Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

25. „Frankreich-Afrika-Gipfel“ in Nizza
Erstmals explizit offen für Kapitalverbände.

06/10

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Ethik(selbst)verpflichtungen der Wirtschaft“ bleiben hehre Versprechen. Rwanda wurde offiziell in die Françafrique-Veranstaltung zurück integriert, Frankreich musste dafür ein paar (auf seinem Boden weilende) Täter des früheren rwandischen Völkermords „opfern“. Auch Proteste und Veranstaltung von Kritiker/inne/ des französischen Neokolonialismus fanden statt und begleiteten das Gipfelprogramm von Nizza

Alles muss sich ändern, damit es im Grunde so bleibt, wie es ist: Diese Weisheit, die dereinst der italienische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa formulierte, gilt auch für die Beziehungen zwischen Frankreich und dem afrikanischen Kontinent. Der Afrika-Frankreich-Gipfel, der am Montag und Dienstag zum 25. Mal stattfand und in Nizza tagte, lieferte zu Anfang dieser Wochen einigen Illustrationen dafür.

Alle afrikanischen Staaten waren auf ihm vertreten, also nicht nur die Länder der früheren kolonialen Einflusszone Frankreichs auf dem Kontinent, sondern auch jene des englisch- und des portugiesischsprachigen Afrika - mit zwei Ausnahmen. Zimbabwe blieb ihm fern, weil sein Präsident Robert Mugaba zur unerwünschten Person erklärt worden war und in der Europäischen Union einem Einreiseverbot unterliegt, und Madagaskar, weil das Land mitten in einer tiefen Staatskrise steckt. Es waren die beiden einzigen von 54 afrikanischen Ländern, die keine Vertreter entsandt hatten. 38 waren durch ihren Staats- oder Regierungschef in Person vertreten.

Das Ereignis zog also mehr hochrangige Repräsentanten denn je an. Erstmals seit dem Völkermord an den Tutsi in Rwanda, an dem Frankreich auf der Seite des alten, im Juli 1994 gestürzten Regimes mitgewirkt hatte, war auch die seit sechzehn Jahren amtierende rwandische Führung in Nizza vertreten. Staatspräsident Paul Kagamé war persönlich angereist. Noch vor wenigen Jahren hatte Kagamé die französisch-afrikanischen Gipfel als „neokoloniale Maskerade“ bezeichnet.

Rwanda wieder offiziell voll dabei


Allerdings waren seine Amtskollegen aus den Nachbarländern Demokratische Republik Kongo, Joseph Kabila, und Burundi, Pierre Nkurunziza, nicht persönlich gekommen. Burundi beispielsweise steckt mitten in einem Wahljahr, hat soeben die Kommunalwahlen hinter und die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen kurz vor sich. (Das Regime erweist sich dabei als pragmatisch: Ein einziger Kandidat tut’s doch auch! Das ist billiger, muss man weniger Stimmbulletins drucken. Alle sechs anderen Kandidaten außer Amtsinhaber Pierre Nkurunziza – als dem siebten und einzig übrigbleibenden Bewerber - haben sich in den letzten Tagen „wegen, massiver Unregelmäßigkeiten“ von der Präsidentschaftswahl zurückgezogen.) Die von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy geplante Kaminrunde zur Situation in der zentralafrikanischen „Region der Großen Seen“ fiel also aus.

Dennoch ist die seit November o9, vor allem jedoch seit Sarkozys Besuch in Rwanda im Februar 2010 beschlossene offizielle „Aussöhnung“ nunmehr endgültig besiegelt. Diese soll aus Pariser Sicht dazu führen, dass aus Kigali keine deutlichen Vorwürfe mehr bezüglich Frankreichs Rolle beim Genozid von 1994 laut werden. Kagamés Anreise nach Nizza ist en wichtiger symbolischer und politischer Sieg für Frankreich. Um den Preis, nunmehr den bislang unbehelligten Aufenthalt von rwandischen Völkermordtätern in Frankreich - das ihnen lange Jahre als ruhiges Hinterland diente - zu stören. Am Mittwoch, 26. Mai wurde der Arzt und mutmaßliche Völkermordtäter Eugène Rwamucyo, der seit November in Belgien wohnhaft war, bei der Beerdigung eines Freundes im Pariser Umland verhaftet. Bis im Herbst 2009 hatte Rwamucyo noch ungestört in Frankreich gelebt, wo ein Abgeordneter der Regierungspartei UMP und das Kabinett des Innenministers sich aktiv für die Erteilung eines Aufenthaltstitels für ihn eingesetzt hatten. Doch im November o9 wurde Rwamucyo durch eine Krankenschwester in der Klinik von Maubeuge, wo er tätig war, enttarnt. Daraufhin hatte er sich ins Nachbarland abgesetzt. Nun ist der Boden in Frankreich für rwandische Genozidtäter anscheinend wirklich heiß geworden. Ein weiterer mutmaßlicher Völkermordtäter aus Rwanda wurde in den darauffolgenden Tagen auf Mayotte, einer (seit März 09 als Département = Verwaltungsbezirk) zu Frankreich gehörenden Insel des Komoren-Archipels im Indischen Ozean, festgenommen.

„50 Jahre Unabhängigkeit“ früherer Kolonien: Die früheren Kolonialherren feiern!

Der Gipfel von Nizza ist der erste seiner Art seit dreieinhalb Jahren, die letzte Ausgabe hatte im Februar 2007 in Cannes stattgefunden. Ursprünglich war an einen Gipfel zu Anfang des Jahres im ägyptischen Seebad Scharm el-Scheikh eingeladen worden, doch Ägyptens Führung hätte den sudanesischen Präsidenten/Diktator Omar el-Beschir eingeladen, was den Ländern der Europäischen Union als untragbar galt.

Das Ereignis in Nizza fällt zusammen mit den Feiern zum fünfzigsten Jahrestag der Unabhängigkeit von 14 afrikanischen Ex-Kolonien Frankreichs, die alle im Jahr 1960 ihre formelle Souveränität erlangten. Es sei schon bizarr, dass diese Geburtstag der vorgeblichen „Emanzipation“ der afrikanischen Länder in Frankreich stärker begangen werde als in den früher kolonisierten Ländern selbst, merken afrikanische Oppositionelle oder Intellektuelle in diesen Tagen immer wieder an. Tatsächlich wurde auf französischem Boden zu Anfang des Jahres mit großem Trara ein Festkomitee eingesetzt, das vom früheren Justizminister unter Jacques Chirac, Jacques Toubon, geleitet wird. Um dieses Festkomitee, das einige Debatten, Showveranstaltungen und Fernsehsendungen ausrichtete, gab es im März und April 10 eine zeitweilige Polemik, weil es kein nennenswerte Budget besitzt, und vor allem, weil es kaum oder keine Afrikaner/innen in seine Vorbereitungen einbezog. Symbolisch bedeutender ist aber die Auswahl seiner Führungsperson. Denn Toubon ist nicht nur Justizminister gewesen, sondern ist auch eine Schlüsselperson der so genannten ,Françafrique’.

Noch vor einigen Jahren war es quasi tabu, die neokolonialen Schattenseiten dieser Beziehungen öffentlich zu benennen. Die Kritiker hatten dafür einen Begriff gewählt, ,La Françafrique’, den der - inzwischen verstorbene - Schriftsteller und NGO-Aktivist François Verschave um die Mitte der neunziger Jahren prägte. Verschave hatte ihn unter Rückgriff auf eine alten Ausspruch des pro-französischen Diktators der Côte d’Ivoire von 1960 bis zu seinem Tod 1993, Félix Houphouët-Boigny, formuliert. Letzterer hatte dadurch die angebliche unverbrüchliche Liebe der Afrikaner zur früheren Kolonialmacht zum Ausdruck bringen wollen. Kritische NGOs und Solidaritätsvereinigungen wie die von Verschave gegründete Nichtregierungsorganisation Survie benutzten den Begriff eher, um eine anhaltende Kontrolle seiner früheren Kolonien durch Frankreich zu beschreiben.

Von herrschender Seite und bürgerlichen Organen wurde dies dagegen als Verschwörungstheorie abgetan, oder als Aufwärmen oller Kamellen aus früheren historischen Perioden bezeichnet. Doch der Umgang mit dem Begriff und dem Konzept hat sich gewandelt. In den letzten zwei bis drei Jahren haben fast alle wichtigen Medien in Frankreich die Vokabel ,Françafrique’ mehrfach benutzt - aber fast immer, um just in dem Moment, wo man ihn gebrauchte, hinzuzufügen, jetzt sei es aber endgültig vorbei mit dieser Art von postkolonialer Sonderbeziehung. Als der 42 Jahre lang autokratisch regierende Präsident der einwohnerarmen Erdölrepublik Gabun, Omar Bongo - der im Laufe seines Lebens fast alle etablierten politischen Parteien in Frankreich finanziert hatte - im Juni 2009 verstarb, schrieben etwa viele bürgerliche Zeitungen, nunmehr sei eines Schlüsselfigur der ,Françafrique’ verstorben, und auch mit dem Phänomen selbst sei es bald vorbei. Seit der jüngsten Debatte um den fünfzigsten Jahrestag taucht der Begriff erneut auf - wieder verbunden mit der Aussage, dieses Beziehungsgeflecht liege nunmehr in seinen letzten Zuckungen. Der Umgang mit dem Konzept ist unverkrampft geworden, er wird inzwischen locker auch im herrschenden Vokabular zitiert. Verschwunden ist die postkoloniale Kontrolle über Afrika dadurch nicht.

Toubon etwa spielte noch in jüngerer Vergangenheit eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung von Diktaturen, deren Führungspersonal durch Frankreich ausgewählt und ausgerüstet wurde, um eine - indirekte - Kontrolle besonders über rohstoffreiche Länder aufrecht zu erhalten. So, wie es seit 1960 ununterbrochen der Fall war. Im Jahr 1997 kehrte der - fünf Jahre zuvor demokratisch abgewählte - vormalige Autokrat der erdölreichen Republik Congo-Brazzaville, Denis Sassou-Ngessou, durch einen äußerst blutigen Putsch an die Macht zurück. Dass Frankreich und besonders dessen führender Ölkonzern Elf - inzwischen ein Teil des Konzerns Total - ihn dabei ausgerüstet hatten, schrieb im Oktober jenes Jahres auch ein Teil der französischen Presse unverblümt. Im Jahr 2002 ließ Sassou-Ngessou sich bei Wahlen, die allgemein als hochgradig manipuliert betrachtet wurden, im Amt bestätigen. Toubon und sein Parteifreund Patrick Gaubert (ansonsten Europaparlamentarier und Israel-Lobbyist) reisten als „Wahlbeobachter“ vor Ort. Dort mussten die internationale Beobachter feststellen, dass in vielen Wahlbüros die Urnen nicht verschlossen waren, und die Verwaltung jederzeit hinein fassen konnte. Toubon kommentierte dazu trocken, es sei nun einmal „hierzulande schwieriger, ein Vorhängeschloss zu finden, als in einem Pariser Kaufhaus“. Toubon und Gaubert bestätigtem dem Regime, die Wahlen seien angeblich korrekt verlaufen – während die damalige EU-Beobachterdelegation das Land aufgrund unzumutbarer Wahlbedingungen verließ.

Alle Welt weiß, dass die Interessen des Familienclans von Sassou-Ngessou enger mit jenen Frankreichs als denen der kongolesischen Bevölkerung verbunden sind: Der Präsident und seine Sippe verfügen über 113 Bankkonten in Frankreich.

Und in Bälde wird es noch besser kommen. Denn zum französischen Nationalfeiertag am 14. Juli 2010 werden die Präsidenten und Truppenteile von vierzehn afrikanischen Staaten, die früher von Frankreich kolonisiert wurden, bei der Militärparade auf den Champs-Elysées mit aufmarschieren. Dabei werden auch die so genannten Cobras - Abkürzung für ,Combattants de Brazzaville’ -, eine nach dem Putsch von 1997 in die kongolesische Armee integrierte brutale Söldnertruppe, mit von der Partie sein. Sie hatten beim Vorrücken Sassou-Ngessous gegen den gewählten Präsidenten Pascal Lissabou eine wichtige Rolle gespielt, und die Zivilbevölkerung in den Kampfzonen massakriert. Dass 14 afrikanische Staatschefs - von ihren Oppositionellen verächtlich als ,roitelets’ (Fürsten; oder Kleinkönige, von Kaisers Gnaden) bezeichnet - auf den Champs-Elysées aufmarschieren, dürfte im übrigen das beste Dementi für die Behauptung von der „Unabhängigkeit“ ihrer Staaten sein.

Streit um Sitze im UN-Sicherheitsrat...

Nicht alle afrikanischen Staatschefs sind so gefügig wie die der französischsprachigen Einflusssphäre. In der Nacht vom Sonntag zum Montag (vom 30. auf den 31. Mai), beim informellen Treffen vor Eröffnung des Gipfels, gab es heftigen Streit: Die Staaten des englischsprachigen Afrika, wie Tanzania und Südafrika, forderten lautstark eine bessere Vertretung des Kontinents im UN-Sicherheitsrats, wo die 54 afrikanischen Ländern insgesamt nur über drei Sitze als nicht ständige Mitglieder verfügen.

...aber (vordergründiger) Konsens über französische Wirtschaft und ihre „Ethik“

Der diesjährige Gipfel, zu dem sie alle anreisten, stand im übrigen weitgehend im Zeichen der Wirtschaft. Erstmals nahmen hochrangige Wirtschaftsdelegationen - 80 Unternehmenschefs aus Frankreich und 150 aus verschiedenen afrikanischen Ländern - offiziell am Gipfel teil. Einen Teil des Montags (31. Mai) nahm eine Diskussion über eine „Charta“, eine Ehrenkodex für die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards, durch in Afrika tätige Unternehmen ein. Dabei handelt es sich freilich um einen Propagandagag der französischen Industrie, die das Dokument selbst verfasst hat. Seit Jahren standen ihre Firmen in der Kritik - Total wegen der massiven Umweltzerstörung in Nigeria, der französische Holzkonzern Rougier wegen des Kahlschlags in Kamerun und zum Teil in Gabun, oder der Transportkonzern Bolloré wegen seiner monopolistischen Praktiken in allen westafrikanischen Häfen. Nunmehr glauben sie, die Parade gefunden zu haben, in Form eines Katalogs freiwilliger Selbstverpflichtungen. Darüber wird nun in den Medien eifrig kommuniziert.

Einige Änderungen sind aber tatsächlich zu verzeichnen. Seit 2002 etwa entwickelte die internationale NGO-Kampagne ,Publish what you pay’ erheblichen Druck. Sie möchte Firmen wie etwa in Afrika tätige Ölkonzerne dazu zwingen, die von ihnen an örtliche Regimes bezahlten Summen offen zu legen. Einerseits, um zu vermeiden, dass im Zusammenspiel zwischen korrupten Diktaturen und den Konzernen jeweils zu niedrige Rohstoffpreise - zum Schaden der Ländern, zum Nutzen der Bezieher dicker Schmiergeldzahlungen - berechnet werden. Dies war Jahrzehnte lang in fast allen Erdölstaaten des Kontinents der Fall. Zum Anderen soll der Verwendung der Einnahmen innerhalb der Länder nachgespürt werden.

So berichtet Brice Mackosso, der vorige Woche zu einem französisch-afrikanischen Gegengipfel von Bürgerrechtlern in der Pariser Vorstadt Aubervilliers anreiste, von seiner Tätigkeit als Aktivist der Kampagne in Congo-Brazzaville. Vor 2003, so Mackosso, wurden die Öleinnahmen grundsätzlich nicht als Staatseinnahmen verbucht, sondern direkt auf Konten des Präsidenten im Ausland einbezahlt. Seitdem die Kampagne Druck entwickeln konnte und auch die britische Regierung unter Tony Blair sich ihr offiziell anschloss, werden die Ölgelder nunmehr erstmals offiziell in den kongolesischen Staatshaushalt integriert. „Jetzt beginnt der konkrete Kampf vor Ort, mit den Leuten in den Stadtteilen“, fügt Mackosso hinzu: Früher verschwanden die Gelder ungefragt in den Taschen von Regimefunktionären. „Jetzt wird ihr Verbleib dadurch gerechtfertigt, dass etwa in jenem Stadtteil eine Schule errichtet werde. Dies erlaubt es uns, die örtliche Bevölkerung zu organisieren, um durch Protest Druck zu entfalten: Wo ist denn nun die Schule, die Ihr uns versprochen habt, von der wir aber keine Spur sehen?“ Beim letzten Gegengipfel zur Afrikapolitik, der 2007 in Frankreich stattfand, war Brice Mackosso noch (für die Dauer des Ereignisses) in der kongolesischen Atlantik-Hafenstadt Pointe-Noire unter Hausarrest gestellt worden. In diesem Jahr konnte er anreisen. Die Dinge ändern sich langsam, aber manchmal ändert sich doch etwas.

Druck auszuüben versuchen auch die sans papiers, die „illegalisierten“ Migranten in Frankreich, von denen viele aus afrikanischen Ländern stammen. Seit Oktober befinden sich 6.000 von ihnen ununterbrochen im Streik, um ihre „Legalisierung“ zu erreichen, prallen aber vielerorts an einer eisenharten Haltung der Regierung und der Behörden ab. Etwa 80 von ihnen, zusammen mit fünfzehn Personen aus der Unterstützerszene, marschierten wochenlang quer durch Frankreich, um von Paris aus Nizza zu erreichen. Überall, wo sie durchkamen - sie legten 35 bis 40 Kilometer pro Tag zurück, zum größeren Teil zu Fuß und zu einem Drittel mit dem Zug -, wurden Unterstützungsveranstaltungen und Demonstrationen unterstützt. Die französische Linke, Solidaritätsinitiativen und zum Teil Gewerkschaften organisierten sich dafür vor Ort. (Vgl. auch nebenstehenden Artikel zum Thema!)

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.