Eine Antwort auf Ulla Jelpke

von Anne Seeck

06/10

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Ich hätte zu dem Brief von Ulla Jelpke viel zu sagen. Ich fasse es nicht, wie sich Westlinke, die immer marginalisiert waren, mit den Privilegierten der DDR solidarisieren und sogar deren DDR-Bild übernehmen. Machen sie das mit den BRD-Privilegierten auch, solidarisieren sie sich hier mit CDU-Politikern und Managern. Nein sie setzen sich anscheinend für die Interessen von Hartz IV-BezieherInnen ein. Anscheinend muß ich dazu sagen, denn anscheinend paßt das ins Konzept. Dazu muß ich nur die Junge Welt aufschlagen. Oh wie schlimm ist doch der Kapitalismus. Aber die DDR? Kuba etc...
Stichwort Stasi

In der letzten Ausgabe kommentierte Meinhard Creydt das mehr als peinliche "Grußwort an Aufklärer" von Ulla Jelpke (Linkspartei) an Stasi-Veteranen.

Unsere Autorin Anne Seeck, die in  der DDR "das Leben am unteren Rand der Gesellschaft kennengelernt" hat, schickte uns umgehend ihre Stellungnahme zu Ulla Jelpkes westlinker Anbiederei.

Für mich ist entscheidend, wie ein Staat mit seiner Unterschicht, den Andersdenkenden und dem Anderssein umgeht. Und da habe ich an der DDR viel zu kritisieren, auch an den sozialen „Errungenschaften“ mit Arbeitspflicht („Arbeitsscheue“ konnten bis zu 2 Jahren inhaftiert werden), Selektion im Bildungswesen (Selbstrekrutierung der Funktionäre und Intelligenz in den 80er Jahren mit Schließungstendenzen), Mängeln im Gesundheitswesen (wer dort Zahnärzte erlebt hat...), Verfall der Altbausubstanz und vielem mehr.

Der Kampf um das DDR-Bild ist in vollem Gange. Es ist der Kampf zwischen den ehemals Herrschenden der DDR und den gegenwärtig Herrschenden. Ich lebt/e in beiden Systemen am unteren Rand und schaue mit einigem Entsetzen auf die Linke. Von Herrschenden, die ihr jeweiliges System legitimieren, erwarte ich nichts anderes. Aber die Linke (ich meine die „APO“, mit welcher Frechheit sich eine Partei „Die Linke“ nennt...)- das schmerzt. Der Kapitalismus spiegelt Alternativlosigkeit vor, wogegen wir uns wehren müssen. Und deshalb müssen wir auch den Realsozialismus aufarbeiten, um zu begreifen, was nicht wiederholt werden darf. Menschen, die den Autoritarismus des Realsozialismus nicht kapieren, werden wieder nach autoritären Lösungen greifen. Es geht um die Perspektiven und die dürfen nicht autoritär sein...

Aber blicken wir in die Vergangenheit. 1990 wellten auf den Straßen DDR-Produkte dahin, die nach der Einführung der DM niemand mehr wollte, sie waren nicht mehr absetzbar. Das Warenangebot wurde komplett erneuert, mit westlichen Produkten. Massenhaft wurden auch DDR-Symbole entsorgt. So wurden Tausende druckfrische Bücher auf einer Müllkippe bei Leipzig entdeckt. (Leseland DDR...)War der Bildersturm in den Wendezeiten zunächst noch spontan und originell, so wurden nach der Vereinigung alle Verweise auf die DDR-Vergangenheit entfernt. 1990 produzierten die Ostdeutschen pro Kopf 1,2 Tonnen Müll, dreimal soviel wie die Westdeutschen. Auch Straßen wurden umbenannt. Mit der Währungsunion brach die DDR-Wirtschaft zusammen. Die Treuhandanstalt privatisierte schnell. 1991/1992 hatten 1/3 der DDR-Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verloren. Jetzt brach plötzlich Enttäuschung bei den Ostdeutschen aus, die Begriffe „Jammer-Ossi“ und „Besser-Wessi“ wurden geprägt. Aus dem Spruch „40 Jahre lang betrogen.“ wurde der Spruch „Es war nicht alles schlecht!“. Kohl hatte sein Versprechen von den „Blühenden Landschaften“ nicht gehalten. Mitte der 90er Jahre meinten die Ostdeutschen dann, sie seien „Menschen 2. Klasse“. Ich lebte damals in dem armen Westberliner Stadtbezirk Neukölln, für mich war das ein Hohn...In den 90er Jahren wurden Ostalgie-Partys gefeiert. Auch Ostprodukte kamen auf den Markt, mit Webesprüchen wie „Aus dem Osten, daher gut!“. Es entstand eine Ampelmännchen- Industrie. 2003 begann die Ostalgie-Welle im Fernsehen. Es entstanden die Ostalgie-Shows. Mit der DDR-Vergangenheit wird inzwischen Geld gemacht. Die Ostvariante der Spaßgesellschaft. Die Trivialisierung der DDR schreitet voran. Ehemalige DDR-Bürger verklären die DDR. Interesse an einer intensiven Vergangenheitsaufarbeitung hatten sie noch nie, zu verstrickt ist die Masse der Mitläufer, sie könnte ja doch irgendwie haftbar gemacht werden. Und so reden sie sich die Vergangenheit schön und vermitteln das ihren Kindern. Die Beschönigung der DDR nimmt zu, aber auch die Unwissenheit, gerade unter der jungen Generation. Die Mehrheit der Westdeutschen hatte bekanntlich noch nie ein Interesse an der DDR, daran wird sich nichts ändern. Und die DDR-Systemträger haben aus „verständlichen“ Gründen natürlich kein Interesse an einer DDR-Vergangenheitsaufarbeitung. Ihr Zentralorgan Junge Welt, leider auch das Lieblingsblatt vieler anderer Linker, zeigt das bedauerlicherweise auf. Sie sehen die DDR als normalen Staat und die Vereinigung als koloniale Unterwerfung, obwohl ihre „sozialistischen“ Menschen das so wollten. Und sie sind sich wieder sicher. Es gab zur DDR-Vergangenheit nach 1989 20 000 Untersuchungsverfahren, 1000 Strafverfahren, 300 Verurteilungen und nur 50 Haftstrafen. Für Sonderenten für DDR-Systemträger werden jährlich 3,5 Milliarden ausgegeben. DDR-Systemträger haben Gelder beiseite geschafft und GmbH´s gegründet. Stasimitarbeiter treten immer dreister auf, wie in Lichtenberg oder einer Tagung in Dänemark. Lehrer vermitteln ein geschöntes DDR-Bild oder haben Angst, das überhaupt im Unterricht zu behandeln. Die ehemalige DDR-Elite hat zumindestens im Osten den Kampf um das DDR-Bild gewonnen. Dabei ist das oftmals Produkt der neoliberalen Zustände heute, da erscheint vielen die Vergangenheit besser. Die Verklärung der Vergangenheit und die Unzufriedenheit vieler ehemaliger DDR-Bürger mit den heutigen Verhältnissen ist für die Herrschenden wohl ein Problem. Sie sind kompromißbereit, um die Ossis zufrieden zu stellen. Es soll in der DDR-Vergangenheitsaufarbeitung nicht mehr die Repression im Vordergrund stehen. Es gab ja nur ca. 250 000 politische Gefangene, also Opfer...Das erleben viele ehemalige DDR-Bürger als von oben verordnetes Bild. Nun soll der Alltag herausgehoben werden, damit können sich auch DDR-Normalbürger identifizieren, mit der Gartenzwergidylle DDR. Denn sie haben kein Problem mit dem spieß-muffigen, grauen Alltag. Im Gegenteil, viele wünschen sich diesen zurück, denn da hatten sie immer Arbeit. Auch Hitler hatte ja bekanntlich schon Vollbeschäftigung geschaffen. Diese Haltungen sind oft rechtsextrem anschlußfähig. In der DDR gab es kaum Ausländer und Kriminalität. Da herrschte Ordnung. Dabei könnten die politischen Gefangenen viel über die alltägliche Repression erzählen. Aber auch Normalbürger leisteten Alltagswiderstand, der oft vergessen wird, z.B. Verhalten, dass die Institutionen unterlief oder die Aushöhlung der Arbeitsdisziplin. Zivilcorage von „kleinen Leuten“ ist kaum aufgearbeitet. Aber die ehemaligen Bürgerrechtler, die sich mit der DDR-Vergangenheitsaufarbeitung befaßten, haben sich lieber mit ihren eigenen Akten beschäftigt, und so auch im Westen Selbstbeweihräucherung betrieben. Das hatten sie ja schon früher im Westfernsehen geübt. Sie haben sich in den letzten Jahren, dem Aufstieg des Neoliberalismus, hauptsächlich mit der DDR beschäftigt, ohne heutige Realitäten zur Kenntnis zu nehmen oder gar an ihnen Kritik zu üben. Wo war der Aufschrei der Mehrzahl der DDR-Bürgerrechtler in Zeiten des Sozial- und Demokratieabbaus? Dann nämlich könnten sie auch die Ostalgie besser verstehen. Bei der Debatte um die Umstrukturierung der DDR-Aufarbeitungsszene im Jahre 2006 ging es ganz offensichtlich um Posten und Geld. Es gibt 40 Aufarbeitungseinrichtungen in Ostdeutschland, denen anscheinend mangelnde Professionalität vorgeworfen wird. Die Historiker sollen ans Werk, die Vergangenheitsdebatte historisiert werden. Statt auch die Verfassungsschutzakten zu öffnen, wird wieder ein Schlußstrich gezogen. Es soll endlich „Normalität“ in Deutschland einkehren. Deutschland wird wieder normal und kann Krieg nach innen und nach außen führen. Ja auch „Du bist Deutschland“.

Die Erkenntnisse von Hubertus Knabe

Da die Linke sich nicht mit DDR-Vergangenheitsaufarbeitung beschäftigt bzw. die DDR oftmals schön redet (siehe das Buch „Die DDR war anders“, wobei der Westautor Fritz Villmar Null Ahnung von der DDR hat), bin ich auf das Buch des Antikommunisten Hubertus Knabe angewiesen. Mit geht es um die Fakten und nicht um antikommunistische Interpretationen. Das die Aufarbeitung der DDR oftmals vom rechten Lager geleistet wird, liegt aber auch oft an der Personalpolitik der Aufarbeitungsinstitutionen. Inzwischen ist die DDR wissenschaftlich umfassend aufgearbeitet, jede/r kann sich also informieren. Das Schönreden begann wiederum bei den DDR-Systemträgern, ging über in eine Ostalgie-Welle der Ostdeutschen und landete schließlich auch im Westen. (Politik, Medien etc.) So wird wieder diskutiert, ob die DDR ein Unrechtsstaat war. Was denn sonst? Wie die Justiz in der DDR funktionierte, auch das ist umfassend aufgearbeitet. Ich warte nur noch auf eine Schlußstrich-Debatte.

Schlußstrich-Debatte?

In den DDR-Gefängnissen starben gerade in den 1950er Jahren viele Menschen. So ermittelte allein die Staatsanwaltschaft in Brandenburg wegen 135 Todesfällen im Strafvollzug. Nach Angaben der Berliner Staatsanwaltschaft starben an den Westgrenzen der DDR 270 Menschen durch Schüsse oder Minen. Die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter ermittelte bis 1990 „insgesamt 4444 Fälle von versuchten und vollendeten Tötungshandlungen mit dem Ziel, Fluchtversuche zu verhindern.“ (Knabe 2008, S.83) Die Stasi versuchte ca.650 Menschen zu entführen. „Mindestens 200 000 Menschen kamen in der DDR aus politischen Gründen ins Gefängnis. Einer statistischen Erhebung zufolge wurden allein zwischen 1960 und 1990 230 000 Menschen wegen Delikten wie „staatsfeindliche Hetze“, „ungesetzlicher Grenzübertritt“ oder „asoziales Verhalten“ verurteilt. Hinzu kommen etwa 50 000 politisch motivierte Verurteilungen in der Zeit davor.“ (Knabe 2008, S.83)

Aufarbeitung 1989/90

Iin Wendezeiten trat die DDR-Justiz die Flucht nach vorn an, sie hatte selbst so einiges zu verbergen. „Nach den Enthüllungen über das Luxusleben der Bonzen in der Politbürosiedlung von Wandlitz (Anmerkung: was ja wohl ein Witz war, diese spießige Tristesse) leitete die Ost-Berliner Generalstaatsanwaltschaft bereits Ende November 1989 zahlreiche Ermittlungsverfahren ein.“ (Knabe 2008, S. 88) Gegen 11 der 21 Politbüromitglieder wurde Untersuchungshaft eingeleitet. Auch weitere Systemträger kamen in Haft. Insgesamt saßen zu der Zeit 44 Funktionäre in Haft meistens wegen „Vertrauensmissbrauch“ und anderer Delikte. Daneben gab es 50 Verfahren wegen Wahlfälschung. „..bis zum 3. Oktober 1990 (wurden) mehr als einhundert Personen wegen Amtsmissbrauch, Korruption und Wahlfälschung angeklagt.“ (Knabe 2008, S.90) Einer bekam eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung, die Wahlfälscher alle Geld- oder Bewährungsstrafen. Die schwerwiegenderen Delikte wie Tötung an der Grenze ignorierte die DDR-Justiz. Die Funktionäre wußten schon, dass sie im sogenannten „Rechtsstaat“ nichts zu befürchten hatten, Schalk-Golodkowski setzte sich schon im Dezember 1989 in den Westen ab und stellte sich dort freiwillig. Ihm ging es am Tegernsee prächtig, inzwischen ist er aber krank.

Aufarbeitung mit dem Strafgesetzbuch der DDR (Rückwirkungsverbot)

Sieben Staatsanwälte standen am 3.10.1989 in Berlin zur Verfügung, um das DDR-Unrecht aufzuarbeiten. Die personelle Ausstattung war diesbezüglich immer schlecht. Im Einigungsvertrag wurde dann der Artikel 315 beschlossen, der besagte, „dass eine Straftat nach dem Gesetz geahndet wird, das zur Tatzeit gültig ist- für Ostdeutschland also das Strafgesetzbuch der DDR.“ (Knabe 2008, S.94) Immer war im Westen vom Unrechtsstaat DDR die Rede, nun war plötzlich das Strafgesetzbuch der DDR rechtens. Was zur Tatzeit nicht verboten war, dafür konnte auch niemand belangt war. Nun war es rechtens, jemand einzusperren, weil er die DDR kritisierte. („staatsfeindliche Hetze“) Nun war es rechtens, dass Gammler weggesperrt wurden, weil sie sich irgendwo gemeinsam aufhielten, laut Musik hörten, tranken und sich kritisch zur DDR äußerten. („Rowdytum“) Nun war es rechtens, dass jemand weggesperrt wurde, weil er versucht hatte, die Mauer zu überwinden. („Republiksflucht“). Die Täter, die sie wegsperrten, hatten nach den Gesetzen der DDR gehandelt, die Opfer, die weggesperrt wurden, gegen Gesetze verstoßen. „...das Rückwirkungsverbot (trete) nur ‘für den Bereich schwersten kriminellen Unrechts’ außer Kraft...Wer einen Flüchtling erschossen hatte, wurde bestraft, wer ihn ‘nur’ zum Krüppel gemacht hatte, ging dagegen straffrei aus.“ (Knabe 2008, S.96f.) Westdeutsche Richter wendeten nun massenhaft DDR-Recht an und griffen auf seltsame Konstruktionen zurück. „DDR-Richtern, die einen Stasi-Häftling nach dem Strafgesetzbuch der SED verurteilt hatten, wurde der Vorwurf der ‘Rechtsbeugung’ gemacht- als hätten sie damit gegen DDR-Recht verstoßen. Stasi-Mitarbeiter, die bei der Postkontrolle D-Mark oder Wertgegenstände beschlagnahmt hatten, wurden der ‘Unterschlagung’ beschuldigt- als hätten sie das Geld in die eigene Tasche gesteckt. Stasi-Offizieren, die massenhaft Telefone abgehört hatten, warf man ‘Amtsanmaßung’ vor- als hätten sie sich dabei als Postbedienstete ausgegeben.“ (Knabe 2008, S.99) So wurde Stasi-Chef Erich Mielke wegen eines Polizistenmordes in der Weimarer Republik verurteilt. Die Hürden des Einigungvertrages wurden noch weiter heraufgeschraubt, so durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofes (BGH). Nur wenn „willkürlich überhöhte Strafen verhängt (wurden) und dadurch die Menschenrechte schwer verletzt“ wurden, „könne dies geahndet werden“. (Knabe 2008, S.99) Natürlich war es auch nicht einfach, 180 km Stasi-Unterlagen aufzuarbeiten. Zudem lauerte die Verjährung, die trat am 2. Oktober 2000 für alle Straftaten außer Mord und Totschlag ein. ¼ der Angeklagten war älter als 64, viele ließen sich für prozessunfähig erklären. Und kam es trotzdem mal zu einem Prozess, dann ließ man Milde walten. „Den Vogel schoss das Landgericht Bautzen ab, das einem Gefängniswärter zugute hielt, dass er ausschließlich politische Häftlinge misshandelt hatte. Diese seien für ihn ‘nicht nur gewöhliche Straftäter’, sondern ‘Feinde des Landes’ gewesen....Wegen Körperverletzung in sieben Fällen wurde der Stationsleiter in der Sonderhaftanstalt Bautzen II, der Häftlinge mit Fäusten, Gummiknüppel und Holzhocker bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen hatte, nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Diese Rechtsprechung führte dazu, dass kaum ein Verantwortlicher bestraft wurde. Von 62 000 Ermittlungsverfahren gegen rund 100 000 Personen kam nach einer Untersuchung der Berliner Humboldt-Universität bis Mitte 1998 nur gut ein Prozent zur Anklage- normalerweise liegt die Quote bei fast 30 Prozent...Mehr als 99 Prozent aller ursprünglich Beschuldigten kamen so ohne eine Strafe davon.“ (Knabe 2008, S.102f.) Knabe schreibt: „Besonders groß war der Verfahrensschwund bei Ermittlungen gegen Staatsanwälte, Richter und Stasi-Vernehmer. Wenn ein Gericht einen in der DDR unschuldig Inhaftierten rehabilitierte, leitete die Staatsanwaltschaft meistens auch ein Verfahren gegen die Verantwortlichen ein...(Anmerkung: meistens wegen ‘Rechtsbeugung’) Während ehemalige politische Gefangene in der Regel anstandslos für unschuldig erklärt wurden, gingen diejenigen, die sie ins Gefängnis gebracht hatten, meistens straffrei aus.“ (Knabe 2008, S.103 f.) Wegen Rechtsbeugung wurden bis Mitte 1998 274 Personen angeklagt, 27 Angeklagte wurden verurteilt und zwei mußten ins Gefängnis. So erhielten drei Richter wegen ihrer Beteiligung an den Waldheim-Prozessen Bewährungsstrafen. Bis zum 3.10.2000 wurden in Berlin 53 Justizangehörige verurteilt, fünf kamen ins Gefängnis. Wegen Gefangenenmißhandlungen wurden bis Mitte 1998 51 Verantwortliche angeklagt, 19 verurteilt, kein Gefängniswärter mußte deshalb ins Gefängnis. Wegen der Brutalität im Zuchthaus Brandenburg gab es 935 Ermittlungsverfahren, 18 Fälle landeten vor Gericht. Bis 2002 mussten deshalb zwei Gefängnisbedienstete ins Gefängnis. „Der berüchtigte Oberwachtmeister Hubert Schulze, der in der Strafvollzugsanstalt Cottbus als ‘Roter Terror’ jahrelang Gefangene tyrannisiert hatte, kam ebenfalls mit einem blauen Auge davon. Er erhielt zwei Jahre und acht Monate Haft, die er im offenen Vollzug verbringen durfte, so dass er im Gefängnis lediglich übernachten musste...Von den 1795 Strafvollzugsbediensteten aus DDR-Zeiten wurden im Land Brandenburg ganze neunzig entlassen. Meist waren Spitzeldienste für den Staatssicherheitsdienst der Auslöser, während die in Salzgitter dokumentierten Misshandlungen kaum zu personellen Konsequenzen führten.“ (Knabe 2008, S. 107) Bis Mitte 1998 wurden 20 Stasi-Offiziere verurteilt, 12 bekamen Geldstrafen, 7 eine Freiheitsstrafe zur Bewährung. „Aus dem Korps der 91 000 hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter musste nur einer ins Gefängnis.“ (Knabe 2008, S.113) Wegen zweifachen Totschlags. Von den IM`s wurden bis Mitte 1998 15 Personen angeklagt, 4 verurteilt- zu Bewährungsstrafen. In einem Viertel der Verfahren ging es um Gewalttaten an der Grenze. Todesschützen an der Grenze mußten fast nie ins Gefängnis. „Insgesamt wurden bis 1999 von 111 angeklagten Grenzsoldaten 44 freigesprochen, 61 erhielten eine Bewährungsstrafe, nur zwei mussten ins Gefängnis.“ (Knabe 2008, S.121) Man versuchte allerdings die Organisatoren des Grenzregimes anzuklagen. „Bis zum 3. Oktober 2000 wurden 22 Verfahren eingestellt und sechzig Personen freigesprochen. 94 Angeklagte wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Nur 29 Personen erhielten bis Mitte 2002 Freiheitsstrafen ohne Bewährung, acht von ihnen bekamen fünf oder mehr Jahre Haft.“ (Knabe 2008, S.123)


Nur 43 DDR-Bürger bei 200 000 politischen Gefangenen und vielen (Grenz-) Toten, aber 51 (!) bundesdeutsche Agenten, mußten ins Gefängnis...Das nennt sich „Rechtsstaat“.

Insgesamt wurden zum DDR-Unrecht 1021 Anklagen gegen 1737 Personen erhoben. 753 Personen wurden verurteilt, davon mußten 43 ins Gefängnis. Krenz, Mielke, Schabowski und Kleiber waren nur kurz in Haft. Stasi-Chef Mielke überreichte das PDS-regierte Marzahn zu seinem 90.Geburtstag einen Blumenstrauß. Wahrscheinlich für seine „Verdienste“. Von den Stasi-Agenten im Westen mußten 51 Bundesbürger ins Gefängnis, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen agiert hatten. Also mußten mehr West- als Ostdeutsche ins Gefängnis, es galt nicht das Rückwirkungsgebot. Während man sich im Westen auf die Agenten im Sicherheitsbereich stürzte, waren es im Osten nicht die Funktionäre sondern die kleinen Spitzel. Die Parteisekretäre duften weiterhin im öffentlichen Dienst arbeiten. Man fixierte sich auf die Stasi. Allerdings war die Überprüfung auf Stasimitarbeit sehr lückenhaft.

Überprüfungen im Öffentlichen Dienst

In Berlin wurden nur Beschäftigte des höheren Dienstes überprüft, wer sich auf unauffällige Posten im öffentlichen Dienst zurückzog, blieb unbehelligt. Nur Polizei und Feuerwehr wurden 1996 ein 2. Mal überprüft. Bis 2002 gab es in Brandenburg keine Regelanfrage im öffentlichen Dienst. Viele tauchten also im Öffentlichen Dienst unter. Auch in den Medien gab es immer wieder IM`s. In den privaten Medien fanden kaum Überprüfungen statt, obwohl der ostdeutsche Journalismus von SED und Stasi durchdrungen war. Auch in der Politik tauchten sie unter. „So beschloss der Geschäftsordnungsausschuss des Deutschen Bundestages 1991, dass die obersten Repräsentanten des Volkes nur dann überprüft werden dürften, wenn sie sich freiwillig dazu bereit erklärten.“ (Knabe 2008, S.148) Ist eine IM-Tätigkeit erwiesen, hat das keine Konsequenzen. Manfred Stolpe und Gregor Gysi sind da gute Beispiele. Auch Bundeseinrichtungen weigerten sich, ihre Mitarbeiter überprüfen zu lassen. Welch Perversität, gerade Arbeitsämter galten als Zufluchtsstätte ehemaliger Stasi-Mitarbeiter. „Bis 1999 wurden so in Deutschlands größter Behörde (Bundesagentur für Arbeit) nur 5400 der 95 000 Beschäftigten kontrolliert.“ (Knabe 2008, S.148) Ja die Stasi-Mitarbeiter kannten sich im Umgang mit „Arbeitsscheuen“ gut aus. Viele Stasimitarbeiter tauchten auch in die Privatwirtschaft ab, so entstanden in Berlin mehrere Dutzend neue Sicherheitsfirmen. Selbst der Geschäftsführer des Berliner Luxushotels Adlon Thomas Klippstein war IM. Er ging, jetzt arbeitet er für eine russische Immobilienfirma in Dubai. Als bekannt wurde, dass der Präsident der Dresdner Bank in Moskau, früher hauptamtlich bei der Stasi gearbeitet hatte und dabei auch Informationen über seinen jetzigen Arbeitgeber geliefert hatte, wurde er zum Chef des Aufsichtsrates und Vorsitzenden des Lenkungsausschusses der Investmentbank in Moskau befördert. „...in den Ländern Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern machte man im öffentlichen Dienst bis 2005 mehr als 28 000 frühere Stasi-Mitarbeiter ausfindig. Die Quote der Belasteten lag damit bei etwa fünf Prozent. Da man die Bediensteten der Kommunen und des Bundes noch hinzurechnen muss, dürften durch Überprüfungen insgesamt mindestens 40 000 ehemalige MfS-Mitarbeiter aufgedeckt worden sein, wobei Doppelzählungen nicht auszuschließen sind...Gleichwohl wurde mehr als die Hälfte der im öffentlichen Dienst enttarnten Stasi-Mitarbeiter weiterbeschäftigt....Nach den zur Verfügung stehenden Zahlen aus Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wurde nur bei 6200 Personen das Arbeitsverhältnis definitiv beendet. In Berlin betrug die Entlassungsquote bei Stasi-belasteten Polizisten 75%, in Thüringen 53%. Nach Angaben der Stasi-Akten-Beauftragten Birthler übernahmen Polizei und Bundesgrenzschutz in den neuen Ländern insgesamt 1800 hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter, nur Berlin hielt dies für unzumutbar. Ähnliche Unterschiede gab es bei den Lehrern, nur diesmal umgekehrt: So wurden an den Berliner Schulen nur 20 Prozent der früheren Stasi-Informanten entlassen. Ohne jede individuelle Prüfung verbeamtete die Landesregierung zudem im Dezember 1996 5200 Ost-Berliner Lehrer. In Sachsen sprach man dagegen selbst gering belasteten Lehrkräften eine Kündigung aus.“ (Knabe 2008, S.153f.) Das Berliner Klinikum Charite stellte wissentlich sogar einen früheren Vernehmer des Stasigefängnisses Berlin-Hohenschönhausen ein. Er sei unter 15 Bewerbern der geeignetste Kandidat gewesen, weil er ‘Sozial- und Führungskompetenz’ besitze. Mitarbeiter beschwerten sich über seinen rigorosen Führungsstil und stellten Recherchen über den Stasi-Major an. Auf Druck des Personalrates wurde er entlassen. „Als das Berliner Arbeitsgericht entschied, dass die Entlassung unwirksam sei, musste das Krankenhaus dem Ex-Vernehmer eine Abfindung von 200 000 Euro zahlen..“ (Knabe 2008, S.155)

Stasimitarbeiter in der Stasi-Aufarbeitungsbehörde

Selbst in der Stasi-Akten-Behörde arbeiteten im November 2006 54 ehemalige Stasi-Mitarbeiter, ursprünglich waren es sogar zwischen 70 und 80, die inzwischen ausgeschieden oder verstorben waren. Sie waren meistens, welch ein Hohn, für die Bewachung der Akten zuständig. Auch im Archiv, wo das Geheimwissen der Stasi lagert, sind viele beschäftigt. Zehn Stasimitarbeiter sind im Personalrat, zwei hauptberuflich. Eine Zeitung kommentierte: „Die Stasi archiviert sich selbst.“ (Knabe 2008, S.158) Bewerbungen von ehemaligen Bürgerrechtlern bei der Behörde wurden meistens abgelehnt, man griff lieber auf ehemalige Beschäftigte des DDR-Staatsapparates zurück, zum Beispiel Mitarbeiter des Ministerium des Innern. Die Leiterin des Karteireferates arbeitete früher bei der DDR-Generalstaatsanwaltschaft, der stellvertretende Magazin-Chef war Offizier der Volkspolizei. Als eine Mitarbeiterin, die zu DDR-Zeiten im Gefängnis saß, die Behördenleitung informierte, dass Stasi-Verstrickungen von Polizisten nur unvollständig an die personalführenden Stellen weitergegeben worden seien, wurde sie entlassen.

Aufarbeitung in der Justiz

„Massive personelle Kontinuitäten gibt es auch im Bereich der Rechtspflege. Ein großer Teil der SED-Kader wurde in die neue ostdeutsche Justiz übernommen. Nur in Berlin legte man die Hürden höher. Während in der Bundeshauptstadt bloß 15 Prozent der DDR-Richter weiterbeschäftigt wurden, lag die Quote in Mecklenburg- Vorpommern bei 40 Prozent. In Thüringen wurden sogar 53 Prozent der Richter übernommen. Noch höher lag der Anteil in Brandenburg (54 Prozent), Sachsen-Anhalt (62 Prozent) und Sachsen (65 Prozent). Mehr als jeder zweite DDR-Richter behielt damit sein Amt.“ (Knabe 2008, S.160) In der DDR konnten nur besonders Systemtreue Jura studieren. Tausende, die besonders belastet waren, erhielten während der Regierungen von Modrow und de Maiziere, in kürzester Zeit eine Anwaltzulassung. Etwa 70 ehemalige Stasi-Mitarbeiter sind heute als Anwälte tätig. So traten dann ehemalige MfS-Vernehmer als Anwälte in Prozessen einstigen Opfern gegenüber. Inzwischen gibt es eine ganze Prozesslawine unter Berufung auf Persönlichkeitsrechte. Die Streitwerte und Anwaltshonorare steigen beständig. Besonders gerne lassen sich ehemalige Stasi-Mitarbeiter von Peter-Michael Diestel vertreten, auch Gregor Gysi tritt diesbezüglich in Erscheinung.

DDR- Renten“unrecht“

Durch Klagen erreichten die ehemaligen DDR- Systemträger auch, dass ihnen heute hohe Renten gezahlt werden. Ca. 230 000 DDR-Bürger bekamen Anfang 1990 Zusatzrenten. Bei gleichzeitiger hoher Altersarmut von nichtprivilegierten meistens Frauen. Insgesamt haben 3,8 Millionen DDR-Privilegierte Ansprüche auf besonders hohe Altersbezüge. Obwohl diese Privilegien nach 1989 abgeschafft werden sollten, haben die Funktionäre es im juristischen und politischen Kampf geschafft, dass die Renten immer weiter angehoben wurden. Das Zwei-Klassen-Rentenrecht der DDR wirkt so bis heute weiter. „ Zum Stichtag 31.Dezember 1996 erhielten jetzt nur noch 12 Prozent oder 61 000 der Zusatzversorgten eine nach oben begrenzte Rente. Bei den bewaffneten Organen waren es, je nach Einsatzbereich, zwischen 31 und 50 Prozent der Rentenbezieher...Ein Großteil der Staats- und Parteifunktionäre, aber auch Armeeangehörige, Polizisten, Gefängniswärter und Zöllner wurden mit dem 1. AAÜG-Änderungsgesetz (AAÜG-ÄndG= ab dem 1. Januar 1997 von sämtlichen Rentenbegrenzungen befreit...Mit der Gesetzesänderung sorgte der Bundestag dafür, dass Zehntausende SED-Kader aus der bisherigen Rentenbegrenzung herausfielen. Anders als zuvor mussten sie das Vielfache eines DDR-Durchschnittseinkommens verdient haben, um überhaupt in den Bereich der Kürzungen zu kommen. Nur wer 1989 das 2,6 fache und 1950 sogar fast das Zehnfache davon bekommen hatte, musste noch Abstriche hinnehmen...Alles in allem hob das neue Gesetz die übrig gebliebenen Rentenbegrenzungen in 75 Prozent der Fälle vollständig auf. 165 000 Staatskader erhielten neue Rentenbescheide mit teilweise kräftigen Erhöhungen.“ (Knabe 2008, S.191) Ein Systemträger, der immer unter der Kappungsgrenze geblieben war, konnte 3700 DM bekommen, ein normal gesetzlich Versicherter dagegen 1500 DM. „Die Mehrkosten dieser Rentenerhöhung für DDR-Funktionäre betrugen allein im ersten Jahr rund 180 Millionen DM.“ (Knabe 2008, S.191) Das Bundesverfassungsgericht kippte die verbliebenen Begrenzungen. Am Ende entschied das Bundesverfassungsgericht auch noch, dass es grundgesetzwidrig sei, die Renten früherer Stasi-Mitarbeiter auf 70 Prozent einer DDR-Durchschnittsrente zu begrenzen. „Mit dem 2. Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungs- Änderungsgesetz (2. AAÜG-ÄndG) wurde die Obergrenze für Stasi-Renten um 30 Prozent angehoben....Die Stasi-Mitarbeiter bekamen dadurch nicht nur monatlich mehr Geld, sondern auch Nachschläge von 25 000 bis 30 000 DM pro Person. Auch weitere Rentenanhebungen für DDR-Privilegierte wurden mit diesem Gesetz beschlossen. „Alles in allem spendierte der Bundestag der alten DDR-Elite an diesem Tag mehr als 1,4 Milliarden DM- zuzüglich 435 Millionen DM jährliche Folgekosten... Bis auf die Mitarbeiter des Staatssicherheitsapparates und einige hundert Funktionäre haben durch das geänderte Gesetz alle Träger des SED-Regimes ihre alten Privilegien zurückerhalten...Allein im Jahr 2006 kosteten die Zusatz- und Sonderrenten der alten DDR-Oberschicht den Steuerzahler 4,1 Milliarden Euro“ (Knabe 2008, S.195) Dabei müssen 2/3 aller Kosten die neuen Bundesländer übernehmen. Das geht natürlich zu Lasten anderer Bereiche. Ein Viertel der Mittel aus dem Solidarpakt Ost floß der alten DDR-Oberschicht zu. Die Privilegierten der DDR sind die Gewinner der Wiedervereinigung. „Je länger sie daran mitwirkten, das Regime am Leben zu halten, desto höher sind ihre Altersbezüge.“ (Knabe 2008, S.200)

Die Armut der Opfer

Während DDR-Systemträger und Karrieristen heute Bezüge von mehreren Tausend Euro kassieren, leiden viele Opfer bis heute an sozialen und psychischen Folgeschäden. Wer sich nicht anpaßte, konnte nicht studieren, hatte keinen guten Job, saß oftmals im Gefängnis- das alles sollte Folgen haben. Viele Opfer leben heute von niedrigen Einkünften. „Die Faustregel lautet: Je stärker sich ein DDR-Bürger mit dem System anlegte, umso geringer ist heute seine Rente....einen Ausgleich für die geraubten Lebenschancen gab es nicht...“(Knabe 2008, 202f.) Am 29.Oktober 1992 wurde das „Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet“ verabschiedet. Für jeden Monat Gefängnis in der DDR gab es 300 DM, die Hälfte von dem, was unschuldig Inhaftierte ansonsten bekommen. So bekam Willy Stoph 600 Euro pro Monat. Diejenigen, die am Tag des Mauerfalles noch in der DDR waren, bekamen zusätzlich 250 Euro. Für fünf Jahre „Gelbes Elend“ in Bautzen gab es ca. 9000 Euro, wer noch in der DDR war, ca. 16 500 Euro. Willi Stoph bekam neben seiner Entschädigung noch 15 000 Euro für seinen angeblichen Einkommensverlust ausgezahlt. Auch psychische Haftschäden sind häufig, diese erkennen die Versorgungsämter selten an. Bei einer Untersuchung des Dresdner Hannah Arendt- Institut klagten 70% der 360 Inhaftierten aus den 70er und 80er Jahren über psychische Folgeschäden. Auch für berufliche Benachteiligungen gibt es keinen Ausgleich. Die häufigste Form politischer Verfolgung war die Verweigerung von Aufstiegschancen. Im Januar 2007 einigten sich die CDU und SPD auf eine neue Rentenregelung. Für Bedürftige (Verdienst weniger als 1035 Euro) gibt es eine Sonderrente von 250 Euro pro Monat. Allerdings muß man ein halbes Jahr im Gefängnis gesessen haben. Proteste bewirkten, dass die Altersrente bei der Bedürftigkeitsprüfung unberücksichtigt bleibt. „Dadurch stieg die Zahl der Berechtigten auf 42 000. Kosten: 90 bis 100 Millionen Euro.“ (Knabe 2008, S.239)

Kampf um das DDR-Bild

Aber es geht nicht nur um das Geld, um die Renten der DDR-Systemträger und die Renten der politischen Gefangenen in der DDR. Jetzt, da Straftaten verjährt sind, da kaum noch jemand entlassen wird, da die Renten erhöht sind, jetzt geht es um das Geschichtsbild. Es geht um das zukünftige Bild von der DDR. In der Öffentlichkeit ist eine zunehmende Verklärung der DDR feststellbar. Ehemalige Stasi-Mitarbeiter und DDR-Systemträger treten immer unverfrorener auf. Sie fühlen sich sicher. Zehntausende trauern der DDR nach. „Die SED hatte 1989 allein 44 000 hauptamtliche Funktionäre. Hinzu kamen 88 000 nebenamtliche Parteisekretäre, über 21 000 Mitglieder und Kandidaten der Bezirks- und Kreisleitungen und etwa 150 000 Funktionäre in den Massenorganisationen. In Verwaltung und Staatswirtschaft arbeiteten weitere 150 000 zuverlässige Kader und in der Nationalen Volksarmee (NVA) und der Volkspolizei etwa 40 000 SED-treue Offiziere. Insgesamt umfasste die Funktionärsschicht, auf die sich das Politbüro bedingungslos stützen konnte, etwa 300 000 bis 400 000 Personen...Am Ende, im Herbst 1989, umfasste der Staatssicherheitsdienst über 270 000 hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter.“ (Knabe 2008, S.256) 1/3 der hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter lebten in Berlin. In der Zentrale arbeiteten 22 000 Mitarbeiter. 10 000 Angehörige hatte das Wachregiment „Feliks E. Dzierzynski“. Überwiegend MfS-Mitarbeiter wohnten in Berlin in den Straßenzügen um die Stasi-Zentrale Lichtenberg und das Sperrgebiet Hohenschönhausen rund um das Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen. Die Ansiedlung der SED-Systemträger in Marzahn, Hellersdorf, Hohenschönhausen, Lichtenberg (aber auch Mitte, Friedrichshain und Pankow) sicherte der ehemaligen SED durch das Wahlverhalten der Bevölkerung das Überleben. Während sie früher schwiegen, untertauchten und unauffällig blieben, kriechen sie zunehmend aus ihren Löchern und treten immer dreister auf. Jetzt führen sie den politischen Kampf um das Geschichtsbild. Ob sie wohl wieder mal gewinnen?

Aber nicht nur die ehemaligen DDR-Systemträger sind das Problem, sondern auch die Totalitarismustheorie, die oftmals von Antikommunisten herbeigeredet wird. Auch sie prägt ein Bild von der DDR auf der anderen Seite des Pendels. Die ehemals Herrschenden der DDR und die Herrschenden im Kapitalismus führen einen Kampf um das Geschichtsbild, die Leidtragenden sind die Unterdrückten beider Herrschaftssysteme, die Suche nach Alternativen wird bewußt versperrt.

Die Totalitarismustheorie

In ihr wird in aktueller Anwendung die DDR mit dem Nationalsozialismus verglichen, und damit die DDR dämonisiert und der Nationalsozialismus verharmlost.

Die Geschichte

Die Totalitarismusdiskussion begann in den 1920er Jahren. Die Begriffe „totalitär“ und „Totalitarismus“ wurden von italienischen Antifaschisten 1923 erfunden, da seit 1922 dort Mussolini herrschte. Mussolini nahm den Begriff auf und erklärte 1925, er wolle einen „totalitären“ Staat errichten. Gerade Sozialdemokraten der 1920er und 1930er Jahre in der Weimarer Republik verglichen aber auch den Faschismus und Kommunismus (Bolschewismus in Rußland) miteinander. Von der Kommunisten wurden sie wiederum als Sozialfaschisten beschimpft. Durch den Hitler-Stalin-Pakt wurde diese These bestätigt, damit erreichte die Totalitarismusdiskussion ihren Höhepunkt. Später während der Anti-Hitler-Koalition zwischen Rußland, den USA, Frankreich und Großbritannien von 1942 bis 1945 verschwand die Totalitarismustheorie wieder. 1946 erlebt die Totalitarismustheorie eine Renaissance. In Zeiten des Kalten Krieges wurde die Totalitarismustheorie als antikommunistische Waffe benutzt.

Die Theorie

Auch Hannah Arendt verglich in ihrem 1955 in deutsch erschienenen Buch „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ die Rassengesetze der Nazis mit den Gesetzmäßigkeiten der historischen Entwicklung bei den Kommunisten (historischer Materialismus). Auf der einen Seite ständen demnach „minderwertige Rassen“, auf der anderen Seite „sterbende Klassen“.

In dem 1956 erschienenen Werk „Totalitarian Dictatorship and Autocracy“ definierten Friedrich und Brzezinski ein idealtypisches Verfahren, um eine „totalitäre“ Diktatur zu bestimmen: In dieser Diktatur werde eine Ideologie vertreten, die sich gegen „feindliche“ Rassen oder Klassen richtet. Es wird ein Terrorsystem errichtet, dass sich gegen Rassen oder Klassen richtet. Die Wirtschaft werde vollkommen der staatlichen Kontrolle unterworfen (Befehlswirtschaft). Es wird ein monolithisch geschlossenes Einparteienregime mit einem Führer errichtet. Der Staat verfügt über ein Nachrichten- und ein Waffenmonopol.

Der Zweifel an der Theorie

Die Totalitarismustheoriker hatten den Faschismus mit dem Stalinismus verglichen, allerdings wandelte sich die Sowjetunion nach dem Tode Stalins 1953. So wurden der Personenkult beseitigt und der GULAG reduziert. 1968 wurde die Totalitarismustheorie in Frage gestellt, jetzt erlebte die Faschismustheorie den Durchbruch. In den 70er und 80er Jahren, den Zeiten der Entspannung, bezweifelten die meisten Kommunismusforscher diese Theorie.

Allerdings löste Ernst Nolte 1986 den Historikerstreit aus. Er wollte unter die nationalsozialistische Vergangenheit einen Schlußstrich ziehen. Er versuchte den Bolschewismus als eigentlich Schuldigen hinstellen, der Faschismus sei nur eine Antwort gewesen. Damit wollte er eine Kausalität von kommunistischem Klassen- und nationalsozialistischen Rassenmord nachweisen. Gleichzeitig verglich er die nationalsozialistischen Verbrechen mit anderen Verbrechen.

Der stille Sieg

Der stille Sieg der Totalitarismustheorie kündigte sich schon in den 1980er Jahren an, beschleunigte sich aber nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus. Besonders die DDR-Forschung bedient sich der Totalitarismustheorie, zieht Vergleiche zwischen Nationalsozialismus und DDR. Nach 1989 herrschte eine Goldgräberstimmung bei Historikern, sie begehrten die neu geschaffenen Stellen in den Forschungseinrichtungen und Universitäten. Auch ehemalige Bürgerrechtler waren dabei. Sie klagten die DDR an, womit sie ihre Opposition in der DDR hervorheben konnten. Vergleichen muß ja eigentlich nicht gleichsetzen bedeuten, man kann dadurch auch die Unterschiede feststellen. Die Archive sind geöffnet, sachliche Forschungsergebnisse sind möglich. Es bedarf nicht mehr der Propaganda des Antikommunismus.

Die Kritik von Wolfgang Wippermann

Wolfgang Wippermann kritisiert Hannah Arendts Gleichsetzung zwischen der „Lehre vom Recht des Stärkeren“ und der „Lehre vom Kampf der Klassen“ bei Hannah Arendt. Rassen- und Klassenmord sind nicht gleichzusetzen. Auch das Modell von Friedrich und Brzezinski sei problematisch. Sowohl das monolithische Einparteiensystem als auch die Befehlswirtschaft habe es im Nationalsozialismus nicht gegeben. Und ein Waffenmonopol haben auch demokratische Staaten.

Wolfgang Wippermann meint, dass ein Abgrund zwischen Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit klafft, was er zum Beispiel an der Diskussion um die Speziallager und die Stasi festmacht. So werden Speziallager in der Öffentlichkeit manchmal als Konzentrationslager und die Stasi als Rote Gestapo bezeichnet.

Als Vorreiter der Totalitarismustheorie seien nach Wolfgang Wippermann die 14. Enquetekommission des Deutschen Bundestages zur „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur“ mit ihrem Leiter Rainer Eppelmann, der Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität, das Amt des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) und der „Großinquisitor“ Hubertus Knabe zu benennen. Die Enquetekommission versuchte, ein bestimmtes DDR-Bild durchzusetzen, was ihr nicht gelang, weil durch Beiträge der Alltags- und Sozialpolitiker die Dämonisierung der DDR nicht erreicht wurde. Bei dem Forschungsverbund ging es hauptsächlich um die Besetzung von Stellen mit Pensionsberechtigung, dabei geht es dem Verband weniger um Forschung als um eine Verschwörungsideologie. Die BStU (insbesondere Joachim Gauck) entfachte eine Stasi-Hysterie mit immer neuen Sensationsnachrichten. Kurioserweise stoppte Helmut Kohl die Mammutbehörde, er verweigerte die Veröffentlichung seiner Stasiunterlagen. Hubertus Knabe vertritt die Verschwörungsideologie, dass die gesamte Republik von der Stasi unterwandert sei, dabei legt er Quellen fantasievoll aus. Historiker meinen, dass er Dinge behauptet, die er nicht belegen kann. Gerade auch seine Gedenkstättenpraxis in Hohenschönhausen wird kritisiert. Ihm geht es vor allem um die Bekämpfung der Partei Die Linke.

Die Totalitarismustheorie ist nach Wolfgang Wippermann auch zu kritisieren, weil sie zu einem neuen Opfer-Diskurs führt, Opfer des Krieges, Opfer der Vertreibung, Opfer der „zweiten deutschen Diktatur“.

In der Debatte um die DDR-Vergangenheitsaufarbeitung müsse man natürlich auch aufpassen, dass man nicht die relativierende Sichtweise von Zeitgenossen übernimmt. Wie Wolfgang Wippermann warnt, habe man dabei Erfahrungen aus der NS-Zeit von Zeitgenossen, „die bekanntlich häufig nichts getan und von nichts gewußt haben wollen“. (Wippermann 2009, S. 58) „...die Betonung, dass es eben auch in der DDR einen Alltag gab, (kann) zu einer Verharmlosung ihres diktatorischen Charakters führen“. (Wippermann 2009, S.58) Zwar war die DDR nicht völlig durchherrscht, aber die Repression konnte jeden treffen. Abstoßend findet Wolfgang Wippermann die Behaptung „es sei ‘alles nicht so schlimm’ gewesen, weil die DDR eben ‘auch gute Seiten’ gehabt habe. Derartige bestenfalls törichte Bemerkungen sind schließlich wiederum Wasser auf die Mühlen derjenigen, welche die DDR verteufeln und ein abschreckendes Bild von ihr in der Öffentlichkeit propagieren. Beides- totale Verdammung wie zunehmende Verklärung- ist historisch nicht nur falsch, sondern politisch auch gefährlich, denn wer seine Geschichte nicht richtig kennt, kann auch nichts Richtiges daraus lernen.“ (Wippermann 2009, S.59) So meint Wippermann, dass man natürlich nicht die Stasi mit der Gestapo gleichsetzen könne, trotzdem sei die Stasi eine Mammutbehörde gewesen, so wurde errechnet, dass jeder 50. DDR-Bürger für die Stasi arbeitete. Die Stasi überwachte das Land fast lückenlos. Allerdings darf man die Stasi auch nicht überschätzen, sie war nicht allmächtig, schließlich unterstand sie der SED und der Staatsführung. Aber auch den Alltag dürfe man nicht verharmlosen und verherrlichen. Auch hier gäbe es einen geschichtspolitischen Skandal. Dazu hätte die Literatur von DDR-Nostalgikern beigetragen, aber auch die Dämonisierung der DDR, die zu Trotzreaktionen und zu Desinteresse geführt hätte. Wolfgang Wippermann schreibt resümierend in seinem Buch „Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich“: „Insgesamt scheint es zu einem vergangenheits-politischen Paradigmenwechsel gekommen zu sein...Das vereinte Deutschland befindet sich auf einem neuen vergangenheitspolitischen Irrweg, der sich als äußerst gefährlich erweisen kann, wer er nicht aufhört, bestritten zu werden...Um es noch einmal zu sagen, und einer bestimmten Klientel von DDR-Nostalgikern ins Stammbuch zu schreiben: Die DDR war unzweifelhaft eine Diktatur und mit Sicherheit kein Rechtsstaat, doch ebenso wenig war sie eine totalitäre und mit dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat zu vergleichende ‘zweite Diktatur’. Dies kommt einer Dämonisierung der DDR gleich, die wiederum mit einer Relativierung des Dritten Reichs verbunden ist. Dämonisierung der DDR und Relativierung des Dritten Reiches sind dabei zwei Seiten des gleichen geschichtspolitischen Revisionismus.“ (Wippermann 2009, S.122)

Die Kritik von Karl-Heinz Roth

Karl-Heinz Roth beschreibt die Totalitarismustheorie wie folgt. Dabei handele es sich um eine „manichäische Schwarz-Weiß-Typologie, die aus einem Bild und einem Gegen-Bild besteht.“ (Roth 1999, S.60) Dem Vor-Bild der „parlamentarischen Demokratie“ steht die „totalitäre Diktatur“ als Kehrseite gegenüber. „Norm und Wirklichkeit (werden) nur auf der Feind-Kehrseite überprüft. Die eigene Wirklichkeit aber wird ausgeklammert... Der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Kultur (Anm. des Gegen-Bildes) werden jegliche Autonomie abgesprochen. Sie werden statt dessen umstandslos in das Prokrustesbett der Herrschaftstypologie gepreßt und der Merkmalsanalyse des Gegen-Bildes unterworfen.

Die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen politischer Herrschaft, Wirtschaft und Gesellschaft und die sich daraus ergebenden Wandlungsprozesse können durch die Totalitarismuskonzeption nicht wahrgenommen werden.“ (Roth 1999, S.61f. )

Auch der Freiheitsbegriff der Totalitarismustheorie ist fragwürdig. Im Neoliberalismus geht es hauptsächlich noch um Wirtschaftsfreiheit. „Individuelle und politische Freiheitsrechte sind für jede demokratische Gesellschaft unverzichtbar. Sie bleiben aber für diejenigen eine hohle Phrase, die über keine sozialen Freiheiten verfügen, weil sie kein Eigentum besitzen.“ (Roth 1999, S.63) Soziale Existenzrechte des Gegen-Bildes, in der DDR z.B. das Recht auf Arbeit und das Recht auf Wohnung, bleiben dagegen ausgeklammert, wobei man auch diesbezüglich differenzieren muß. „Insoweit ist auch die Blindheit des Totalitarismusmodells gegenüber der sozialen Frage Voraussetzung für das Funktionieren seiner normativ-typologischen Konstruktion von Bild und Gegen-Bild....“ (Roth 1999, S.63.) Karl-Heinz Roth spricht von der Totalitarismustheorie als „Pseudowissenschaft“ und „gefährliche Ideologie“.

Die Anhänger der Totalitarismustheorie wirkten insbesondere auf die Bundestags- Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der DDR ein. Die Kommission wurde nach Parteienproporz erwählt. Forscher aus dem Westen hatten zumeist handfeste Eigeninteressen, sie forcierten die Landnahme, um an Fleischtöpfe heranzukommen. Die Teilnahme an der Kommission diente als Gütesiegel und verbesserte die Karrierechancen. Auch Abtrünnige der Westlinken wirkten mit. Als besonders beklemmend beschreibt Karl-Heinz Roth die Anpassung von DDR-Bürgerrechtlern. Man spürt die „verborgene Verletztheit“, einerseits waren sie in der DDR mit Repression konfrontiert, Entwicklungs- und Gestaltungschancen waren ihnen genommen. Anderseits seien sie nicht in der Lage gewesen „aus ihrem spätprotestantischen Moralismus auszubrechen“ ... „und einen eigenständigen Reformprozeß in Gang zu bringen“. Sie würden jetzt quellenfundiert mit den Akteuren und Institutionen der DDR abrechnen, was ein „langfristiger Lebensentwurf“ sei, die Teilnahme an der Kommission diente der „lobbyistischen Absicherung ihrer Projekte“. (Roth 1999, S. 86f.) Die Folgen der Totalitarismustheorie für die Wissenschaft seien fatal. Ein deutsch-deutsches Vergleichsverbot sei nun parlamentarisch festgeschrieben.

Aber Karl-Heinz Roth stellt auch fest, dass natürlich die Geschichte des Staatssozialismus aufgearbeitet werden müsse. Er plädiert für die Wiederaneignung des von der Totalitarismustheorie besetzten Terrains. „Die (selbst-) kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der staatssozialistischen Diktaturen gehört gerade heute zu den Grundvoraussetzungen für das Überleben und Weiterwirken des sozialistischen Projekts überhaupt....Nur so können die Voraussetzungen für einen Neuanfang geschaffen werden, durch den die Verschränkung von Sozialismus und Demokratie von vornherein garantiert ist.“ (Roth 1999, S. 64ff.)

Endlich mal Aufarbeitung von links

Natürlich kann man nicht den Nationalsozialismus mit der DDR gleichsetzen. Leichenberge gegen Aktenberge, Auschwitz läßt sich nicht vergleichen. Trotzdem stellt sich ein Problem, vor allem für Kommunisten. Das Gespenst des Stalinismus. Aufgabe der Kommunisten wäre es, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Und zu dieser Geschichte gehört auch das Unrecht in der DDR. Und auch der Kapitalismus darf aus dieser Debatte des „Diktaturenvergleiches“ nicht ausgeklammert werden, wie viele Opfer hat dieser bisher gekostet, tagtäglich verhungern Menschen weltweit.

Aber Kapitalismuskritik allein macht die Geschichte des Kommunismus nicht besser, gerade auch aufgrund des Anspruches des Kommunismus ein menschenwürdigeres Gesellschaftssystem zu sein. Ich fasse nicht die Ignoranz und den Unwillen vieler Linker, sich mit der realsozialistischen Geschichte auseinanderzusetzen.

Dankbar bin ich Bini Adamczak für das Buch „Gestern Morgen“:„Ohne den Gang durch die Geschichte der revolutionären Versuche wird es keine revolutionäre Versuchung mehr geben.“ (Adamczak 2008, S.121)

Bini Adamczak`s Buch beginnt mit der Erinnerung an die vergessenen Züge, an die über 300 Kommunisten, Juden und Antifaschisten, die aus der Sowjetunion nach Nazi-Deutschland abgeschoben, ausgeliefert wurden. Viele von ihnen hatten zuvor in deutschen Gefängnissen, später in Zwangsarbeitslagern und Zuchthäusern in der Sowjetunion gesessen.

Wie zum Beispiel Erwin Jerres, der 1933 als Leiter des Kommunistischen Jugendverbandes Berlin-Lichtenberg verhaftet wird und ein Jahr im Konzentrationslager Sonnenburg verbleibt. Nach der Entlassung geht er in den Untergrund, als seine Organisation auffliegt, flüchtet er nach Moskau. Dort wird er 1937 verhaftet und 1938 nach Deutschland abgeschoben. Ein Jahr sitzt er dort in Moabit in Untersuchungshaft und wird schließlich von der Wehrmacht eingezogen. 1944 gerät er in sowjetische Kriegsgefangenheit. Obwohl er sehr gut russisch kann, spricht er dort kein Wort russisch. Als er entlassen wird, geht er 1946 nach Berlin. „...und trifft dort einen alten Genossen mit Namen Erich Honecker, dem er zu verstehen gibt, dass er das Interesse an Politik verloren hat. Zwei Wochen später wird er vom NKWD verhaftet und mit der Begründung, er habe gegenüber der Gestapo Aussagen über die Sowjetunion gemacht, zu 25 Jahren Zwangsarbeitslager in Workuta verurteilt, wo er zuletzt 1952 gesehen wird.“ (Adamczak 2008, S.16)

Bini Adamczak mahnt: „Wer sollte sie- als Kommunistinnen betrauern? Wenn nicht, wer immer das auch sei, die Kommunistinnen ? Die Kommunistinnen aber schweigen- in ihrer Mehrzahl. Die Archive sind offen. Und dennoch hat keine breite und tiefe Forschung begonnen, zumindest, vor allem nicht von jenen, denen sich die Fragen (Wann? Wo?) am dringlichsten stellen müssten, die sich die Fragen (Wie? Warum?) am rücksichtslosesten zu stellen hätten. Keine Arbeit der Erinnerung jener, deren Erinnerung die zu Erinnernden am dringendsten bedürften. Es darf hier kein Schweigen geben und ebenso wenig oder noch weniger jetzt ein Verschweigen. Kein schamhaftes schuldbewusstes Verscharren der Toten durch jene die aber glauben, es handle sich beim Erinnern der Opfer um eine antikommunistische Strategie, das Nennen ihrer Namen entfessele einen prokapitalistischen Fluch.“ (Adamczak 2008, S23f.)

Mit ihrem Schweigen würden sie nur die Behauptung der Gegner bestätigen, das Ende der Geschichte sei bereits erreicht. Der letzte Tod der Revolution sei 1939 mit dem Hitler-Stalin-Pakt erreicht worden, aber viele Tode gingen ihm schon voraus, wie in Kronstadt (1921), bei den Schauprozessen 1936 und dem großen Terror 1937/1938. „Von den 1966 Delegierten des 17.Parteitages, des Parteitages der Sieger 1934, sind keine fünf Jahre später 1108 verhaftet, verschleppt, erschossen, verscharrt, von den 136 Parteisekretären, die das Adressbuch für Moskau und Umgebung 1936 auflistet, noch 7 im Amt...Als die Terrorwelle plötzlich ausläuft, sind 1 345 000 Menschen verurteilt, davon 681 692 zu Tode. Das sind 85% aller Todesurteile der gesamten Stalinzeit, die während den Feiern zum 20.Jahrestag der Revolution verhängt und vollstreckt werden...Auf manchen Exekutionsplätzen Moskaus, wie Kommunarka oder Butowa, mit bis zu 562 Hinrichtungen pro Tag“ (Adamczak 2008, S.47ff.) Der Terror kann jeden treffen, er ist zufällig. Die Partei zerstört sich selbst. Stalin bemerkt: „Es gibt zu viele Nörgler und wir müssen sie ausmerzen.“ (Adamczak 2008, S.60)

Dankbar bin ich Bini Adamczak auch für diese abschließenden Äußerungen: „Auf die (antikommunistische) Kritik des Kommunismus reagieren Kommunistinnen

mit Verteidigung- es sei nicht alles am Kommunismus schlimm-, mit Abwehr- das sei überhaupt kein Kommunismus gewesen- oder mit Angriff- die Kritik der kommunistischen Verbrechen diene nur der Legitimation der Verbrechen seiner Feinde. Jedes Mal haben sie Recht. Aber was über den Kommunismus ist gesagt damit, dass der Nationalsozialismus schlimmer, der Kapitalismus ebenso schlimm gewesen ist? Welches Urteil gesprochen über einen Kommunismus, in dem nicht alles, nur fast alles schlimm war? Und vor allem, welcher Anspruch erhoben auf einen Kommunismus, der trotz jahrehundertelanger Versuche ihn zu realisieren real doch nur in der Phantasie derer existierte, die, immer wenn sie befragt werden, leider ohne alle Macht sind....Das Diktum, das schöne Bild des wahren Kommunismus lasse sich nicht zeigen, wird zur Legitimation, vor den hässlichen Bildern des falschen Kommunismus die Augen zu verschließen.“ (Adamczak 2008, S.139 ff.)

Aufarbeitung ist also unbedingt notwendig. Meine Konsequenz aus dieser Debatte ist, dass ich die DDR niemals als „totalitär“ bezeichnen würde, sondern als „autoritär“, und dass ich bewußt die DDR mit dem wiedervereinigten Deutschland vergleiche. Für mich gibt es kein Vergleichsverbot. Ich bin Gegnerin der Totalitarismustheorie und der Verharmlosung/ Verklärung/ Banalisierung der DDR. Ich bin aber auch Gegnerin des Neoliberalismus in der Gegenwart. Auch dieser Staat wird immer autoritärer.

Für mich ist noch ein wichtiges Kapitel zu schreiben, die Geschichte der Arbeiter in der DDR und nach der „Wende“. Sie waren es, die am Unzufriedensten waren. Sie waren es (die Jungen), die flüchteten. Sie waren es, die die Masse der Demonstranten stellten. Sie waren es, die Kohl wählten. Sie waren es, die arbeitslos wurden. Sie sind es, die heute in Meck Pomm und anderswo arbeitslos dahin vegetieren. Sie sind es, die zu Niedriglöhnen und im Streß arbeiten. Sie sind es, die den Umbruch herbeigeführt haben. Und sie sind die Verlierer. Von ihnen spricht niemand. Aber von den Auslandsaufklärern. Aber vom privilegierten Gregor Gysi. Aber von der privilegierten Kati Witt. Aber vom privilegierten, leider verstorbenen Heiner Müller, der auf der größten Kundgebung der DDR am 4.11.1989 ihr Schicksal vorhersah.

Wenn die Linke sich mit unterdrückenden Privilegierten solidarisiert, hat sie ihre Existenzberechtigung verloren. Die Linke hat sich für die Unterdrückten und Ausgebeuteten dieser Welt einzusetzen. Proletarier aller Länder vereinigt euch und hört auf zu arbeiten!

Hubertus Knabe, Die Täter sind unter uns, List Berlin Mai 2008
Wolfgang Wippermann, Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich, Rotbuch Berlin 2009
Karl-Heinz Roth, Geschichtsrevisionismus, Konkret Verlag Hamburg 1999
Bini Adamczak, Gestern Morgen, Unrast Verlag München 2008

Editorische Anmerkungen
Den Aufsatz erhielten wir von der Autorin für diese Ausgabe.