Welchen Weg für die iranische Revolution?
Arbeiterklasse muss entschieden in die Kämpfe eingreifen

von Tony Saunois, Komitee für eine Arbeiterinternationale

06/09

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Dreißig Jahre nach der Revolution von 1979 sind in Iran neuerlich revolutionäre Spannungen ausgebrochen – Millionen Menschen sind gegen die zweifellos manipulierten Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen auf die Straßen gegangen. Innerhalb weniger Stunden nach Schließung der Wahllokale haben Präsident Mahmoud Ahmadinejad und seine Kohorten in der theokratischen Diktatur einen durchschlagenden Wahlsieg mit 64% Stimmenanteil bei einer Wahlbeteiligung von 85% verkündet. Diese Ankündigung war genug, um Hunderttausende auf die Straßen zu bringen – einiger Berichte zufolge haben bis zu 3 Millionen Menschen an den größten Protesten in Teheran teilgenommen. StudentInnen, die Mittelklasse und Teile der Arbeitslosen, Armen und der Angestellten sind auf die Straßen geströmt haben ihre „gestohlenen Stimmen“ zurückverlangt und eine Absetzung Ahmadinejads gefordert. Wie auch immer sich diese revolutionäre Krise in den kommenden Wochen entwickeln wird, fest steht, dass der Iran nicht mehr zum Ausgangszustand zurückkehren wird. Die massive Bewegung für eine Änderung markiert den Beginn des Endes der existierenden Diktatur. Obwohl eine exakte Analyse des Wahlergebnisses offensichtlich unmöglich ist, hat eine Studie der vom Regime selbst veröffentlichten Zahlen durch die Saint Andrews Universität in Schottland einige unglaubliche Ergebnisse aufgedeckt. In einigen Gebieten lag die Wahlbeteiligung bei 100%. Zudem mobilisierte Ahmadinejad offenbar genug Unterstützung, um sein Wahlergebnis verglichen mit 2005 um 113% zu steigern. Um die vom Regime vorgelegten Zahlen zu erreichen hätte er alle Stimmen der NichtwählerInnen von 2005 gewinnen müssen, zudem alle Stimmen, die damals dem „zentristischen“ Kandidaten Rafsanjani zufielen sowie 44% der Stimmen, die der mehr reform-orientierte Kandidat Karrubi erhielt. Ein bemerkenswertes Charakteristikum dieser Bewegung sowie der Wahlkampagne war das verstärkte Auftreten junger Frauen auf der Kampfbühne – einzigartig in der jüngeren iranischen Geschichte. Das zeigte sich schon während der Wahlkampagne. Zum ersten Mal in Iran spielte Mir Hossein Mousavis Frau, Zahra Rahnavard eine führende Rolle, ihre Forderung nach „Gleichheit“ zog eine große Menge, vor allem junger Frauen mit sich. Pressezensur und Versammlungsverbote konnten die Verbreitung der neuesten Nachrichten der Bewegung nicht verhindern. Die Jugend benutzte vor allem Facebook und Twitter um ihre Proteste zu organisieren und ihre Forderungen und die auf sie ausgeübte Repression zu veröffentlichen. Iran hat weltweit den höchsten pro Kopf Anteil an Bloggern. Die Massenproteste, die nach der Verkündung des Wahlergebnisses durch den Iran gefegt sind, markieren einen entscheidenden Wendepunkt. Die Tatsache, dass das „Gesetz“ herausgefordert wird und die brutale Unterdrückung durch die Staatssicherheitskräfte zeigen, dass die Massen beginnen, ihre Furcht vor dem Regime ablegen und bereit sind, diesem die Stirn zu bieten und es herauszufordern. Das bedeutet einen entscheidenden Wandel in der Psychologie der Massen in jeder Bewegung gegen Diktatur. Angesichts des Aufmarsches der gefürchteten para-militärischen Basij-Milizen haben DemonstrantInnen in Teheran den Slogan geschrieen: „Panzer, Kanonen, Basij – ihr habt jetzt keine Wirkung mehr!“ Bisher waren es ohne Zweifel die StudentInnen und Jugendlichen, die an der Spitze der Bewegung standen. Vor allem unter den höher gebildeten Schichten der Jugend brodelt die Unzufriedenheit und Wut gegen den einengenden, unterdrückenden Charakter des theokratischen Regimes, das die freie Wahl von Kleidung, Musik, persönlichen Beziehungen und Kommunikation massiv einschränkt. Ein zu enges Kleid, zu modernes Haarstyling oder die falsche Wahl der Musik von jungen Menschen zogen Wut und Bestrafung durch die Basij-Milizen auf öffentlicher Straße nach sich. In einer Bevölkerung, in der geschätzte 60 bis 70% unter 30 Jahre alt sind, konnten diese Restriktionen nicht auf Dauer aufgezwungen werden. So wichtig dieser zivile Ungehorsam auch ist, wird dieser von der jetzigen Bewegung übertroffen, die demokratische Rechte fordert und das Verlangen nach einem gesellschaftlichen Wechsel in Iran ausdrückt. Das wird auch durch die weit gestreute Teilnahme und Unterstützung für die Bewegung reflektiert, die es auch in den älteren Teilen der Bevölkerung gibt. Dazu kommt noch die während der letzten Jahren der Ahmadinejad Präsidentschaft aufgestaute Frustration und Enttäuschung weiter Teile der Bevölkerung. Er wurde 2005 gewählt und konnte eine wichtige Basis der Unterstützung, vor allem unter einigen Teilen der Armen und innerhalb der ländlichen Bevölkerung beibehalten. Sogar in dieser Wahl scheint es eine gewisse Spaltung zwischen den größeren städtischen und den ländlichen Gebieten zu geben. Das Ausmaß der Spaltung ist aber derzeit noch nicht klar einzuschätzen. Die Zeitung International Herald Tribune zum Beispiel berichtet von dem kleinen Dorf Bagh-e-Iman, das in der Nähe der südwestlichen Stadt Shiraz liegt. Es wird berichtet, dass die Mehrheit der 850 WählerInnen Mousavi unterstützten, während die „offizielle“ Auszählung das Gegenteil erklärt. Und das, obwohl die Unterstützer Ahmadinejads bei Wahlveranstaltungen ausgebuht wurden. Ganze Wagenladungen von Dorfbewohnern besuchten daraufhin die Protestdemonstrationen in Shiraz. Darüber hinaus lebt in Iran mittlerweile der Großteil der Bevölkerung in städtischen Gebieten, obwohl es auch noch starke Familienbindungen mit dem Land gibt. Entsprechend jüngster Schätzungen leben ca. 70% der Bevölkerung heute in Großstädten.

Reaktionärer Populist

Ahmadinejads Basis unter den Armen wurde auf einer reaktionären populistischen Basis aufgebaut - die Korruption und die reiche liberale Elite anprangert - und einer nationalistische Politik, die den Westen und vor allem den US-Imperialismus brandmarkt. Während der Wahl 2005 griff er den Slogan der Revolution von 1979 auf: „Eine Republik der Armen“. Nach dieser Revolution wurden wichtige Teile der Wirtschaft unter staatliche Kontrolle gestellt, aber anstatt einer Republik für die Armen entstand vielmehr eine Republik der Reichen, der korrupten Mullah-Oligarchen. 2005 stellte Ahmadinejad auch die Forderung auf, den Reichtum aus dem Ölgeschäft mehr zu Gunsten der Armen zu verteilen und führte Subventionen für grundlegende Verbrauchsgüter ein. Nach seiner Wahl wurde eine Reihe von Infrastrukturprojekten begonnen. Seine Rhetorik stand im Gegensatz zum damals unterlegenen „Reform“-Kandidaten Rafsanjani, der für seine Korruption und die Verbindungen zu den reichen Oligarchen bekannt ist. Doch trotz Ahmadinejads populistischem „Einsatz“ für die Armen hielt das sein Regime nicht davon ab, die streikenden Teheraner Busfahrer und andere ArbeiterInnen brutal zu attackieren, als diese für ihre Interessen kämpften.  Allerdings hat die stark gewachsene Inflation, die bei mittlerweile 30% liegt und die zunehmende Arbeitslosigkeit, die bei den unter 30 Jährigen  ca. 25% erreicht hat sowie die Einstellung der Unterstützungszahlungen für Benzin und einige Grundnahrungsmittel in der vergangenen Periode Frustration und Ärger hervorgerufen. Ahmadinejad hat zudem die Regierung auf nationaler und lokaler Ebene militarisiert, was einerseits zu einer gestiegenen Unterdrückung aber andererseits zu einer wachsenden Feindseeligkeit, vor allem unter der Jugend geführt hat. Ahmadinejad, ein ehemaliger Offizier der Revolutionsgarden, hat 14 der 21 Ministerposten mit ehemalige Offiziere eben dieser Garden besetzt. Den paramilitärischen Basij-Milizen wurden Rechte an der Ausbeutung von Ölquellen gegeben, während er vollmundig behauptete, die Korruption ausmerzen zu wollen. Die bisherige Stärke der Bewegung, die seit der 1979er Revolution in Iran einzigartig ist, hat das Regime zu einem Zickzack-Kurs in dessen Erwiderung gezwungen und Spaltungen in diesem hervorgerufen. Zunächst bestätigte der Wächterrat bloß das Ergebnis und lehnte Forderungen nach einer Neuauszählung ab. Dann machte dieser einen Schritt zurück und beschloss eine partielle Neuauszählung von „strittigen“ Wahlsprengel zuzulassen. Erst vor kurzem akzeptierte er, dass über 600 strittige Wahlsprengel neu ausgezählt werden dürfen. Aber selbst eine vollständige Neuauszählung, die eher unwahrscheinlich ist, wäre real ohne Bedeutung. Wer würde denn die Prüfer überprüfen? Laut dem britischen Journalisten Robert Fisk ist unter den reaktionären Mitgliedern des Parlaments ein Machtkampf über die Frage ausgebrochen, wie darauf zu reagieren sei. dass Ahmadinejad die ProtestiererInnen als „Dreck“ bezeichnet hat. Der Eintritt der Massen in die Arena des Kampfes im derzeitigen Maßstab ist, wie Trotzki in seiner Schrift „Geschichte der russischen Revolution“ aufzeigt, eines der Kennzeichen einer Revolution. In diesem Sinne entwickelt sich eine Revolution in Iran.

Welche Art von Revolution?

Revolutionen können verschiedene Ausprägungen haben. Historische gesehen gab es in Europa die bürgerlich-demokratischen Revolutionen Ende des 17. und 18. Jahrhunderts, die die feudalen Gesellschaftsstrukturen hinwegfegten. Es gab auch Beispiele sozialistischer Revolutionen wie jener in Russland 1917, die zum Sturz des Kapitalismus und des Großgrundbesitzes und der Errichtung einer ArbeiterInnendemokratie führte. In Folge zog sie jedoch eine politische Konter-Revolution nach sich, die ein bürokratisches, stalinistisches Regime hervorbrachte und der ArbeiterInnenklasse die Macht raubte. Es kann auch revolutionäre Aufstände geben, die zu einem politischen Machtwechsel führen, wo jedoch die ehemaligen sozialen Beziehungen und Eigentumsverhältnisse unangetastet bleiben. In Iran findet derzeit eine politische Revolution innerhalb des kapitalistischen Rahmens statt. Indessen ist eine Revolution immer ein Prozess der Entwicklung, während dem sich soziale Fragen und Forderungen auftreten können, die diesen Prozess dann in Konflikt mit dem Kapitalismus bringen. Die Debatten und Konfrontationen, die während der Wahlkampagne zwischen Mousavi und Ahmadinejad im TV zu sehen waren, spielten eine zentrale Rolle und rüttelten vor allem junge Menschen wach, die sich dann an der Bewegung aktiv beteiligten und zum Motor der Bewegung wurden, seit die Wahlergebnisse verkündet worden sind. Die derzeit wichtigste Frage in Iran ist die Einschätzung, wie sich diese Bewegung weiterentwickeln wird und welche Art neues Regime daraus hervorgehen könnte. Zum momentanen Zeitpunkt ist es jedoch unklar, wie sich die aktuelle Krise entfalten und entwickeln wird. Eine zentrale Frage ist, ob sich die ArbeiterInnenklasse an die Spitze der Kämpde stellen wird, um den Kampf auf eine höhere Ebene zu stellen. Auf jeden Fall ist aber klar, dass in Iran eine neue Ära begonnen hat, die Aufstände und revolutionären Situationen werden sich über eine längere Periode weiter entwickeln, viele Krisen und Wendepunkte werden folgen. Lenin hat vier Bedingungen für die Entwicklung einer sozialistischen Revolution genannt. Zunächst sind Spaltungen und Handlungsunfähigkeit unter der herrschenden Klasse und ihren politischen Repräsentanten notwendig. Zweitens muss es ein Schwanken in den Mittelschichten geben, wobei ein signifikanter Teil davon die Revolution unterstützt. Drittens muss die ArbeiterInnenklasse organisiert sein und ein Wille existieren, in Kämpfe einzugreifen und sich an die Spitze des revolutionären Prozesses zu stellen. Und viertens ist eine revolutionäre, sozialistische Partei mit einer klaren Führung notwendig, die für ihre Ideen und Vorschläge eine breite Unterstützung in den Massen hat – vor allem innerhalb dem aktiven Teil der ArbeiterInnen. Zweifellos sind die beiden ersten Bedingungen in Iran heute erfüllt. Dennoch wäre es leichtfertig und unverantwortlich einfach zu behaupten, dass alle diese Bedingungen in Iran in der momentanen Phase der Bewegung erfüllt sind. Die dritte Bedingung – der Wille der ArbeiterInnenklasse zu kämpfen ist derzeit noch nicht klar ersichtlich. Die ArbeiterInnenklasse hat der Bewegung noch nicht ihren Stempel aufgedrückt und als unabhängige Kraft agiert. Die vierte Bedingung Lenins – eine revolutionäre, sozialistische Massenpartei muss erst aufgebaut werden. Der Grad der Bereitschaft von ArbeiterInnen, Kämpfe zu führen muss erst ausgetestet werden – der Aufbau von gewählten Kampfkomitees und unabhängigen Gewerkschaften muss begonnen werden. Die Tatsache, dass die ArbeiterInnenklasse sich in ihrer Masse ihrer unabhängigen Rolle nicht bewusst ist, ist ebenso wie die Nicht-Existenz einer revolutionären Führung objektives Hinderniss für die Revolution. Ohne eine präzise Einschätzung dieser Faktoren ist es unmöglich, die Perspektiven und kommenden Chancen für die sich entfaltende Revolution in Iran abzuschätzen.

Führung des Regimes ist gespalten

Es gibt ganz klar eine große Spaltung im Regime in Iran. Diese existiert sogar unter jenen Kräften, die Ahmadinejad unterstützen. Diese Konflikte gehen sehr weit und drehen sich darum, wie mit der Massenbewegung umzugehen ist, die das Regime offenbar unvorbereitet getroffen hat. Die Festnahme von Familienmitgliedern des ehemaligen Präsidenten Rafsanjani zeigt wie weit die Spaltung in der herrschenden Elite reicht. Bei dem Konflikt zwischen Ahmadinejad und Mousavi handelt es sich ebenfalls um eine Spaltung in der herrschenden Klasse. Während die Massen für Mousavi auf die Straße gehen und große Hoffnungen und Illusionen in ihn haben, sind er und seine Unterstützer jedoch selbst Teil des theokratischen Regimes. Mousavi war selbst Premierminister zur Zeit der iranischen Geiselkrise 1979 und verantwortlich für Repression gegen linke AktivistInnen. Er hat auch nichts getan, um sich gegen die "fatwa" zu Stellen, die Ayatollah Khomeini gegen Salman Rushdie verhängt hat. Was er im Wahlkampf versprochen hat, war eine Reform des bestehenden Systems, größere ökonomische Liberalisierung, weniger Arbeitslosigkeit und "mehr Gleichheit" für Frauen – aber alles im Rahmen des klerikalen Regimes. Sein Programm ist de facto nichts als eine Reform von oben um Revolution von unten zu verhindern und die bestehende Ordnung zu retten. Allerdings hat diese wichtige und bedeutende Spaltung die Tür geöffnet, durch die die Massen in die Arena des Kampfes strömen konnten. Die Entschlossenheit Ahmadinejads und seiner Unterstützer, an der Macht bleiben zu wollen, hat diese Spaltung noch vertieft. Die Bestätigung von Ahmadinejads Sieg durch Ayatollah Khameini, dessen Forderungen nach einem Ende der Proteste sowie die Androhung von noch mehr Repression durch den religiösen Führer vertieft den Konflikt und bringt ihn auf eine neue Ebene. Die Bewegung hat mit Forderungen nach einer Reform des Systems begonnen, findet sich nun aber in direkter Kollision mit dem theokratischen Staat als ganzes. Zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs hat Trotzki erklärt, dass Berenguer 1931 als Türöffner fungiert hat und den Massen so ermöglicht hat in den Kampf einzutreten. Das selbe kann von Mousavi gesagt werden, der nun versucht die Tür, die er geöffnet hat, wieder zu schließen. Trotz seiner Versuche steigt der Druck, diese Tür wieder zu öffnen, allerdings stetig. Zur Zeit ist noch nicht klar, ob die Massen bereit sind noch weiter bis zu einer direkten Konfrontation zu gehen und damit die Bewegung nach vorne zu bringen. Allerdings weisen die Berichte auf Twitter und Facebook sowie Interviews mit Menschen in Iran darauf hin, dass Khameinis Erklärung eine beachtliche Schicht sehr erzürnt hat. Studierende an der Universität von Teheran haben eine andauernde Besetzung nach seiner Erklärung am 19. Juni beschlossen. Sie haben für einen Streik am 22. Juni aufgerufen. Allerdings waren die Demonstrationen am 20. und 21. Juni angesichts des massiven Einsatzes von Sicherheitskräften kleiner. Während die Studierenden in dieser Bewegung großen Heldenmut bewiesen haben, scheint das Ausmaß an Repression andere Teile der Bevölkerung davon abgehalten zu haben, an den Protesten teilzunehmen. Das wäre nicht geschehen, wenn die ArbeiterInnenklasse in organisierter Weise der Bewegung ihren Stempel als unabhängige Kraft aufgedrückt hätte. Es ist nun möglich, dass die Bewegung angesichts der brutalen Repression eine Pause einlegt. Das ist besonders der Fall, wenn die ArbeiterInnenklasse nicht entschieden in den Kampf eintritt. Sollte das passieren, ist sehr wahrscheinlich dass die Bewegung in naher Zukunft wieder ausbricht. Allerdings haben die wachsenden Proteste der letzten Wochen trotz Mousavis Demobilisierungsversuchen stattgefunden. Er hat sogar eine Massenkundgebung abgesagt. Trotzdem strömten hunderttausende auf die Straßen, und zeigten damit, dass die Bewegung sich von unten entwickelt, trotz der Versuche der Führung sie zu bremsen. Mousavi hat wie Ahmadinejad große Angst vor der Massenbewegung – besonders als unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse.

Die Arbeiterklasse

Die entscheidende Frage, die sich nun stellt, ist: Ist die Arbeiterklasse bereit, in die Bewegung entschlossen einzutreten. Wenn sie das tut, dann wird das sehr wahrscheinlich den Sturz des Ahmadinejad-Regimes bedeuten. Auch wenn angeblich Arbeitslose und Teile der armen Bevölkerung sich den Protesten in Nord-Teheran angeschlossen haben (einer Mittelschicht-Gegend) und BauarbeiterInnen der Demonstration der Opposition zugejubelt haben, als sie an ihnen vorbeizog, gibt es noch keine Berichte über Streiks oder ArbeiterInnen, die ihre eigenen Kampforganisationen aufbauen. Allerdings gibt es Anzeichen, dass das nun in Ansätzen der Fall sein könnte. Die Busfahrer von Teheran, mit ihrer langen Geschichte von Kämpfen gegen das Regime, haben eine Erklärung abgegeben, die die Bewegung und jene, die gegen die Repression des Regimes kämpfen, unterstützt. Sie haben auch zu einem Protesttag am 26. Juni aufgerufen. Es gibt auch Berichte dass die ArbeiterInnen aus der Autoindustrie in Khodro einen 30-minütigen Streik zu Beginn jeder Schicht abgehalten haben, um gegen die Repression durch das Regime zu protestieren. Darüberhinaus haben die BusfahrerInnen, obwohl sie die Proteste unterstützen, keinen der Kandidaten in der Präsidentschaftswahl unterstützt, weil keiner von ihnen die Interessen der ArbeiterInnenklasse repräsentiert. Der Anführer der Busfahrer, Mansour Osanloo, sitzt gerade eine 5jährige Gefängnisstrafe ab wegen seiner Rolle bei der Organisierung der Streiks in der Vergangenheit. Es gibt auch Berichte, dass es Diskussionen über einen Generalstreik gibt. Revolution ist ein lebendiger Prozess und entwickelt sich von Stunde zu Stunde und Tag zu Tag weiter. Viele revolutionäre Bewegungen haben mit den Studierenden und Teilen der Mittelklasse begonnen. Die ArbeiterInnenklasse hat sich später angeschlossen, und damit den gesamten Kampf auf eine neue, höhere Ebene gehoben. Das war der Fall in Frankreich 1968, aber auch in der Iranischen Revolution 1979. Die Frage ist, ob die Bewegung bereit ist, angesichts der zunehmenden Repression, bis zu Ende zu kämpfen und die notwendigen Schritte zu ergreifen um das Regime zu konfrontieren und zu stürzen. Sollten Ahmadinejad und sein Regime zu einer Politik von noch brutalerer Repression greifen und es zur Ermordung weitere AktivistInnen kommt, dann könnte das die ArbeiterInnen in den Kampf treiben. Einigen Berichten zufolge wurden am 20. Juni mehr als ein Duzend Menschen von den Sicherheitskräften getötet. Khameinis Erklärung und der Einsatz des Staatsapparats war eine hochriskante Strategie. Wenn größere Zusammenstöße stattgefunden hätten, die den Tod von hunderten oder tausenden Menschen mit sich gebracht hätten, dann hätte das bereits ein Auslöser dafür sein können, dass sich die ArbeiterInnenklasse dem Kampf in bewusster und entschlossener Art und Weise anschließt. Viele der Studierenden kommen aus ärmeren Schichten und sind auf Beihilfen und Studierendenkredite angewiesen, um studieren zu können. Angesichts einer Explosion von Seiten der ArbeiterInnenklasse gemeinsam mit der Jugend ist es sehr ungewiss, ob der Staatsapparat und seine Repressionskräfte dem standgehalten hätten. Obwohl es Erschießungen und brutale Attacken auf die Studierenden der Universität Teheran gegeben hat, besonders durch die Basiji, gibt es auch andere Berichte darüber, dass die Basiji sich gewährt hätte, Protestierende anzugreifen. Die soziale Zusammensetzung der Basiji macht sie ihrerseits ebenfalls zu einer extrem unzuverlässigen Kraft gegen die Demonstrierenden. Die Regierung behauptet, die Basiji umfassen 12 Millionen Mitglieder. Viele Kommentatoren sagen, dass sei eine Übertreibung, und dass die tatsächlichen Zahlen nicht mehr als die Hälfte davon betragen würden. Es ist relativ leicht, sich dieser Organisation anzuschließen, verlangt nicht viel Ausbildung und ist kein Vollzeitjob. Die Kernzahlen betragen laut eines Berichtes sogar nur 90.000. Der Rest rekrutiert sich aus deren Familien. Von diesen haben aber viele an den oppositionellen Protesten teilgenommen. Sollte die Bewegung an Stärkte gewinnen, besonders, wenn die ArbeiterInnenklasse entschlossen und organisiert in den Kampf eintritt, dann könnten Spaltungen und ein Fragmentierung in den diversen Flügeln des Staatsapparats entstehen. Wichtige Teile davon könnten zur Seite der Protestierenden überlaufen. Zweifellos fürchten zentrale Vertreter des Regimes genau das. Diese Bewegung hat die massive soziale Polarisierung und Spaltung entlang von Klassenlinien, die in der iranischen Gesellschaft existieren, offensichtlich gemacht. Wenn die Krise anhält und die Revolution nicht entschiedene Schritte nach vorne macht und ein einer Machtübernahme durch die ArbeiterInnenklasse unter Unterstützung der Mittelklasse, Jugend und armen Bauern resultiert, dann können andere Spaltungen ebenso entstehen. Es gibt ein starkes nationales Bewusstsein in Iran. Allerdings besteht die Bevölkerung aus einer Reihe ethnischer Gruppen. Rund 52% sind PerserInnen, 24% Azeri, 8% Gilaki und Mazandarini und 7% Kurden. Mousavi selbst hat auf einigen Kundgebungen in Azeri gesprochen. Die Spaltung entlang ethnischer Linien ist eine Verkomplizierung der Situation die ab einem gewissen Punkt auftauchen könnte. Das Ausbrechen der Bewegung in Iran ist ein entscheidender Wendepunkt im Kampf der Massen. Wir befinden uns noch in einem frühen Stadium, aber die Situation ist weiter entwickelt als 1999 und entwickelt sich weiterhin sehr rasch. Es bleibt zu sehen ob diese revolutionäre Krise mit wichtigen Elementen einer vor-revolutionären Situation eher mit der Russischen Revolution von 1905 zu vergleichen ist, oder jener von 1917. Die Revolution 1905 wurde niedergeschlagen, weil sie nicht die Unterstützung der BäuerInnen in den ländlichen Gebieten besaß. Sie war eine Vorwegnahme der Russischen Revolution von 1917. Letztere wurde von der ArbeiterInnenklasse angeführt, mit der aktiven Unterstützung und Einbeziehung der BäuerInnen. Der Unterschied zwischen 1905 und 1917 könnte auch in der aktuellen Krise in Iran eine Rolle spielen. 1905 sind die Massen, besonders die ArbeiterInnenklasse in St. Petersburg, in Aktion getreten. Ursprünglich appellierten sie, angeführt von einem Priester, Vater Gapon, an den Zar. In Iran heute haben die Massen demokratische Rechte und eine Reform des existierenden Systems gefordert, aber auch religiöse Slogans gerufen. Allerdings formierten die ArbeiterInnen in Russland 1905 mit dem Sowjet eine eigene Organisation, die entscheidend war, und die 1917 wieder auftauchte. Diese oder ähnliche Entwicklungen scheinen allerdings in Iran noch nicht stattgefunden zu haben.  Die Revolution 1905 wurde schließlich zerschlagen und eine Periode der Konterrevolution und Repression folgte. Dennoch war 1905 ein wichtiger Schritt hin zu 1917, als die ArbeiterInnenklasse schließlich die Macht ergriff. Iran 2009 mag nur eine Vorwegnahme einer sogar noch größeren späteren Bewegung sein. Wenn das der Fall sein sollte, selbst wenn das aktuelle Regime noch eine Zeit halten sollte, werden sich die soziale Krise und die Widersprüche intensivieren und zu weiteren revolutionären Unruhen und Aufständen führen. Das Fehlen einer wirklichen revolutionären sozialistischen Partei und Führung und die unzweifelhafte politische Verwirrung die nach 30 Jahren religiösem Regime herrschen, sowie die ideologische Schwäche international in Bezug auf die Frage einer sozialistischen Alternative, bedeutet, dass die Revolution in Iran vermutlich mehr Zeit braucht und die Entwicklung sich verzögert.

Sozialistische Alternative

Die Tatsache dass der "sozialistische" Präsident von Venezuela, Hugo Chavez, skandalöserweise Ahmadinejad unterstützt hat, trägt nur weiter zu Verwirrung bei. Jene auf der Linken die aus opportunistischen Gründen über die falsche Politik Chavez" gegenüber Ahmadinejad und anderen Regimes (sowie über diverse andere Fehlern Chavez") Stillschweigen bewahrt haben, haben nichts dazu beigetragen, den Massen in Iran zu helfen, den richtigen Weg zu finden und die Idee einer wirklichen sozialistischen Alternative aufzugreifen. Die entscheidende Aufgabe in Iran ist es nun, wirklich demokratische Organisationen aufzubauen, die den Kampf tragen können. Das ist nötig um Ahmadinejad zu besiegen und die Bewegung nach vorn zu bringen. Aktive Komitees müssen in jedem Betrieb, jeder Uni und in jedem Bezirk aufgebaut werden, und sowohl die ArbeiterInnenklasse als auch die Mittelschichten umfassen. Diese müssen aus gewählten Delegierten bestehen, die auch jederzeit von Massenversammlungen wieder abgesetzt werden können. Vor allem müssten solche Komitees zu einem Generalstreik aufrufen und an die Armee, die Revolutionsgarde und die Basiji und andere repressive Organisationen des Staats appellieren, sich der Bewegung anzuschließen, ihre Offiziere zu entfernen und ihre eigenen Komitees aufzubauen. Der Appell für eine nochmalige Stimmenzählung durch den bestehenden Staatsapparat wird die Krise nicht lösen und verdient das Vertrauen der Menschen nicht. Gewählte Komitees könnten die Basis für die Abhaltung von Wahlen für eine Verfassungsgebende Versammlung sein, um die Zukunft des Landes zu bestimmen. Demokratisch gewählte Komitees sollten die Auszählung der Stimmen für eine solche Versammlung überwachen. Durch die Etablierung einer Regierung der ArbeiterInnen und Bauern unter einem revolutionären sozialistischen Programm um mit dem Kapitalismus zu brechen, können demokratische Rechte und Gleichstellung für alle Menschen in Iran, die jetzt vom Kapitalismus und dem existierenden System ausgebeutet werden, garantiert werden. Solche Forderungen würden das Recht auf freie Versammlung, das Recht politische Parteien zu bilden sowie unabhängige Gewerkschaften, das Recht auf Medien ohne Staatszensur und die Entlassung aller politischer Gefangener sowie jener, die im Kampf gegen das Regime gefangen genommen wurden, beinhalten. Die neue Ära die in Iran nun anbricht  bedeutet auch, dass ArbeiterInnen und Jugend nun die nötigen Schlussfolgerungen ziehen können, welches Programm und welche Organisationen nötig sind, um einen anhaltenden Sieg und das Ende von Diktatur und Armut zu sichern. Die Rolle von revolutionären SozialistInnen ist es, sie dabei zu unterstützen, diesen Weg zu gehen.

 

Editorische Anmerkungen

Der Text  erschien bei

sozialismus.info
Die Website der SAV - Sozialistische Alternative

Wir spiegelten von dort.