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Bons oder Boni? – Interview mit dem Komitee „Solidarität mit Emmely“

6/10

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Soziale Wut

Alle waren erstaunt über den Erfolg der Emmely-Kampagne. Du selber hast es mal damit erklärt, hier sei eine soziale Wut an die Oberfläche gekommen…

Emmely und der Pfandbon sind ein Symbol für soziale Ungerechtigkeit, das zum Ausdruck all dieser grummelnden untergründigen Strömungen sozialer Unruhe wurde. Es ist wie ein Kessel unter Druck, dann ist irgendwo das Loch aufgegangen, durch das jetzt der Dampf raus kommt. Diese soziale Wut geht erstmal von Gerechtigkeitsbegrifen aus. Leute werden wütend und aktiv, weil sie ganz persönlich betroffen waren. Weil jeder das kennt: Sich wehren zu wollen und nicht zu wissen, wie weit man gehen kann. Leider äußert sich das in Gerechtigkeitsbegriffen und nicht in Begriffen wie »Ich will was haben«.

Die Medien haben vor allem die unschuldige Verkäuferin in den Mittelpunkt gerückt. Ihr hattet hingegen zunächst versucht, ihre aktive Rolle im Streik zu thematisieren…

Nee, der Streik ist anderthalb Jahre her und in den Medien geht’s nicht nur um Emmely. Und das ist gut so. Jetzt poppen all die Fälle auf, in denen die »Tat« unstrittig ist: Frikadellenfall, Maultaschenfall, Handy aufladen… Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Frage danach, ob sie den Pfandbon gemopst hat, sondern ob eine Entlassung nach dreißig Jahren angemessen ist. Und das ist ja schon ein sozialer Anspruch, weil da drinsteckt, dass die Vorstellung von Eigentum nicht so rasiermesserscharf ist, wie die BAG-Präsidentin sich das vorstellt. Eine Frikadelle ist eben nicht nur Eigentum, sondern auch ein Nahrungsmittel. In den Gerechtigkeitsfragen sind soziale Interessen drin. Unsere Aufgabe ist es, die auszupacken und in den Vordergrund zu rücken.

»Wir haben immer weniger, und den Managern stopfen sie die Boni in den Rachen«; die Krise allgemein: Hat das damit zusammengepasst?

Offenbar, das wussten wir aber auch erst hinterher. Der lange Tarifkonflikt im Einzelhandel; dass seit zehn Jahren die Löhne real sinken, die soziale Kluft größer wird und dass alle das scheiße finden. Ohne die Krise und die Managerboni hätte das nicht so geknallt, zwei Jahre vorher wäre das ganz anders gelaufen.
Gleichzeitig war das schon lange da. Untersuchungen darüber, wie die Deutschen zur sozialen Marktwirtschaft stehen, fallen seit Jahren schlechter aus. Die finden viele nicht toll, und speziell die Ossis nicht. 2008 war der Tiefpunkt erreicht, 70 Prozent Ablehnung.

Als sich die Öffentlichkeit der Emmely-Kampagne viel weiter entwickelte, als Ihr das hattet hoffen können, was habt ihr politisch draus zu machen versucht?

Das gleiche wie vorher. Wir versuchen, eine sehr klare, parteiische Position einzunehmen, völlig innerhalb der Spielregeln. Das Arbeitsrecht, die Richter und deren Standesprivilegien anzugreifen. Was man da an Effekt einfahren kann, in so einer breiten Mediendebatte, ist schwer zu bestimmen. Ich halte es für einen Erfolg, wenn in der BILD mal nicht Königin sowieso auf dem Titel ist oder wenn die Arbeitsrechtsprechung sich mal rechtfertigen muss – wenn man vorher davon ausgeht, dass die Kräfteverhältnisse sehr eindeutig sind und man eh nicht viel reißen kann, ist das schon viel. Es ist uns gelungen, einen Begriff zu platzieren, jetzt müssen alle über »Bagatellkündigungen« reden. Die BAG-Vorsitzende muss dann sagen: »Es gibt keine Bagatellen« – und klingt damit wenig überzeugend.

Wie beziehen wir uns auf diese soziale Wut? Ich könnte mit meinen Kolleginnen gut darüber reden, weil Emmely alle kennen. Aber dass der kleinen Frau nix geschenkt wird, wissen sie alle – wie kommen wir darüber hinaus, das nochmal zu bestätigen?

Du kannst ja mit deinen Kolleginnen über den Emmely-Fall reden, obwohl Du weißt, dass alle zustimmen werden, weil man damit vielleicht auch nochmal über die eigenen Arbeitsbedingungen reden kann. Oder wenn irgendjemand antwortet: »Diebstahl ist Diebstahl« weißt du: Der Kollege ist es nicht.

Emmely stand im Betrieb alleine da, ihre Kolleginnen haben sich nicht solidarisch verhalten. Das zeigt also auch, dass es ein ganz schönes Risiko ist, wenn man streikt. Wie können wir da weiterkommen?

Weniger Angriffsfläche bieten: Als VerkäuferIn im eigenen Laden einkaufen, nicht mit ec- und Paybackkarte. Das haben wir während des Streiks in die Flugis geschrieben. Ansonsten Solidaritätsnetze bilden und mit Solidarität versuchen öffentlich zu werben. Soliarbeit steht immer im Ruf, unpolitisch zu sein, Schlagwort Sozialarbeit. Aber sie ist ein Türöffner, man kommt mit Leuten in Kontakt, wenn man versucht, das nicht ausschließlich auf einer Politebene zu machen. Und in der Öffentlichkeit dann »unideologisch« und, so weit es geht, voraus-setzungslos auftreten. Damit viele sich in Bezug setzen können. Und vielleicht beteiligen. Andere können sich beteiligen, wie sie wollen. In Bremen hat sich aus der Emmely-Soliarbeit zwanglos eine Kampagne gegen Schlecker XL entwickelt. Deshalb treten wir ohne Label auf, wir haben ja kein Markenrecht auf Solidarität. Ich und andere aus dem Bündnis auch glauben, dass die Leute abgeschreckt sind von so was, weil sie denken, da wird ihnen auch wieder was verkauft. Und da ist es egal, ob man ihnen das Schicksal einer Kaffeeverkäuferin oder den Kaffee verkaufen will, wenn es dann doch in schicker Warenform daherkommt. Ich glaube, dass dies einen kleinen Bestandteil des Erfolges ausmachte. Dass die Leute nicht immer aus demselben marketingoptimierten Blickwinkel auf den Fall Emmely aufmerksam gemacht wurden, sondern jeweils unterschiedlich.

Kräfteverhältnisse

Im VerkäuferInnenstreik sind Leute aktiv geworden, die das vorher nicht waren. Aber er blieb unter der Kontrolle der Gewerkschaft. Was können wir denn machen, wenn es keine unabhängigen Aktivitäten gibt?
Es gab eine gemeinsame Aktion mit verdi, eine Reichelt-Filiale zu blockieren.
Ich fand es richtig, das zu machen, wegen der Lerneffekte. Man konnte sehen: Wie machen die das, wie machen wir das. Ich hätte mir gewünscht, dass man mehr an diesem Prozess drangeblieben wäre.
Nach der Aktion fand eine Auswertung mit allen Beteiligten statt, darunter einige Betriebsräte von Reichelt. Die Leute von Reichelt waren froh, dass mal was passiert ist, und entsetzt, dass es so radikal war. Das war interessant zu erfahren. Seltsamerweise war aber nicht vorgesehen, dass die beteiligten Gruppen ebenfalls ihre Auswertung darstellen. Es war mir unklar, warum sich mehrere linke Gruppen in der Stadt daran beteiligten und gar keine eigenen Perspektiven einbrachten. Es ging nur noch darum, wie man’s besser machen kann: Stellen wir uns mit den Flugis 50 Meter weiter nach rechts? Was ich daraus lerne, ist eine noch frustrierendere Einschätzung der Größenverhältnisse. Wenn man von außen kommt, ohne Erfahrung in der Branche, dann muss man dahin gehen, wo schon was organisiert ist, und das ist dann immer bei einer Gewerkschaft und in deren Umfeld. Der Ort der Begegnung wird von der Gewerkschaft geschaffen, und dann ist er ohne sie auch wieder weg. Solange man nur vermittelt über die Gewerkschaften Kontakte hat, wird man immer deren Anhängsel bleiben.

Im »Komitee Solidarität mit Emmely« gab es immer eine Kritik am großen, hierarchischen Gewerkschaftsapparat; einige wollen davon Abstand halten, gleichzeitig findet eine Zusammenarbeit statt. Ich halte es für eine Illusion, auf Abstand bleiben zu können und sich nicht vereinnahmen zu lassen.

Die gesamte Linke, insofern sie überhaupt soziale Fragen behandelt, ist die ganze Zeit damit beschäftigt, ihr Verhältnis zur Gewerkschaft zu bestimmen. Das ist ein Indiz dafür, wie wichtig die sind. Das gesamte soziale Gefüge ist im Sozialstaat zentriert, in dem die Gewerkschaften die Interessen der Beschäftigten vertreten und in den Staatsapparat kooptiert sind. Daher sind sie so wichtig, verfügen über die Kontakte, über das Geld, sitzen am Hebel, wenn es um Tarife geht. Sie sind auch in die Arbeitsrechtsprechung eingebunden, insofern sie die Hälfte der beisitzenden Richter stellen. Alle Linken versuchen, einen Abstand zur Gewerkschaft zu bestimmen. Und darin raucht man sich auf. Die Frage ist, ob es möglich ist, da rein zu gehen und zu gucken, ob man eigene Beziehungen zu den Beschäftigten aufbauen kann oder nicht.

Dir ist wichtig, ein offenes Bündnis zu machen?

Es ist typisch, dass Soligruppen bunt zusammengewürfelt sind, die entstehen halt nicht aus zehn Jahren gemeinsamer Marxlektüre. Es ist gut, wenn man viele verschiedene Beteiligungmöglichkeiten hat und jeder sich was aussucht. In diesem Kreis waren wir zu Hochzeiten zwanzig Leute, da gibt es welche, die haben ihre Magisterarbeit zu Organizing geschrieben, die wollen jetzt in der Gewerkschaft Organizing machen. Dann gibt es Linksgewerkschafter, die bissig über ihre Gewerkschaft reden, aber niemals von ihr lassen würden, und die Anarchos, die den hierarchischen Apparat und die Umgangsweisen in einer Großgewerkschaft ganz furchtbar finden. Wenn man ein breites Publikum ansprechen will, dann bietet diese Vielfalt dazu Möglichkeiten.

4200 emails

Wie hat sich die Zusammenarbeit im Komitee entwickelt?

Anfangs hat es so funktioniert, dass man vor Filialen gezogen ist und Buh gerufen hat, Kundgebungen gemacht hat und so. Das kann ein lokales Komitee stemmen, das hat Spaß gemacht. Wir kannten uns untereinander kaum, unterschiedliche Umgangs- und Sichtweisen mussten zusammenkommen. Das war anstrengend, aber interessant. Dann wird es immer abstrakter, geht um trockenes Arbeitsrecht und ne Petition, da sind wir geschrumpft. Entscheidungen in so einer Gruppe legitimieren sich irgendwo zwischen Mehrheitsentscheidungen, wo keiner Bauchweh äußert, und dem Umstand, dass, wer die Arbeit macht, auch entscheidet. Wer da noch Einfluss nehmen will, muss in einem ähnlichen Umfang mitmachen und es als erstrebenswert empfinden, ein Flugi in der dritten Version zu diskutieren. Von der Ursprungsgruppe bröckelten der anarchistischere, aktionistischere Teil und die, die nicht so viel Zeit hatten, fast ganz ab.

Habt Ihr in der Zeit andere interessante Kampagnen oder Leute kennen gelernt?

Das Komitee in der Summe ganz sicher. Und Emmely überhaupt. Ich selber auch, aber ich bin dermaßen im Gerödel versunken, dass ich eigentlich noch einsamer bin als ich vorher rein gegangen war. Sonst hab ich immer meine sozialen Kontakte über die Sachen hergestellt, die ich politisch gemacht habe, und diesmal nicht, weil ich so wahnsinnig viel vorm Rechner gesessen hab. Das empfinde ich als Niederlage, es war alles so checkermäßig.

Was hast du denn konkret tagtäglich gemacht?

Was ein Solikomitee so macht… Mein Teil war unter anderem so was wie Büroarbeit. Kürzlich hab ich gezählt: Ich hab 4200 emails geschrieben. Irgendwo hinrennen und die Geschichte erzählen. Flugblattentwürfe rumschicken, ne Diskussion drum haben… Ich hab zu Leuten Kontakt aufgenommen, wo ich im Traum nie dran gedacht hätte, z.B. alle Parteien im Wirtschauftsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung Hohenschönhausen. Leute finden, die auf Kundgebungen reden. Geld von Stiftungen beantragen, Verteiler pflegen, Protokoll schreiben. Es ist von den Auswirkungen her das dickste Ding, was ich je gemacht hab, und das motiviert natürlich. Aber eigentlich bin ich angewiesen auf eine Gruppenauseinandersetzung, und wenn es die nicht gibt, hänge ich durch.

Persönlich dabei auf der Strecke zu bleiben, dass hat doch auch mit der Entscheidung zu tun, ein Bündnis zu machen – das bedeutet etwa mit »allen« zusammenzuarbeiten, auch wenn klar ist, dass sie sich nur bis zu einem bestimmten Punkt bewegen – und trotzdem sollst du noch alles unter einen Hut kriegen! Klar gibt das Frust, daraus kann nur im unwahrscheinlichen Fall was Bereicherndes und Dynamisches werden, wenn sich der Bündnischarakter auflöst, weil sich die Leute zusammen verändern.

Dass sich Leute zusammen verändern, durch Konfrontation, ist klasse, wenn’s denn passiert. Nach meiner Erfahrung geht das sehr langsam, passiert auch im Komitee. Aber es verändern sich nicht alle zusammen: Einige gehen. Da ist der Widerspruch, dass der Versuch auf Offenheit, auf Anschlussfähigkeit auch zum Verlust an Mitstreiter_innen geführt hat. Das hat damit zu tun, diese Zusammenarbeit »mit allen« zu wollen, zu können und auszuhalten. Darin liegt auch ein ungeheueres Frustrationspotential.

Frust entsteht auch im Zusammenhang mit der medialen Öffentlichkeit. Es wäre wichtig, hier an der Idee der »proletarischen -Öffentlichkeit« weiterzuspinnen – einer Öffentlichkeit, die von eigenen Erfahrungen bestimmt ist, in der sich die eigene Handlungsfähigkeit erweitert, weil man sich mit anderen zusammentut.

Jaaa – ein Moment von Frust ist, dass man die Erfolge, die sich in der öffentlichen Diskussion eingestellt haben, nicht wirklich erfährt. Dass wir den Begriff Bagatellkündigung kreiert haben, das erfahre ich ja nicht, sondern das wird mir Monate später mal beim Lesen eines Spiegel-Artikels klar. Anfühlen tut sich dieser -Medienrummel für mich so: Das Komitee steht auf dem Bahnsteig in der Provinz, und der ICE rauscht durch. Weder fahr ich mit, noch sitz ich im Führerhaus der Lok, und schon gar nicht bin ich im Stellwerk.

Editorische Anmerkung

Wir  spiegelten den Artikel von sabotnik.blogsport.

Erstveröffentlicht wurde das Interview mit einem Mitglied des Komitees »Solidarität mit Emmely« in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Wildcat.


Nr. 87 ist am 2.6.2010 erschienen.

Am 10.6. findet vor dem Arbeitsgericht Erfurt der Prozess statt.
Hintergrund_Infos zum Emmely-Fall.