Extremer als die Polizei erlaubt.
Beitrag zu einer aktuell laufenden Serie in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World’ zum fragwürdigen Plädoyer einiger Autor/inn/en für die Begriffe „Extremismus“ und „Totalitarismus“


von
Bernard Schmid

06/10

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Ein Begriff, der völlig darin versagt, irgend etwas Relevantes über seinen Gegenstand auszusagen, ist untauglich. Diese Binsenweisheit ist für den Begriff des „Extremismus“, jedenfalls sofern er auf linke Inhalte - jenseits dessen, was durch die herrschende politische Ordnung als zulässig, korrekt und konform betrachtet wird - angewandt wird, voll gültig.

Der Begriff des „Extremen“ lässt sich nur heranziehen, wenn man ihn in Bezug zu etwas setzt, in diesem Falle auf die „Ränder“ des politischen Spektrums. Die Idee vom „linken und rechten Rand“ der politischen Landschaft - die sich, so spinnen Manche die Idee fort, angeblich „berühren“ können - hat nur Sinn, wenn man diese jeweiligen Standorte auf die Vorstellung einer Mitte oder eines Zentrums bezieht: Es handelt sich um die vom jeweiligen Zentrum aus am weitesten entfernten Orte.

Raus aus der polizeilich-ordnungspolitischen Logik


Bezogen auf linke Protagonisten, Organisationen oder Inhalte, hat dieser Begriff schlicht keinerlei Aussagekraft, sofern es darum gehen soll, ihre gesellschaftliche Natur oder ihr politisches Projekt zu erfassen. Allein oder hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt ihrer „Entfernung zur politischen Mitte“ betrachtet, erscheinen der stalinistische Kader und der Anarchosyndikalist, die libertäre Kommunistin, die trotzkistische Intellektuelle und die militante Antiimperialistin, die radikale Basisgewerkschafterin oder der Maoist der siebziger Jahre ungefähr auf gleicher Höhe. Alle würden sie im Verfassungsschutzbericht in der Rubrik „Linksextremismus“ auftauchen, zusammen mit RAF-Anhängern, Parteikommunisten, DDR-Notalgikern und Autonomen, wenngleich in verschiedenen Unterkapiteln.
HINWEIS des Autors: Dieser Artikel erschien zuerst, gekürzt; als Diskussionsbeitrag in der Ausgabe der ,Jungle World’ vom 27. 05. 2010. (Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete Fassung.) Er ist Bestandteil einer dort seit einigen Wochen laufenden Serie, die sich u.a. um die Tauglichkeit der Begriffe „Extremismus“ und/oder „Totalitarismus“, aber auch etwa um die Sinnhaftigkeit von Antifaschismus dreht. Mehrere der dort erschienenen Beiträge werden in diesem Artikel, jeweils mit Quellenangabe, zitiert.
Nicht in dem Artikel extra angeführt, da unter die Rubrik „intellektuell nicht satisfaktionsfähig“ fallend, wird hingegen der folgende Beitrag aus der antideutsch-neokonservativen Kloake, von einem gewissen Mario Möller – In letztgenanntem Beitrag wird u.a. ernsthaft behauptet, der neue Nationalsozialismus sei heute in der Partei ,Die Linke’ zu Hause: „Dass das größte Aufkommen nationaler Sozialisten Europas alltäglich in der deutschen Ostzone zu beobachten ist, ohne dass bis heute mehr als eine Handvoll Antifa-Aktivisten daran »praktisch« Anstoß genommen und jene ostdeutsche Kameradschaft benannt hätten, auf deren geistiger Urheberschaft dies beruht, nämlich die Linkspartei (…)“
Ferner wird eine Deckungsgleichheit linker und rechter, die bestehende bürgerliche Ordnung jeweils kritisierender Inhalte behauptet: Man müsse „beim Namen nennen, wofür rechte wie linke Ideologen stehen: die Verherrlichung des Kollektivs gegen Individuum und die Ablehnung der auf Vermittlung basierenden bürgerlichen Gesellschaft. Beides sind Essentials eines zutiefst deutschen Antikapitalismus ...“ .- Gesamtnote: Diesen Dreck mussten wir in unserem Artikel nicht extra fertigmachen – er erledigt dies bereits trefflich von selbst. Denn solcherlei Dreck zerfällt, sobald er einmal der frischen Luft ausgesetzt ist.

Was ist dadurch über ihr Gesellschaftsmodell und dessen notwendige Bewertung, etwa unter dem Gesichtspunkt der individuellen und kollektiven Emanzipation, ausgesagt? Schlichtweg überhaupt nichts. Wie etwa Alexa Anders oder Sarah Uhlmann in ihren Beiträgen (vgl. http://jungle-world.com/artikel/2010/19/40918.html  und http://jungle-world.com/artikel/2010/15/40746.html  ) richtig feststellen, dient das Stigmat des „Linksextremismus“ in Deutschland - das einer polizeilichen Logik entspricht und deswegen nicht zufällig durch den Verfassungsschutz als politische Quasi-Polizei benutzt wird, über dessen jährlich erscheinende „Berichte“ aber auch in Bibliotheken und Medien Einzug finden - rein ordnungspolitischen Zwecken. Es geht darum, festzuschreiben, wer so links ist, „wie es die Polizei erlaubt“ - gerade noch -, und wer dafür „zu weit links steht“.

Vom Regen in die Traufe:
zwischen nationalistischer „Antiimp“-Gülle und „antideutscher“ neoreaktionärer Jauche

Ob autoritär oder antiautoritär, sektenhaft oder mit ausgeprägtem Realitätsbezug ausgestattet, einer historisch gescheiterten Traditionslinie entstammend oder eventuell Zukunftshoffnungen beinhaltend: Dies ist bei dieser Etikettierung einerlei. Deswegen ist die Etikette notwendig ohne Wert, ohne aussagekräftigen Inhalt. Dabei streben diese Strömungen seit Jahrzehnten auseinander und stehen im Konflikt zueinander, mindestens ebenso sehr, wie dies heute in der deutschsprachigen Linken für die verfeindeten Blöcke der „Antiimperialisten“ und der „Antideutschen“ gilt - mit der Besonderheit, dass die beiden letztgenannten Strömungen in der Weltordnung nach 1989 jeweils für Bestrebungen, die nach außerhalb der Linken und in rechte Gefilde führen, offen sind. Einen Teil der Ersteren zieht es ins nationalistische, einen Teil der Letztgenannten ins neokonservative, für eine militarisierte Außenpolitik agierende Lager. Stellvertretend für Erstere: die Kölner „Arbeiterfotographie“, die etwa einen Jörg Haider als Opfer finsterer westlicher Geheimdienstmachenschaften betrachtet und Kritik am iranischen Regime abwehrt. Stellvertretend für Letztere: die Webseite Lizas Welt, auf der in jüngster Zeit etwa eine Ministerin von Silvio Berlusconi und der neue britische Premier David Cameron als Hoffnungsträger erscheinen. Aus außenpolitischen Gründen. (Vgl. http://www.lizaswelt.net/2010/05/israel-ist-eine-art-wundergesellschaft.html  - Wobei auffällig ist, wie vom Interviewer gemeinsam mit der Berlusconi-Tante ausschließlich auf den bösen Linken – die Israel nicht mögen und also folglich auch kleine Kinder fressen – herumgehackt wird, aber kein einziges auch nur halbkritisches Wort über die Rechtsregierung fällt, der die allerwerteste Dame angehört.(1)

Aber ebenso wenig, wie es je eine rein außenpolitisch motivierte Revolution geben kann – auch wenn dogmatische Gruppen dies in der Vergangenheit mitunter annahmen - , ebenso wenig kann der emanzipatorische oder antiemanzipatorische Gehalt einer politischen Kraft oder einer Regierung anhand der außenpolitischen Obsessionen deutscher Linker oder Ex-Linker bestimmt werden. Er ergibt sich vielmehr aus deren Verhalten in ihrem jeweiligen eigenen (politischen & sozialen) Kontext. Wer an Berlusconis Kabinettschef Platz nimmt, sitzt dort mit neuheidnischen Rassisten der Lega Nord und mit so genannten Postfaschisten. Und trägt also auch für deren Politik, jedenfalls sofern sie auf die Gesamtpolitik der Regierung mit abfärbt, selbstverständlich Mitverantwortung.

Abgesehen von dieser Besonderheit der Post-1989-Landschaft mit durchgeknallten „Antiimperialisten“ einerseits und versponnenen Antideutsch-Neokonservativen andererseits gilt: Es ist nichts Neues unter der Sonne, dass denkbar riesige Gegensätze auch zwischen sich jeweils als links – und/oder der Sache der Emanzipation verpflichtet - bezeichnenden Strömungen klaffen können. Übrigens auch innerhalb einzelner Strömungen. So finden sich beispielsweise in der anarchistischen oder der trotzkistischen Traditionslinie etwa sektenhafte oder verschrobene Kleingruppen in der Nachbarschaft von relativ vernünftig und realitätsbezogen auftretenden, jedenfalls in bestimmten historischen Perioden - etwa in Barcelona 1937 oder in Paris 1968 – auch gesellschaftlich relevanten Strömungen. Eine historische Bestandsaufnahme müsste hier notwendig in hohem Maße differenzieren. Und für das, was dabei unter dem Strich an ernsthaften Versuchen, zur gesellschaftlichen Emanzipation beizutragen, übrig bliebe, besteht keinerlei Verwechslungsgefahr etwa mit faschistischen oder nationalsozialistischen Ideologieinhalten.

Deswegen kann auf die Suggestivfrage, die Hannes Giessler in der Jungle World-Serie rhetorisch aufwirft - „Warum wehren sich Linke, die militant sein, den Staat bekämpfen und die herrschende Gesellschaft abschaffen wollen, dagegen, als Extremisten bezeichnet zu werden?“ (vgl. http://jungle-world.com/artikel/2010/20/40941.html  ) - eine sehr einfache Antwort gegeben werden. Sie lautet: Weil sie keine Lust haben, sich mit einem stigmatisierenden Kampfbegriff, dessen Aussagekraft bei Null liegt, beschimpfen zu lassen. Der Rest von Giesslers Ausführungen über Linke - die nach einigen Jahren jugendlichen Revoluzzertums als Akademiker und Staatsbedienstete endeten, wobei es übrigens ein bisschen einfach ist, Rechtsanwältinnen pauschal als „Staatsbüttel“ zu bezeichnen – erschöpft sich in billiger Häme. Sicherlich gibt es den Übergang von jungen Verbal-Radikalinskis zu gewendeten Karrieristen. Er sagt nur wenig über linke Inhalte, und über die betreffenden Personen, vor allem aber ihr gesellschaftliches Umfeld aus. Spott darüber gibt’s zum Nulltarif, und bedarf keiner gedanklichen Anstrengung.

„Totalitarismus“: tauglicher als der „Extremismus“begriff?

Theoretisch anders, aber in der Praxis sehr ähnlich verhält es sich mit dem Totalitarismusbegriff. Angesichts der Tatsache, dass etwa Protagonisten des italienischen Faschismus die Vokabel „totalitär“ zeitweise für sich selbst reklamierten, kann man dem Begriff bei entsprechender Interpretation durchaus eine historische Aussagekraft verleihen. Soll er etwa Bestrebungen bezeichnen, die darauf abzielen, einen „totalen Staat“ zu errichten, der keinen Ausdruck abweichender Interessen innerhalb der Gesellschaft zulässt, könnte man theoretisch diesen Begriff als Bezeichnung benutzen. Doch nach jahrzehntelanger bundesdeutscher Praxis, in welcher der Begriff oftmals als Synonym für „extrem“ und für die Vorstellung von den „Rändern“ - wobei rot gleich braun sei - benutzt wurde, ist der Begriff eben nicht „unschuldig“. Man kann versuchen, ihn vielleicht unter Rückgriff auf Hannah Arendt reinzuwaschen, wobei mancher Apologet der liberalen bürgerlichen Demokratie dabei Überraschungen erleben könnte - der zweite Band des dreibändigen Werks von Hannah Arendt über „Die Ursprünge totaler Herrschaft“ heißt „Der Imperialismus“ und handelt unter anderem von westlichen, in ihrem Inneren demokratisch vermeintlich verfassten Kolonialstaaten. Wer den Begriff benutzt, muss aber - angesichts des Jahrzehnte lang angehäuften, antimarxistischen Schlamms, der in alle bundesdeutschen Politikunterricht- respektive, wie es in Süddeutschland hieß, „Gemeinschaftskunde“-Schulbücher Eingang fand - genau sagen, was er oder sie damit eben nicht meint.

Innerhalb der Linken muss zwischen Inhalten, die zum Ziel der Emanzipation beitragen, und diesem entgegenlaufenden Elementen unterschieden zu werden. Im fundamentalen Gegensatz dazu gilt jedoch, dass bei der politischen militanten Rechten von vornherein keinerlei Ansätze zugunsten allgemeiner menschlicher Emanzipation vorhanden sind: Deren grundsätzliches Anliegen darin, vermeintlich „natürliche“ Hierarchien und Ungleichheiten ideologisch zu begründen und zu legitimieren, in der Gesellschaft vorhandene Ressentiments dafür zu mobilisieren und diesen systematische Gestalt zu geben. Ein eigenständiger Kampf gegen diese, jeglichem Emanzipationsbestreben entgegen wirkenden Tendenzen ist deshalb notwendig und legitim.

Antifaschismus: kein Trick zur Verteidigung der bürgerlichen Ordnung. Auch wenn der konservativ-philosemitische (Pseudo-)Antifaschismus es gern so hätte

Antifaschismus ist weder Luxus noch, wie Peter Jonas (vgl. http://jungle-world.com/artikel/2010/17/40831.html  ) suggeriert, nur ein Trick zur Reinwaschung und Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung. Auch blockierte die Kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens etwa die Bewegung von 1968 nicht etwa deswegen, weil das Adjektiv „antifaschistisch“ ihre Politik auszeichnete - wie Jonas suggeriert -, sondern aus anderen Gründen. Erstens, weil der französische Generalstreik im Mai ’68 der Kontrolle durch KP und CGT entglitt; und zweitens, weil die Partei dem sowjetischen Druck gehorchte und weil die UdSSR Präsident Charles de Gaulle aus außenpolitischen Gründen - etwa aufgrund seiner Differenzen zu den Atlantikern in der politischen Klasse - stützen und nicht stürzen wollte. Der Antifaschismus als solcher kann wirklich nichts dafür.

Aber Achtung, es gibt tatsächlich unterschiedliche Ansätze, um antifaschistisch zu erscheinen. Der konservative Antifaschismus der Nachkriegs-Jahrzehnte etwa vertritt die Auffassung, wenn man sich nur philosemitisch positioniere und außenpolitisch für das Bündnis mit den USA und dem Staat Israel eintrete, stehe man auf der guten Seite - auch viele frühere Altnazis erkauften sich dafür in der BRD seit den fünfziger Jahre ein Eintrittsticket in das „Konzert der zivilisierten Nationen“. Italiens „Postfaschisten“ kopieren heute dieses Modell, weil Gianfranco Fini verstanden hat, dass etwa ein Besuch in Israel - den er 2003 absolvierte - das beste Mittel ist, nicht in den Geruch einer Nähe zu Hitler und dem historischen Faschismus zu kommen. Und selbst die aus einer pro-deutschen Nazitradition kommenden belgisch-flämischen Faschisten des Vlaams Belang positionieren sich heute, aus ähnlichen Gründen, auf internationaler Ebene mehrheitlich zugunsten Israels. (Trotz einiger Auschwitzleugner in ihren eigenen Reihen.) Die Kriterien des konservativen Antifaschismus sind also stumpf, weil viele modernisierte Rechtsextreme - die gelernt haben, dass nach 1945 offener Antisemitismus ihre Position erschwert bis unhaltbar gemacht hätte - sie heute erfüllen.

Auch Rechts aber gibt es Ausdifferenzierungen, weshalb es zu einfach ist, wenn Sarah Uhlmann vorschlägt, einfach von „Nazis“ statt von der extremen Rechten zu sprechen.

Auch Rechts differenziert sich aus

Und nicht alle jene, die entweder rechts von den Konservativen eine eigenständige politische Kraft aufzubauen bestrebt sind oder aber das bestehende politische System von rechts her kritisieren, sind Nazis im engeren Sinne. Sicherlich ist die deutschsprachige extreme Rechte - ob „national-freiheitlich“ in Deutschland oder Österreich, aus „freien Nationalisten“ bestehend, „nationalliberal“ in anderen Varianten - nicht ohne das nationalsozialistische Erbe und dessen Einflüsse denk- und analysierbar. Doch andere Länder, die über eine starke und gegenüber dem konservativ-wirtschaftsliberalen Bürgerblock relativ eigenständige extreme Rechte verfügen, liefern da bessere Untersuchungsgegenstände für eine nuancierende Untersuchung.

In Frankreich etwa, wo die extreme Rechte in den letzten 25 Jahren stark war und sich zeitweilig in deutlichem Bruch mit dem Bürgerblock aufbaute, sind die Repräsentanten eines nahe am historischen Nationalsozialismus zu verortenden Erbens nur ein relativ kleiner Teil der extremen Rechten. Monarchisten, katholische Fundamentalisten, das rechtsextreme Denken modernisierende Kulturrassisten der ,Nouvelle Droite’, (pro-abendländische) Kolonialnostalgiker, (eher anti-westlich auftretende) „Nationalrevolutionäre“: Sie alle bilden wesentlich bedeutendere Strömungen als die Neonazis im engeren Sinne. Und dennoch, trotz fortbestehender erheblicher Widersprüche zwischen all diesen Strömungen und ihren jeweiligen ideologischen Essentials - die hinter den Kulissen auch oft heftig ausgefochten werden -, fanden sich all diese ideologischen Ansätzen zeitweise in ein und derselben Partei wieder.

Alle Anhänger einer extremen Rechten, die mal mehr, mal weniger offensiv gegen das politische Establishment einschließlich Konservativen und Wirtschaftsliberalen auftritt, als „Nazis“ zu orten, ist deswegen zu einfach und führt in die Irre. Neben unterschiedlichen historischen Prägungen unterscheiden verschiedene Komponenten der extremen Rechten sich auch durch ihr Verhältnis zum konservativen Block. Einige Parteien der, bei Wahlen erfolgreichen, extremen Rechten in Europa - wie in Italien oder Dänemark - konzentrieren sich auf eine Rolle, in welcher sie eine komplementäre Hilfstruppe zu den konservativen und wirtschaftsliberalen Kräften, eine Art verschärfendes Korrektiv zu ihrer Politik darstellen. Sofern es darum geht, gegen ohnehin „ganz unten“ in der sozialen Hackordnung stehende Gruppen - Asylsuchende, Einwanderer, zumal „illegale“, oder „Sozialschmarotzer“ - zu treten, können Parteien der bürgerlichen Rechten ihnen dabei im Rahmen eines Bündnisses Zugeständnisse machen.

Eine andere, alternative Strategie für die extreme Rechte besteht darin, zu versuchen, mit Hilfe von Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungsideologien die „soziale Frage“ rechts zu besetzen und die „Systemfrage“ - im Sinne eines weitgehenden Austausches der Eliten - aufzuwerfen. Einige Parteien, wie die NPD, träumen von einer solchen „Revolution von rechts“, die jedoch im Gegensatz zur zuvor beschriebenen Strategie heute sehr geringe Durchsetzungschancen aufweist. Manche Kräfte der extremen Rechten, wie der französische Front National, waren ihrerseits Jahre lang zwischen beiden Strategien hin- und hergerissen. Im Falle des Front National dürfte sich der Widerspruch zwischen den beiden Strategien, der „kleinen“ und der „großen Alternative“ (letzterer Begriff war tatsächlich um 1995, als rund um den damaligen FN-Chefideologen Bruno Mégret eine heftige Strategiedebatte geführt wurde, ein Stichwort des tobenden Streits) in naher Zukunft auflösen. Denn falls – wie prognostiziert wird – tatsächlich im Januar 2011 die „Cheftochter“ Marine Le Pen innerparteilich das Ruder übernehmen dürfte, dann dürften Träume, den Aufstieg der NSDAP in den Krisenjahren 1929 und 1933 zu kopieren, wirklich ad acta gelegt werden. (Genau letzteres hatten manche Parteikader in den neunziger Jahren angestrebt, und einer Strategie des „Allein gegen Alle, aus der Systemopposition“ zugrunde gelegt.) In diesem Falle wird voraussichtlich auch bei dieser Rechtspartei Kurs auf ein Bündnis mit dem Bürgerblock, als dessen Juniorpartner, genommen werden.

Der Begriff der extremen Rechten - bei dem, anders als bei dem des „Rechtsextremismus“, das Substantiv „Rechte“ den Schwerpunkt bildet - drückt dieses potenzielle Näheverhältnis zur etablierten Rechten, bei gleichzeitiger Unterscheidung von ihm, treffend aus.

ANMERKUNG 1 :

Vgl. auch folgende Passage in dem Gefälligkeits-Interview (abzurufen unter http://www.lizaswelt.net/2010/05/israel-ist-eine-art-wundergesellschaft.htm l ):

Der Interviewer fragt nach sozialen Problemen in der israelischen Gesellschaft, nachdem er deren Wirtschaft mit positiven Worten beschrieb: Die israelische Wirtschaft hat eine der höchsten Wachstumsraten der Welt und ist führend, was Wissen und Innovation betrifft. Auf der anderen Seite verliert ein wachsender Teil der Gesellschaft den Anschluss. Anvisiert werden vom Interviewer die Ultraorthodoxen sowie die arabischen Staatsbürger Israels" die Schwierigkeiten hätten, Jobs zu finden, wofür der Interviewer als Ursache ausschließlich ihre "unzureichende Schulbildung" nennt, sie also quasi selbst verantwortlich macht, während über Diskriminierungen gegen Araber und Nicht-Wehrdienst-Leistende auf dem Arbeitsmarkt kein Wort fällt.
Die Antwort der werten Dame, die vom naiven oder den Naiven spielenden Interviewer geschluckt wird, lautet dazu: "Es gibt objektive Probleme, die man nicht leugnen kann. Aber Israel ist ein blühendes Land mit einer starken Wirtschaft und einem sehr schöpferischen High-Tech-Sektor. Ich bin zuversichtlich, dass wir den weniger glücklichen Israelis werden helfen können, die Kluft zu überwinden. Große Anstrengungen sind im Gange, und es gibt einen Sinn für die Notwendigkeit, Hindernisse zu überwinden. Israel macht das ständig" es ist eine Art Wundergesellschaft.
Dieses auf puren Glaubenssätzen basierende Gesäusel ist aus Sicht des Interviewers hinreichend glaubwürdig, um die Überschrift seines Beitrags daraus zu formen ("Israel ist eine Art Wundergesellschaft"). Kleine Nachfragen seien erlaubt: Woraus besteht eigentlich die stoffliche Basis dieser tollen High-Tech-Ökonomie? Und welchen Anteil machen daran, konkret, Rüstungsindustrie und Rüstungsexport (in Richtung Europa, Afrika, Lateinamerika, Nordamerika) aus? Soll man mit einem Land deshalb solidarisch sein" wie es dem Interviewer und der ihn veröffentlichenden Publikation ein hochheiliges Glaubensfundament ist - , weil es über eine "auf Wissen und Innovation" (sprich, Informatik) basierende High-Tech-Exportökonomie verfügt" was in Deutschland ebenso der Fall ist? Ferner: Was bedeutet eigentlich dieses Wir...dass wir den weniger glücklichen Israelis helfen könnenâ Spricht Signora hier als amtierende Ministerin Italiens, oder in wessen Namen? So weit bekannt, ist das von ihr bekleidete Amt nicht das einer israelischen Regierungssprecherin... Mit Verlaub, nur ein paar kleine Nachfragen! Auf die Antworten seien wir gespannt.
 

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.