass Menschen erschießt, ist emanzipativ. Der Israel-Palästina-Konflikt zerreißt die Linke. „Wir Deutschen“ haben gegenüber den Juden eine schwere Schuld zu tragen. Wir müssen uns aber auch für die Palästinenser einsetzen, die in elenden Verhältnissen leben. Das ist ein Spagat, aber nur so geht es.

Mein Abschied von Israel gestaltete sich auf dem Flughafen von Tel Aviv wie ein Stasiverhör. Ich hatte im Verhör den Fehler gemacht (wieder mal zu ehrlich), zu sagen, dass ich erwerbslos bin. Da wurde ich dann gefragt, wie ich meine Miete bezahle usw. Schlimmer als das Jobcenter wurde es dann, als sie mich fragten, warum ich denn schon länger arbeitslos sei und mir als „Rettung“ einfiel, zu sagen, dass ich wegen einer Krankheit arbeitslos geworden sei. Damit war der Höhepunkt erreicht. Nun wurde ich gefragt, was ich für eine Krankheit habe und ob ich immer noch krank sei. Wir Erwerbslosen und auch noch Kranken sind eben alle Terroristen! Schließlich war ich froh, Israel verlassen zu dürfen. Aus der Ferne betrachtet sich manches einfacher.

Wer mehr über den Konflikt um das Gaza-Schiff wissen möchte, lese folgende Artikel aus der Neuen Züricher Zeitung:

http://www.nzz.ch/nachrichten/international/aufarbeitung_des_flotten-debakels_1.5865506.html  

http://www.nzz.ch/nachrichten/international/1.5884397.html  

http://www.nzz.ch/nachrichten/international/1.5884400.html  

Proteste in Israel: http://www.nzz.ch/nachrichten/international

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel von der Autorin für diese Ausgabe.