Rechtsextreme in der EU
Ein Versuch ihrer strukturellen Einordnung

von Bernard Schmid

06/09

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Rechtsextreme, „rechtspopulistische“, rassistische und nationalistisch-autoritäre Parteien zählen in einer Reihe von Ländern zu den Gewinnern der jüngsten Europaparlamentswahl. Aber hinsichtlich ihrer Ideologie, ihres gesellschaftlichen Standorts und ihrer Position im jeweiligen nationalen politischen System gibt es bedeutende Unterschiede zwischen ihnen. Dabei spielen ideologische Bezugspunkte wie beispielsweise die Frage, ob man eher einen gegen Einwanderer (und vor allem gegen Moslems) gerichteten Rassismus präferieren oder aber - stattdessen, meistens aber zusätzlich - auch den Antisemitismus herausstreichen soll, eine wichtige Rolle. Ebensolches gilt auch für die wirtschaftliche und soziale Ausrichtung dieser Parteien. Beide Ebenen überschneiden und „verknoten“ sich, ebenso wie die Frage nach einer eher „pro-westlichen“ oder eher „anti-westlichen“ Ausrichtung in außenpolitischen und internationalen Fragen. Es folgt ein Überblick und Ansatz zu einer Analyse.

Vorspann: Neuer Anlauf zur eigenen Fraktion im Europaparlament 

Neue Runde, neuer Einsatz, neue Chance: Dieses Motto schien sich Europas extreme Rechte im Vorfeld der nächsten Europaparlamentswahl zu eigen zu machen. Und so strebt man für die nahe Zukunft eine Kooperation im Strasbouger Parlament in neuer Form an. Zu Anfang dieses Jahres, am 31. Januar und 1. Februar 2009, fand dazu eine gemeinsame Tagung mehrerer Parteien und „Bewegungen“ in Wien statt.  

Die Wahl hat in allen Mitgliedsländern der Union am Donnerstag (Niederlande, Großbritannien), Freitag (u.a. in Irland) oder Sonntag vergangener Woche stattgefunden. In der jetzt ausgelaufenen Legislaturperiode des - letzten - Europäischen Parlaments hatte kurzzeitig, während mehrerer Monate des Jahres 2007, eine gemeinsame Fraktion der rechtsextremen Parteien existiert. Letztere hatten dadurch zusammen die Fraktionsstärke – für die mindestens 20 Abgeordnete, die aus mehreren Mitgliedsstaaten kommen müssen, erforderlich sind – erreichen können, dass mit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens im Januar 2007 starke rechtsextreme Parteien einzogen. Unter dem Titel „Identität, Tradition und Souveränität“ und dem – in verschiedenen europäischen Sprachen gleich lautenden – Kürzel „ITS“ hatte sich eine gemeinsame Fraktion rund um den Vizevorsitzenden des französischen Front National, Bruno Gollnisch, formiert.  

Damals jedenfalls waren diese Kräfte im Europäischen Parlament dazu stark genug; doch wenige Monate darauf hatte sich das Blatt gewendet, und zumindest die Grobrumänienpartei (Partidul Romania Mare, PRM) von Corneliu Vadem Tudor hat zwischenzeitlich mehrfach starke Einbrüche erlebt. Zu Anfang des Jahres 2007 hatten zunächst die nationalen Parlamente in Bukarest und Sofia eine Delegation von Abgeordneten aus ihren Reihen bestimmt, um die beiden Länder im Europaparlament zu vertreten. Doch im November 2007 wurden die rumänischen und bulgarischen Repräsentanten in Strasbourg dann, nachträglich, durch die Bevölkerung gewählt. Dabei erzielte die „Grobrumänienpartei“ nur noch 3,5 Prozent. Bei der rumänischen Parlamentswahl im Dezember 2008 scheiterte sie erneut, mit rund vier Prozent der Stimmen, an der Fünf-Prozent-Hürde. Allerdings liegt dies auch daran, dass sie in Gestalt des populären rechten Milliardärs und Besitzer eines Fußballclubs, George „Gigi“ Becali, und seiner „Partei der neuen Generation“ (PNG) eine mindestens gleich starke Konkurrenz bekommen hat. Jüngst konnten Vadim Tudor und Becali sich nun über eine gemeinsame Liste zur Europaparlamentswahl vom o7. Juni 2009 verständigen. Der nationalistische, mystisch angehauchte und extrem angehauchte Self made-Geschäftsmann „Gigi“ Becali ist äußerst populär geworden, seitdem er zu Anfang d.J. aufgrund einer vielen Rumänen als „Bagatelldelikt“ geltenden Affäre hinter Gitter wanderte: Er wurde der Freiheitsberaubung an Leuten, die vorgeblich sein Auto gestohlen hatten, angeklagt. Viele im Lande identifizierten sich jedoch mit seiner Form der Selbstjustiz. Becali und Tudor schafften es nun gemeinsam, wieder Sitze im Europäischen Parlament zu erobern, und konnten 8,65 % der abgegebenen Stimmen (lt. amtlichem Endergebnis, am Wahlabend hieß es zunächst noch 7,2 %) sammeln. 

Stark blieb hingegen die ganze Zeit hindurch, bulgarische, rassistische und antisemitische Ataka-Partei, die am vergangenen Sonntag bei der EP-Wahl knapp 12 Prozent der bulgarischen Stimmen - exakt waren es 11,96 % - erhielt. Es war hauptsächlich ihrer Präsenz zu „verdanken“ bzw. geschuldet, dass die ITS-Fraktion zu Anfang des Jahres 2007 gebildet und die nötige Abgeordnetenzahl erreicht werden konnte. Doch ohne die ursprünglich fünf Vertreter der rumänischen PRM reichte es dann, im Herbst desselben Jahres, doch nicht mehr. 

Aber schon kurz vor den damaligen Nachwahlen in Rumänien und Bulgarien hatte sich die gemeinsame Fraktion in Strasbourg selbst zerlegt. Und dies hatte hausgemachte Gründe: Die gemeinsame Parlamentariergruppe scheiterte im Herbst 2007 an heftigen Querelen zwischen der italienischen Rechtsextremen und „Duce-Enkelin“ Alessandra Mussolini, die unflätig und pauschal über alle rumänischen Einwanderer in ihrem Land hergezogen war, und den Abgeordneten der „Großrumänienpartei“ PRM. Hätte die italienische Rechtsradikale allein gegen aus Südosteuropa stammende Roma gehetzt - es wäre ihren rumänischen Kameraden ja recht gewesen. Allein, sie hatte es übertrieben, und auch gleich den Abzug, ja Rauswurf des rumänischen Botschafters aus Italien gefordert. Die rumänischen Rechtsextremen zürnten und zogen aus der Fraktion aus, die Alessandra Mussolini aus demselben Anlass ebenfalls verlieb. Der Internationalismus der Nationalisten ist eben manchmal reichlich kompliziert.  

Schon ein früherer Anlauf zur Bildung einer gemeinsamen Fraktion von rechtsextremen Abgeordneten aus mehreren, damals ausschlieblich westeuropäischen, Ländern war in der Legislaturperiode von 1989 bis 1994 grandios gescheitert. Damals hatten  sich zunächst die Europaparlamentarier des französischen Front National, der (west)deutschen Republikaner – REPs – und des damaligen neofaschistischen Movimiento Sociale Italiano (MSI, „Italienische Sozialbewegung“) aus Italien zusammengeschlossen. Doch der Zusammenhalt währte nur ein paar Monate. Alsbald gerieten die damaligen Europaparlamentsabgeordneten der REPs unter der Führung des inzwischen verstorbenen, früheren Waffen SS-Mitglieds Franz Schönhuber sich mit ihren italienischen Kameraden vom MSI in die Wolle: Bei Ersteren war vom „deutschen Charakter Südtirols“ die Rede, während Letztere darauf insistierten, dass der Bezirk Alto-Adige zur Republik Italien gehört. 

Nun versuchen es die Rechtsextremen aus mehreren europäischen Ländern also erneut. Wieder will man zusammen eine Präsenz im Europaparlament anstreben und versuchen, dort Einfluss auszuüben – für ein „Europa der Nationen und Völker“, gegen Einwanderung sowie gegen eine supranationale Integration und den Lissabon-Vertrag. An der gemeinsamen Tagung in Wien im Januar 2009 nahm neben Vertretern der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) als Gastgeberpartei  man traf auf ihren Chef Heinz-Christian Strache und ihren derzeit einzigen Abgeordneten im Europaparlament, den antisemitischen Hardlinerideologen Andreas Mölzer -  auch Bruno Gollnisch vom französischen Front National teil. Er ist der frühere Chef der rechtsextremen Fraktion im EU-Parlament, derzeit Vizepräsident des französischen FN und für „internationale Angelegenheiten“ zuständig, aber neben der weitaus mächtigeren Co-Vizepräsidentin Marine Le Pen eher auf dem absteigenden Ast. Auch die amtierenden Europarlamentarier Philip Claeys vom belgisch-flämischen Vlaams Belang – der Partei „Flämisches Interesse“ - und Mogens Camre von der Dansk Folkeparti (DFP, „Dänische Volkspartei“) waren anwesend. Neben diesen gröberen Formationen wurde auch die Präsenz von Vertretern der deutschen rechtspopulistischen, und sich hauptsächlich durch ihren Dilettantismus auszeichnenden, Regionalpartei Pro Köln respektive Pro NRW – Markus Beisicht, Judith Wolter und Markus Wiener – vermeldet. Daneben nahmen Vertreter der bulgarischen Ataka-Partei an dem Treffen teil.  

Im Anschluss präzisierte ein späteres Pressekommuniqué der veranstaltenden FPÖ dann: „Tomislav Nikolic bedachte aufgrund kurzfristiger Termine die Veranstaltung mit seinen Grußworten, Mag. Batinac vom Büro der Ministerpräsidenten der Republik Srpska war ebenso zugegen, wie der Russe Maxim Sechschenvko, Berater von Wladimir Putin.“ (Vgl. http://www.ots.at/ ) Tomislav Nikolic ist der Chef der rechtsextremen, ultranationalistischen „Serbischen Radikalen Partei“ SRS, die nicht nur den deutschen ex-linken Journalisten Jürgen Elsässer zu ihren Freunden und ideellen Unterstützern zählt, sondern auch u.a. 1997 und 2000 dazu eingeladen war, Gäste zu den Parteitagen des französischen FN zu entsenden. Wo ihre Vertreter allerdings nicht auftauchten, da der damalige SRS-Chef Vojslav Seselj als Kriegsverbrecher von Interpol und vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag gesucht wurde – später wurde er auch verhaftet und nach Den Haag überstellt, die ihm vorgeworfenen Kriegsgräuel sind reell. Auch durch die österreichische FPÖ unter Heinz-Christian Strache werden die serbischen Ultranationalisten inzwischen äuberst zuvorkommend behandelnd, denn wie auch die französische extreme Rechte (in ihren Mehrheit, ein ultrakatholischer Minderheitsflügel ist vorwiegend pro-kroatisch) hat sich auch die FPÖ inzwischen auf eine Linie eingeschossen, die da lautet: „Das Kosovo ist und bleibt serbisch“. Es gelte ihrer Auffassung nach, den serbischen Nationalismus gegen die, von den kosovo-albanischen Nationalisten am 17. Februar 2008 offiziell proklamierte, Unabhängigkeit des Kosovo als von ihnen so genanntem „neuem Moslemstaat mitten in Europa“ zu unterstützen.  

Neue Strategie 

Geändert hat sich offenkundig die Taktik, mit der die vereinigten Rechtsextremen in das künftige Europäische Parlament einziehen möchten. Als strategisches Ziel angestrebt wird nicht länger die Bildung einer eigenen gemeinsamen Fraktion, sondern die Aufnahme in die bereits bestehende, gröbere Parlamentariergruppe „Union für ein Europa der Nationen“. In ihr waren in der letzten Legislaturperiode (2004/09) 44 von insgesamt 785 Abgeordneten des Europaparlaments organisiert.  

Ihr gehören bislang solche Parteien an, die zwar relativ weit rechts stehen, aber anders als etwa zumindest Teile des französische Front National oder der österreichischen FPÖ nicht in einer pro-faschistischen oder Pro-Nazi-Tradition angesiedelt sind. Zu den ihr angeschlossenen Parteien zähl(t)en etwa die beiden Mitgliedsformationen der italienischen Regierungskoalition, Alleanza Nazionale – die Partei, die 1995 aus dem früheren MSI hervorging, jedoch mit ihrer faschistischen Herkunft offiziell gebrochen hat und Ende März dieses Jahres mit Silvio Berlusconi rechtspopulistischer Sammlung Forza Italia zum „Volk der Freiheit“ (PdL) verschmolz– und Lega Nord. Letztere zählt, mit 10,22 % der Stimmen und acht Mandaten gegenüber vier im vorherigen Europaparlament, zu den Gewinnern der Europaparlamentswahl. - Aber auch eine rechtsorientierte sizilianische Regionalpartei und La Destra (Die Rechte), eine extreme Rechts-Abspaltung von der früheren Alleanza Nazionale, gehörten bislang derselben Europaparlamentsfraktion an. 

Aus Polen zählen sowohl die rechtskonservativ-katholische frühere Regierungspartei PiS der Brüder Kaczynski („Recht und Gerechtigkeit“, von 2005 bis 2007 an der Regierung, dann durch die liberale „Bürgerplattform“ PO als stärkste Kraft und Regierungspartei abgelöst; am vergangenen Sonntag erhielt sie 27,4 % und landete auf dem zweiten Platz) als auch die populistische Bauernpartei PSL zu der bisherigen Fraktion. Die Bauernpartei PSL - Letztere erhielt 7 % der Stimmen bei der jüngsten EP-Wahl -  ist nicht mit der populistischen Bauernbewegung Samobroona oder „Selbstverteidigung“ zu verwechseln, die mit 1,5 % der Stimmen am vergangenen Sonntag eher im Niedergang begriffen zu sein scheint. Auch Parteien aus den Ländern des Baltikum, eine aus Lettland (die nationalistische Formation LNNK) und zwei aus Litauen - darunter die nationalpopulistische litauische Partei „Ordnung und Gerechtigkeit“ (TT)  - gehören bislang dieser Fraktion an. Dort findet man auch die portugiesische rechtsnationale Partei CSD-Partido popular, die (v.a. mit Law & Order-Parolen) im März 2002 erstmals einen größeren Durchbruch (8,75 %) erzielte und eine Regierung tolerierte, d.h. durch ihre Stimmen im Parlament unterstützte. Seit den Wahlen im März 2005 befindet sie sich allerdings in Lissabon wieder in der Opposition. Am vergangenen Sonntag erhielt diese Partei 8,37 % der Stimmen in Portugal. 

Aber auch die konservative Regierungspartei Fianna Fail aus Irland gehörte der Fraktion bis vor kurzem an, bevor sie diese allerdings im April 2009 verließ, um zur EP-Fraktion der (Wirtschafts-)Liberalen, ALDE - in welcher letzterer u.a. auch die deutsche FDP sitzt -, überzutreten. Fianna Fail, lange Zeit hindurch die stärkste Partei in Irland, fiel bei den Europaparlamentswahlen - die in Irland am Freitag, den o5. Juni stattgefunden haben - nun mit 24,08 % der Stimmen auf den zweiten Platz hinter die Mitte-Rechts-Partei Fine Gael zurück. Letztere (ihr Name bedeutet wörtlich so viel wie „Klan der Kelten“) ist Mitglied der christdemokratisch geprägt, konservativ-liberalen „Europäischen Volkspartei“.

Der Europa-Abgeordnete der dänischen „Volkspartei“ DFP, Morgens Camre, sicherte den in Wien Versammelten seine Hilfe bei der Aufnahme in diese Fraktion zu. Ihr gehört auch seine Partei an, die in Dänemark schon seit November 2001 die konservativ-liberale Regierung von Anders Fogh Rasmusssen als parlamentarische Mehrheitsbeschafferin – im „Tausch“ gegen eine drastische Verschärfung der Einwanderungs- und Asylgesetze – stützte.  

Rechtsaußen formiert sich neu: 1983, 1986, …

Eine Reihe politischer Gruppierungen sind in den letzten Jahren in vielen EU-Ländern rechts vom konservativ-liberalen Bürgerblock entstanden oder haben ihren Aufschwung genommen. Der französische Front National zum Beispiel erlebte seinen Durchbruch als Massenpartei relativ früh, im Vergleich zur Mehrzahl der Kräfte, die man an dieser Stelle auflisten könnte. Ab 1983/84 erzielte er eine quasi ununterbrochene Kette von Wahlerfolgen, die erst zu Mitte dieses Jahrzehnts (2005) abzureißen begann. Lediglich die skandinavischen rechten „Fortschrittsparteien" kamen noch früher als erfolgreiche Rechtsparteien - jenseits der Konservativ-Liberalen - auf die parlamentarische Bühne, und zwar seit Anfang der siebziger Jahre. Aus der dänischen Fremdskritsparti, die ihren politischen Höhepunkt 1973 erreichte, entstand später durch eine Abspaltung die heute erfolgreiche Parlamentspartei DFP. Auch in Norwegen existiert eine erfolgreiche Partei ähnlichen Typus, die ebenfalls schon seit den siebziger Jahren am Wirken ist.

Auf den Durchbruch des FN in Frankreich 1983/84 folgten die scharfe Rechtswende der österreichischen FPÖ im September 1986, mit der Wahl des damals 35 Jahre jungen Jörg Haider zum Parteiobmann (Vorsitzenden), und fast zeitgleich die ersten höheren Wahlergebnisse für Rechtsextreme in Westdeutschland: Bei der Landtagswahl in Bayern erhielten die Republikaner oder REPs erstmals ein relativ beachtliches Wahlergebnis mit drei Prozent der Stimmen. Alle Rechtsaußenparteien (NPD, Freiheitliche Volkspartei…) zusammen erhielten bei derselben Wahl knapp fünf Prozent. In der Folgezeit konnten vor allem die REPs im Zeitraum von Januar 1989 bis April 1992 bei einer Reihe von Wahlgängen - Abgeordnetenhauswahl in Westberlin, Europaparlamentswahl, Landtagswahl in Baden-Württemberg - die Fünfprozenthürde überspringen.

Ihre Erfolgskurve zeichnete sich jedoch durch Unregelmäßigkeit aus, mit einem „Loch“ in der Mitte des fraglichen Zeitraums - im Jahr 1990 erwies die Partei sich bei Landtagswahlen und der Bundestagswahl im Dezember überwiegend als erfolglos -, und wenig später war ihre „Glanzzeit“ schon wieder vorüber. Nachdem die Republikaner bei der Neuwahl des Europaparlamentswahl im Juni 1994 deutlich unter die Fünf-Prozent-Marke fielen, konnten sie sich nie wieder erholen. Allein in Baden-Württemberg konnten sie im März 1996 noch ein letztes Mal (mit neun Prozent der Stimmen, und Verlusten gegenüber vier Jahren zuvor) in den Landtag einziehen. Ansonsten waren sie überall schnell im Niedergang begriffen. Heute hat ihre frühere Hegemonie einer „dreipoligen“ Parteienlandschaft auf der extremen Rechten mit REPs, NPD und DVU Platz gemacht. Vor allem die letzteren beiden Parteien konnten zwar hin und wieder Wahlerfolge erzielen - vor allem in ostdeutschen Bundesländern wie Sachsen-Anhalt im April 1998, und Sachsen im September 2004 sowie Mecklenburg-Vorpommern zwei Jahre später. In aller Regel fehlt es in aber an Kontinuität. Auf Triumphe folgen Rückschläge, begleitet von der flagranten Unfähigkeit zum dauerhaften Aufbau einer (anders als im rein körperlichen Sinne) schlagfähigen politischen Kraft, einer handlungsfähigen Fraktion oder einer Intellektuellenriege, die mehr als ein halbes Dutzend „Köpfe“ umfasst. Dazu waren in der Vergangenheit etwa der französische FN, vor allem in den neunziger Jahren, sowie der belgische Vlaams Belang oder in etwas geringem Maße die österreichische FPÖ hingegen durchaus in der Lage. - Bei der Europaparlamentswahl am Sonntag erhielten die deutschen rechtsextremen Parteien, mit 0,4 % für die DVU und 1,3 % für die ‚Republikaner’ (REPs), erneut ein eher mageres Gesamtergebnis. Auf Länderebene erhielt gleichzeitig die NPD dort (bei den Kommunalwahlen) relativ hohe Einzelergebnisse, wo sie ohnehin schon lokale Verankerung aufwies, beispielsweise in mehreren Teilen Mecklenburg-Vorpommers, wo sie freilich im Landesdurchschnitt auch nicht über 3,2 % hinaus kam.

Einen Sonderfall (aufgrund der sehr langen historischen Kontinuität der dortigen extremen Rechten von nach 1945) bildet Italien, wo der neofaschistische MSI seit 1947 einen beständigen Platz in der Parteienlandschaft innehatte. Er schaffte jedoch erst ab 1993 - mit dem historischen Niedergang der Christdemokratie, verknüpft mit den Aufsehen erregenden Korruptionsprozessen gegen Teile des Establishments und der Auflösung mancher mafiösen Verflechtungen - den Ausbruch aus einer Position der politischen Randständigkeit. In der Folgezeit wandelte er sich um, streifte seine faschistische Vergangenheit jedenfalls nach außen hin ab und änderte seinen Namen im Januar 1995 in Alleanza Nazionale.

Sonderfälle Deutschland und Österreich

Auch in Österreich existierte schon seit langem eine Partei mit starker „außerdemokratischer“, in diesem Falle: postnazistischer, Vergangenheitskomponente. Es handelt sich um die 1956 gegründete FPÖ: Erst in jenem Jahr war es den stark „nazibelasteten“ Kräften möglich, eine eigene Partei zu formen, da bis zum Abschluss des Staatsvertrags im Jahr zuvor eine Aufsicht der Alliierten über die österreichische Politik bestand, die NS-Nachfolgebestrebungen zu unterbinden trachtete. Deshalb konnte die stark „nazibelasteten“ ¨Personenkreise zunächst keine formell aufgebaute Partei bilden, sondern formten den locker strukturierten Verband der Unabhängigen ab 1949. Als dann aber die Luft rein war, transformierte der VdU sich in eine „richtige“ Partei, eben die FPÖ. Allerdings hatte die Partei lange Jahren hindurch einen janusköpfigen Charakter: Ihr Doppelgesicht bestand darin, dass sie einerseits „authentisch“ bürgerlich-liberalen Kräften politischen Ausdruck verlieh, andererseits aber für - leicht vergröbernd gesprochen - alte und neue Nazis ein bevorzugtes Auffangbecken bot. Bis in die frühen achtziger Jahre hinein blieb dieser Doppelcharakter erhalten, wobei in der ersten Hälfte des Jahrzehnts zunächst sogar eher der liberale Aspekt akzentuiert wurde: Unter ihrem damaligen Vorsitzenden Norbert Steger zog die Partei in eine Koalitionsregierung mit den Sozialdemokraten ein und kehrte nach außen hin ein eher linksliberales Profil hervor. Die bisherige Massenbasis der Partei interessierte diese Dimension jedoch weit weniger: Die FPÖ, vormals bei rund fünf Prozent der Stimmen angesiedelt, fiel in Umfragen bis auf ein, maximal zwei Prozent ab. Dann trat der fesche, junge Rechtsaußen Jörg Haider auf die Bühne und gegen die bisherige Parteiführung an. Er gewann,  krempelte den Laden im Eiltempo um und erzielte daraufhin große und immer größere Wahlerfolge: von knapp 10 Prozent der Stimmen bei den Wahlen im November 1986 - die aufgrund des Koalitionsbruchs durch den Antritt Jörg Haiders vorgezogen worden waren - über 20 bis hin zu jenen knappen 27 Prozent, die die Partei auf dem vorläufigen Höhepunkt ihrer Erfolgskurve erhielt. Das war im Oktober 1999, bei den Wahlen, die ihrem Regierungseintritt unmittelbar vorausgingen.

Dass die FPÖ es in der Folgezeit nicht schaffte, mit den Anforderungen ihrer Regierungsbeteiligung (von 2000 bis 2006) in den Augen ihrer Wähler und Anhänger „konstruktiv“ umzugehen und die in sie gesetzten, oft sehr widersprüchlichen Erwartungen zu erfüllen, steht auf einem anderen Blatt. In jedem Falle beweist ihr bis dahin absolvierter Aufstieg, dass  die autoritären, rassistischen und antisemitischen Züge der FPÖ es ihr weitaus eher vermochten, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren und zu vergrößern, als ihr zeitweilig eher liberal geprägtes Profil. Die letzten „authentischen Liberalen“ verließen die Partei im Übrigen um 1993, um mit der vormaligen Vizevorsitzende Heide Schmidt das Liberale Forum (LIF) zu gründen, das seither weitgehend erfolglos blieb. Die inneren Verwerfungen aufgrund der „unverdauten“ Regierungsperiode haben jedoch dafür gesorgt, dass die Rumpfpartei selbst seit 2005 nunmehr - dauerhaft oder vorübergehend? - in zwei Teile zerfallen ist. Ob freilich das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), das doch weitgehend eine Personenpartei rund um den inzwischen verstorbenen Jörg Haider darstellte, auf längere Sicht hin zu überleben vermag, muss vorläufig dahin gestellt bleiben. Einstweilen haben die beiden Hälften der österreichischen nicht-konservativen, autoritären und dynamischen Rechten es geschafft, nach vorübergehendem Absacken - die Wahlergebnisse sanken bis auf sechs Prozent bei der Europaparlamentswahl 2004 - die vormaligen Höhenflüge noch zu übertreffen. Bei der nationalen Parlamentswahl im September 2008 vermochten es FPÖ und BZÖ zusammen über 28 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich zu vereinigen. (Hingegen waren es bei der EP-Wahl am Sonntag dann doch, nach anfänglichen Vorhersagen in Höhe von bis zu knapp 30 Prozent, weniger Stimmen als ursprünglich erwartet. Zum Teil, weil sie aufgrund einer von Ressentiments strotzenden Kampagne -  die FPÖ betrieb eine Zeitlang Wahlkampf gegen einen „EU-Beitritt Israels“, der überhaupt nie zur Debatte stand, und ging damit wohl doch ein bisschen zu weit - dann doch noch, erstmals, ziemlichen Gegenwind bekam: Etablierte Parteien, aber auch christliche Kirchen in Österreich wandten sich gegen den hetzerischen FPÖ-Wahlkampf unter ihrem Slogan „Abendland in Christenhand“. Zum Teil aber auch, weil eine populistische, keinen anhaftenden Nazigeruch aufweisende Alternative bereitstand, in Gestalt der Liste des ex-sozialdemokratischen Populisten (er war 1999 noch parteiloser Spitzenkandidat der SPÖ zum Europarlament) und EU-Kritikers „HPM“, Hans-Peter Martin; seine Liste konnte dann die FPÖ sogar doch noch überflügeln und erzielte über 17,7 % der Stimmen. Die rechtsextreme FPÖ erhielt letztendlich 13,1 % der Stimmen, und ihr sich etwas stärker rechtsbürgerlich gebendes Spaltprodukt BZÖ sammelte o4,7 % der Voten ein. (Andere Angaben vom 10. Juni, nach Auszählung der „Wahlkarten“ der zahlreichen Briefwähler/innen, lauten unterdessen auf 12,78 % für die FPÖ und 4,59 % für das BZÖ.)

Jenseits der konjunkturellen Dimension dieses Aufs und Abs der Wahlergebnisse lässt die (relative) Success Story der FPÖ - und ihres Spaltprodukts - jedoch auch wichtige strukturelle Schlussfolgerungen zu. Sie zeigt in der Tat den engen Zusammenhang zwischen der nationalen Sozialgeschichte, insbesondere aber der Geschichte der Konstituierung des Bürgertums, einerseits und den aktuellen Ergebnissen der dynamischen Rechtspartei auf der anderen Seite. In der Tat hat der langjährige „Doppelcharakter“ der FPÖ - halb als „normale“ bürgerliche, und allseits akzeptierte, Partei und halb als autoritäre „Alternative“ zu den bürgerlich-demokratischen Kräften - , auch wenn sie de facto ihre liberalen Protagonisten mehrheitlich abgestoßen hat, ihrem Erfolg mit den Weg geebnet.

Diese Situation findet ihre Wurzeln in der Geschichte des so genannten „Dritten Lagers“ in Österreich: Neben der sozialdemokratisch geprägten Arbeiterbewegung und den konservativen Kräfte verschaffte sich seit dem späten 19. Jahrhundert eine neben beiden stehende politische Bewegung eigenen Raum. Das konservative Lager im damaligen österreich-ungarischen Reich war jedoch keinesfalls „national“ oder nationalstaatlich orientiert - da die Monarchie selbst keinen Nationalstaat bildete -, sondern orientierte sich an den politischen Bezugsgrößen des Dorfs oder der Provinz einerseits, des gemeinsamen Katholizismus sowie der monarchischen Zentralgewalt andererseits. Dieses Erbe prägte die österreichische christdemokratische, bürgerlich-konservative Rechte auch später noch, wobei der Bezug zum K&K-Reich durch einen Europabezug ersetzt wurde. Hingegen bezog sich das „Dritte Lager“ positiv auf die Idee der Errichtung eines modernen Nationalstaats, der jedoch überwiegend als deutschsprachiger, „großdeutscher“ Staat - mit gemeinsamem Markt und gemeinsamer Sprache - vorgestellt wurde: Aufgrund des Fehlens einer Zentralgewalt, die über ein sprachlich und konfessionell vereinheitlichtes Territorium herrschte (wie sie in Frankreich über Jahrhunderte weg durch die Monarchie hergestellt worden war), und aufgrund der Schwäche der anti-monarchischen Kräfte im Inneren des damaligen Österreichs orientierte sich ein Teil des Bürgertums auf einen „großdeutschen“ Bezugsrahmen. Dieser aber war ideologisch schon früh von Germanenmythen und Blut und Boden-Ideologien verseucht, mit denen versucht wurde, eine gemeinsame deutsche Herkunftsnation zu begründen - was in Frankreich nicht nötig war, wo die nationale Homogenisierung bereits bestand, da sie über einen längeren Zeitraum hinweg durch die Monarchie (und später die bürgerliche Revolution) geschaffen worden war. Bürgerliche Liberale, die für einen modernen Nationalstaat - in erster Linie als Zollunion und vergrößerten Wirtschaftsraum - eintraten, fanden sich so in unmittelbarer Nachbarschaft zu Vorläufern der Nazis wieder. Gleichzeitig hatte in Deutschland ein Teil des Bürgertums, unter dem Banner der „Nationalliberalen“, auf den ursprünglichen liberal-revolutionären Fortschritts- und Bürgerrechtsanspruch verzichtet, um unter der Führung des preußischen autoritären Militärstaats wenigstens den zweiten Teil des Programms der bürgerlichen Wirtschaftskreise durchsetzen zu können: den Nationalstaat als Wirtschaftsraum und Rahmen der Industrialisierung. So entstand das Phänomen des „Nationalliberalismus“, das der späteren Kapitulation des Bürgertums vor und seinem teilweisen Bündnis mit dem Nationalsozialismus den Weg zu ebnen half. Zumal Teile der Nationalliberalen Partei, etwa durch die Gründung des und Mitgliedschaft beim Alldeutschen Verband, schon früh ziemlich unmittelbare Vorläufer der Nazis aufzubauen halfen.

Der Zusammenfluss „deutsch-österreichischer“ und „reichsdeutscher“ Einflüsse half so gleichermaßen, dafür zu sorgen, dass zwischen einer bürgerlichen und einer prä-faschistischen Rechten nur geringe Trennschärfe bestand. Anders als etwa in Frankreich, wo die ersten Vorläufer der späteren extremen Rechten aus der offen konterrevolutionären Anti-1789-Rechten kamen. Ihnen gelang es zwar bzw. sie versuchten immer wieder, auch Widersprüche auf der Linken und in der Arbeiterbewegung auszunutzen, und von dort (etwa mittels des Antisemitismus als ideologischem Gleitmittel) Unzufriedene mit der bürgerlichen Republik zu sich herüberzuziehen. Aber gleichzeitig bestand zwischen dieser Rechten einerseits und dem harten Kern sowohl der bürgerlich-liberalen als auch der linken Kräfte stets eine nur schwer überwindbare Kluft - die zwar in zugespitzten „nationalen“ Krisensituationen wie nach dem verlorenen Krieg 1940 vorübergehend überbrückt werden konnte, sich jedoch alsbald wieder auftat.

Die besonderen Aufstiegsbedingungen des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich, ebenso wie seine Fähigkeit zum Aufsaugen der sozialen Basis insbesondere der kleinbürgerlichen und vormals liberalen Parteien in der Wirtschaftskrise, wurden dadurch ermöglicht oder zumindest sehr erleichtert. Umgekehrt erwies die extreme Rechte der dreißiger Jahre sich in Frankreich auch nach dem Crash der Weltwirtschaft als unfähig, aus eigener Kraft heraus und ohne die „nationale Katastrophe“ der Niederlage im Mai 1940, an die Macht zu gelangen und ein nicht von außen unterstütztes Regime zu errichten. Was jedoch die politische und gesellschaftliche Rolle, die rechtsextreme Kräfte auch in Frankreich in verschiedenen historischen Phasen spielen konnten, nicht schmälert.

Auch die Tatsache, dass die Republik Österreich heute über eine der mit Abstand stärksten rechtsextremen Kräfte in ganz Europa verfügt, muss vor diesem Hintergrund gelesen werden. Interpretationsbedürftig ist jedoch eher, dass der Fall in Deutschland - oberflächlich betrachtet - so ganz anders zu liegen scheint. 

Ausnahmefall Deutschland ?

Eine rechtsextreme Partei wie die westdeutschen Republikaner erhielt in der jüngeren Geschichte zeitweise recht beachtliche Wahlerfolge, beginnend bei der (West)Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl im Januar 1989 (7,5 % der Stimmen) sowie der Europaparlamentswahl im Juni 1989 (mit 7,1 %). Spätere Ereignisse wie die staatliche deutsche Wiedervereinigung -- denn in jener „nationalen Schicksalsstunde“ wollten die meisten autoritären Rechtswähler nicht mit einer Oppositionspartei „abseits stehen“, sondern schlossen sich mehrheitlich den politischen Hauptkräften an -- und der ‚Asylkompromiss" der etablierten Parteien sorgten freilich dafür, dass CDU/CSU (und SPD) das Wählerpotenzial der REPs ab 1992/93 überwiegend wieder einsammeln konnten. Darauf hingewiesen sei, dass Gerhard Frey, der langjährige Herausgeber der Deutschen Nationalzeitung und bis vor kurzem Chef der Deutschen Volksunion (DVU) als konkurrierender Rechtspartei, bei der ersten „gesamtdeutschen“ Bundestagswahl im Dezember 1990 zur Wahl „von Unionsparteien oder SPD“ aufrief und nicht die rivalisierenden Republikaner unterstützte. Letztere schnitten im Jahr des Vollzugs der Wiedervereinigung überall, wo sie antraten - im Vergleich zum vorausgehenden und zu den beiden nachfolgenden Jahren - ziemlich kläglich ab. Ab 1991 nahmen sie jedoch nochmals und für etwa anderthalb Jahre einen beträchtlichen Aufschwung: Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg im April des darauffolgenden Jahr erhielt die REP-Partei allein 11 Prozent, alle rechtsextremen Parteien zusammen knapp 14 Prozent der Stimmen. Dies war der Höhe- und der vorläufige Endpunkt ihrer Erfolgsserie zugleich.

Ein Hauptgrund dafür liegt darin, dass in Deutschland die Identifikation mit dem - als „demokratisch“ definierten -  Staat zum Zwecke, die politische und gesellschaftliche Stabilität zu wahren, weitaus stärker ausfällt als in vielen Nachbarländern. Den Hintergrund dafür bietet eine als traumatisierend wahrgenommene Erfahrung: Die Weimarer Republik mit ihren oft heftig ausgetragenen, sozialen und politischen Konflikten endete mit dem Nationalsozialismus, und dieser wiederum mündete in den (von vielen Deutschen als die „eigentliche Katastrophe“ betrachteten) verlorenen Krieg, die Kapitulation und „nationale Teilung“. Um nicht noch einmal politische „Abenteuer“ und „Experimente“ zu erleben, die am Ende mit einer solchen Niederlage enden, klammert sich gerade das autoritäre Publikum innerhalb der Gesellschaft an den Stabilitätsimperativ: Der Staat möge nur nicht kippen, die Währung nur keiner Inflation ausgesetzt sein, eine Geldentwertung wie 1923 oder 1948 ausbleiben. Unter diesen Voraussetzungen fällt es rechtsextremen Kräften schwer, - auf Massenebene - gegen das Stabilitätsverlangen als Grundprinzip des bestehenden Staates an zu agieren. Betrachtet man die Erfolgsphase der rechtsextremen Parteien in der jüngeren Geschichte näher, so fällt auf, dass es das Establishment - in Gestalt der großen Parteien und der wichtigsten Medien - selbst war, das die Schleusen geöffnet hatte und signalisierte, dass es „erlaubt“ sei, rassistische Parteien zu wählen und gar selbst (gewalttätig) dabei aktiv zu werden. Diese Rolle spielte in den Jahren von 1991 bis 1993 die berüchtigte „Asyldebatte“: Monatelang konnte man keine Zeitung aufschlagen, ohne dass man erfuhr, welch gewaltiges nationales Drama der „Zustrom von Ausländern als Asylbewerber“ und die „Asylantenfrage“ darstelle. Der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe organisierte ab September 1991 eine generalstabsmäßige Kampagne, um noch im Kommunalparlament des letzten Kaffs die „Kosten der Asylanten“ zum Thema zu erheben, und im darauffolgenden August beschloss die SPD auf dem Petersberg in Bonn ihre Zustimmung zur Einschränkung des Asylrechts. Das war der Mist, auf dem die rechtsextremen Wahlerfolge wuchsen: REPs oder DVU hatten die „Asyldebatte“ nicht organisiert und auch nur geringen Einfluss auf ihren Verlauf; sie profitierten jedoch von ihr, wobei sie aber lediglich wie Fettaugen auf der Suppe obenauf schwammen.

Am 26. Mai 1993 stimmte der Bundestag über die Quasi-Abschaffung des bisherigen Asylrechts ab, doch drei Tage später verbrannten fünf türkische Frauen und Mädchen in Solingen bei einem weiteren rassistischen Brandanschlag in der langen Serie, die parallel zur „Asyldebatte“ begonnen hatte. Dieses Mal war er jedoch ausgesprochen kontraproduktiv: Anders als bei „Asylanten“ stand hinter den Opfern in diesem Falle ein nicht ganz unbedeutender Staat - das NATO-Mitglied Republik Türkei -, und in der gesamten internationalen Presse wurde über die Verbrechen von „Hitlers Enkeln“ berichtet. Dies drohte sehr schnell, und während in anderen Ländern die Vorbehalte über die Auswirkungen der deutschen Wiedervereinigung noch wach waren, zum „nationalen Problem“ zu werden. Und so pfiffen der Staat und die Etablierten die Geister, die sie mittels der „Asyldebatte“ gerufen hatten, sehr schnell wieder zurück: Nun wurde gerade dem autoritären Publikum signalisiert, dass man „nicht mehr durfte“. Ein probates Mittel dazu war die Eintragung der Republikaner in die Verfassungsschutzberichte - ein Mittel polizeilicher und innenministerieller „Regulierung“ und Kanalisierung des politischen Lebens, das in den meisten Nachbarländern (mit Ausnahme v. Österreich, wo es eine gleichnamige Einrichtung gibt) keine Entsprechung findet -, wo sie nunmehr erstmals als „extremistisch“ aufgeführt wurden. Als eine Konsequenz daraus konnte nunmehr den Beamten unter den Mitgliedern der Republikaner - die vor allem unter Polizisten sehr gut verankert waren, bei der Europaparlamentswahl 1989 sollen über 20 Prozent der Polizeibeamten für diese Partei votiert haben, wie damals die Bürgerrechtszeitschrift CILIP berichtete - mit ihrem Rausschmiss aus dem Staatsdienst gedroht werden. Auch dazu, also zum Instrument des Berufsverbots (das in der Vergangenheit regelmäßig gegen Linke und nur ausnahmsweise „gegen Rechts“ genutzt worden war), gibt es in der Mehrzahl der vergleichbaren EU-Staaten kein vergleichbares politisches Steuerungsmittel. Die Drohung, verbunden mit dem Effekt der öffentlichen Stigmatisierung, funktionierte jedoch: Ab 1993/94 hatten die REPs und ihr Umfeld ihren Höheflug hinter sich und purzelten in der öffentlichen Gunst steil nach unten.

Stellt Deutschland, mit den (von Ausrutschern abgesehen) relativ schwachen Wahlergebnissen für seine rechtsextremen Parteien, also scheinbar eine Ausnahme dar, so hängt dies auch mit der wesentlich stärkeren staatlichen Kontrolle über die „Stabilität“ seiner innenpolitischen Entwicklung zusammen. Zwar würde das Establishment in Frankreich oder Italien ebenfalls gerne über vergleichbare Steuerungsmöglichkeiten verfügen; es wird jedoch bisweilen der Herausbildung relativ autonomer linker, aber eben auch rechter politischer Formationen nicht gleichermaßen Herr. Das Ganze spielt sich jedoch bei einem gleichzeitig extrem hohen Ausmaß an rassistischer Gewalt in deutschen Städten und Landkreisen ab, das in Frankreich oder Österreich nicht Seinesgleichen findet: zwischen 19.000 und 20.000 Straftaten mit rassistischem, antisemitischem oder rechtsextremem Hintergrund werden für das abgelaufene Jahr gemeldet. Unter ihnen sind über 1.000 Angriffe auf Personen zu verzeichnen. In Frankreich etwa kommen sie nicht über den zweistelligen Bereich hinaus: Dort wählen die Rassisten (bisweilen „ihre eigene“ Partei), aber sie prügeln und mordbrennen weitaus weniger.           

Die nationale Sozialgeschichte als Untergrund und Nährboden für den Aufschwung der extremen Rechten

Wie aufgezeigt, beeinflusst die jeweilige nationale Sozialgeschichte die Verankerungs- und Einflussmöglichkeiten rechtsextremer Kräfte in hohem Ausmaß. Dies gilt auch und besonders für Länder, in denen innere Spannungen und Konflikte bestehen, die sich von rechts her mit anti-egalitären, rassistischen oder hierarchisierenden Ideologien aufladen lassen.

Man denke etwa an den „Sprachenstreit“ in Belgien: Dort fühlte sich die niederländischsprachige - flämische - Bevölkerungsgruppe seit Begründung der Monarchie im Jahr 1830 lange Jahre hindurch benachteiligt. Tatsächlich war das Französische im Großteil des 19. Jahrhunderts die dominierende Sprache, da die gebildeten Schichten und die Bourgeoisie in ihr kommunizierten, und war bei Gericht ebenso wie im Unterricht und auf Ämtern zwingend vorgeschrieben. Als „Flämisch“ wurden verschiedene Dialekte bezeichnet, die als Sprache von Bauerntrotteln abgetan wurden. Hinter der vermeintlich nur sprachlichen steckte also auch eine soziale Diskriminierung. Nur hat sich die Situation später in ihr Gegenteil verkehrt: Der flämische Nationalismus produzierte ein hässliches Revanchegelüst, das - schon im Ersten Weltkrieg und erst dann recht während der NS-Herrschaft über Belgien - „deutschfreundliche“ Kräfte, Nazikollaborateure und freiwillig dienende SS-Männer hervor trieb. In den letzten Jahrzehnten ist es nunmehr zudem der französischsprachige Landesteil - die Wallonei -, der weitaus ärmer wurde als Flandern, da die traditionell in der Wallonei angesiedelte Schwerindustrie (Kohle, Stahl) einen beispiellosen Niedergang erlebte.

Nunmehr sind es starke gesellschaftliche Kräfte in Flandern, das durch seine Häfen und durch die Dienstleistungsindustrie heute wohlhabender ist als der Süden Belgiens (dieser nördliche Landesteil repräsentiert heute 80 % der Exporteinnahmen Belgiens), die darauf pochen, „nicht mehr die Wallonen durchfüttern zu wollen“. Dieser kollektive Egoismus findet seinen Ausdruck insbesondere in dem Verlangen, das nationale Sozialversicherungssystem zu zerstören, da es auf flämischer Seite vielfach als Instrument zur Umverteilung und zur Organisierung von Transferzahlungen in den Süden betrachtet wird. Vor diesem Hintergrund konnten sich das wirtschaftliche Interesse von bedeutenden Teilen des lokalen Bürgermeisters - der neue Parteivorsitzende des Vlaams Belang seit März 2008, Bruno Valkeniers, ist zugleich einer der größten Unternehmer im Hafen von Antwerpen - und die nationalistische Ideologie zu einem Bündel miteinander verschränken. Der rechtsextreme VB, der in jüngerer Zeit auch wirtschaftsliberale und katholische Kreise zu integrieren versucht, wuchs vor diesem Hintergrund zur derzeit stärksten Partei in Flandern an: Die 1979 gegründete Partei fuhr ab Anfang der neunziger Jahre wachsende Wahlerfolge ein und holte bei den belgischen Parlamentswahlen 2007 stolze 24,5 Prozent in Flandern. Der VB strebte bis vor kurzem gar das Erreichen der Dreißig-Prozent-Marke an; er konnte jedoch bei den jüngsten Wahlen (am o7. Juni fanden in Belgien/Flandern sowie die Europaparlamentswahlen als auch die Regionalparlamentswahl statt) nicht zulegen, sondern fiel zurück auf 15,3 %, d.h. er erlitt einen Stimmenverlust von minus 9 % in Flandern.

Dies liegt jedoch vor allem daran, dass seine dominierende Position durch die Präsenz einer neuen „rechtspopulistischen“ Liste - die nach ihrem Gründer, dem früheren Judo-Nationaltrainer Jean-Marie Dedecker, einfach Liste Dedecker (LDD) benannt worden ist und 7,7 % der flämischen Stimmen erhielt - bedroht wird. Letztere hat ein Profil, das in einigen Zügen der Politik Silvio Berlusconis in Italien stark ähnelt, aber ohne den offenen Rassismus, vor allem aber ohne den anti-belgischen Rassismus, der beim Vlaams Belang kultiviert wird. Beide Kräfte dürften sich zum Teil um dasselbe Wählerpotenzial Konkurrenz bereitet haben. Nimmt man noch die national-konservative „Neue flämische Allianz“ (NVA) mit 13,1 % hinzu, die ähnlich wie der Vlaams Belang antibelgisch-separatistisch ausgerichtet ist, aber keinen Populismus gegen „die da oben“ betreibt, dann kamen die flämischen Rechtskräfte an diesem Sonntag immerhin auf 36 % der Stimmen.

Betrachtet man die jeweils unterschiedliche, nationale Sozialgeschichte, so muss auch die spezifische Geschichte Osteuropas erwähnt werden. Dort profitieren rechtsextreme Kräfte vom Systemzerfall ab 1989, der relativ schwierigen Links-Rechts-Unterscheidung - vor dem Hintergrund eines alten Regimes, das sich verbal auf die Werte von Sozialismus und Revolution bezog, dadurch aber in anderen Ländern als emanzipatorisch geltende Orientierungspunkte zerstörte oder entwertete - und dem damit einhergehenden politischen Orientierungsverlust. Aber auch die sozialen Verwerfungen, die seit den frühen neunziger Jahren aus wirtschaftsliberalen, oft brachial durchgeführten Reformen resultierten, spielen eine Rolle. Allerdings können rechtsextreme Kräfte hier nicht auf ein konservatives Bürgertum sei es als soziale Basis, sei es als (potenziellen) Bündnisparteien bauen, wie dies in vielen westeuropäischen Ländern der Fall ist: Aufgrund der Vorgeschichte der jeweiligen Staaten vor 1989 existiert kaum ein traditionelles Bürgertum. Rechtsextreme Kräfte haben hier vor allem ein „plebeiisches“ Publikum in Teilen der Jugend und in den marginalisierten Unterklassen, und sammeln ein diffuses Unzufriedenen- oder Protestpotenzial um sich. Als Hassobjekte spielen die ortsansässigen Romabevölkerungen eine zentrale Rolle, aber auch ein ideologisches Gemisch aus Abneigung gegen die - eingebildete oder auch reale - westliche Dominanz und gegen halluzinierte „jüdische Interessen“. In Ländern wie der Tschechischen Republik und Ungarn geht der Aufstieg solcher Kräfte wie der tschechischen „Nationalpartei“ oder der ungarischen Jobbik-Bewegung mit einem hohen Ausmaß an Gewalttätigkeit einher. Dies gilt insbesondere für Jobbik, deren Parteinamen wörtlich so viel wie „die Bessere“ bedeutet; diese neofaschistische, antisemitische und zum Teil - in Gestalt ihrer „Ungarischen Garden“ - offen gewalttätige Bewegung erhielt bei der EP-Wahl am vergangenen Sonntag katastrophale 14,77 % (fast doppelt so viel wie die Umfragen, in denen von 8 % die Rede war). Ungarn bildet insofern einen Sonderfall, als dort gleichzeitig, neben dem Wahlerfolg offener Faschisten, ein Rechtsruck auf breitester Ebene zu verzeichnen war. Denn die selbst sehr weit nach rechts gerückte, „rechtskonservative“ Oppositionspartei FIDESZ erhielt dort über 56 % der Stimmen zur EP-Wahl, und holte 15 von 22 ungarischen Mandaten im Europaparlament. In Ungarn hat es offenkundig das rechte Lager (im weitesten Sinne, von konservativ bis offen neonazistisch) vermocht, die soziale Unzufriedenheit auf ihre Mühlen zu lenken und - in den Augen vieler Einwohner - als ihr politischer Ausdruck in Krisenzeiten zu erscheinen.

Neben den Charaktermerkmalen der jeweiligen Nationalgeschichte prägt aber auch der Standort der jeweiligen rechtsextremen Bewegung in einem „Raster“, in das diese Kräfte sich (ungefähr) einteilen lassen, ihre gesellschaftliche Rolle und die Bedingungen für ihren Erfolg oder Nichterfolg. 

Ultraliberale versus nationalrevolutionäre (extreme) Rechte

 Zunächst einmal lassen diese Kräfte und Formationen sich grob nach Strukturmerkmalen ordnen. Unter ihnen finden sich eher lose zusammengewürfelte Dilettantenhaufen wie die niederländische LPF; reine Wahlparteien mit (außerhalb von Parlamentswahlen) eher geringer gesellschaftlicher Verankerung; straff organisierte Aktivistenparteien oder auch, am äußersten Rande des Spektrums, militante und pseudo-revolutionäre Kaderorganisationen.

Neben diesen inneren Strukturmerkmalen gibt es aber auch inhaltliche Scheidelinien, entlang derer sich die unterschiedlichen Parteien einteilen lassen. Dabei kann man, grob gesprochen, jene politischen Kräfte, die seit den achtziger oder neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts rechts von den liberal-konservativen Parteien aufsteigen, zwei gegensätzlichen Polen zuordnen. 

Auf der einen Seite findet man Parteien, die eine Ein-Punkt-Programmatik bzw. (häufiger) ein aus zwei zentralen Punkten bestehendes Agitationsprogramm vertreten : gegen Immigranten sowie gegen Steuern und sozialstaatliche Kosten. Man kann sie als eine Art von verschärfendem Korrektiv zu den Konservativen und Liberalen betrachten. Typische Vertreter eines solches Programms waren die skandinavischen „Fortschrittsparteien“, die in Opposition zu einem „ausufernden Sozialstaat“ entstanden. Die bis heute erfolgreiche „Dänische Volkspartei“ DFP (die am Sonntag 15,1 % der in Dänemark zur EP-Wahl abgegebenen Stimmen erhielt) hat hier ihren Ursprung; auch wenn sie sich unter anderem deswegen von ihrer Vorgängerpartei - der Fremskritsparti - abgespalten hat, um stärker „soziale“ Elemente in ihren Diskurs einzubauen, was es ihr in den letzten Jahren erlaubt hat, auch frühere sozialdemokratische Wähler anzuziehen.

Dieser Typus rechter Parteien läßt sich wiederum in zwei Untervarianten einteilen. Auf der einen Seite stünden demnach die außerhalb des bisherigen politischen Bürgerblocks stehenden, neuen politischen Kräfte, wie dies etwa auf die niederländische Liste Pim Fortuyn der Jahre 2001/02 zutrifft. Auf der anderen Seite hat man es aber auch oft mit „umgewandelten" bürgerlichen Parteien zu tun, die einfach einen vakant gebliebenen Platz auf der extremen rechten Seite des politischen Spektrums besetzen. So konnten die schwedischen Liberalen, indem sie einen vor allem gegen Immigranten und besonders gegen Einwanderer aus muslimischen Ländern gerichteten Diskurs übernahmen, bei den Wahlen im September 2002 ihren Stimmenanteil von davor circa 4 auf über 13 Prozent der Stimmen steigern und kräftig absahnen. Auch wenn die „rechtsliberale“ Folkpartiet liberalerna (FL) später wieder rückläufige Wahlergebnisse erlebte - bei der „Reichtstagswahl“ 2006 verlor sie die Hälfte ihrer Wähler/innen von vier Jahre zuvor, und fiel auf 7,54 % -, so konnte sie doch bei den jüngsten Europaparlamentswahl erneut über 13 Prozent der Stimmen (genau: 13,58 %) abstauben. Zugleich lässt sich diese Partei an zahlreichen politischen Fragen weiterhin als eine klassische, bürgerliche Interessenpartei einordnen.

Dabei verfolgen solche Kräfte im Wesentlichen das Ziel, in der bürgerlichen Gesellschaft bestehende soziale Hierarchien noch zu vertiefen und gegen jene zu treten, die in ihr am weitesten unten stehen. Dieser Standort („unten") wird aber nicht, wie bei sonstigen Liberalen, hauptsächlich über den Geldbeutel und dessen Inhalt definiert, sondern durch „natürliche" bzw. biologisierte Faktoren wie den Geburtsort oder die Herkunft der Vorfahren. Dadurch schaffen solche Parteien es mitunter auch, einen nicht völlig unbedeutenden Teil von Lohnabhängigen - oder jedenfalls sozial eher schlecht gestellten Personen - auf ihre Seite zu ziehen, die der festen Ansicht sind, eigentlich, ja „eigentlich" müsste es ihnen aufgrund ihrer „natürlichen Qualitäten" doch zustehen, in der Hierarchie der Konkurrenzgesellschaft einen Standort deutlich weiter oben einzunehmen.

Die vorherrschende „ethnische" Segmentierung des Arbeitsmarkts - auf dem die Arbeitsimmigration in der Phase nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zur Rezession von 1973/74 dazu diente, die am geringsten geschätzten Positionen in der sozialen Hierarchie aufzufüllen - hat zu einem solchen Zustand des Bewusstseins mit beigetragen. Ebenso die doppelte Erfahrung, dass, einerseits, der in den kapitalistischen Metropolenländern einmal erreichte Lebensstandard weit höher liegt als in der übrigen Welt; andererseits aber, dass dieser Standard für die subalternen Klassen bereits wieder im Abbau begriffen ist. (Wobei es freilich das „heimische" Kapital ist, das diesen Abbau in Wirklichkeit vorantreibt.) Für manche Individuen folgt aus dieser Situation der unbedingte Wille, den einmal erreichten Reichtum gegen „das Elend der Welt" zu sichern, notfalls durch Ausgrenzung, Diskriminierung oder Gewalt.

Solche politischen Kräfte sind in der Regel fundamental „pro-westlich" eingestellt und sehen den Feind in der Einwanderung, in der so genannten Dritten Welt und in einer „Einkreisung" der reichen Metropolen. Dabei dient „der Islam", als die von ihnen ausgemalte globale Gefahr Nummer Eins, als wichtigste ideologische Chiffre. Diese vermag es, den Abscheu vor der „Barbarei" der ärmeren - oft in einer früheren historischen Phase vom Kolonialismus ausgeplünderten, und/oder durch die weltwirtschaftlichen Strukturen benachteiligten oder abgehängten - Länder mit jenem gegen die Anwesenheit von Immigranten auf dem europäischen Boden zu verbinden. Die dänische, als Mehrheitsbeschafferin für die Regierung in Kopenhagen dienende DFP etwa hat ihre Hetze für schärfere Einwanderungs- und Asylgesetze in hohem Maße unter das Zeichen des Kampfs gegen „den islamischen Fanatismus“ gestellt. Als Stargast an ihrem letzten Kongress im Herbst 2008 nahm etwa der Zeichner Kurt Westergaard teil; er ist der Urheber der umstrittensten unter den zwölf Mohammed-Karikaturen, die die Affäre von 2005/06 auslösten. (Vgl. http://www.earthtimes.org/ ) Seine damalige Zeichnung illustriert den „Propheten“ Mohammed mit einem als Turban getarnten Bombe, und befördert dadurch die Assoziationskette, wonach „Islam“ und Moslems automatisch mit Terrorismus in Verbindung zu bringen seien. (Diese eher „pro-westliche“ und „pro-abendländische“ Ausrichtung hinderte die DFP nicht daran, in Gestalt von Morten Messerschmidt einen als offenen Neonazi-Sympathisanten geltenden Spitzenkandidaten für die EP-Wahl aufzustellen, vgl. http://diepresse.com. Bei dieser Wahl erhielt die dänische Rechtspartei 15,1 bis 15,2 % der abgegebenen Stimmen und verzeichnete damit erkennbare Zuwächse.)

Dieses o.g. Profil beinhaltet regelmäßig eine eher pro-amerikanische, und in der Mehrzahl der Fälle auch eine pro-israelische Ausrichtung; Israel wird insofern als Vorbild hingestellt, als Europa ihm nacheifern solle, indem es eine Politik der militärischen Wehrhaftigkeit und eine Politik der Härte gegenüber „den Arabern“ verfolgt. Dies war ungefähr die Position von Jean-Marie Le Pen von den Kolonialkriegen gegen Algerien und Ägypten in den fünfziger Jahren - während derer Israel ein wichtiger geostrategischer Verbündeter Frankreichs war - bis im Jahr 1987, als er infolge eines allzu forschen Bekenntnisses zum Geschichtsrevisionismus unverhofft von einem geplanten Besuch aus Israel ausgeladen wurde. Auch während dieser Phase war Le Pen freilich in seinem Inneren Antisemit, nur hielt er es aus strategischen Gründen für angesagt, sich „gut mit den Juden“ zu stellen - aus militärisch- und außenpolitischen Motiven wie auch aus dem Glauben heraus, so könne er nicht der Nazisympathien angeklagt werden. Aktuell verfolgt etwa die Führung des belgischen Vlaams Belang eine solche Linie, was nicht verhindert, dass einzelne seiner Führungspersönlichkeit durch antisemitische Äußerungen auffallen oder - wie der frühere Vizepräsident des VB, Roland Raes, am 12. 12. 2008 in Brüssel - wegen Holocaustleugnung verurteilt werden. Nach außen hin gibt die Partei sich jedoch strikt pro-israelisch. Ähnliches trifft auf die zwischen Konservativismus und einem dynamisch-autoritären, rechtsextremen Populismus oszillierende Schweizerische Volkspartei (SVP) zu, obwohl sie vor einem Jahrzehnt sehr viel Erfolg mit einer antisemitisch unterlegten Agitation gegen „Raubgold“ der Nazis in Schweizer Banken erzielt hatte. Im Januar 2009 nahm die SVP an Solidaritätskundgebungen für den Staat Israel teil. (Vgl. http://www.juedische.at/ )

Letztere Taktik dient dabei auch gleichzeitig oftmals dazu, jeden Vergleich des eigenen Auftretens mit Faschisten und den Nazis abzuwehren. Man denke etwa an den seit Jahren vorbereiteten Israelbesuch von Gianfranco Fini im Jahr 2003, oder jüngst des „postfaschistischen“ Bürgermeisters von Rom, Gianni Alemanno, im Herbst 2008: Auf solchem Wege sucht man sich eine moralisch blütenweiße Weste zu verschaffen, indem man darauf hinweist, mit einem Adolf Hitler habe man doch erkennbar nichts gemeinsam.

Eine spezifische Ausformung dieser „westlichen Metropolen-Rechten“ bildet die niederländische LPF. Deren Gründer Pim Fortuyn nahm bedeutende Versatzstücke der „niederländischen Liberalität" in seinen rassistischen Diskurs auf. Er kehrte die Verteidigung individueller, bürgerlicher Freiheitsrechte - wie sie in den höher entwickelten kapitalistischen Metropolen, mit hohem Lebensstandard und relativ gesicherter bürgerlicher Demokratie, im Laufe der Jahrzehnte durchgesetzt werden konnten - einfach gegen die Gesellschaft insbesondere muslimisch geprägter Länder als angeblich „tiefer stehender Kultur". Deren pauschal als freiheitsfeindlich gesetzter Charakter bedrohe jetzt angeblich den erreichten Standard individueller Rechte in Europa. Darüber spannte Fortuyn den Bogen zur, abzulehnenden, Anwesenheit von Einwanderern in den Niederlanden generell. Überdies propagierte Fortuyn einen offenen Bruch mit tragenden Prinzipien bürgerlich-demokratischer Rechtsstaatlichkeit, indem er es zu einer seiner Hauptforderungen erhob, den Grundsatz des Artikels 1 der niederländischen Verfassung aufzuheben: die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Dieses Prinzip sei angesichts der Bedrohung durch eine „massive Einwanderung“ vor allem von Muslimen nicht aufrecht zu erhalten, behauptete Fortuyn.

Da der Hochschullehrer nicht nur Exzentriker, sondern auch bekennender Homosexueller war, wirkte sein Bekenntnis zur „niederländischen Liberalität" glaubhaft genug, um nicht sofort und ausschließlich als propagandistischer Trick zu erscheinen. Nicht alle Rechtsparteien aber integrieren diese Verteidigung der individuellen Rechte gleichermaßen in ihren Diskurs, denn bei vielen hat jene des „christlichen Abendlands" Vorrang, die selbst oftmals gegen die Rechte von Homosexuellen und anderen Minderheiten gerichtet ist. Beim französischen Front National etwa wird Homosexualität allenfalls von einzelnen Protagonisten toleriert, von anderen hingegen verteufelt, und Schwangerschaftsabbrüche werden schon im Parteiprogramm explizit negativ bewertet.

Einen angemessenen Nachfolger hat der im Mai 2002 ermordete Rechtspolitiker Pim Fortuyn in dem (extrem pro-israelischen) früheren Liberalen Geert Wilders, der zunächst bei der rechtsliberalen Partei VVD Karriere gemacht hatte, gefunden. Dessen 2006 gegründete „Freiheitspartei“ (Partij voor de Vrijheid, PVV) hat in den letzten anderthalb bis zwei Jahren einen starken Aufschwung genommen, Umfragen sagen ihr derzeit sogar die Möglichkeit vorher, bei inländischen Wahlen zur stärksten politischen Kraft in den Niederlanden aufzusteigen; bei der EP-Wahl am Sonntag erhielt die PVV 17 % der Stimmen und wurde dadurch zur zweitstärksten Kraft. Aber viele ihrer (potenziellen) Wähler/innen gingen mutmaßlich nicht ins Stimmbüro, aus ihrer Ablehnungshaltung gegenüber der EU heraus und konform zu einem der Slogans ihrer Partei - „Mehr Niederlande und weniger Europa“ -, so dass die PVV bei innenpolitischen Wahlen sogar noch über bedeutende Stimmreserven verfügen dürfte, die sie noch anzapfen kann. Inzwischen konnte die PVV mit ihrer Agitation gegen die Einwanderung, speziell jene „von Moslems“, auch die niederländischen etablierten Parteien erfolgreich kontaminieren (vgl. http://diepresse.com).

Ähnlich wie früher Pim Fortuyn agitiert auch Wilders in erster Linie gegen die „islamische Bedrohung“ und stellt zugleich fundamentale bürgerlich-demokratische Prinzipien wie den Gleichheitsgrundsatz in Frage. Wilders’ Partei setzte sich aber auch massiv gegen den EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens ein und wirbt nun sogar offen dafür, die beiden armen Schlucker-Länder („aufgrund ihrer Korruption“) wieder aus der Union hinauszuwerfen; und als Wahlkampfparole im EP-Wahlkampf benutzte die Partei den Slogan: „Mehr Niederlande und weniger Europa“. Ferner hat Geert Wilders aber auch offen völkische Punkte in seinem agitatorischen Repertoire. So unterstützte er am 11. o5. 2008 die belgisch-flämischen Separatisten - zu denen besonders der rassistische Vlaams Belang gehört -mit dem Vorschlag, der belgische Gesamtstaat solle auseinander brechen, um einem Zusammenschluss der niederländischsprachigen Flamen mit den Holländern den Weg zu ebnen. Dazu schlug Geert Wilders vor, eine Volksabstimmung über eine Vereinigung Flamens mit den Niederlanden anzuberaumen. An dieser Stelle schließt der autoritäre Liberalismus und „Wohlstandschauvinismus“, den der PVV-Chef verkörpert, offen zu völkisch-nationalistischem Gedankengut auf. Eine Studie der niederländischen Anne-Frank-Stiftung kam vor wenigen Monaten zu dem Ergebnis, die von „Abtrünnigen“ aus dem rechtsliberalen Lager gegründete PVV sei inzwischen als eindeutig rechtsextreme Partei einzustufen. (Vgl. http://www.annefrank.org )

Doch die autoritär-liberale, fundamental „pro-westliche“ respektive „pro-abendländische“ Rechte steht in der Landschaft jenseits der Konservativen nicht allein. Am entgegen gesetzten „Pol" innerhalb des rechtsautoritären Spektrums findet man jene Parteien und Bewegungen, die man mit einer Begriffsschöpfung des israelischen Historikers und Faschismusspezialisten Zeev Sternhell als „die revolutionäre Rechte“ bezeichnen könnte. Diese Kräfte reden nicht nur einer etwas verschärften Gangart gegen jene, die ohnehin sozial „unten" stehen oder jedenfalls laut Auffassung der Rassisten am „unteren“ Rand zu stehen haben, das Wort. Neben den „Minderwertigen“ oder „Untermenschen“ - letzterer Begriff wird freilich aufgrund der offenen Anlehnung an Nazidiktion kaum offen benutzt - wettern sie gleichzeitig auch neben die vermeintlichen „Übermenschen“, die innerhalb des bestehenden Systems auf mehr oder weniger undurchschaubare Weise ihren Einfluss ausüben, über Macht und Geld verfügen, dabei aber „fremde“ Interessen verkörpern. Ihre Machtpositionen sind - laut Auffassung der Anhänger solcher rechten Kräfte - nur schwer zu durchschauen und werden bevorzugt durch Verschwörungstheorien „erklärt“.

Diese „anti-system-orientierten“ Rechtskräfte wettern auch gegen die dominierenden gesellschaftlichen Eliten, oder jedenfalls gegen einen Teil von ihnen. Allerdings tun sie dies unter Zuhilfenahmen der gleichen argumentativen Grundform, die auch den vorher beschriebenen Rassismus und Sozialdarwinismus prägt, nämlich auf der Basis biologisierender Kriterien wie Abstammung, "Rasse", Geburt. Dadurch wollen sie die Nation - oder das Abendland oder das „weiße“ Europa - nicht nur gegen „unten" und gegen „außen" (etwa die so genannte Dritte Welt) abgrenzen - wie die Vertreter der weiter oben beschriebenen politischen Kräfte -, sondern nach allen Seiten hin hermetisch dicht machen.

Der Antisemitismus und verschwörungstheoretische Zugaben, gegen finstere konspirative „Lobbys" etwa, erlauben, was das Ein-Punkt-Programm des Diskurses gegen die Immigranten allein - das mit konservativer Politik und Hegemonie noch grundsätzlich vereinbar bleibt - nicht vermag. Es ermöglicht, eine alle möglichen gesellschaftlichen Aspekte umfassende, in sich geschlossene Gesellschaftstheorie und eine vermeintliche „revolutionäre Alternative" zu stiften. Wenn es darum geht, die Nation nach allen Seiten hin gegen äußere ebenso wie innere „Feinde" abzuriegeln, dann richtet sich dies auch bürgerlich-demokratische Teile der Eliten, und gegen die Keime der „Subversion" innerhalb der herrschenden Gesellschaftsordnung selbst. Letzterer Mechanismus zur „Erklärung“ des bestehenden Systems erlaubt es der extremen Rechten auch, zu allen möglichen gesellschaftlichen Fragen eine radikal klingende, „oppositionelle“ Position zu beziehen - denn nicht nur die Anwesenheit von Einwanderern wird so zum Gegenstand von Gegnerschaft und Agitation, sondern die vermeintlich allgegenwärtige Präsenz „fremder Interessen“. Nehmen wir beispielsweise folgendes Zitat von Jean-Marie Le Pen zu kulturellen Fragen: „Die moderne Kunst ist ein Komplott, das darauf abzielt, das Individuum vom Wahren, vom Guten und vom Schönen zu entfernen und es dadurch zum manipulierbaren Roboter zu machen. Brechen wir mit diesem Komplott.“ (Januar 1993) Eine zentrale Denkfigur in diesen Verschwörungstheorien ist die „Entwurzelung“ der Menschen und Gesellschaft, die bewusst vorgenommen werden, um die Nationen zu zerstören und eine „Weltregierung“ zu errichten, eine auch bei Jean-Marie Le Pen anzutreffende Argumentationsfigur. Auch weltwirtschaftliche Phänomene lassen sich auf diese Weise „deuten“.

Oftmals lässt sich die Quelle solcher drohenden „Zersetzung" benennen: Es handelt sich um das, was Jean-Marie Le Pen seit langen Jahren, in jüngerer Zeit allerdings abgeschwächt, als „die Lobbys" angreift. Also die Vertreter von Geheimgesellschaften, dabei spielen in den Vorstellungen der französischen extremen Rechten bis heute die Freimaurer eine herausragende Rolle, und auch Juden.

Auf dieser Grundlage kann man noch weit effektiver um die Verlierer der Gesellschaft werben und eine auf Dauer von den bürgerlich-konservativen Parteien autonom auftretende, „gehärtete" politische Kraft aufbauen. Solche politischen Kräfte schmücken sich oftmals auch mit anti-westlichen ideologischen Versatzstücken und erklären sich die bestehende internationale Hierarchie auf verschwörungstheoretische Weise. Ihr Masseneinfluss wächst oftmals vor dem Hintergrund einer ideologischen Krise oder eines Niedergangs der Linken.  

Historischer Faschismus als Folie - und als Last  

Diese Form der „nicht-bürgerlichen" Rechten ist es, die dem historischen Modell faschistischer Bewegungen in ihrer Oppositionsphase - vor der jeweiligen Machtübernahme - am nächsten kommt. Das besondere Charaktermerkmal der französischen und italienischen Vorläuferbewegungen des Faschismus war es, Elemente aus der bisherigen politischen Linken und der Bewegungen sozialen Fortschritts herausgebrochen und für eine - in ihrem Kern autoritäre, hierarchische und insofern reaktionäre - Gegenbewegung erfolgreich eingebaut zu haben. Von der Form her modern, konnte diese auf soziale Massenbewegung und -mobilisierung setzen, zugleich aber antidemokratische Parteiformen und später Regimes errichten. Letztere wiederum konnten, einmal an die Macht oder in ihre Nähe gelangt, auch den Besitzenden die „Aufrechterhaltung der Ordnung“, den Kampf gegen das Chaos zu versprechen. Diese Doppelköpfigkeit erlaubte es ihnen, im „Optimalfall“ gleichzeitig als Kampfpartei und als Partei der Ordnung, als Schützer der Besitzenden und Rächer der Verarmten aufzutreten und so ein Bündnis von Anhängern aus unterschiedlichen, ja eigentlich einander feindlich gegenüber stehenden Klassen zu schweißen.

Heute hingegen stoßen solche Parteien, die die historischen „Modelle“ des Faschismus oder Nazismus nachzuahmen und eine „Fundamentalalternative“ zum bestehenden politischen System anzustreben beabsichtigen, auf ein ernsthaftes Problem: Aufgrund ihrer Positionierung „Allein gegen alle“ können sie zwar - vorwiegend in Zeiten sozialer Krisen - manche „Verlierer“ der gesellschaftlichen Ordnung und Unzufriedene anziehen. Gleichzeitig aber vermögen sie es nicht, auch nur annäherungsweise über eine Perspektive der Machteroberung oder -beteiligung zu verfügen, im Gegensatz zu jenen Kräften, die eher als „nur“ verschärfendes Korrektiv zu Konservativen und Liberalen auftreten. Nicht nur breitere Kreise der jeweiligen Gesellschaften, sondern - besonders? - auch ihre Eliten dürften der Perspektive, nochmals einer faschistischen Massenbewegung die politische Macht effektiv zu übertragen, angesichts der historischen Erfahrung heute weit skeptischer gegenüber stehen als vor 1922 (in Italien) oder vor 1933. Wird ihre Rolle als rechtes „Korrektiv“ geduldet, so dürften sie kaum auf breiterer Basis Bündnispartner dafür finden, das bestehende System durch eine „rechte Alternative“ ersetzen zu wollen. Allenfalls unter extrem zugespitzten Krisenbedingungen ist dies vorstellbar, es findet sich jedoch in der jüngeren Periode im europäischen Raum kein Beispiel dafür.

Phasenweise verlaufender Profilwechsel. Am Beispiel des FN 

Nicht zuletzt sei darauf hingewiesen, dass eine rechtsextreme Partei oder „Bewegung“ auch verschiedene Phasen durchlaufen kann, die sie von einem dieser beiden „Pole“ zum anderen übergehen sehen. Dies gilt beispielsweise für den französischen Front National: In den achtziger Jahren dominierten unter seinen Anhängern die kleinbürgerlichen und „mittelständischen“ Schichten, die vom Bürgerblock abgeworbenen und enttäuschten Konservativen. In seinem Diskurs überwogen der Bezug auf das christliche Abendland, den Antikommunismus - Jean-Marie Le Pen beanspruchte in den Jahren um 1986 für sich, „der französische Ronald Reagan“ zu sein - und die Abwehrhaltung gegen die Einwanderung aus der „Dritten Welt“. Als Hauptfeind wurden Steuern - von denen es den „produktiven Mittelstand“ und die Unternehmen zu „befreien“ gelte -, Einwanderer besonders arabischer und afrikanischer Herkunft und „der Islam“ definiert. Aber zwei Ereignisse, inneren wie äußeren Ursprungs, brachten dieses Profil zum Wanken: Die bürgerliche Rechte rückte ihrerseits in der Konkurrenz mit dem FN so weit nach rechts, oder passte jedenfalls ihren Diskurs und ihre Programmatik (besonders im Bereich der Einwanderungspolitik, verkörpert durch den damaligen Innenminister Charles Pasqua) so weit an, dass für eine Oppositionspartei rechts von ihr kaum noch „Luft zum Atmen“ blieb. Gleichzeitig verlor Jean-Marie Le Pen viele Bündnis- und Kontaktmöglichkeiten auf der bürgerlichen Rechten in westlichen Ländern, als er sich am 13. September 1987 im französischen Fernsehen - möglicherweise in einem Ausmaß, das ihm selbst zunächst nicht bewusst war - fast unverhohlen zu den Thesen der Holocaustleugner bekannte. Zuvor war Le Pen noch als Gast zum Parteitag der britischen Konservativen unter Margaret Thatcher in Blackpool im Oktober desselben Jahres eingeladen gewesen, und vor der Präsidentschaftswahl im April 1988 hatte er nach Israel reisen wollen; bis dahin hatte er durchaus, aufgrund seiner Statur als „Araberfeind“, explizite Sympathien in Teilen der israelischen Rechten genossen. In beiden Fällen wurde er jedoch nach seinem TV-Auftritt zur ‚Persona non grata’ erklärt, beide Reisen mussten annulliert werden. Auch auf der konservativen Rechten in Frankreich verlor Le Pen Bündnispartner, die ihn als Rassisten gegen Einwanderer aus dem Trikont toleriert hätten, jedoch keinem Nazifreund, Auschwitzleugner und Antisemiten - als den der Chef des Front National sich geoutet hatte - die Hand reichen.  

Die Option, als Juniorpartner der konservativen Rechten an einem Stück der politischen Macht teilzuhaben, verschloss sich dadurch für den FN. Doch die rechtsextreme Partei war damit noch lange nicht am Ende ihrer strategischen Möglichkeiten angelangt: Ab diesem Zeitpunkt, und stärker noch nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz ab 1989, versuchte sie sich nunmehr als „Systemalternative“ zum liberalen Kapitalismus zu profilieren, sozial Unzufriedene anzuziehen - und dadurch jenen Platz einzunehmen, den die (angepassten) Sozialisten und die (in der Krise befindlichen) Kommunisten nicht mehr auszufüllen vermochten. Ihr außenpolitisches Profil und ihre Stellung in der internationalen Ordnung veränderten sich: Der FN, früher vor allem eine aggressiv antikommunistische Partei und deswegen für die Verteidigung der „freien Welt“ unter Führung der USA, übernahm einen antiamerikanischen Diskurs und bot sich den „aufstrebenden Nationalismen“ - in Osteuropa nach 1989, aber auch in arabischen Ländern, was freilich bei ihrer auf Rassismus eingeschworenen Wählerschaft auf wenig Gegenliebe stieß - als Bündnispartner und „Vorreiter“ an. Auch die Wählerschaft wurde zum Gutteil ausgetauscht: Vormalige bürgerliche Wähler kehrten zu den Konservativen zurück, neue Anhänger sorgten für eine stärker „proletarisierte“ soziale Basis. 

Doch die Vorstellung, damit auf Dauer - ähnlich, wie in der historischen Rückschau die NSDAP - als Partei der „Alternative zum System“ und mit einer Strategie „Allein gegen alle“ immer weiter aufsteigen zu können, blamierte sich an der Wirklichkeit. Schon das Wahlergebnis von Jean-Marie Le Pen bei der Präsidentschaftwahl 1995 (15 Prozent der Stimmen) wurde, vor diesem Hintergrund - und obwohl das bis dahin höchste Stimmresultat für den Rechtsextremen - von einem Teil der Kader als katastrophal empfunden. Denn es stand kein Bündnispartner bereit, und der Aufstieg vollzog sich nicht so schnell wie erhofft. Als Le Pen dann im Jahr 2002 sein historisches Rekordergebnis erhielt - mit 17 Prozent zog er in die Stichwahl um die französische Präsidentschaft ein - , stand er im zweiten Wahlgang zugleich nicht einem Kandidaten der Linken, sondern dem Bürgerlichen Jacques Chirac gegenüber. Im ersten Falle hätte der FN sich erhofft, die konservativ-liberale Rechte spalten und einen Teil ihrer Anhänger in der Stichwahl zu sich herüber ziehen zu können. Aber in der Frontstellung gegen den Konservativen Chirac erwies die Position Jean-Marie Le Pens, der ausnahmslos alle politischen Kräfte außerhalb der eigenen Partei (von winzigen Ausnahmen abgesehen) gegen sich hatte, als aussichtslos. Obwohl er seinen Stimmenanteil - ohne Zuwachs - in der Stichwahl aufrecht erhalten konnte, besiegelte sein Abschneiden gegenüber den über 82 Prozent für Amtsinhaber Chirac eine herbe Niederlage. Die Unmöglichkeit eines „Marschs an die Macht“ wurde an diesem Tage vielen seiner Anhänger erstmals überdeutlich vor Augen geführt. Deswegen liegt, auch wenn es paradox klingt, in diesem kurzzeitigen Höhenflug - dem Einzug in die Stichwahl - zugleich auch die Wurzel der heutigen, tiefen Krise der französischen rechtsextremen Partei.

Der Front National ist heute einer doppelten Problematik ausgesetzt: erstens der ungelösten Frage der Nachfolge seines seit dem Gründungsjahr 1972 ohne Unterbrechung amtierenden „Präsidenten“. Und zweitens der Schwierigkeit, gegenüber einer selbst nach weit rechts ausgreifenden Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy ein eigenständiges Profil zu behaupten. Soll man sich dem gegenüber als ultrakonservative Partei derer, denen Sarkozy noch nicht genug für das Eigentum und die „traditionellen Werte“ tut, sondern zu viel Weltoffenheit und „Opportunismus gegenüber den Gewerkschaften“ besitzt, profilieren – und dabei Sarkozys Wahlprogramm von 2006/07 gegen dessen „zu schwache Umsetzung in die Realität“ einklagen, wie der FN es mitunter tut? Oder soll man sich lieber als „Partei des sozialen Protests“ von einem regierenden konservativen Block, an dem sich kaum noch auf der Überholspur rechts vorbeikommen lässt, weitestgehend absetzen? Das aber würde die Gefahr beinhalten, auch weiterhin und auf lange Sicht hin über keinerlei strategische Bündnisoption im konservativen Lager zu verfügen und, isoliert, seine dauerhafte „Unfähigkeit zur Machtteilhabe“ unter Beweis zu stellen.

In jüngster Zeit durchläuft der französische FN, vor diesem doppelten Hintergrund, einen regelrechten Erosionsprozess. In den späten neunziger Jahren wies die Partei, bis zu ihrer ersten größeren Abspaltung unter Bruno Mégret (1999), noch zwischen 40.000 und 50.000 zahlende Mitglieder auf. Heute besitzt sie ihrer deutlich unter 10.000. Auch auf Wahlebene erlebt die „Nationale Front“ derzeit eher eine Abwärtsspirale. Der FN erhielt an diesem Sonntag mit 6,34 % der bei der EP-Wahl abgegebenen Stimmen und noch drei Sitzen - gegenüber 9,81 % und sieben Mandaten in der vorangegangenen Legislaturperiode 2004/09 - ein, gemessen an seiner Geschichte, spürbar unterdurchschnittliches Ergebnis. (Gesonderter Artikel zu den französischen Rechtsextremen folgt!)

Ein halbes Dutzend größerer und kleinerer Abspaltungen hat sich in diesem Kontext in den letzten anderthalb Jahren herausgebildet, während das aufrecht erhaltene „Zentrum“ der Partei unter Jean-Marie Le Pen stark geschwächt ist. Unter anderem gründete sich am o1. Juni 2008 die Nouvelle Droite Populaire (NPD, sinngemäß: „den kleinen Leuten verbundene Nationale Rechte“), die versucht, die Kader und ideologischen Hardliner aufzunehmen, denen der FN unter dem Einfluss der „Modernisierin“ und „Cheftochter“ Marine Le Pen programmatisch zu sehr „aufgeweicht“ erscheint. Ihnen geht es um die dezidierte Verteidigung der Vorstellung eines „weißen Europa“, das sich zur Großmacht erheben und sich gleichzeitig von den USA, von Israel und „dem Islam“ abgrenzen solle. Mitte September 2008 entstand die Nouvelle Droite Républicaine (NDR, „Neue Republikanische Rechte“), die eher den pro-amerikanischen, wirtschaftsliberalen und thatcheristischen - aber auch eindeutig pro-israelischen - Flügel abdeckt, jedoch fest innerhalb des rechtsextremen Milieus verankert bleibt. So gehört ihr Chef, Jean-François Touzé, im Regionalparlament der rechtsextremen Fraktion der ‚Nationaux indépendants’ (Unabhängigen Nationalen) an, einer Abspaltung von der früheren Fraktion des Front National. Im Gegensatz zu anderen Fraktionen der extremen Rechten unterstützte die NDR explizit die Präsidentschaftskandidatur John McCains in den USA und die militärischen Angriffe Israels auf den Gazastreifen zum Jahreswechsel 2008/09; Mitte und Ende Mai 2009 rief die NDR einen Skandal hervor, da ihre Webpage in einer Serie von Artikeln dafür plädierte, aufgrund der „überhand nehmenden Anzahl moslemischer Einwanderer“ sei heute „die Demokratie ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können“. Deshalb plädierte die Webpage der Gruppierung für die „Errichtung einer vorübergehenden Diktatur“, nach dem Vorbild Augusto Pinochets, die gemäß diesen Vorstellungen auch wirtschaftliche Vernunft und die Freiheit des Markts bewahren helfen soll. (Vgl. http://www.rebelles.info) Vor diesem Hintergrund rief die NDR bzw. die ihr äußerst nahe stehende Website ‚Rebelles.info’ bei den EP-Wahlen zunächst zum Wahlboykott auf (vgl. http://www.rebelles.info/); kurz darauf gab sie jedoch eine Erklärung ab, in welcher sie diesen Aufruf auf Frankreich einschränkte. Hingegen seien in anderen EU-Ländern bestimmte Parteien durchaus wählbar, fügte die Website hinzu - insbesondere die PVV von Geert Wilders in Holland, die ‚Dänische Volkspartei’ DFP, der belgisch-flämische Vlaams Belang, die italienische Lega Nord und die FPÖ in Österreich. (Vgl. http://www.rebelles.info) Das entscheidende Kriterium aus Sicht der oben zitierte Website bildete dabei ein aktivistisches Eintreten gegen „die Ausbreitung des Islam in Europa“. Aufgrund der sinkenden Aktivität des französischen Front National außerhalb von Wahlkämpfen und -aktivitäten, aber auch der indirekten Unterstützung Jean-Marie Le Pens für das iranische Regime, erfüllt der FN dieses Kriterium aus Sicht der „pro-abendländischen“ Rechtsradikalen von NDR und Rebelles.info heute nicht länger. 

Eine diesem „pro-westlichen“ Autoritarismus völlig entgegen gesetzte Linie vertrat und vertritt Alain Soral, der als Wortführer eines „rot-braunen“ und pseudo-antikapitalistischen Flügels galt und einen eigenen Club namens Egalité & Réconciliation (E & R, „Gleichheit und Aussöhnung“) unterhält, der auch frühere Linke anzuziehen versucht. Eine seiner Hauptforderungen lautete, eine nationalrevolutionär geprägte, antiwestliche Orientierung in der Außenpolitik zu verfolgen. Soral, der selbst vor Jahrzehnten einmal Marxist war und sich in einer „antikapitalistischen“ Rhetorik ähnlich jener der Brüder Strasser in der historischen deutschen Nazipartei übte, hat aber am o2. Februar 2009 ebenfalls den FN verlassen. Enttäuscht darüber, dass er nicht die Spitzenkandidatur im Raum Paris bei der Europaparlamentswahl erhalte hatte, tobte er darüber, dass „nicht systemkonforme“ Kräfte bei der Partei „ausgegrenzt“ würden. In der Folgezeit kandidierte Alain Soral auf der durch den „schwarzen Mischling“ Dieudonné M’bala M’bala als Spitzenkandidat angeführten ‚Liste Antisioniste’ zur EP-Wahl, die (ihren Namen hin oder her) ein pures Sammelbecken für Antisemiten darstellte, aber ausschließlich im Raum Paris antreten konnte und dort nur o1,3 % der Stimmen erhielt - was allgemein als spürbare Niederlage gewertet wird. (Gesonderter Artikel zu den französischen Rechtsextremen folgt noch.) 

Vorläufiges Fazit 

Auf diese Weise drohen die unterschiedlichen Orientierungen, die sich einer rechtsextremen Partei als potenzielle Strategien anbieten, zunehmend konträr zueinander aufzutreten und zum Auseinanderlaufen der Aktivistenbasis zu führen. Es bleibt abzuwarten, ob die unterschiedlich ausgerichteten Teile der französischen extremen Rechten wieder zueinander finden und ihre derzeitige schwere Krise überwinden werden. Es wäre - wie das österreichische Beispiel in den Jahren zwischen 2000 und heute aufzeigt - allerdings nicht das erste Mal, dass rechtsextreme Kräfte, nachdem sie einen schweren Einbruch erlebt haben, doch noch einmal zu einem neuen Höhenflug ansetzen. So lange ihre Ideologien nicht zurückgedrängt sind und eine ohnmächtige soziale Wut in Teilen der Gesellschaft keine andere, in ihren Augen „glaubwürdige“ Ausdrucksform findet, droht die extreme Rechte sich trotz aller inneren Widersprüche erneuern zu können.

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir am  12.6.2009 vom Autor.