"Für Fragen der Migration brauchen wir internationale Solidarität"
Der Verband für die Abgeschobenen Malis berichtet im Interview von
den brutalen Zwangsrückführungen mit EU-Mitteln, denen Flüchtlinge unterliegen

06/10

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Ousmane Diarra und Alassane Dicko sind Mitglieder im Verband für die Abgeschobenen in Mali (Association Malienne pour les Expulsés AME) und traten anlässlich des Karawane-Festivals "In Gedenken an die Toten der Festung Europa" vom Juni eine Info-Tour in deutschen Städten an, unterstützt von Flüchtlingsrat Hamburg, The Voice Refugee Forum und medico international. Ihre Info-Tour vom 28. Mai bis zum 6. Juni fand in Hamburg, Rostock, Rendsburg und Möhlau statt. Dabei berichteten sie von ihren Aktivitäten für die Flüchtlinge in Mali, die aus europäischen Ländern oder aus Transitstaaten auf ihrer Flucht zwangsabgeschoben werden, und von den Verhältnissen struktureller Gewalt gegen Flüchtlinge in Europa. Zugleich sollten in einem transnationalen Projekt der Karawane für das Recht der Flüchtlinge und MigrantInnen Möglichkeiten für eine solidarische Organisierung von unten erörtert werden, mit Blick auf das Weltsozialforum in Dakar im Februar 2011.

Birgit v. Criegern hat AME nach ihrer Tätigkeit in Mali befragt.

Welche Ziele verfolgt Ihre Organisation?

Nothilfe, humanitäre Hilfe und eine Stellungnahme gegen die Menschenrechtsverletzungen, die an Flüchtlingen auf dem Transitweg oder im Zielland verübt werden. AME ist die erste Organisation, die von Flüchtlingen bei der erzwungenen Rückkehr nach Mali gegründet wurde. Dabei ging es zuerst darum, die Verhörmethoden und willkürlichen Inhaftierungen anzuprangern – in Lagern mit demütigenden Bedingungen in Widerspruch zum internationalen Recht. Wir forderten Entschädigungen für den Verlust der Habe und die Freilassung von mehreren Abgeschobenen, die von der Kirche Saint Bernard in Paris kamen und wegen Verwüstung eines Flugzeuges bei der Rückführung verhaftet worden waren.

Wegen der Probleme für die ankommenden Abgeschobenen in Mali haben wir Empfangsräume am Flughafen und an Punkten der Landesgrenze geschaffen, wohin Flüchtlinge von Mauretanien und Algerien (aus Marokko und Libyen) zurückgedrängt werden. Zu unseren Aktivitäten für die Abgeschobenen gehören auch eine zeitweise Unterkunft, Begleitdienste zu Verwaltung, Gericht und Arzt, und schließlich zählt die Heranführung an die Dienste und Strukturen in Mali mit Bezug auf diese Belange zu unseren täglichen Aktivitäten für die Zwangsabgeschobenen. AME führt außerdem regelmäßige Erkundungen in den Regionen der Transitmigration, z. B. Nioro du Sahel- Gogui, Kidal-Tinzawaten, oder Nouadhibou, Oujda und Tamanrasset durch, um die Lebens- und Rückführungsbedingungen der Flüchtlinge festzustellen, und wir erstellen Berichte von unseren Beobachtungen.

Am 28 Mai begannen Sie in Hamburg beim Flüchtlingsrat eine Info-Tour, um über die Flüchtlinge in Mali und in Europa zu berichten. Wie ist die Situation für die Abgeschobenen Malis?

In Mali werden wir täglich Zeugen von Abschiebungen aus Frankreich und Spanien mit Begleitwachen in regulären Linienflügen, und von systematischer Rückdrängung von Gruppen subsaharischer Flüchtlinge aus Mauretanien, Algerien, Marokko und Libyen, die dort arbeiteten oder auf dem Transitweg waren. Diese kommen in Mali nach langen Entbehrungen und Versagung der grundsätzlichsten Rechte an. Sie wurden, oft mitten in der Wüste, in Tinzawaten, zur Grenze zurückgedrängt und festgehalten - in ungesetzlichen Haftanstalten, die nicht den Haftanstalten für Deliktstrafen nach gewöhnlichem Recht entsprechen. Dort bekommen sie nur eine Mahlzeit am Tag, keine medizinische Betreuung, keinen ausreichenden Zugang zu sanitären Anlagen, keinen Empfang von Paketen und keine Besuchererlaubnis, auch wird in diesen Lagern der Zutritt für Nichtregierungs- Organisationen, die für die humanitären Rechte der Flüchtlinge eintreten, erschwert.

Die Gruppen Zurückgedrängter setzen sich aus Maliern und Flüchtlingen anderer westafrikanischer Länder zusammen; eine große Mehrheit sind MigrantInnen aus Ländern Subsaharas außerhalb der CEDEAO (der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten).

Die Flüchtlinge, die von dort zwangsweise zurückkommen, weisen körperliche Spuren von Verhören und von nicht für lange Dauer erträglichen Haftbedingungen auf. Nach den Zeugenberichten, die wir jeweils von ihnen erhalten, sind viele zwischen 4 und 9 Monate, oft in mehreren Lagern, inhaftiert worden, ehe man sie in Gruppen von 50 bis 90 Personen zur Grenze zurückschickte. Bei der Ankunft sind sie krank, die meisten von ihnen sind Opfer posttraumatischer Störungen von dem brutalen Abbruch ihrer Flucht und der Aussicht auf ein prekäres Morgen ohne Unterstützung in ihrem Herkunftsland.

Wie beurteilen Sie die Rolle der EU-Staaten bei diesen Abschiebungen, und welche Rolle hat Frontex?

Man muss wissen, dass diese Rückführungslager alle mit EU-Geldern bezahlt werden- mit italienischem Geld an Libyen und spanischem Geld für das Centre "Guantananino", ein Lager in Nouadhibou. Der Maghreb soll die Flüchtlinge von den europäischen Küsten fernhalten. Und die Geldzuweisungen begleiten den Stand der Dinge, der das Drama an beiden Küstenseiten des Mittelmeeres befestigt. Die Grenzschutzwachen, die Ausstattung mit Überwachungstechnologien und die eng zusammen arbeitenden Patrouillenwachen der beiden Küsten zeigen dem, der es sehen will, die Mittäterschaft der Zielländer, wie Spanien und Italien, was zugleich den großen Anwendungsbereich zeigt, mit dem die EU global der Migration zu Leibe rückt. Was nichts anderes heißt, als repressive Elemente in einem Krieg gegen die MigrantInnen in Stellung zu bringen und die Systematisierung ihrer Rückführung durchzusetzen – sehr beklagenswert im Sinne eines Respekts der internationalen Konventionen.

Mit dem Etikett von Frontex etabliert sich die Aufteilung der Räume freier Zirkulation und deren Stigmatisierung, obwohl die Transitstaaten und die Zielländer aufgrund der Verfügungen des internationalen Rechts die Pflicht haben, Asylsuchende innerhalb der Landesgrenzen und auf hoher See zu schützen.

Was wäre entscheidend für die EU-Länder, um die Rechte für die Flüchtlinge zu wahren, und welche Rolle hat dabei die Zivilgesellschaft?

Um einen angemessenen Zugang zu Rechtshilfe zu gewähren und die Situationen der Verwundbarkeit zu berücksichtigen, das heißt, um die Integrität und die Würde der MigrantInnen im Transitland oder im Zielland im Schengenraum zu schützen, wiederholen wir Empfehlungen von Verbänden aus der Zivilgesellschaft und von Organisationen zur internationalen und humanitären Solidarität, die hier wie dort gestützt werden müssen:

  • Die Mitgliedsstaaten der EU müssen ihre Verantwortungen bei den Geschehnissen von Grenzkontrollen außerhalb des EU-Territoriums anerkennen und sich mit ihren Partnerstaaten dafür einsetzen, jene in Einklang mit gewohntem Recht zu bringen

  • Eine spezielle Verfügung für die Behandlung von abgefangenen Asylsuchenden muss aufgestellt werden ( trotz des Dokuments COMM 2006 733 der EU-Kommission nimmt Frontex keinerlei Bezug auf die internationale Schutzbedürftigkeit von Migranten, die auf See aufgegriffen werden)

  • Das Recht auf Asyl und das Prinzip der Nicht-Zurückdrängung, das hieraus abzuleiten ist, muss bei der Aufstellung der nationalen Grenzwachen berücksichtigt werden

  • Eine demokratische, unabhängige und ständige Kontrollinstanz (mit Teilnahme von Organisationen der Zivilgesellschaft und NGO `s) muss aufgestellt werden zur Wahrung der Menschenrechte von Asylsuchenden und von MigrantInnen, die von diesen Tätigkeiten – der Kontrolle und Steuerung des Flüchtlings-Stroms – betroffen sind

Die Notwendigkeit für die europäischen Zivilgesellschaften, einzugreifen, ist von der Verteidigung der Werte geboten, die selbst einmal zur Gründung der EU-Gemeinschaft geführt haben. Die Fragen der Migration ( ob natürliche menschliche oder dynamische sozio-ökonomische Bewegung) sind mit ihrer Wirkmächtigkeit für die Bevölkerungen und mit Sekundärfolgen für die Individuen zu wichtig, als dass sie nur Einzelregierenden und politischen Personen überlassen werden könnten. Denn es muss bewusst bleiben, dass "für einige Länder außerordentlich schwere Lasten zu tragen sind" und "die zufrieden stellende Lösung für die Probleme nicht ohne eine internationale Solidarität erreicht werden kann."

Editorische Anmerkung

Wir erhielten  Artikel und Übersetzung von Birgit v. Criegern. Ein Teil des Interviews erschien im Neuen Deutschland vom 26.5.10