Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Eine politisch wichtige Pariser Abendzeitung steht vor der Übernahme

06/10

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Der Pressekonzern ,Le Monde’ nach der Ochsenfroschstrategie – Aufgebläht, geplatzt und nun Aufkaufkandidat. Die große liberaler Abendzeitung wird zum Gegenstand für Investoren-Strategien

Die Zeiten ändern sich. Heute wie gestern. „Als ich ins Amt kam, fragten sich die Journalisten von ,Le Monde’, von wem die Zeitung aufgekauft werden wird. Heute fragt man sich, wen Le Monde als nächstes aufkaufen wird.“ Diese oft zitierten Worte kommen von Jean-Marie Colombani, der von 1994 bis 2007 Herausgeber – ,directeur de publication’ – der im Jahr der Befreiung, 1944, gegründeten Pariser Abendzeitung war.

Unter ihm als Unternehmenschef kaufte der Pressekonzern ‚Groupe Le Monde’ bündelweise andere Medien, aber auch Druckereien sowie ein Reisebüro zusammen. Auf dem Höhepunkt der Strategie, die Colombani verfolgte, wurde der Pressekonzern Eigentümer des prestigereichen Fernseh- und Kulturmagazins ‚Télérama’, des auf Übersetzungen aus der internationalen Presse spezialisierten Wochenmagazins ,Courrier International’, mehrerer Regionalzeitungen in Südfrankreich rund um den ,Midi Libre’ und anderer Titel - mitsamt den dazugehörigen Webseiten und Werbeunternehmen. Gerechtfertigt wurde diese offensive Konzernpolitik allzeit mit einem noblen Ziel: Es gehe nur darum, die journalistische Unabhängigkeit des als Qualitätszeitung und Flaggschiff der französischen Presse geltenden Titels Le Monde – als „Kopf“ des gesamten Konglomerats – zu wahren. Um in diesen Zeiten der Kapitalkonzentration auf dem Pressemarkt ohne Furcht vor feindlichen Übernahmen bestehen zu können, müsse man, so lautete die Logik Colombanis, mit den Wölfen heulen, nur eben lauter. Wer nicht gefressen werden wolle, müsse selbst gefräßig werden. Dies verschaffe der Spitze des Pressekonglomerats die nötigen finanziellen Spielräume, um ihre eigene Politik umzusetzen und sie sich nicht von anderen Akteuren diktieren zu lassen.

Heute ändern sich die Zeiten erneut, und der anstehende Wandel droht erstmals einschneidende Konsequenzen auf die interne Redaktionspolitik von ,Le Monde’ zu haben. Denn Colombanis Strategie ist grandios gescheitert: Der Pressekonzern hat sich hoffnungslos finanziell mit ihr übernommen. Allgemeine Tendenzen wie den Rückgang der Werbeeinahmen, die Konkurrenz durch Gratiszeitungen sowie das Internet vermochte sie nicht aufzuhalten. Seit 2002 endete jedes Geschäftsjahr mit Verlusten, im seither vergangenen Zeitraum wurden in der Gesamtsumme 200 Millionen Euro Defizite eingefahren. Derzeit sitzt der Pressekonzern auf angeblich 100 Millionen Schulden (die Le Monde-Gruppe selbst hat sie freilich, laut einer AFP-Meldung viom 30. Mai, auf 25 Millionen heruntergerechnet). Und ab dem kommenden Jahr werden neue Verbindlichkeiten fällig: 25 Millionen, die dazu gedient hatten, ,Télérama’ zu übernehmen, müssen in 2011 an die Geschäftsbank BNP zurückgezahlt werden. 2012 werden weitere 22 Millionen und 2014 nochmals 47 Millionen fällig.

Das absehbare Ende des Prinzips der Redakteurs-Kontrolle

Nun steht zum ersten Mal explizit das Prinzip der Souveränität der Redakteursgesellschaft (SRM), die bislang noch das letzte Wort über die Geschicke der Pariser Abendzeitung hatte, zur Disposition. Zwar hielt die SRM, in der ein Teil der insgesamt 400 Redakteure von ,Le Monde’ bestimmt, auch bislang nur einen winzig kleinen Teil der Kapitalanteile an dem Pressekonzern. Doch über ein komplexes System ineinander verschachtelter Beteiligungen hielt die SRM, über eine Holdingsstruktur, dennoch ein Kontrollposition inne. Insbesondere war ihr garantiert, dass kein Herausgeber oder Zeitungsdirektor gegen ihren Willen eingesetzt werden konnte.

Am o9. April 10 hat eine Versammlung der ‚Le Monde’-Journalisten den Plan abgesegnet, auf diese Art von Journalistenkontrolle über die Zeitung definitiv zu verzichten und die SRM erstmals auch in fundamentalen Fragen der Unternehmenspolitik minoritär werden zu lassen. Denn zu dem Zeitpunkt drohte das Presseunternehmen, bis im Juli 2010 Bankrott anmelden zu müssen, falls es bis dahin kein frisches Geld beschaffen kann. Die Pariser Bank BNP, die bis dahin bereit gewesen war, alljährlich ein Auge über verspätete Rückzahlungen während der Sommerferienperiode – in der die Auflage der Zeitung in den Keller sinkt – zuzudrücken und bis im Herbst zu warten, hat das Ende dieser Haltung signalisiert.

Am 10. Juni 10 soll nun die Redakteursgesellschaft, und am 14. Juni 10 der Aufsichtsrat des Pressekonzerns – vorläufig - über die „Angebote“ potenzieller Investoren zur Geldanlage beraten. Letztere haben noch bis zum 15. Juni Zeit, um ein „definitives“ Angebot zu unterbreiten. Derzeit gelten drei potenzielle Anleger als sichere Kantonisten, ein bis zwei weitere potenzielle Interessenten sollen sich interessiert zeigen. Der künftige Investor soll, laut den Absichten des Pressekonzerns, „sechzig bis siebzig Millionen Euro“ an Flocken mitbringen. (Vgl. Meldung der Nachrichtenagentur AFP vom 3o. Mai 10, um 09.23 Uhr.)

Dazu ist nicht jeder wirtschaftliche Akteur in der Lage, und gleichzeitig interessiert daran. Dabei wäre ein solcher Preis allerdings noch sehr günstig, um die Kontrolle über eine solch renommierte Zeitung wie ,Le Monde’ – die bislang noch erfolgreich ,Agenda Setting’ betreibt, also (durch die Reihenfolge und Rangordnung ihrer Schlagzeilen) die Prioritätensetzung anderer Medien wie etwa der Abendnachrichten des Fernsehens oder auch die Gegenstände von Hochschulvorlesungen beeinflussen kann – zu erlangen.

Zum Vergleich: Der Aufkauf der Kontrolle über ,Le Figaro’ – die auflagenstärkste konservative Zeitung in Frankreich, die bei Themen der Außenpolitik eine Qualitätszeitung, bei innenpolitischen Themen jedoch ein propagandistisches Käseblatt ist – kostete den Luftfahrt- und Rüstungsindustriellen Serge Dassault im Jahr 2004 die Kleinigkeit von 230 Millionen Euro. Einen ähnlich hohen Preis kostete auch 2007 die Wirtschaftstageszeitung ,Les Echos’.

Von Franco-Spanien zur Hegemonieposition in Lateinamerika: der Konzern PRISA

Bis vor kurzem schien nur ein solcher Investor in Frage zu kommen, der gleichzeitig Interesse bekundet und finanzielle potent genug zu sein schien: das spanische Medienunternehmen PRISA (Promotora de Informaciones Sociedad Anonima). Es gibt die den spanischen „Sozialisten“ des PSOE – also der aktuellen Regierungspartei unter José Luis Rodriguez Zapatero - nahe stehende größte Tageszeitung des Landes heraus, den 1976 pünktlich zum „Übergang zur Demokratie“ begründeten Titel ,El Pais’. Es betreibt rund 300 Radiosender im spanischsprachigen Amerika (von Chile über Kolumbien und Mexico bis hinein in die USA), aber auch im portugiesischsprachigen Brasilien. Ihm gehören Fernsehstationen wie der spanische TV-Sender Cuatro und Satellitenkanäle.

PRISA kontrolliert bereits heute 15 Prozent der Kapitalanteile am ,Groupe Le Monde’. Das Unternehmen zeigte sich an einer Ausweitung seiner Investitionen in dem französischen Pressekonzern, in den es bislang 25 Millionen Euro angelegt hat, interessiert.

Nur hat die Sache einen dicken Haken: PRISA selbst ist mit fünf Milliarden (!) Euro - nicht Millionen, sondern Milliarden - verschuldet und hat sich selbst beim Aufkauf von Fernsehsendern finanziell übernommen. Seit einem Abkommen, das am o5. März publik und am o6. März 10 unterzeichnet wurde, läuft die Übernahme von 57 Prozent der Kapitalanteile an PRISA durch einen US-amerikanischen Rentenfonds, ,Liberty Acquisition Holdings Corp.’, der 660 Millionen Euro an Frischgeld mitbrachte. Zwar hat Letzterer dem Presseunternehmen, das derzeit u.a. durch Verkäufe von Konzernsegmenten seine Verbindlichkeiten von 5 auf 3,3 Milliarden abzubauen versucht, versprochen, sich nicht direkt in seine Medienpolitik einzumischen. Die Nordamerikaner hatten ihm signalisiert: Wir sind nicht am Zeitungsmachen, sondern nur an rentablen Investitionen interessiert. Die Familie Polanco, die das Unternehmen aufbaute – ihr verstorbener Gründervater Jesus de Polanco hatte unter dem Diktator Franco in den frühen siebziger Jahren den Schulbuchmarkt übernehmen und dabei dicke Gewinne erzielen können -, bleibt trotz einer Verringerung ihres Kapitalanteils von 70 auf 30 Prozent am Ruder. Doch wie alle Pensionsfonds dürfte der Investor bald deutlich machen, dass er außerordentlich hohe kurzfristige Gewinnziele verfolgt. Demnach dürfte der Hedgefunds also kein Interessen an Investitionen, die nicht zwingend gewinnversprechend erscheinen, zeigen.

Mäzen und Medienmogul

Seit dem 11. Mai sind zwei weitere potenzielle Großinvestoren aufgetaucht. Auf der einen Seite steht das Gespann des französischen Mäzens Pierre Bergé mit dem Geschäftsbanker Mathieu Pigasse von der Lazard-Bank – die zu den glorreichen Finanzberatern der Regierung Griechenlands zählt. Pigasse hat im August 2009 das Kulturmagazin ‚Les Inrockuptibles’ zu 80 Prozent aufgekauft, dessen Gründer und bisheriger Leiter Christian Fevret inzwischen von Bord geekelt worden ist und im März dieses Jahres seine Koffer packte. Ab kommenden Herbst soll das Magazin vollkommen umgemodelt und von der Kulturzeitschrift zum Newsmagazin umstrukturiert werden. Laut Informationen haben Bergé und Pigasse Mitte Mai eine Finanzstruktur, ein gemeinsames Tochterunternehmen zwecks Vorbereitung der Investition in den Le Monde-Pressekonzern, auf die Beine gestellt.

Auf der anderen Seite läuft sich auch der 84jährige frühere Pressemogul des Mitte-Links-Spektrum, Claude Perdriel, warm. Ihm gehört heute das sozialliberale Wochenmagazin ,Le Nouvel Observateur’, das noch immer als irgendwie links gilt, doch zu 60 Prozent aus Reklame – zum Gutteil Luxuswerbung – besteht. Erhält Perdriel den Zuschlag, so würde er nach dem Nouvel Obs auch den Le Monde-Konzern zu voraussichtlich 60 Prozent übernehmen und in eine Filiale seines Mischunternehmens SFA umwandeln, dessen Hauptaktivität aus der Herstellung von... Toilettenhäuschen besteht.

Perdriel hat klar zur Bedingung erhoben, dass er nur dann beim ,Groupe Le Monde’ einsteigen werde, falls er den derzeit die Geschicke des ,Nouvel Observateur’ leitenden Denis Olivennes mitbringen dürfe. Dieser soll zum Chef des Presseunternehmens avancieren. Bei seinem derzeitigen Betätigungsort, dem ,Nouvel Observateur’, gilt Olivennes als „sehr interventionsfreudiger“ Herausgeber. Im Frühsommer 2009 führte er höchstpersönlich das Interview mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy, das unter den Journalisten des Wochenmagazins heftig umstritten war, weil es als weitgehend distanz- und kritiklos erschien. Dennoch wurde es ins Blatt genommen. Olivennes hat auch eine politische Vergangenheit als Leiter der ,Fondation Saint-Simon’, einer Stiftung, die versuchte, Einfluss auf die französische Sozialdemokratie zu nehmen, um sie zur Übernahme neoliberaler Dogmen und Marktapologetik zu bewegen. Anfang 2007 war Olivennes bei der zunächst anonym bleibenden Gruppe ,Les Gracques’ aktiv. Diese versuchte die französischen Sozialisten im Falle eines Wahlsieges zu einem Bündnis mit der Mitte-Rechts-Partei ,Mouvement Démocrate’ von François Bayrou, statt mit den übrigen Linksparteien, zu überreden und zu drängen.

Als vierte Option liegt inzwischen auch noch ein Angebot von dem italienischen Geschäftsmann Carlo de Beneditti, der auf der Apenninenhalbinsel die Mitte-Links-Zeitung ‚La Republicca’ kontrolliert, auf dem Tisch. Auch ist seit kurzem noch vage vom potenziellen Interesse eines fünften Akteurs, des schweizerischen Medienkonzerns Ringier, an einem Einstieg bei ,Le Monde’ die Rede.

Vorläufiges Fazit

Wer auch immer von den drei, vier oder fünf in Frage kommenden Investoren bis Ende Juni dieses Jahres bei ,Le Monde’ einsteigen wird: Er dürfte das Ende der bisherigen, begrenzten „Selbstverwaltung“ der Zeitung durch einen Teil seiner Journalisten besiegeln. Der Übergang zu einem „völlig normal funktionierenden“, rein kapitalistischen Imperativen gehorchenden Presseunternehmen ist beschlossene Sache.

Unterdessen werden auch schon Strategien bei der Redaktion der Zeitung selbst erwogen, um aus dem finanziellen Schlamassel herauszukommen, wie auf jeden Fall die (meisten der) in Frage kommenden Investoren es eher kurz- denn mittelfristig von ihr erwarten dürften. So wird die Umstellung von dem bisherigen, traditionellen Nachmittags-Erscheinen (in Paris, und am folgenden Morgen in der französischen „Provinz“) auf eine bei sonstigen Printmedien übliche vormittägliche Erscheinungsweise erwogen. Auch soll auf eine „stärkere Komplementarität zwischen der Papier- und der Internet-Ausgabe“ der Zeitung, also auf mehr abweichende (und zahlungspflichtige) Inhalte auf ihrer Webseite, geachtet werden. (Vgl. dazu einen Artikel im ,Figaro-Magazine’ zur Situation bei ,Le Monde’, vom 21.o5.2010.)

Nicht erst anlässlich der Krise, sondern schon seit mehreren Monaten ist aber auch ein Verlust an kritischer Substanz in der Veröffentlichungspolitik von ,Le Monde’ zu beobachten. Bislang zeichnete die Zeitung sich dadurch aus, dass sie sich zwar nicht offen für politische Ziele engagierte – oder nur mit wenigen Ausnahmen, so ergriff ,Le Monde’ mehrfach explizit zugunsten einer stärkeren EU-Integration Frankreichs Partei -, sondern ihre Parteinahmen stärker im Hintergrund hielt; dass sie aber schaffte, für fast alle politischen Lager jeweils wichtige Informationen in ihre Spalten zu hieven. So konnte ,Le Monde’ eine Reihe gesellschaftlicher Bewegungen, wie etwa den französischen Mai ‚68 (dessen Teilnehmer/innen den Widerhall ihrer Rebellion oftmals via ,Le Monde’ verfolgten), oder auch politische Modephänomene – wie den Hype um die „Präsidentschaftsbewerbung“ der dumm-rechts-unfähigen Ségolène Royal im Herbst 2006 und Winter 2006/07 – begleiten. Royal als angeblich aussichtsreiche Sozi-Kandidatin war über Monate hinweg maßgeblich durch die Berichterstattung von ,Le Monde’ mit aufgebaut worden.

Bis vor kurzem fanden sich so höchst unterschiedliche Positionen, von aus der radikalen Linken kommenden Redakteuren und Redakteuerinnen (wie u.a. dem Gewerkschaftsspezialisten Rémi Barroux) bis zum thachteristischen, brutal-wirtschaftsliberalen Redakteur Eric Le Boucher, in dem Blatt. Ausgeschlossen von diesem sehr breiten Informationspluralismus war hingegen lange Zeit, tendenziell, die extreme Rechte – diese war zwar Gegenstand intensiver analytischer Berichterstattung, es wurde ihr aber selbst i.d.R. kein Platz zur Selbstdarstellung eingeräumt. (Allerdings wurde der rechtsextremen Politikerin Marine Le Pen nun im Dezember 2009, im Zuge der durch die Regierung ausgelösten „Debatte über die nationale Identität“, eine Viertelseite in der Rubrik für Meinungen und Gastkommentare gegeben.)

Nur, diese Spannbreite wurde in den letzten Monaten bereits reduziert. Rémi Barroux beispielsweise wurde die Zuständigkeit für Gewerkschaften und Streiks entzogen, und er wurde in die Rubrik „Planet“ versetzt, wo er nun über Vulkanausbrüche berichten darf – nun ja, auch ein feines Themengebiet.

Alles in allem bleibt ,Le Monde’ zwar (im Augenblick) eine Qualitätszeitung. Wie lange dies so bleibt, vor allem falls ein an kurzfristiger Rendite interessierter Investor künftig die Übernahme schaffen sollte, bleibt hingegen sehr dahingestellt.

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.