Ousmane Diarra
und Alassane Dicko sind Mitglieder im Verband für die
Abgeschobenen in Mali (Association Malienne pour les Expulsés
AME) und traten anlässlich des Karawane-Festivals "In Gedenken
an die Toten der Festung Europa" vom Juni eine Info-Tour in
deutschen Städten an, unterstützt von Flüchtlingsrat Hamburg,
The Voice Refugee Forum und medico international. Ihre
Info-Tour vom 28. Mai bis zum 6. Juni fand in Hamburg,
Rostock, Rendsburg und Möhlau statt. Dabei berichteten sie von
ihren Aktivitäten für die Flüchtlinge in Mali, die aus
europäischen Ländern oder aus Transitstaaten auf ihrer Flucht
zwangsabgeschoben werden, und von den Verhältnissen
struktureller Gewalt gegen Flüchtlinge in Europa. Zugleich
sollten in einem transnationalen Projekt der Karawane für das
Recht der Flüchtlinge und MigrantInnen Möglichkeiten für eine
solidarische Organisierung von unten erörtert werden, mit
Blick auf das Weltsozialforum in Dakar im Februar 2011.
Birgit v. Criegern hat AME nach
ihrer Tätigkeit in Mali befragt.
Welche Ziele
verfolgt Ihre Organisation?
Nothilfe, humanitäre Hilfe und eine
Stellungnahme gegen die Menschenrechtsverletzungen, die an
Flüchtlingen auf dem Transitweg oder im Zielland verübt werden.
AME ist die erste Organisation, die von Flüchtlingen bei der
erzwungenen Rückkehr nach Mali gegründet wurde. Dabei ging es
zuerst darum, die Verhörmethoden und willkürlichen
Inhaftierungen anzuprangern – in Lagern mit demütigenden
Bedingungen in Widerspruch zum internationalen Recht. Wir
forderten Entschädigungen für den Verlust der Habe und die
Freilassung von mehreren Abgeschobenen, die von der Kirche Saint
Bernard in Paris kamen und wegen Verwüstung eines Flugzeuges bei
der Rückführung verhaftet worden waren.
Wegen der
Probleme für die ankommenden Abgeschobenen in Mali haben wir
Empfangsräume am Flughafen und an Punkten der Landesgrenze
geschaffen, wohin Flüchtlinge von Mauretanien und Algerien (aus
Marokko und Libyen) zurückgedrängt werden. Zu unseren
Aktivitäten für die Abgeschobenen gehören auch eine zeitweise
Unterkunft, Begleitdienste zu Verwaltung, Gericht und Arzt, und
schließlich zählt die Heranführung an die Dienste und Strukturen
in Mali mit Bezug auf diese Belange zu unseren täglichen
Aktivitäten für die Zwangsabgeschobenen. AME führt außerdem
regelmäßige Erkundungen in den Regionen der Transitmigration, z.
B. Nioro du Sahel- Gogui, Kidal-Tinzawaten, oder Nouadhibou,
Oujda und Tamanrasset durch, um die Lebens- und
Rückführungsbedingungen der Flüchtlinge festzustellen, und wir
erstellen Berichte von unseren Beobachtungen.
Am 28 Mai
begannen Sie in Hamburg beim Flüchtlingsrat eine Info-Tour, um
über die Flüchtlinge in Mali und in Europa zu berichten. Wie ist
die Situation für die Abgeschobenen Malis?
In Mali werden
wir täglich Zeugen von Abschiebungen aus Frankreich und Spanien
mit Begleitwachen in regulären Linienflügen, und von
systematischer Rückdrängung von Gruppen subsaharischer
Flüchtlinge aus Mauretanien, Algerien, Marokko und Libyen, die
dort arbeiteten oder auf dem Transitweg waren. Diese kommen in
Mali nach langen Entbehrungen und Versagung der
grundsätzlichsten Rechte an. Sie wurden, oft mitten in der
Wüste, in Tinzawaten, zur Grenze zurückgedrängt und festgehalten
- in ungesetzlichen Haftanstalten, die nicht den Haftanstalten
für Deliktstrafen nach gewöhnlichem Recht entsprechen. Dort
bekommen sie nur eine Mahlzeit am Tag, keine medizinische
Betreuung, keinen ausreichenden Zugang zu sanitären Anlagen,
keinen Empfang von Paketen und keine Besuchererlaubnis, auch
wird in diesen Lagern der Zutritt für Nichtregierungs-
Organisationen, die für die humanitären Rechte der Flüchtlinge
eintreten, erschwert.
Die Gruppen
Zurückgedrängter setzen sich aus Maliern und Flüchtlingen
anderer westafrikanischer Länder zusammen; eine große Mehrheit
sind MigrantInnen aus Ländern Subsaharas außerhalb der CEDEAO
(der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten).
Die Flüchtlinge, die von dort
zwangsweise zurückkommen, weisen körperliche Spuren von Verhören
und von nicht für lange Dauer erträglichen Haftbedingungen auf.
Nach den Zeugenberichten, die wir jeweils von ihnen erhalten,
sind viele zwischen 4 und 9 Monate, oft in mehreren Lagern,
inhaftiert worden, ehe man sie in Gruppen von 50 bis 90 Personen
zur Grenze zurückschickte. Bei der Ankunft sind sie krank, die
meisten von ihnen sind Opfer posttraumatischer Störungen von dem
brutalen Abbruch ihrer Flucht und der Aussicht auf ein prekäres
Morgen ohne Unterstützung in ihrem Herkunftsland.
Wie beurteilen Sie die Rolle der
EU-Staaten bei diesen Abschiebungen, und welche Rolle hat
Frontex?
Man
muss wissen, dass diese Rückführungslager alle mit EU-Geldern
bezahlt werden- mit italienischem Geld an Libyen und spanischem
Geld für das Centre "Guantananino", ein Lager in Nouadhibou. Der
Maghreb soll die Flüchtlinge von den europäischen Küsten
fernhalten. Und die Geldzuweisungen begleiten den Stand der
Dinge, der das Drama an beiden Küstenseiten des Mittelmeeres
befestigt. Die Grenzschutzwachen, die Ausstattung mit
Überwachungstechnologien und die eng zusammen arbeitenden
Patrouillenwachen der beiden Küsten zeigen dem, der es sehen
will, die Mittäterschaft der Zielländer, wie Spanien und
Italien, was zugleich den großen Anwendungsbereich zeigt, mit
dem die EU global der Migration zu Leibe rückt. Was nichts
anderes heißt, als repressive Elemente in einem Krieg gegen die
MigrantInnen in Stellung zu bringen und die Systematisierung
ihrer Rückführung durchzusetzen – sehr beklagenswert im Sinne
eines Respekts der internationalen Konventionen.
Mit dem Etikett
von Frontex etabliert sich die Aufteilung der Räume freier
Zirkulation und deren Stigmatisierung, obwohl die Transitstaaten
und die Zielländer aufgrund der Verfügungen des internationalen
Rechts die Pflicht haben, Asylsuchende innerhalb der
Landesgrenzen und auf hoher See zu schützen.
Was wäre entscheidend für die
EU-Länder, um die Rechte für die Flüchtlinge zu wahren, und
welche Rolle hat dabei die Zivilgesellschaft?
Um einen
angemessenen Zugang zu Rechtshilfe zu gewähren und die
Situationen der Verwundbarkeit zu berücksichtigen, das heißt, um
die Integrität und die Würde der MigrantInnen im Transitland
oder im Zielland im Schengenraum zu schützen, wiederholen wir
Empfehlungen von Verbänden aus der Zivilgesellschaft und von
Organisationen zur internationalen und humanitären Solidarität,
die hier wie dort gestützt werden müssen:
-
Eine spezielle
Verfügung für die Behandlung von abgefangenen Asylsuchenden
muss aufgestellt werden ( trotz des Dokuments COMM 2006 733
der EU-Kommission nimmt Frontex keinerlei Bezug auf die
internationale Schutzbedürftigkeit von Migranten, die auf See
aufgegriffen werden)
-
Das Recht auf
Asyl und das Prinzip der Nicht-Zurückdrängung, das hieraus
abzuleiten ist, muss bei der Aufstellung der nationalen
Grenzwachen berücksichtigt werden
-
Eine
demokratische, unabhängige und ständige Kontrollinstanz (mit
Teilnahme von Organisationen der Zivilgesellschaft und NGO `s)
muss aufgestellt werden zur Wahrung der Menschenrechte von
Asylsuchenden und von MigrantInnen, die von diesen Tätigkeiten
– der Kontrolle und Steuerung des Flüchtlings-Stroms –
betroffen sind
Die Notwendigkeit
für die europäischen Zivilgesellschaften, einzugreifen, ist von
der Verteidigung der Werte geboten, die selbst einmal zur
Gründung der EU-Gemeinschaft geführt haben. Die Fragen der
Migration ( ob natürliche menschliche oder dynamische
sozio-ökonomische Bewegung) sind mit ihrer Wirkmächtigkeit für
die Bevölkerungen und mit Sekundärfolgen für die Individuen zu
wichtig, als dass sie nur Einzelregierenden und politischen
Personen überlassen werden könnten. Denn es muss bewusst
bleiben, dass "für einige Länder außerordentlich schwere Lasten
zu tragen sind" und "die zufrieden stellende Lösung für die
Probleme nicht ohne eine internationale Solidarität erreicht
werden kann."
Editorische Anmerkung
Wir
erhielten Artikel und
Übersetzung von Birgit v. Criegern. Ein Teil des Interviews
erschien im Neuen Deutschland vom 26.5.10
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